08:56 BAUPRAXIS

Vorfertigung in der Gebäudetechnik: Stück für Stück in die Zukunft

Geschrieben von: Michael Staub (ms)
Teaserbild-Quelle: Michael Staub

Die Vorfertigung fasst langsam auch in der Gebäudetechnik Fuss. Ganze Steigzonen können heute im Werk gefertigt werden, was die Einbauzeiten verkürzt. Digitale Modelle ermöglichen zudem, die Befestigung und den Zuschnitt von Rohrsystemen zu optimieren.

Baustelle Nidfeld mit Stanserhorn

Quelle: Michael Staub

In der Siedlung Nidfeld in Kriens LU werden vorgefertigte Gebäudetechnik-Module im grossen Stil eingesetzt. Die erste Bauetappe ist bereits fertiggestellt und bezogen.

Zähe Wolken hängen vor dem Pilatus, und der Regen färbt den Beton dunkel. Im Innenhof der Siedlung Nidfeld dirigiert ein Polier den Ausleger einer Betonpumpe. Mit schnellen Schritten geht Nedim Ferhatbegovic, Bauleiter HLKS bei Losinger Marazzi, zum Eingang von Haus B5 und führt in eine Wohnung im zweiten Stock. Die Fenster sind im Rohbau bereits montiert. Im grossen Raum, der schon bald ein Wohnzimmer sein wird, fallen zwei grosse Stahlgerüste ins Auge.

Das eine ist eine klassische GIS-Vorwand für die Nasszelle. Spülkasten, Wasserleitungen und Grundplatten sind schon eingebaut. Etwas weiter vorne befindet sich eine zweite Konstruktion. «Eine unserer vorgefertigten Steigzonen», sagt Ferhatbegovic und zeigt die einzelnen Komponenten: Bodenheizungsventile, Zu- und Abluftrohre für die Komfortlüftung sowie Vorbereitungen für die Etagen-Elektroverteilung sind allesamt auf engstem Raum untergebracht.

Stapeln und verbinden

Im Gegensatz zur GIS-Vorwand, die nur die Sanitärinstallation umfasst, bringt die Steigzone also viele verschiedene Gewerke unter einen Hut. Entwickelt wurde das System von der Dresohn AG aus Mettmenstetten ZH. «Am Anfang stand das Projekt Herdern», sagt Thomas Ineichen, Leiter Technik & Entwicklung bei Dresohn. Für die 2018 erbaute Wohnsiedlung der Stadt Zürich wurde das Konzept der vorgefertigten Steigzonen erstmals erprobt und danach sukzessive verbessert.

Der Zeit- und Effizienzgewinn, den sich die Stadt als Bauherrin versprochen hatte, konnte tatsächlich erreicht werden. Denn mit den Modulen aus Mettmenstetten können die vertikalen Steigzonen auf der Baustelle gewissermassen aufeinander gestapelt und danach verbunden werden. Der Baustellenkran hebt die einzelnen Module zentimetergenau in eine Aussparung in der Geschossdeckenschalung und senkt sie ab. Ist das Modul korrekt in der Decke eingehängt, nutzt man seine obere Abdeckung aus Stahlblech als verlorene Schalung für das Aufbetonieren der Aussparung.

GT-Modulund GIS im Hintergrund

Quelle: Michael Staub

Vorfertigung ist der gemeinsame Nenner: Ein neues Gebäudetechnikmodul (vorne) und ein GIS-Modul (hinten).

Verglichen mit dem konventionellen Installieren von Steigzonen ist der Zeitgewinn beträchtlich. Denn mit der Vorfertigung im Werk kopieren die Gebäudetechniker das Erfolgsmodell der Holzbauer: In der Werkstatt millimetergenau zusammenbauen, danach auf der Baustelle im Handumdrehen montieren. «Das System funktioniert», sagt Nedim Ferhatbegovic (siehe auch «Nachgefragt»-Kasten unten). Und Thomas Ineichen ergänzt: «Das Tempo auf der Baustelle ist schon beeindruckend. Wir haben uns durch fünf Häuser durchgearbeitet. Als wir mit dem letzten Haus fertig waren, begannen die Gipser im ersten Haus.»

Die Module werden nach dem Einbau mit den Gewerken der Etage verbunden. Der Bodenheizungsverteiler erhält einen Anschluss an die Heizkreise, die Elektro-Steigzone wird mit der Wohnungsinstallation verbunden und das Lüftungselement an die Zu- und Abluftrohre angeschlossen. «Wir arbeiten vertikal, die Installateure hingegen horizontal. Das beschleunigt das Arbeiten ungemein», berichtet Thomas Ineichen. Ein besonderer Vorteil dieser Arbeitsaufteilung: Es gibt auf der Etage weniger Gedränge. «Alle können in Ruhe arbeiten, statt sich gegenseitig auf den Füssen herumzustehen. Elektroinstallateur, ‹Lüftiger›, ‹Heiziger› und Gipser geraten sich nicht in die Quere», erläutert Ferhatbegovic.

Detail Verteiler Fussbodenheizung

Quelle: Michael Staub

Die Module enthalten alle nötigen Komponenten für den Anschluss der integrierten Gewerke, so etwa den Bodenheizungsverteiler.

Offen für fast alles

Welche Gewerke in den Steigzonen-Modulen vormontiert werden, entscheidet die Bauherrschaft oder allenfalls die Totalunternehmung. Je früher man in der Planungsphase beigezogen werde, desto mehr Synergien könne man nutzen, sagt Thomas Ineichen: «Im Prinzip findet die gesamte HLK-Technik Platz in unseren Modulen. Die Sanitär-Steigzone ist hingegen selten Teil der Planung. Denn damit das Kaltwasser nicht über Gebühr erwärmt wird, braucht es eine thermische Trennung von den anderen Gewerken.» Wenn die Steigzonen mit den Gewerken auf der Etage verbunden ist, folgt der nächste Schritt. Das Modul wird mit Gipsfaserplatten beplankt und an den passenden Orten mit Revisionsöffnungen versehen. Einmal installiert, ist die Technik wartungsfrei und gut geschützt – genau wie in einer klassischen Steigzone.

Während in der Siedlung Nidfeld bereits alle 194 Gebäudetechnik-Module installiert sind, arbeitet man bei der Dresohn AG bereits an den nächsten Projekten. Dazu gehören unter anderem das Baufeld B6 im Quartier Greencity in Zürich oder ein Gebäude der Überbauung Eichhof West in Kriens LU. Losinger Marazzi hat sowohl die Überbauung Nidfeld wie auch das Greencity-Projekt entwickelt und realisiert sie als Totalunternehmer. «Das Zusammenspiel ist top. Wir beide haben ein Interesse daran, die Arbeiten sorgfältig zu planen und das Bauprogramm pünktlich durchzuziehen», sagt Thomas Ineichen. Nicolas Risse, Leiter Ausführung Zentralschweiz bei Losinger Marazzi, fügt an: «Was im Werk vorgefertigt wird, leidet weitgehend weniger unter Mängeln, als was vor Ort montiert wird. Zudem werden die Einsätze während der Garantiephase auf ein Minimum reduziert. Das führt zu einer höheren Kundenzufriedenheit.»

Stefan Wüst und Nedim Ferhatbegovic

Quelle: Michael Staub

Thomas Ineichen (links) und Nedim Ferhatbegovic besprechen vor einem Modul die nächsten Schritte.

Schlauer schneiden

Nicht nur um Steigzonen, sondern um die gesamten «Eingeweide» der Gebäudetechnik kümmert sich die Müller Wüst AG. 2019 von Lukas Müller und Stefan Wüst gegründet, wurde das Unternehmen letztes Jahr von der Debrunner Koenig Gruppe übernommen. Bekannt geworden ist die Firma mit dem modellbasierten Arbeiten. «Ein digitales Fabrikationsmodell ist bei uns Grundlage für alle effizienten Dienstleistungen. Aus diesem Modell leiten wir alles ab, was für das papierlose Montieren auf der Baustelle nötig ist», sagt Geschäftsführer Stefan Wüst. 

Neben dem Masszuschnitt aller Rohrleitungen bietet die Müller Wüst AG zum Beispiel auch die Planung und Konfektionierung der gesamten Befestigungstechnik an. Die Umsetzung auf der Baustelle erfolgt mit Hilfe der digitalen Absteckung. «Die Bohrpunkte für die Befestigungen haben wir auf dem digitalen Modell definiert. Diese Punkte werden auf der Baustelle nicht mehr von Hand eingemessen und angezeichnet, sondern via Laser markiert. Das ermöglicht ein sehr zügiges Arbeiten», erläutert Stefan Wüst.

Rohre raumfertig konfektioniert

Quelle: zvg

Alles nach Mass: Bei der Müller Wüst AG werden die Rohre zugeschnitten und raumfertig konfektioniert. .

Den Masszuschnitt der Rohrleitungen übernimmt ein spezieller Algorithmus mit dem Namen «Smartcut». Seine Besonderheit: Der Verschnitt wird dank der klugen Verteilung der einzelnen Rohrstücke auf die 6-Meter-Elemente auf das absolute Minimum gedrückt. Auch Reststücke einzelner Rohre werden in die Berechnungen einbezogen. So bleibe am Ende nicht nur sehr wenig Verschnitt, meint Stefan Wüst: «Man kann damit auch ungefähr zehn Prozent Material sparen. Das freut alle Baubeteiligten.» Bis heute ist der Smartcut-Algorithmus frei zugänglich und kann für beliebige Systeme oder Lieferanten genutzt werden. «Wir möchten der Branche etwas zurückgeben. Wir sind überzeugt, dass der Zuschnitt erst der Anfang ist. Es steckt noch viel mehr Effizienzpotenzial in der Montage der Gebäudetechnik», meint Wüst.

Wir sind überzeugt, dass der Zuschnitt erst der Anfang ist. Es steckt noch viel mehr Effizienzpotenzial in der Montage der Gebäudetechnik.

Stefan Wüst, Geschäftsführer Müller Wüst AG

Stefan Wüst, Geschäftsführer Müller Wüst AG

Fazit

Mit vorgefertigten Steigzonen, umfassend geplanten Installationen und millimetergenauem Zuschnitt können Gebäudetechniker das Erfolgsmodell der Holzbauer kopieren: Ein grosser Teil der Arbeit wird unter komfortablen Bedingungen in der Werkstatt erledigt. Auf der Baustelle werden die vorgefertigten respektive passgenau zugeschnittenen Teile dann «nur» noch montiert. Wie in anderen Berufsbildern nimmt der handwerkliche Anteil etwas ab, dafür ist mehr Planungs- und Vorbereitungsarbeit gefragt. Man kann dies bedauern oder begrüssen. Für die meisten Betriebe, die schon heute unter Personalmangel ächzen, dürfte ein wachsender Vorfertigungs-Anteil jedoch praktisch sein. Schnellere und dennoch genauere Installationen mit weniger Abfall und weniger Manpower scheinen wie gemacht, um die aktuellen Herausforderungen zu bestehen.

Fertige Installation Aargau

Quelle: zvg

Komplexe Installationen, millimetergenau platziert: Mit dem modellbasierten Arbeiten erreicht die Gebäudetechnik neue Höhen.

Nachgefragt… bei Nedim Ferhatbegovic

Nedim Ferhatbegovic

Quelle: zvg

Nedim Ferhatbegovic, Bauleiter HLKS bei Losinger Marazzi.

Bei diesem Projekt wurden über 190 Gebäudetechnik-Module verbaut. Wie waren Ihre Erfahrungen damit?

Die Module haben mich sehr überzeugt. Ich kann sie meinen Berufskollegen für andere Projekte weiterempfehlen. Die Gewerke Bodenheizung, Lüftung und Elektro-Steigzone sind darin kompakt gebündelt. Das macht die Arbeit im Rohbau einfacher, wir waren schneller als bei der traditionellen Bauweise. Besonders praktisch finde ich, dass mit dem Modul die Brandabschottung bereits gelöst ist.

War der Zeitaufwand für das konventionelle Abschotten so hoch?

Es dauerte sicher länger, die konventionellen Steigzonen abzudichten. Ein zweiter Vorteil hat sich in der Bauphase gezeigt. Für uns als Totalunternehmer hat die Baustellensicherheit oberste Priorität. Das Abdecken und Sichern von Aussparungen in den Geschossdecken beansprucht viel Zeit und Aufwand, und man muss die Abdeckungen konsequent kontrollieren. Fällt diese Arbeit weg, haben wir eine Sorge und ein Unfallrisiko weniger. Das unterstützt uns, damit wir unser Ziel «null schwere Unfälle» erreichen. Und ausserdem macht es die Arbeit angenehmer.

Frühere Module besassen noch Betonsockel, heute wird der Modul-Oberteil als Schalung für das Betonieren genutzt. Wie gut hat dies funktioniert?

Wir sind zufrieden. Zu Beginn muss man sich ein bisschen herantasten, nach ein paar Modulen gewinnt man dann Routine. Wir haben das ganze Projekt vonseiten Losinger Marazzi eng begleitet, spezielle Checklisten erstellt und die einzelnen Arbeitsschritte jeweils dokumentiert. So konnten wir die Prozesse fortlaufend verbessern und kennen nun den optimalen Ablauf. 

(Interview: Michael Staub)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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