Versteinerte Kunst: Steinmetz legt Miniatur-Sakralwelten frei
Sie wirken fast wie Fossilien: Die Skulpturen des Künstlers Matthew Simmonds. Der gelernte Steinmetz haut seit über 20 Jahren architektonische Strukturen in Stein. Die Werke geben verborgene Welten frei, die von Sakralbauten inspiriert sind.
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Elevation VI Rooke Chapel».
Dorische Säulen, elegante Hallen, hohe Kuppeldecken
und kunstvoll geschwungene Treppen: Die Skulpturen des Künstlers Matthew
Simmonds beinhalten all das und noch viel mehr. Der Brite schafft in Stein gemeisselte, filigrane und detailgetreue kleine Welten aus mittelalterlichen
oder von der Antike inspirierten Strukturen, die meist typische Merkmale von Gotteshäusern aufweisen.
Die Kunstwerke sind in erster Linie Schaukästen – wie
Dioramen, nur grösser und vor allem schwerer. Sie geben zum einen Einblick in die
Arbeit eines Steinmetzes und zum anderen erzählen sie von der verborgenen Welt der Architektur von Sakralbauten.
Fotografien von Steinmetz-Arbeiten
«Historische Steinarchitektur hat mich schon immer fasziniert»,
erklärt Simmonds im Gespräch. Diese Verbindung brachte ihn bereits in jungen
Jahren dazu, Kunstgeschichte an der University of East Anglia im englischen
Norwich zu studieren. Doch erst 1989 – fünf Jahre nach Abschluss seines
Studiums – sei ihm dann der Gedanke gekommen, sein theoretisches Wissen in der
Steinbearbeitung einzusetzen. Ausschlaggebend dafür war ein Besuch in der
Kathedrale von Chichester in Südengland, als dort eine Ausstellung mit
Fotografien zur Arbeit der Steinmetze gezeigt wurde, die an dem Bauwerk mitgearbeitet haben.
Da er zu diesem Zeitpunkt bereits über einen Berufswechsel nachdachte
– er hatte als freiberuflicher Illustrator zu kämpfen – habe er in einer Art «Erleuchtung»
plötzlich gewusst, dass diese Profession das war, was er mit seinem Leben anfangen
wollte. Die Entscheidung sollte er schliesslich nicht bereuen: «Die
Möglichkeit, meinen Lebensunterhalt heute mit dem zu verdienen, was ich liebe,
und mein kreatives Potenzial zu erkunden, betrachte ich als eines der grössten
Privilegien, die man im Leben haben kann», hält Simmonds fest, der aktuell in
Dänemark lebt und arbeitet.
Er könne jeden Tag damit verbringen, sein Lieblingsmaterial zu bearbeiten. Sowohl im direkten Kontakt als Handwerker als auch auf intellektueller Ebene als Künstler.
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Homage to Baalbek».
Arbeit in einer Kathedralen-Werkstatt
Seine Karriere startete 1991 in der Kathedrale von Salisbury in Südengland. Simmonds arbeitete dort direkt auf der Baustelle als Steinmetz und Restaurator in der Bauhütte der Kathedrale, wie er erzählt. Der historische Bau sollte eine Auffrischung erhalten. Simmonds unterstützte dabei unter anderem bei der Konsolidierung des historischen Mauerwerks, denn wo möglich, sollte dieses bei der Sanierung erhalten bleiben. Vor allem aber half er im Projekt auch bei der Restaurierung des zentralen Vierungsturms unter der Turmspitze.
Die Mitarbeit in einer solchen Werkstatt sowie die Pflege eines so grossartigen Bauwerks sei denn auch sein ursprüngliches Ziel gewesen, als er sich dazu entschied, das Steinmetzhandwerk zu erlernen. Im Falle von Salisbury befand sich die Werkstatt direkt neben dem zu bearbeitenden Bauwerk. «Ich habe mich mit dem Gebäude sehr verbunden gefühlt», erklärt der Künstler rückblickend. Ein grosses Privileg sei es auch gewesen, die Kathedrale mit seinen versteckten Gängen kennenlernen zu dürfen, da diese Bereiche für die Öffentlichkeit normalerweise gesperrt sind.
”Noch heute kann ich oft genau erkennen, welche Steine ich an den Gebäuden behauen habe.
Matthew Simmonds, Gelernter Steinmetz und Künstler
Restaurierung an der Westminster Abbey
Neben dem Sakralbau in Salisbury war Simmonds auch an einer Restaurierung der Westminster Abbey und der Kathedrale von Ely beteiligt, als er von 1993 bis 1996 als Steinmetz für die Firma Rattee and Kett tätig war. Ein grosser Teil der Arbeiten bestand aus dem Schnitzen von sich wiederholenden Blattornamenten. «Das war eine perfekte Möglichkeit, die Grundlagen des Modellierens von Formen in Stein zu erlernen». Zu den komplexeren Arbeiten gehörten mehrere Wappentiere für die Kapelle Heinrichs VII. in der Westminster Abbey sowie karikierte Porträts für die Kathedrale von Ely. Diese Arbeiten seien sehr dankbar, erklärt Simmonds. Denn: «Noch heute kann ich oft genau erkennen, welche Steine ich an den Gebäuden behauen habe».
Noch während seiner Tätigkeit in Cambridge fertigte der Künstler mit «Windows 99» um 1995 sein erstes eigenes Werk. Dabei handelte es sich um eine an der Wand montierte Reliefskulptur, die der Steinmetz aus einem einzigen Stück Kalkstein fertigte. Die Skulptur bildet in scheinbar getrennten, kleinen Abschnitten verschiedene Objekte seiner Arbeit in der traditionellen Steinmetzkunst ab. Nach seinem Wirken bei den englischen Nationaldenkmälern begab sich Simmonds 1997 nach Pietrasanta in Italien und spezialisierte sich dort auf das Fertigen von feinen, klassischen Ornamenten in Marmor.
Quelle: Matthew Simmonds
Mit der Skulptur «Hidden Landscape» belegte Simmonds beim Internationalen Bildhauersymposium in Verona den ersten Platz.
Zwei Jahre später nahm er mit «Hidden Landscape» am Internationalen Bildhauersymposium in Verona teil. Die Skulptur war im Grunde der Beginn seiner heutigen Werke und bildete erstmals einen architektonischen Innenraum ab. Diese schlug er in einen 170 Zentimeter hohen Marmorblock und erschuf dabei die Illusion, dass der Stein aufgebrochen wurde und im Herzen einen Innenraum mit Kuppeldächern und hohen Hallen beherbergt, der von eleganten Säulen gesäumt wird. Mit dem Kunstwerk belegte er den ersten Platz und gewann dadurch erstmals Anerkennung als Bildhauer.
Eine Welt freilegen, die bereits da ist
Heute pflegt und kreiert Simmonds eigene Werke. Darunter befinden sich sowohl Arbeiten, die er auf Auftrag herstellt, als auch persönliche Projekte. «Da meine Arbeiten so stark in einem einzigen Material verwurzelt sind, neigen sie dazu, viel über den Prozess ihrer Entstehung zu erzählen». Bei Stein entstehe alles durch Subtraktion von Material. Genau dieser Prozess sei es gewesen, der ihn zu architektonischen Innenräumen inspiriert habe. «Das Konzept besteht darin, eine innere Welt zu schaffen, in der der Betrachter in Gedanken an einen Ort des Friedens und der Stille versetzt wird, der von der Alltagswelt getrennt ist», erklärt Simmonds die Idee hinter seinen Werken.
Er hoffe aber auch, dem Betrachter das Gefühl geben zu können, eine Verbindung zum geschichtlichen Hintergrund der Architektur zu haben. «Der Akt, in einen Stein zu Graben, um eine innere Welt freizulegen, von der man sagen könnte, dass sie potenziell bereits vorhanden ist, hat auch Parallelen zur innerpsychischen und spirituellen Arbeit», so der Steinmetz. Aus diesem Grund sei der Prozess, der zum fertigen Werk führe, wichtig und stehe im Mittelpunkt des Konzepts, wonach alles aus einem einzigen, massiven Stück Stein gemeisselt ist.
Die Inspiration für die Skulpturen stammt sowohl aus der Realität als auch Fiktion. «Die Sprache der historischen Architektur ist so reich und vielfältig, dass sie unerschöpflich ist». Besonders inspiriert sei er von der religiösen Architektur der Antike und des Mittelalters. «In meiner Arbeit geht es viel um Raum und Licht», erklärt Simmonds. Licht spiele auch eine wichtige Rolle in religiösen Gebäuden und diene dazu, das Göttliche darzustellen.
Zu seinen Hauptinspirationen zählen die gotische und die romanische Architektur, die in vielen europäischen Ländern verbreitet ist, da er mit diesen Stilen in England aufgewachsen ist. Daneben würden aber auch religiöse Kunst und Architektur aller Weltkulturen unterschiedliche Ansätze liefern.
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Chapter House III».
Steinbearbeitungen sind endlich
Bei der Bearbeitung von Stein ist laut dem Künstler das Wichtigste, sich bewusst zu sein, dass es sich dabei um ein rein subtraktives Verfahren handelt. «Das heisst, dass alles was man tut, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann». Wenn man direkt arbeite, das heisst ohne ein Modell als Vorbild, bedeute dies, dass man die Entscheidung treffen muss, etwas zu tun, ohne vorher das Ergebnis genau zu kennen, erläutert Simmonds. Bei seiner Arbeit mit architektonischen Innenräumen greift er auf seine als Steinmetz erlernten Fähigkeiten zurück, die aufgrund des kleinen Massstabs und der detaillierten Innenräume auf komplexere Weise als üblich angewendet werden.
Arbeit mit Stein erfordere im Allgemeinen eine sehr methodische und disziplinierte Technik. «Es ist wichtig, die grundlegenden Fähigkeiten zu erlernen, bevor man sich an schwierigere Arbeiten wagt». Die konzeptionelle Arbeit für eine Skulptur beginne meist mit der Auswahl des Steins. Massgebliche Faktoren für ein Werk seien hierbei bereits die Form des Brockens und damit verbunden der zur Verfügung stehende Raum in seinem Inneren. Das Material könne daneben auch bereits einen bestimmten historischen Stil vorgeben, von dem er sich inspirieren lasse.
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Tetraconch II».
Negativform als Leinwand für komplexe Räume
«Im Allgemeinen fertige ich vorher keine Modelle an», so Simmonds. Wenn dies für bestimmte Auftragsarbeiten notwendig sein sollte, dann immer für eine Skulptur, die in einen viereckigen Steinblock gehauen werde, anstatt in einen natürlichen Felsen, da dies einfacher zu visualisieren sei. Bei den meisten Arbeiten habe er zwar eine ungefähre Vorstellung vom Innenraum, den er gestalten möchte, diese sei aber nicht wirklich konkret.
«Ich finde es schwierig, sich die Arbeiten im Voraus genau vorzustellen. Vor allem das Zusammenspiel zwischen den gemeisselten Formen und der natürlichen Form des Steins.» Der erste Schritt besteht laut dem Steinmetz darin, einen ziemlich grossen, einfachen Raum herauszuarbeiten. Ein Beispiel dafür sind der Zylinder und die Kuppel, wie sie im Werk «Tetraconch II» zu sehen sind (siehe Bild oben). Die so entstandene «Negativform» werde dann zur Leinwand für die komplexeren Nebenräume, wobei die endgültige Form des Werks im Laufe der Arbeit immer genauer definiert werde.
Alle Werkzeuge, die er benutze, werden von Hand bedient. «Das heisst aber nicht, dass ich nur den traditionellen Hammer und Meissel benutze». Für die Freilegung der Haupträume kommen neben diesen Werkzeugen auch Winkelschleifer und druckluftbetriebene Trennscheiben zum Einsatz. Wie die meisten in der Steinindustrie arbeite er aber hauptsächlich mit pneumatischen Geräten. Nur für die feineren Details greife er auf die traditionellen Werkzeuge zurück.
«Windows 2017» besteht aus mehreren «Tafeln» mit verschiedenen Skulpturen.
Zehn Monate an einer Skulptur gearbeitet
Eine der anspruchsvollsten Skulpturen war laut Simmonds «Windows 2017». «Dafür brauchte ich etwa zehn Monate, was die längste Zeit ist, die ich jemals an einem einzelnen Stück Stein gearbeitet habe». Das Werk hat Ähnlichkeiten zur ersten Kreation des Künstlers und bildet auf einer grossen Steinfläche in Form von kleinen «Tafeln» eine Reihe von getrennten Skulpturen ab. Simmonds schuf es im Auftrag als zentrales Element eines grossen Kamins, der zu einem späteren Zeitpunkt in einem neu gebauten Privathaus installiert werden sollte.
«Jede Tafel hatte einen anderen Stil, was bedeutete, dass ich ständig neue Fertigkeiten erlernen oder meine Fähigkeiten auf eine neue Weise anpassen musste», erzählt der Steinmetz rückblickend. Es sei auch ziemlich nervenaufreibend gewesen, so lange und so intensiv an einem einzigen Stück Stein zu arbeiten. Denn je weiter die Arbeit fortgeschritten war, desto wertvoller sei ihm das Werk geworden und desto besorgter wurde er über die Folgen eines möglichen Fehlers.
Das Werk «Trilogy» besteht aus drei Skulpturen.
Skulptur für Hongkong nach Feng Shui
Eine weitere denkwürdige und technisch anspruchsvolle Arbeit sei «Trilogy» gewesen, eine Serie aus drei Skulpturen für den Hauptsitz der Firma Swire Properties in Hongkong. «Die Skulpturen mussten den Regeln von Feng Shui folgen», erklärt Simmonds. Dies bedeutete, dass beim Blick in die Skulpturen unter anderem kein zerbrochener Stein zu sehen sein durfte. Ein Ziel der Werke war es auch, einen «positiven Energiefluss» zu erzeugen, um Glück und Wohlstand zu fördern.
Simmonds setzte diesen Fluss in Form von einem kontinuierlichen Durchgang um, der durch alle drei Skulpturen hindurchführt und sich auf ein achtteiliges Fenster in der Mitte konzentriert. Acht deshalb, weil die Ziffer in der chinesischen Kultur als Glückszahl gilt.
Derzeit arbeitet der Steinmetz bis zum nächsten Sommer an einer zweiten grossen Auftragsskulptur in der gleichen Serie wie «Windows 2017». Daneben sei er an einer Reihe weiterer, kleinerer Werke dran. Man darf gespannt bleiben, welche versteckten Welten der Steinmetz in Zukunft noch freilegt.
Zur Webseite des Künstlers: www.mattsimmonds.com
Untenstehend sehen Sie noch andere Werke von Simmonds.
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Tetraconch II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Tetraconch II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Tetraconch II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Basilica V».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Basilica V».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Basilica V».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Corona».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Elevation V Santa Maria del Fiore».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Essay in Baroque Space II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Essay in Perpendicular».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Essay in Perpendicular».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Exedra».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Hidden Landscape II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Hidden Landscape II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Hidden Landscape II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Hidden Landscape II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Hidden Landscape II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Olympian Progression».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Romanesque Stone II».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Stepwell».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Stepwell».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Stepwell».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Study 34».
Quelle: Matthew Simmonds
Die Skulptur «Window».