Strassenbau-Tagung: Mit optimierten Belägen gegen Strassenlärm
Dauerhaft Lärm ausgesetzt sein, erhöht die Risiken für die Gesundheit. Beim Strassenverkehr soll die Lärmreduktion daher vermehrt an der Quelle erfolgen. Die Erfahrungen mit lärmarmen Belägen sind dabei bisher durchwegs positiv. Doch viele Faktoren haben einen Einfluss auf die akustische Wirksamkeit dauerhafter Deckschichten.
Quelle: FachWissenBau GmbH
Der Einbau des Belags erfolgt oft in der Nacht, was eine straffe Organisation erfordert.
In der Schweiz ist jede siebte Person Lärm ausgesetzt.
Unerwünschter Schall, wie Forscher den Lärm nennen, kann laut Studien
schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben. Jedes Jahr verursacht Lärm 500
vorzeitige Todesfälle. Denn ist der Körper dauerhaft mit Lärm konfrontiert,
gerät er in Alarmbereitschaft und schüttet in der Folge Stresshormone aus, was
laut Studien zu Herz- und Kreislaufproblemen führt, im schlimmsten Fall zum
Herzinfarkt. Auch Diabetes wird mit Lärm in Zusammenhang gebracht.
Zudem verursacht der Lärm aller Verkehrsträger externe
Kosten von 2,7 Milliarden Franken. Rund die Hälfte entfällt auf
Gesundheitseffekte, die andere Hälfte auf die Reduktion von Mieterträgen oder
Werteinbussen bei Verkäufen von lärmbelasteten Liegenschaften.
Gemäss Statistiken der 2018 publizierten Lärmdatenbank ist
der Strassenverkehr die schlimmste Lärmquelle. Massnahmen gegen Strassenlärm
widmete sich dieses Jahr daher die Strassenbautagung in Olten. Im Zentrum
standen die Wirkung lärmarmer Beläge und neue Entwicklungen in der
Reifentechnik. Gemessen an kleinen Zahlen haben die Effekte zur Lärmreduktion
grosse Wirkungen. Eine Lärmreduktion um drei Dezibel auf der logarithmischen
Skala entspricht einer Halbierung des Verkehrs.
Lärm an der Quelle reduzieren
Der Auftrag zur Lärmbekämpfung ist in der Bundesverfassung formuliert, wonach die «Bevölkerung vor lästigen oder schädlichen Einflüssen zu schützen» ist. Das Vorsorgeprinzip postuliert einen präventiven Schutz. Die störende Wirkung von Lärm oder anderen Immissionen muss nach dem Verursacherprinzip abgegolten werden. Beiden Prinzipien folgen die Lärmschutzprogramme des Bundes. Die Strategie des Bundes ist im «Nationalen Massnahmenplan zur Verringerung der Lärmbelastung» festgehalten.
Letztlich
umsetzen müssen den Lärmschutz Kantone und Gemeinden. Tatsächlich sind seit
2008 die Investitionen des Bundes in Lärmschutzmassnahmen deutlich gestiegen.
Der Bund kann mit den Kantonen Vereinbarungen treffen, neue Programme
beschliessen, Ziele vereinbaren und Beiträge sprechen. Vorher war das nicht
möglich. «Das hat viel bewirkt», sagt Urs Walker, oberster Lärmbekämpfer der
Schweiz beim Bundesamt für Umwelt Bafu. Bisher konnten in den Kantonen rund
160‘000 Personen bereits von den Schutzmassnahmen profitieren. Das Bundesamt für
Strassen Astra konnte mittels Lärmschutzwänden entlang von Autobahnen 110‘000
Personen vom Strassenlärm entlasten.
Intensiviert wurde seither auch die Forschung zur Optimierung lärmarmer Beläge. Unter leisen Strassenbelägen fallen Belagssorten, die in der Regel einen Anfangslärmpegel aufweisen, der rund drei Dezibel tiefer liegt als herkömmlicheDeckschichten.
Neben dem Erhalt von Erholungsgebieten soll laut dem
Massnahmenplan der Lärm in Siedlungsgebieten vor allem an der Quelle reduziert
werden. Es ist die effektivste und zumeist auch die effizienteste Methode,
welcher der Bund laut Walker künftig mehr Priorität beimessen will. Das
bedeutet, neben Lärmwänden und –fenster mehr lärmarme Beläge verbauen. Bei der
Siedlungsentwicklung und den Innenverdichtungsräumen sei es wichtig, bessere
akustische Voraussetzungen zu schaffen, um die Wohnqualität sicherzustellen. Denn
es seien auch gesellschaftliche Aspekte zur berücksichtigen, da Personen, die
stark von Strassenlärm betroffen sind, oft nicht ohne weiteres den Wohnort
wechseln können. Dem Gesundheitsschutz ist laut Walker auch bei der
Innenverdichtung vermehrt Rechnung zu tragen.
Wo der Schall hin soll
«Es braucht nicht sehr viel Schallabsorption, um wirksam zu sein», sagt Erik Bühlmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Grolimund und Partner. Der Grund für die gute Wirksamkeit liegt physikalisch gesehen im Horneffekt. Wie in einem Trichter breitet sich dabei der Schall über Mehrfachreflexionen aus, wenn er auf den Strassenbelag trifft. Hörbar wird der Strassenlärm als Fibrationsschall, unterschieden in Radial- und Tangenzialfibrationen. Hinzu kommt eine weitere Lärmquelle.
Rund die Hälfte der Schallenergie ist auf den Luft-Strömungsschall zurückzuführen. Denn beim Abrollen saugt der Reifen Luft an und verdrängt diese gleichzeitig. Schall entsteht dann, wenn die Luft nicht der Geschwindigkeit entsprechend schnell genug entweichen kann. Daher gilt: Je mehr Luft entweichen kann, desto weniger Schall entsteht. Doch wohin soll die Luft entweichen? In die Hohlräume der Beläge. Das Prinzip ist ähnlich wie bei Räumen, wo Absorptionsmatten mit Lufteinschlüssen als Absorber der Schallwellen dienen. Der Hohlraumanteil ist denn auch ein wichtiges Mass für die Güte von lärmarmen Belägen. Die Herausforderung bei Strassenbelägen ist es, optimale Schallabsorptionseigenschaften zu erreichen.
Diese Daten für die Optimierung lärmarmer Beläge liefern
akustische Messungen von Abrollgeräuschen normierter Reifen, die bei konstanter
Geschwindigkeit von Geräten aufgezeichnet werden. Hinzu kommen Bohrkernanalysen
von Belägen mittels Computertomographen. Die Daten integrieren die Analysten
von Grolimund und Partner dann in ein Reifen-Fahrbahn-Interaktionsmodell, das
es erlaubt, Aussagen über Unterhaltsmassnahmen zu machen oder unter Erwägungen
von Kosten und Nutzen das Wiederherstellungspotenzial von lärmarmen Belägen
abzuschätzen. Und es ist das Optimum zwischen einer hohen Lärmreduktion und
einer möglichst langen Nutzungsdauer zu finden.
Zielkonflikt Sicherheit und Lärm
Die schalabsorbierende Wirkung können die Hohlräume allerdings nur entfalten, wenn sie horizontal und vertikal verbunden sind, gleichsam einen winzigen, aber zusammenhängenden Schallraum bilden. Je grösser die Hohlraumstruktur, desto höher die akustische Leistung. Die Zielwerte für den Hohlraumgehalt sind deshalb in einer Norm definiert, die im Rahmen des nationalen Forschungspakets zu lärmarmen Belägen entstanden ist. Je nach Art des Belags kann der Hohlraumgehalt zwischen 8 und 18 Prozent variieren. Um den Luft-Strömungsschall zu minimieren, müssen die Beläge eine gewisse Rauheit aufweisen, was scheinbar im Widerspruch zur feinen Oberflächentextur steht.
Quelle: Stefan Schmid
Strukturmarkierungen dienen der Sicherheit, doch können es auch Lärmquellen sein.
Aufgrund der Sieblinien weisen lärmarme Belägen bei der
akustischen Wirkung noch eine zu grosse Variation auf (bis zu drei Dezibel).
Ziel der Forschung ist es daher, die Sieblinienkurve einzugrenzen und damit die
Streuung bei der akustischen Wirksamkeit zu vermindern. Dazu muss die Mischung
der Zuschlagsstoffe auf Basis der Siebkurve optimiert werden. «Wir suchen nach
einem Belag, der im Vergleich zu einem konventionellen Belag über die gesamte
Lebensdauer den Lärm zwischen einem und drei Dezibel reduziert», sagt Bühlmann
zur Bedeutung der Texturoptimierung.
Oft bestehen aber in der Fahrspur lokal Lärmquellen wie
Schachtabdeckungen, welche die Wirkung lärmarmer Beläge unterminieren können.
Auch Strukturmarkierungen zur Kennzeichnung der Kernfahrbahn dienen zwar der
Verkehrssicherheit, treiben aber den Lärmpegel um ein Dezibel nach oben, wenn
Reifen darüber rollen.
Mehr Lärm wegen Verschmutzung
Lärmarme Beläge haben nach dem Einbau in der Regel eine gute
akustische Wirkung. Doch mechanische Belastungen des Belags und Verschmutzung
der Poren können diese rasch beeinträchtigen, da der Schall nicht durch die
Hohlräume absorbiert werden kann. Damit die Poren nicht verstopfen, braucht es
ein Zusammenspiel von Sand und Füllergehalt, bei dem zwischen akustischer Wirkung
und Langlebigkeit ein Gleichgewicht gefunden werden muss. Der Kanton Freiburg
reinigt die schalloptimierten Strassenabschnitte zwei oder drei Mal pro Jahr,
und zwar bereits von Anfang an. Der Kanton hat auch gute Erfahrungen gemacht
mit der Kombination von lärmarmen Belägen und Geschwindigkeitsreduktionen.
Im Kanton Aargau wurden 2017 Beläge, die zwischen 2012 bis 2016 eingebaut wurden, mittels computertomographischer Verfahren untersucht. Bei den analysierten Belägen mit einer guten Hohlraumstruktur zeigte sich, dass für die Absorption des Lärms lediglich die obersten zehn bis 20 Millimeter des Belags entscheidend waren. Bei der Anwendung von drei Reinigungsverfahren ergab sich aber nicht in jedem Fall eine akustische Verbesserung.
Quelle: Stefan Schmid
Auch Schachtabdeckungen können die Wirkung von lärmarmen Belägen beeinträchtigen.
Wenn die Verschmutzung allzu tief in die Hohlräume
eingedrungen ist, kommt der Strassenunterhalt oft nicht umhin, die lärmarme
Deckschicht mittels Mikrofräsen zu entfernen, wobei die akustische Wirkung in
einem Fall um 2,5 Dezibel verbessert werden konnte. Das kann auch wirtschaftlich
interessant sein, weil das Fräsen mit anschliessendem Einbau einer Deckschicht
deutlich günstiger ist als ein neuer Belag. Es kann auch Sinn machen, alte
Beläge frühzeitig mit einem lärmarmen Belag zu ersetzen, da auf diese Weise auf
Investitionen für Lärmwände verzichten werden kann, wie eine Kantonsvertreter
ausführte.
Bauunternehmen in der Pflicht
Idealweise werden lärmmindernde Deckschichten auf Etappenlängen von 200 Metern eingebaut. Wegen des Verkehrsaufkommens am Tag werden Belagsarbeiten oft in der Nacht ausgeführt, was technisch und organisatorisch spezielle Herausforderungen an eine detaillierte Organisation samt Pikettdienste stellt. Im Vorfeld sind sämtliche Abklärungen und Eventualitäten zu berücksichtigen, damit bei der Ausführung in der Nacht das Qualitätsniveau erreicht werden kann.
Dazu gehören die Berücksichtigung des
Wetters bei der Verdichtung und der Einbezug von Subunternehmen für Fräs- und
Reinigungsarbeiten, denn die Zeitfenster für den Einbau sind knapp bemessen.
Zudem muss auf unvorhergesehene Ereignisse wie Maschinenausfällen und Defekte
schnell reagiert werden. «Jeder Auftrag ist ein Prototyp», sagt Jürg
Siegenthaler, zuständig für den Bereich Strassenbau bei der Walo Bertschinger
AG. Die Belagsaufbereitungsanlage muss für die konforme Verdichtung den Asphalt
in einer möglichst hohen Temperatur bereitstellen. Die Verdichtung erfolgt
mittels Grossfertigern, wobei das Walzenspiel optimal zu konzipieren ist.
Je nach Objekt machen Bauherren laut Siegenthaler oft
weiterreichende Vorgaben beim Anfangslärmreduktionswert. Ob dieser erreicht
werden könne, sei abhängig von der Rezeptur des Asphalts, den das Belagswerk
liefert. Auch haben Bauunternehmen keinen Einfluss darauf, ob ein bestimmter
Lärmreduktionswert nach fünf Jahren erreicht werden kann, da viele Faktoren
massgebend seien. Daher gelte es, nach Möglichkeit konforme Normvorgaben und
Garantieleistungen einzufordern.
Kürzere Nutzungsdauer
Die Gebrauchsdauer ist bei lärmarmen Belägen kürzer als bei herkömmlichen Deckschichten, wobei viele bautechnische Einflussgrössen den Alterungsverhalten bestimmen. Die Rezeptur, der Einbau, aber auch die Qualität des Strassenoberbaus, das Klima oder die Höhenlage spielen eine Rolle. Hinzu kommen nutzungsbezogene Aspekte wie die Verkehrsintensität, der Unterhalt und der Schmutzeintrag. Auch Schneeketten an Lastwagen und Bussen Beläge schädigen.
Quelle: Stefan Schmid
Reifenhersteller forschen intensiv, doch der Lärm dürfte nur wenig reduziert werden können.
Messungen an Belägen zeigen, dass sich die akustische
Wirkung von fünf Dezibel direkt nach dem Einbau nach zwei oder drei Jahren
stabilisiert. Bei lärmarmen Belägen wird erwartet, dass sie nach zehn Jahren
noch eine Lärmreduktion von drei Dezibel erreichen. Allerdings fehlen dazu
Langzeiterfahrungen.
«Die meisten Beläge haben sich gut bewährt und erreichen die
Werte», sagt Hanspeter Gloor, Leiter der Fachstelle Strassenlärm und Sanierung
im Kanton Aargau. Nach einer Testphase baut der Kanton auf Basis von Klassierungen
der Strassen mit hoher Lärmbelastung seit 2015 auf sämtlichen Innerortstrecken
lärmarme Beläge ein.
Kleine Schritte bei Reifen
Der gesamtheitliche Ansatz zur Reduktion des Verkehrslärms
bezieht neben den Strassen auch die Reifen in die Betrachtung ein. Die Akustik
ist nur ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Reifen müssen verschiedene
Funktionen erfüllen. Der Nassgriff muss die Sicherheit gewährleisten, der
Rollwiderstand den Spritverbrauch minimieren. Das kann zu Zielkonflikten
führen. Für Reifen und Fahrzeuge hat die EU entsprechende Richtlinien erlassen.
Reifenhersteller müssen daher in Testreihen die sogenannten Strassen- und
Profilanregungen messen und das Potenzial von Fahrbahn und Reifen für die
Lärmreduktion belegen.
Auch der Reifenproduzent Continental hat auf
ISO-zertifizierten Teststrecken die Reifenfahrbahngeräusche untersucht. Viele
Faktoren in Abhängigkeit vom Profil und Geschwindigkeit beeinflussen die
Reifenfahrbahngeräusche, sagt Makram Zebian vom Reifenhersteller Continental
und zieht daraus folgenden Schluss:«Eine allgemein gültige Lösung gibt es
nicht.» Das betrifft sowohl den Belag als auch die Reifen. Daher leisten leise
Reifen in der Gesamtbilanz der Lärmreduktion einen kleinen Beitrag. «Wir
kämpfen um Zehntel Dezibel», sagt Zebian.
«Lösungen hätten wir»
Die Behördenvertreter waren sich bei der Strassenbautagung
einig darüber, dass die Wirkung von Schallschutzwänden oder –fenstern
beschränkt ist. Bei Schallschutzfenster sei der Lärm nach wie vor vorhanden,
sodass Fenster nicht geöffnet werden könnten. Die Ausrichtung der
Lärmschutzmassnahmen hat für Peter Mohler, ehemaliger Leiter Lärmschutz von
Basel-Stadt und der Vertreter der Lärmliga einen Grund: «Man hat lange Zeit den
Strassenlärm lediglich als Belästigung gesehen.»
Nun sei es wichtig, dass die Bevölkerung die Behörden ihre Aufgaben machen lasse. Und für Mohler ist mit Blick auf den aktuellen Stand der Technik klar: «Wir hätten die Lösungen.» Der Kanton Aargau will in den nächsten Jahren den Einbau lärmarmer Beläge weiter intensivieren. «Die Zahl der Personen, die vor Lärm geschützt sind, können wir in den nächsten Jahren massiv erhöhen», gibt sich der Aargauer Kantonsingenieur Rolf H. Meier optimistisch.