Semiramis als Vorbild: ETH-Forscher bauen Skulptur mit Robotern und KI
Forscher der ETH Zürich bauen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und vier Robotern eine 22,5 Meter hohe architektonische, bepflanzte Skulptur nach dem Vorbild der «Hängenden Gärten von Babylon». Ab Sommer 2022 soll diese den Tech Cluster Zug begrünen.
Der Fertigungsprozess der Holzschalen. (Video: Gramazio Kohler Research, ETH Zürich)
Forscher aus der Gruppe der ETH-Architekturprofessoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler bauen zusammen mit Müller Illien Landschaftsarchitekten, Timbatec und weiteren Partnern eine bepflanzte architektonische Skulptur für den Tech Cluster Zug, wie die ETH Zürich am Dienstag mitteilte.
Die 22,5 Meter hohe Struktur besteht aus fünf geometrisch
komplexen Holzschalen, die – leicht zueinander versetzt – von acht schlanken
Stahlstützen getragen werden. Designt und gefertigt wird die Skulptur mit Namen
«Semiramis» – benannt nach den hängenden Gärten von Babylon aus der Antike – mit neuartigen digitalen Methoden. Diese
wurden im Rahmen des Projektes entwickelt.
KI schlägt intelligentes Design vor
In einem klassischen Entwurfsprozess würden Architekten jeweils versuchen die unterschiedlichen Anforderungen an ein Gebäude oder eine Struktur im Entwurf zu berücksichtigen und diesen so lange anpassen, bis diese alle möglichst erfüllt seien. Bei Semiramis ist dem nicht so. Diesen Part übernimmt ein massgeschneiderter Machine-Learning-Algorithmus, der in Zusammenarbeit mit dem Swiss Data Science Center entwickelt wurde. Dieser zeigte den Forschern laut Mitteilung ausgeklügelte Gestaltungsmöglichkeiten auf.
Die Vorschläge unterschieden sich dabei hinsichtlich der Formen der Schalen und deren räumlichen Anordnung zueinander. Sie zeigten aber auch auf, wie sich das jeweilige Design auf einzelne Zielgrössen wie etwa die Beregnung der Schalen auswirken würde. Das Computermodell ermögliche es, den konventionellen Gestaltungsprozess umzukehren und den gesamten Gestaltungsspielraum für ein Projekt zu explorieren, erklärt Matthias Kohler, Professor für Architektur und digitale Fabrikation an der ETH Zürich, in der Mitteilung. Dadurch entstünden neue, oft überraschende Geometrien.
Software berechnet Fertigungsparameter
Im «Immersive Design Lab» – einem Labor für erweiterte Realität auf dem Campus Hönggerberg – konnten die Forscher die Entwürfe dreidimensional erkunden und in Echtzeit daran weiterarbeiten. Eine gemeinsam mit dem Computational Robotics Lab der ETH entwickelte Software ermöglicht es laut der Hochschule ausserdem, die Entwürfe der Holzschalen einfach anzupassen.
Wird zum Beispiel ein einzelner Punkt innerhalb der Geometrie von einer der Schalen verschoben, die sich aus rund 70 Holzplatten zusammensetzen, passt die Software die gesamte Geometrie an. Gleichzeitig berücksichtige sie die relevanten Fertigungsparameter wie etwa das maximal mögliche Gewicht einer Platte und generiere so stets die effizienteste und belastbarste Konfiguration, wie die ETH ausführt.
Derzeit werde der beste Entwurf im robotischen Fertigungslabor der ETH Zürich realisiert, heisst es weiter. Dafür nehmen vier hängende Roboterarme im Gleichtakt die ihnen zugewiesene Holzplatte auf, führen einen «hochpräzisen Tanz» aus und platzieren die Platten schliesslich gemäss Computerentwurf im Raum. Ein Algorithmus berechnet die Bewegungen der Roboter so, dass es dabei zu keinen Kollisionen kommt.
Haben die Maschinen ihre vier Platten nebeneinander platziert, werden diese von Handwerkern zuerst temporär verbunden und danach mit einem speziellen Giessharz verleimt. Auf diese Art werden zwischen 51 und 88 solcher Holzplatten zu einer Holzschale zusammengefügt.
Quelle: Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Visualisierung: So soll sich die 22,5 Meter hohe, bepflanzte Skulptur dereinst präsentieren.
Keine Unterkonstruktionen für Montage nötig
Im Gegensatz zur traditionellen Holzbauweise bietet die robotische Fertigung laut Mitteilung mehrere Vorteile: Zum einen nehmen die Roboter dem Menschen das schwere Heben und das exakte Positionieren ab, zum anderen kann im Montageprozess auf aufwendige, ressourcenintensive Unterkonstruktionen verzichtet werden.
Die robotische Vorfabrikation laut derzeit auf Hochtouren, wie aus der Mitteilung hervorgeht. So werden die einzelnen Schalensegmente laufend auf Lastwagen nach Zug überführt. Im Frühjahr 2022 wird die architektonische Skulptur dann aufgerichtet und schliesslich bepflanzt. Ab Sommer 2022 werde es möglich sein, die Holzstruktur vom Boden und den Gebäuden aus zu betrachten und einen Blick in die begrünten Schalen zu erhaschen.
Für Matthias Kohler hat das Projekt gemäss Communiqué aber bereits jetzt seinen Wert bewiesen: «Semiramis hat als Leuchtturmprojekt der Architekturforschung Menschen innerhalb und ausserhalb der ETH zusammengeführt und heute massgebende Forschungsthemen wie interaktives Architekturdesign und digitale Fabrikation vorangetrieben», so Kohler. (mgt/pb)
Am Projekt beteiligte Industrie- und Forschungspartner
Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
In Zusammenarbeit mit: Müller Illien Landschaftsarchitekten
GmbH, Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG
Bauherr: Urban Assets Zug AG
Generalunternehmer: Erne AG Holzbau
Team: Matthias Kohler, Fabio Gramazio, Sarah Schneider, Matteo Pacher, Aleksandra Apolinarska, Pascal Bach, Gonzalo Casas, Philippe Fleischmann, Matthias Helmreich, Michael Lyrenmann, Beverly Lytle, Romana Rust
Industriepartner: TS3 AG; Intrinsic
Ausgewählte Experten: Chair for Timber Structures, ETH
Zürich; Computational Robotics Lab, ETH Zürich – Krispin Wandel, Bernhard
Thomaszewsky, Roi Poranne, Stelian Coros; Swiss Data Science Center – Luis
Salamanca, Fernando Perez-Cruz