11:59 BAUPRAXIS

See-Energie in Luzern: Den Vierwaldstättersee anzapfen

Geschrieben von: Stefan Breitenmoser (bre)
Teaserbild-Quelle: EWL

95 Millionen Franken investiert Energie Wasser Luzern zurzeit in ein See-Energie Projekt in Horw und Kriens. Ab Herbst 2020 sollen nämlich 6800 Haushalte ökologisch gekühlt und geheizt werden. Dafür muss aber erst eine Leitung in den See gebohrt werden. Und dann folgt Luzern.

Das Wärmegeschäft ist das grösste Geschäftsfeld von Energie Wasser Luzern (EWL). Zurzeit wird dieses noch mehrheitlich mit Erdgas betrieben. «EWL strebt langfristig eine dekarbonisierte Wärmeversorgung an, und die erneuerbaren Energien sind der Schlüssel dazu», erklärt Patrik Rust, Verantwortlicher für die Erdgas-, Wärme- und Wassernetze und somit auch Projektleiter des See-Energie Projekts.

Deshalb hat EWL bereits über 100 Millionen Franken in Fernwärme-Projekte investiert. So können ab 2020 beispielsweise dank einer neuen Wärmezentrale und eines neuen Fernwärmenetzes 8000 Haushalte in Emmen und Luzern Littau zu 90 Prozent mit Abwärme der Swiss Steel AG und der KVA Renergia geheizt werden.

Doch der grösste nachhaltige Energiespeicher liegt mit dem Vierwaldstättersee quasi vor der Haustüre. Und dieser soll nun besser genutzt werden. Dafür werden momentan abermals über 100 Millionen Franken in Horw, Kriens und Luzern investiert.

Die ersten Planungsschritte für das See-Energie Projekt in Horw und Kriens wurden 2016 gemacht. «Dabei half es, dass wir mit dem Fernwärmeprojekt kurz vorher ein ähnliches Geschäftsfeld von null auf 100 aufgebaut haben», sagt Rust. Dies zeigte sich nicht nur intern, sondern auch in den Verhandlungen mit den Gemeinden und dem Kanton, welcher natürlich über die nötigen Konzessionen zu entscheiden hatte.

Allerdings ist es nicht die erste Fassung am Vierwaldstättersee. So wird seit Kurzem in Weggis mit See-Energie geheizt, und auch hinter dem KKL gibt es eine Fassung im See, welche allerdings in die Jahre gekommen und ins Flachwasser gebaut ist.

Riesige Plattentauscher

Der Trick beim Kühlen und Heizen mit Seewasser ist nämlich die Fassung in einer bestimmten Tiefe. «In einer Tiefe von 30 bis 40 Metern beträgt die Wassertemperatur das ganze Jahr über konstant fünf Grad», erläutert Rust. Zum Kühlen ist dies bereits eine fast perfekte Temperatur, zum Heizen ist es etwas komplizierter, da man natürlich etwa 60 Grad heisses Wasser braucht.

Deshalb wird das Seewasser erstmals in eine Energiezentrale gepumpt, welche in unmittelbarer Nähe des Sees, hinter dem Fussballplatz in der Horwer Bucht, versteckt ist. Dort wird die Energie mittels Wärmetauscher an ein geschlossenes Rohrleitungsnetz übergeben.

«Beim Wärmetauscher handelt es sich um Plattentauscher. Technologisch ist das nicht sonderlich kompliziert, aber die Dimensionen sind gross», so Rust. Das Seewasser wird danach rund drei Grad kühler in etwa 25 Metern Tiefe zurück in den See gegeben.

Das Leitungsnetz hingegen bringt das ungefähr fünf Grad warme Wasser in die Quartiere oder besser gesagt in die Quartierzentralen (siehe untenstehende Grafik). Denn damit es sich zum Heizen eignet, muss es erst mittels Wärmepumpe erwärmt werden.

Ab der Quartierzentrale kann sich der Kunde dann entscheiden, ob er permanent kühlen will, dann wird mit vier Leitungen (Vor- und Rücklauf mit Kaltwasser und Vor- und Rücklauf mit Warmwasser) in die Räumlichkeiten gefahren.

In der Energiezentrale wird die See-Energie mittels Wärmetauscher an ein geschlossenes Rohrleitungsnetz übergeben, und erst in der Quartierzentrale wird sie mittels Wärmepumpe veredelt.

Quelle: EWL

In der Energiezentrale wird die See-Energie mittels Wärmetauscher an ein geschlossenes Rohrleitungsnetz übergeben, und erst in der Quartierzentrale wird sie mittels Wärmepumpe veredelt.

Der Vorteil hierbei ist, dass allfällige Abwärme gleich wieder genutzt werden kann. Oder er entscheidet sich für zwei Leitungen. Damit kann er auch heizen und kühlen,allerdings geht nicht beides gleichzeitig.Um die Spitzen und Unterbrüche wie beispielsweise bei Wartungsarbeiten abzudecken, kommt zusätzlich ein Gaskessel zum Einsatz. Somit muss auch das vorgelagerte System nicht auf Spitzen ausgelegt werden.

«Die Idee ist, dass die Veredelung der Energie möglichst nah beim Kunden geschieht», sagt Rust. Diese Veredelung braucht natürlich etwas Strom, «doch aus einem Teil Strom und drei Teilen See-Energie machen wir vier Teile Wärme».Bisher sind im Raum Horw und Kriens etwa 20 bis 30 Quartierzentralen in Planung (siehe Grafik unten). Zugute kommt EWL dabei, dass in Horw und Kriens zurzeit an allen Ecken und Enden gebaut wird.

Deshalb sind es vorwiegend neue Siedlungen wie beispielsweise die 2000-Watt-Areale Nidfeld und Schweighof, welche ab nächstem Winter mit Hilfe des Vierwaldstättersees geheizt werden. Allerdings können auch ältere Gebäude problemlos an das See-Energie-Netz angeschlossen werden. Es braucht einzig ein wenig Platz für die Zentrale. Diesen findet man aber oft dort, wo die Öltanks stehen.

So sieht das See-Energie-Netz in Horw und Kriens aus. Zurzeit sind rund 30 Quartierzentralen geplant.

Quelle: zvg

So sieht das See-Energie-Netz in Horw und Kriens aus. Zurzeit sind rund 30 Quartierzentralen geplant.

Die Kunst des Netzbaus

«Die Kunst, wenn man ein Netz baut, ist, dieses nicht zu gross zu bauen, sonst rentiert es nicht, und nicht zu klein, sonst kann man es nicht mehr ausbauen», meint Rust. Doch natürlich hat EWL intensive Marktabklärungen gemacht. Aus der Zentrale bei der Bucht wird das Wasser deshalb mit 60-Zentimeter-Rohren transportiert, diese werden aber nach hinten kleiner. «Einzelne Änderungen sind grundsätzlich kein Thema. Wenn man aber plötzlich am Ende des Netzes die doppelte Energie bräuchte, würde man an Grenzen stossen», so Rust.

Dass man bei den Neubauten im Raum Horw oft auf offene Türen gestossen sei, habe einerseits mit den verschärften Energievorschriften zu tun, welche die Bauherren dazu zwingen, auf erneuerbare Energien zu setzen. Andererseits habe man seitens EWL sehr darauf geachtet, dass man preislich andere alternative Energieträger wie beispielsweise eine Pelletheizung konkurrenzieren könne.

«Natürlich steigt das Preisniveau im Vergleich zu einer Gasheizung etwas. Aber dafür sparen wir jährlich bis zu 10000 Tonnen CO2 ein», so Rust. Insgesamt soll die Anlage in Horw rund 55 Gigawattstunden produzieren und somit rund 6800 Haushalte versorgen.

Der Vierwaldstättersee ist so gross, so tief und so gut durchflossen, dass das Energiepotential ein X-faches höher liegt.

Projektleiter Patrik Rust

Projektleiter Patrik Rust

Grosses Energiepotenzial

Wer sich über die Qualität des Sees Gedanken macht, kann beruhigt werden. Denn natürlich hat EWL intensive Vorabklärungen angestrengt. So hat das Eawag, das Wasserforschungsinstitut der ETH, beispielsweise den ganzen See modelliert, um Berechnungen anzustellen.

Die Abweichung der Wassertemperatur ist aber nur in unmittelbarer Nähe der Rückgabestelle festzustellen und selbst da nur im hinteren Kommabereich. «Messen kann man die Temperaturabweichung nicht, das lässt sich nur errechnen, da der Effekt so minim ist», sagt Rust.

Das zurückfliessende Wasser ist für das Ökosystem See also unbedenklich. Ausserdem gebe man hauptsächlich kühleres Wasser in den See zurück, was sogar erwünscht sei. Denn in den letzten Jahren hat sich der See eher erwärmt, was für die Fische ungleich schwieriger ist. Verschmutzt wird das Wasser ohnehin nicht, das es nur eine kurze Strecke zurücklegt und dabei noch gefiltert wird.

«Der Vierwaldstättersee ist so gross, so tief und so gut durchflossen, dass das Energiepotenzial ein x-Faches höher liegt», sagt Rust. Unbeschränkt nutzen lässt sich dieses aber nicht, weil grosse See-Energie-Projekte vor allem in dicht besiedeltem Raum Sinn machen, wo viel Energie auf engem Raum gebraucht wird, da nicht nur die Leitungen gross sind, sondern auch die Investitionen.

Schwimmende Rohre

Die wohl grössten Investitionen dabei sind nebst dem Netz an sich die Energiezentrale in Seenähe und die Fassung im See. «Den Standort für die Energiezentrale in Horw zu finden, war eine Knacknuss. Denn es gibt nicht viele Flächen in unmittelbarer Seenähe», so Rust. Die Fassung ist indes noch eine andere Geschichte, denn dafür muss ein Loch in den See gebohrt werden.

Dies geschieht in Horw mit einer Spülbohrung aus der Baugrube der Energiezentrale in die Bucht hinaus. Rund 400 Meter müssen zurückgelegt werden. Dabei wird das Bohrloch mittels verschieden grosser Bohrköpfe immer mehr aufgeweitet.

«So eine Bohrung ist natürlich immer ein Kostenpunkt und ein Risiko», sagt Rust. Dies vor allem auch, weil der Untergrund in der Horwer Bucht anspruchsvoll ist. «Es war früher ein Sumpf. Deshalb ist der Untergrund sehr instabil. Ausserdem haben wir zwei verschiedene Grundwasserträger auf unterschiedlicher Tiefe, die wir tunlichst nicht verbinden dürfen», erklärt Rust.

Spektakulär war allerdings nicht nur der Transport der Bohrmaschine, sondern auch der Abschluss der Bohrarbeiten dürfte Besucher anlocken. Da das Bohrloch alleine 400 Meter lang ist und zusätzlich noch 200 Meter auf den Seeboden gelegt werden, müssen auf einmal 600 Meter Kunststoffrohre mit rund 70 Zentimeter Durchmesser an ihren Platz gebracht werden.

Diese schwimmen dann also auf dem Vierwaldstättersee und werden von der Baugrube aus ins Loch gezogen. «Ich bin aber vor allem froh, wenn wir den Durchstich haben», meint Rust. Dies dürfte schon dieses Jahr der Fall sein.

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Quelle: Stefan Breitenmoser

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Quelle: Stefan Breitenmoser

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Quelle: Stefan Breitenmoser

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Quelle: Stefan Breitenmoser

Wegen des instabilen Untergrunds kommt der Baugrubensicherung in Horw eine entscheidende Rolle zu.

Nächster Halt Luzern

Eine andere Herausforderung sind – wie bei Netzbauten üblich – die Dienstbarkeiten. Denn die Leitungen sind eher gross, und der Platz ist natürlich beschränkt. «Wir versuchen natürlich, einen Grossteil unter Strassen zu legen, aber das ist nicht immer möglich», so Rust. Doch im Falle von Horw und Kriens sind diese Planungen abgeschlossen, und die Leitungen werden teilweise schon verlegt.

Im Falle von Luzern sieht es ein wenig anders aus. Dort plant EWL nämlich den Ausbau des «Inseli» gleich hinter dem KKL. Dabei handelt es sich um eine kombinierte Anlage in zwei Untergeschossen, welche die SBB und die Post vor rund 30 Jahren gebaut haben, um die grossen Gebäude rund um den Luzerner Bahnhof zu heizen.

Bisher wurde die Anlage mit einem Holz-, See-Energie- und einem Gas-Blockheizkraftwerk betrieben. Die alte Seeenergieleitung ist allerdings nicht sehr lang und beginnt in rund vier Metern Tiefe im Flachwasser, wo das Wasser im Sommer fast zu heiss zum Kühlen und im Winter fast zu kalt zum Heizen ist.

Die Karte gibt eine Übersicht, welche Flächen EWL in Horw, Kriens und Luzern künftig mit See-Energie versorgen will.»

Quelle: EWL

Die Karte gibt eine Übersicht, welche Flächen EWL in Horw, Kriens und Luzern künftig mit See-Energie versorgen will.»

Wandernde Baustelle

Deshalb plant EWL, neu eine rund zwei Kilometer lange Leitung durch das Luzerner Seebecken zu legen, damit man in rund 30 Meter Tiefe vordringen kann. Dabei wird die Leitung mit einer wandernden Baustelle auf dem See im flachen Teil erst vergraben und dann im tieferen Teil auf den Seegrund gelegt.

Die Rückgabe des Wassers erfolgt dann in die Reuss. «Das System ist so dimensioniert, dass wir die Reuss nie erwärmen», sagt Rust. Mit der neuen See-Energie-Leitung soll die Energiezentrale beim Bahnhof dann rund 30 Gigawattstunden produzieren, was rund ein Dreifaches der heutigen Produktion darstellt.

2016 hat EWL das «Inseli» gekauft, und zurzeit wird es unter laufendem Betrieb saniert. Nächstes Jahr sollen diese Arbeiten abgeschlossen und die Leitung in See gelegt werden, was beides zusammen rund 18 Millionen Franken kostet. «Der Netzbau dauert dann noch etwa drei Jahre länger», so Rust.

Geplant ist nämlich, dass nicht mehr nur die Gebäude hinter dem Bahnhof mit Energie versorgt werden können, sondern grössere Teile Luzerns. Die genaue Ausgestaltung des Netzes befindet sich zurzeit in Planung (siehe Grafik oben).

Angedacht ist beispielsweise, in der Zivilschutzanlage Wartegg ein Rechenzentrum zu bauen, das man mit Seewasser kühlen und gleichzeitig die Abwärme gewinnen könnte, oder gar eine Leitung auf die andere Seite der Luzerner Bucht.

«Dann würden wir die Energie aus dem Seewasser, das wir andernorts fassen, in einer Leitung durch die Luzerner Bucht befördern», meint Rust. Das klingt ein wenig witzig, doch dem Kanton ist es ein Anliegen, dass es bei den Seewasser-Fassungen zu keinem Wildwuchs kommt.

Künftig wird man die Energiezentrale kaum wahrnehmen, da sie mit Ausnahme des gläsernen Anbaus komplett im Boden verschwindet

Quelle: EWL

Künftig wird man die Energiezentrale kaum wahrnehmen, da sie mit Ausnahme des gläsernen Anbaus komplett im Boden verschwindet

Wertschöpfung bleibt hier

Grundsätzlich begrüsst man in Luzern aber die See-Energie. «Politik und Bevölkerung wollen diese Projekte», sagt Rust. Natürlich seien nicht immer alle glücklich, wenn man Strassen aufreisse, aber grundsätzlich treffe man auf wenig Widerstände. «Die Energiewende hat mittlerweile viel Rückendeckung, da sie auch in die Energierichtpläne der Gemeinden eingeflossen ist.»

Für EWL geniesst sie deshalb einen hohen Stellenwert, was nicht zuletzt die grossen Summen zeigen, die in den Ausbau der Fernwärme- und See-Energie-Netze gesteckt werden. Ausserdem wächst das Kältegeschäft in den letzten Jahren immer mehr, was einerseits an den wärmeren Sommern und andererseits an der modernen Architektur mit grossen Fensterfronten liegt. Und zum Kühlen ist Seewasser fast noch perfekter als zum Heizen.

«Mir gefällt an der See-Energie besonders, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. Und das gilt nicht nur für die Bauaufträge, die an Schweizer Unternehmen vergeben wurden. Das Wichtigste ist, dass man so weniger fossile Energieträger aus dem Ausland importieren muss», meint Patrik Rust.

Damit hat er sicherlich Recht, auch wenn es natürlich zu ergänzen gilt, dass nicht alle das Glück haben, einen so schönen See wie den Vierwaldstättersee vor der Haustüre zu haben, den man neuerdings sogar anzapfen kann.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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