Schöpfrad in der Glatt: Historische Technik schafft Biotop
Ein sechs Meter hohes Stahlrad schöpft Wasser aus der Glatt und bewässert ökologisch wertvolle Wiesen: Ersonnen hat diese Konstruktion ein Walliseller Tüftler, der eine altbewährte Technik wiederbelebt und mit neuen, selbst ersonnenen Lösungen optimiert.
Quelle: Ben Kron
Das Glattfelder Schöpfrad in Aktion: Das Wasser fliesst über ein Querblech auf eine Rinne und von dort in den Kanal.
Schon im Mittelalter war die Methode der Wässerwiesen geläufig: Bestehende Gewässer oder Brunnen wurden auf Felder umgeleitet, womit die dortige Heuernte mehr als verdoppelt werden konnte. Sogar schon über zweitausend Jahre alt ist die Technik des Schöpfrades: ein Wasserrad, das mit Kübeln oder Flaschen besetzt ist und teilweise in einem Fliessgewässer steht.
Durch das Gewässer selbst angetrieben rotiert das Schöpfrad um eine Horizontalachse, nimmt über seine Kübel Wasser auf, transportiert dieses nach oben und entleert es auf dem höchsten Punkt in ein Becken oder einen Kanal. Von hier aus gelangt das kostbare Nass dann an seinen Einsatzort. Diese Vorgehensweise wurde inzwischen längst durch moderne Bewässerungstechniken ersetzt; Schöpfräder sind in Europa nur noch als Ruinen zu bewundern.
Doch für ein Naturschutzprojekt wurde die alte Technik wiederentdeckt und neu erfunden: Am Unterlauf des Flusses Glatt, kurz vor dessen Einmündung in den Rhein, steht ein mächtiges Stahlrad, das unaufhörlich Wasser aus dem Fluss holt auf dem Scheitelpunkt und in eine stählerne Wanne giesst. Von dort geht es weiter über einen unterirdischen Kanal bis in ein Feuchtwiesenlandschaft einige hundert Meter flussabwärts: die Wässerwiesen Hundig (siehe Kasten «Das Projekt»).
Von Schöpfrädern fasziniert
Entwickelt und gebaut hat das Schöpfrad der Walliseller Stahlbau-Unternehmer Bernhard Krismer, der den Auftrag über eine Ausschreibung erhielt. Krismer hat Erfahrung mit dem Thema: In Wallisellen selbst installierte er vor Jahren ein Wasserrad, das Strom produziert. Inzwischen hat er dieses an die Werke der Gemeinde weiterverkauft. «Grundsätzlich hat mich die Technologie des Schöpfrades fasziniert. Obwohl die Technik früher verbreitet war, gibt es heute in der Schweiz kein einziges solches Rad mehr.»
Quelle: Verein Wässerwiesen im Hundig
Installation des acht Tonnen schweren Ungetüms hinter Spundwänden. Um den Wirkungsgrad zu erhöhen, erhielt die darunter liegende Stahlrinne noch eine zusätzliche Vertiefung.
Krismers Unternehmen hat das von ihm entworfene, gigantische Rad selbst gefertigt und installiert. Der stählerne Koloss hat einen Durchmesser von sechs Metern und wiegt acht Tonnen. «Wir haben das Rad im Fluss installiert, samit der Böschung und den Massnahmen im Fluss selbst. Dazu haben wir 180-Grad-Bogen des Kanals und die ersten fünf Meter landeinwärts erstellt.» Zu diesen Massnahmen gehört ein Rechen als Schutz vor Schwemmholz durch Hochwasser.
Zudem wurde der Flussgrund leicht verändert: Oberhalb des Schöpfrades hob man die Schwelle um 30 Zentimeter an, unterhalb wurde sie um 30 Zentimeter abgesenkt, um ein nutzbares Gefälle von knapp einem Meter zu erhalten und so die potenzielle Energie des Wassers zu steigern. Der Bau des restlichen Kanals bis zu den Hundigwiesen war ein anderes Baulos, das die Firma Gadola Bau AG realisiert hat. Dazu gehören auch die Verzweigungen des Kanals in die Wiesen sowie Schleusen mit Schiebern, um das Wasser gut zu verteilen.
Feineinstellung mit Steinblöcken
Mit den Bauarbeiten wurden man Anfang Jahr fertig, danach ging es an die Feineinstellung. «Was in diesem Fall nicht ganze einfach ist», erläutert der Tüfter. Neben dem Wasserrad errichtete er einen kleinen Fall aus Natursteinen, über den die Glatt fliesst. Je nachdem, wie diese Steinblöcke platziert sind, fliesst mehr oder weniger Wasser zum Schöpfrad. «Diese Einstellung mit Steinblöcken ist keine exakte Wissenschaft; da müssen wir immer wieder Steine umplatzieren, Konstellationen ausprobieren und schauen, wie sich die Glatt verhält.»
Quelle: Ben Kron
Das Querblech, über welches das Wasser in den Kanal fliesst, löst das konstruktive Hauptproblem: Wie bekommt man das Nass aus den Schaufeln?
Bereits im Vorfeld der Bauarbeiten waren umfangreiche Abklärungen nötig. Krimser baute erst ein 1:5-Modell umzu testen, ob das Rad im Prinzip funktioniert. Doch damit war erst ein Anfang gemacht. Denn wie tief sollte das Schöpfrad am Ende in den Fluss ragen, damit die Anlage funktioniert? Würde die Glatt genug Kraft haben, um den Koloss überhaupt anzutreiben und das Wasser in die Höhe zu transportieren?
Krimser holte sich für diese Fragen Rat beim Empa-Forscher Silvain Michel, der seinerseits den Hydraulikfachmann Michel Dubas von der Fachhochschule des Wallis in Sion beizog. Die beiden Experten ermittelten, dass der Wirkungsgrad des unterschlächtigen Rades anfangs nicht ausreichte. Also nahm man in der stählernen Sohle unter dem Rad eine Ausbeulung vor: Diese beschleunigt das Wasser, bevor es auf die Schaufeln drückt.
Keine beweglichen Teile
Besonders stolz ist Krimser über die Lösung mit den Schaufeln, die er erfunden hat: Sein Schöpfrad hat keine beweglichen Teile und nützt sich dadurch wesentlich weniger an. Bei seinen Recherchen hatte der Stahlbauer die alten Techniken studiert, bei denen das Wasser über eine Art Flaschen geschöpft wurde, die beweglich befestigt waren und sich auf dem höchsten Punkt entleerten.
Quelle: Verein Wässerwiesen im Hundig
Der Walliseller Stahlbau-Unternehmer Bernhard Krismer hat die alte Technik durch eigene Erfindungen zu neuem Leben erweckt.
Denn das Problem bei einem Schöpfrad ist die Frage: Wie bekommt man das Wasser aus dem Rad heraus? Krismer: «Bei unserer Lösung wird dies durch ein Schrägblech erreicht, das ins Wasserrad hineinragt. Das Wasser fällt aus den Kübeln über dieses Blech in den Kanal. Und das ist baulich möglich, weil die Kübel nur ans Schöpfrad angeflanscht sind. Ansonsten haben sie aussen herum keine Verbindung mehr zum Rad.»
Seit diesem Frühjahr ist das Schöpfrad in Betrieb. Über Videokameras wird die Anlage überwacht, für die zudem ein Wasserrad-Wärter zuständig ist. Kontrolliert wird auch die Wasserentnahme, damit die vorgeschriebene Restwassermenge der Glatt nicht unterschritten wird: 120 Liter pro Sekunde darf das Rad maximal entnehmen. Denn die Forellen und andere Flussbewohner sollen durch das Projekt nicht beeinträchtigt werden. «Ich habe dafür volles Verständnis», sagt Krismer, der selbst ein Angler ist.
Der Metallbaumeister wird den Verein und das Projekt aus eigenem Interesse weiter begleiten, bis die Feinjustierung der Anlage auf den Punkt gebracht ist. «Ansonsten war das im Moment das erste und letzte Schöpfrad dieser Art. Wir hatten schon Anfragen aus der Schweiz, aber bis heute nichts Konkretes.»
Quelle: Ben Kron
Idylle im Zürcher Unterland: Das Schöpfrad am Ufer der Glatt, nur wenige Schritte vom Bahnhof Glattfelden entfernt.
Das Projekt
Das Projekt Wässerwiesen Hundig ist eine ökologische Ersatzmassnahme des Flughafens Zürich und Teil der Revitalisierung der Glatt – ein kleiner Fluss, der auf knapp 40 Kilometern vom Greifensee zum Rhein fliesst. Das auf zehn Jahre angelegte Projekt, das 2,4 Millionen Franken kostet, wird neben dem Flughafen selbst von vielen Sponsoren mitfinanziert. Träger des Projekts sind der hierfür gegründete Verein «Wässerwiesen im Hundig» und die Fachstelle Naturschutz des Amtes für Landschaft und Natur des Kantons Zürich.
Ziel des Projekts ist die Reaktivierung der kulturhistorisch bedeutenden Wässerwiesen und der benachbarten Mager- und Trockenwiesen. So soll sich die Ebene in ein Mosaik aus unterschiedlichen Lebensräumen entwickeln, wovon viele, teils bedrohte Tier- und Pflanzenarten profitieren. Und das alles durch eine historische, umweltfreundliche Technologie: «Ein ökologisches und kulturhistorisches Projekt also», so Projektleiterin Daniela Eichenberger vom Verein Wässerwiesen. Das Magazin «Empa Quarterly» beschreibt den so entstehenden, vielfältigen Lebensraum lyrisch: «Libellen surren durch die sonnige Glattebene; Bläulinge und andere farbige Falter flattern von Blüte zu Blüte. Geburtshelferkröten auf der Suche nach Weibchen lassen ihren Ruf hören, während eine Ringelnatter im feuchten Gras nach Beute Ausschau hält.»
Dieses Naturschauspiel und alle weiteren Aspekte des Projekts sind für Besucher sehr gut zugänglich: Das Schöpfrad befindet sich gleich unterhalb des Bahnhofs Glattfelden. Wenige hundert Meter flussabwärts beginnt die einzigartige Wiesenlandschaft, die über einen mit Infotafeln versehenen Rundweg erwandert werden kann. Auch eine Tafel mit dem Gedicht «Am Wasser» von Gottfried Keller gehört zum Rundweg dazu: Die Eltern des Zürcher Dichters stammten aus Glattfelden, und Keller blieb Zeit seines Lebens mit der Gegend verbunden. (bk)
Quelle: Ben Kron
Um die potenzielle Energie des Wassers zu erhöhen, wurde die Stufe im Flussbett künstlich erhöht. Die Platzierung der Steinblöcke regelt den Zufluss zum Schöpfrad.
Quelle: Ben Kron
Schleusen bei den Wässerwiesen verteilen das Wasser in die Kanalverzweigungen.
Quelle: Ben Kron
Auf den ersten Blick unscheinbar, aber voller Leben und ökologisch wertvoll: die Wässerwiesen, die durch das Projekt stark aufgewertet wurden.
Quelle: Heretiq - Own work wikimedia CC BY-SA 4.0
Aus dem Jahr 1802 stammt dieses ursprünglich sogar in Maurischer Zeit konstruierte Schöpfrad in Abarán, am Rio Segura in Südspanien.