08:17 BAUPRAXIS

Rückbau der Bederbrücke in Zürich-Enge: Abbruch unter hohem Zeitdruck

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Stefan Schmid

Die Bederbrücke beim Bahnhof Enge in der Stadt Zürich musste unter hohem Zeitdruck und engen Platzverhältnissen abgebrochen werden. Fünf Monate dauerte die Planung. Die Arbeiten verliefen wie geplant, doch es gab auch einige Überraschungen.

60-Tonnen-Bagger

Quelle: Stefan Schmid

Am Freitag um 21 Uhr ging es nach mehrtätigen Vorbereitungsarbeiten mit dem Abbruch der Bederbrücke los. Am Sonntag war der Einsatz des 60-Tonnen-Baggers bereits beendet.

Beim Bahnhof Enge quert die Bederbrücke das Trassee der SBB. Über sie führen zudem eine Tram- sowie eine Buslinie dieser wichtigen Verkehrsdrehscheibe der Stadt Zürich. Die Tragfähigkeit der Brücke mit Baujahr 1923 wurde vor Jahren als Problem erkannt. Sondermassnahmen wie der Einbau von Stahlträgern sollten die Sicherheit der darunterliegenden Geleise gewährleisten und weiterhin den Fahrbetrieb der städtischen Verkehrsbetriebe für begrenzte Zeit ermöglichen. Die Belastungsgrenze der 34 Meter langen und 19 Meter breiten Brücke wurde auf Fahrzeuggewichte von 3,5 Tonnen reduziert und für den Schwerverkehr gesperrt.

Aufgrund der intensiven Nutzung der Brücke waren ein Ersatzbau und damit der Abbruch der Brücke letztlich aber unumgänglich. Rückbauten von Brücken an neuralgischen Orten wie diesem stellen hohe Anforderungen an die Planung und den Umgang mit der Statik. Bei den Abbrucharbeiten liest sich der Name des Bahnhofs Enge wie eine strenge Vorgabe. Die  Abbrucharbeiten wurden übers Wochenende vom 9. bis 11. Juli ausgeführt.

«Statisch am Limit»

Die Platzverhältnisse diktierten in diesem Fall die Wahl des Abbruchverfahrens und damit den Einsatz schwerer Maschinen. Das hatte zur Folge, dass auf dem Niveau der Perrons neben einem 60-Tonnen-Bagger nur noch Platz für einen Schrittbagger und einen 30-Tonnen-Bagger war. Gear-beitet wurde daher von oben nach unten, indem auf der Brücke zwei 30-Tonnen-Bagger den Beton bearbeiteten.

«In einer solchen Situation können die Normen nicht mehr einhalten werden, denn die Brücke muss die Lasten lediglich noch einige Stunden tragen», sagt Urs Meier, Bauingenieur und Inhaber der Eduard Meier AG. Der Abbruch von Brücken ist in den letzten Jahrzehnten zu einer der Spezialdisziplinen des Unternehmens geworden. Die Planung umfasst daher die knifflige Aufgabe, inwiefern die Brücke den Belastungen der schweren Baugeräte standhalten konnte. «Wir waren statisch am Limit», sagt Meier.

Als herausfordernd bezeichnet er die statischen Berechnungen. Basis für die Planung bildeten Bestandsdaten der Bau-herrschaft zu Beton- und Stahlfestigkeit, ergänzt um eigene Analysen auf der Grundlage von Sondagen. Für die Grundplanung des Abbruchs war Urs Meier zuständig, er verantwortete ebenso die Leitung und Koordination der Arbeiten auf der Baustelle.

Bei der Feinplanung und dem Umgang mit der Statik zieht Meier bei Abbruchprojekten jeweils das Ingenieurbüro Meichtry Widmer bei. Dabei gehe es um statische Detailkenntnisse und wie sich die Werte für bestimmte Situationen optimieren lassen. Alle Erkenntnisse flossen schliesslich in einen Statikbericht. Auch wenn die Gebrauchstauglichkeit nicht mehr sichergestellt sein musste, galt es zu beweisen, was beim Rückbau statisch überhaupt möglich war. Auch der Prüfingenieur der Auftraggeberin wollte genau belegt haben, wie die Konstruktion den zeitweise hohen Belastungen Stand halten konnte.

Auf der Brücke waren daher auf den Zentimeter genaue Fahrgassen eingezeichnet, an die sich die Maschinisten halten mussten. Vorab wurden die Maschinenführer über die unterschiedlichsten Situationen wie die exakte Position auf der Brücke oder die Auslegerstellungen der Bagger instruiert. Ein dritter Maschinist hatte bei den Bauarbeiten ständig darauf zu achten, dass die roten Markierungen der Fahrbereiche mit den tonnenschweren Gerätschaften nicht überschritten wurden.

Gearbeitet wurde mit Beisszagen, mit denen der Beton zerbröselt wird. Die Gebisse der Zangen sind auf eine Weise optimiert, dass Armierungen bei den Eingriffen möglichst nicht beschädigt werden. Rückbauten von Brücken betrachtet Meier aus wissenschaftlicher Sicht als spezielle statische Zustände. Ziel ist es, die Tragstruktur solange wie möglich zu erhalten und unkontrollierte statische Zustände unter allen Umständen zu verhindern.  Diese Gefahr bestünde beispielsweise bei der Anwendung des Schneideverfahrens.

Andere mögliche Verfahren

Das Schneideverfahren wurde zwar zu Beginn in Betracht gezogen, dann aber verworfen. Bei diesem alternativen Abbruchverfahren werden Betonkörper in Teile geschnitten und dann mit einem Kran weggehoben. Bei der Bederbrücke wäre die Anwendung des Verfahrens allerdings extrem schwierig gewesen. Schneideverfahren bei Brücken setzen sehr genaue Kenntnisse der zu bearbeitenden Betonkörper voraus. «Die Bederbrücke wurde jedoch oft umgebaut, sodass man nicht wusste, wo sich was befand», ergänzt Meier.

Bei Sägeverfahren stellt sich bei abgetrennten Teilen zudem jeweils das Problem des Schwerpunkts. Diesen muss man genau berechnen können, um zu verhindern, dass Torsionen zu Lastwanderungen führen und sich Brückenteile verkeilen. In diesen Fällen sind oft Stützkonstruktionen erforderlich. Aufgrund der strikten Zeitvorgabe wäre das Vorgehen zu aufwendig und daher nicht machbar gewesen. 

«Bei der Bederbrücke war es ein Problem, dass sich viele Schnitte ergeben hätten und man nie gewusst hätte, wo sich effektiv die Schwerpunkte befinden», betont Meier. «Das Gefährlichste wäre in einem solchen Fall gewesen, dass ein grösseres Brückenteil auf die Geleise gefallen wäre und sich diese verschoben hätten.» Die Folgen für den Schienenverkehr beim stark frequentierten Bahnhof Enge wären in einem solchen Fall unabsehbar gewesen.

Auf das Schneideverfahren zurück-gegriffen hat die Eduard Meier AG allerdings bereits beim Rückbau von Autobahnbrücken, bei denen jedoch sehr genaue Pläne vorlagen und die Geometrien der Teile genau berechnet werden konnten. Weitere Möglichkeiten sind vertikale Absenkungen oder die horizontale Verschiebungen mittels hydraulischer Verfahren. Das Vorgehen mit den Beisszangen hat sich insbesondere auch bei vorgespannten Bauteilen bewährt, indem der Beton entfernt wird, ohne dass die Kabel getrennt werden. Die Spannkraft kann auf diese Weise möglichst lange erhalten werden.

Rund fünf Monate hat die gesamte planerische Vorbereitung in Anspruch genommen. Aufgrund der Situation bei der Bederbrücke ergab sich nach dem Ausschlussverfahren schliesslich die einzig mögliche Variante. Bedingt durch die knapp bemessenen Zeitvorgaben für die Umsetzung wurden die Spezialisten der Eduard Meier AG als Exklusivunternehmen schon in der Offertphase einbezogen, um den Abbruch umfassend zu entwickeln. Den Gesamtauftrag betreute die Specongna AG mit einer Reihe von Subunternehmen wie der Egger AG (Kräne) oder der Keller Hess AG (Schwertransporte). Den Auftrag vergaben die SBB.

Abbrüche schon früh ein Thema

Beim Rückbau der Bederbrücke kann Meier auf langjährige eigene Erfahrung zurückgreifen. Nach dem Studium war er für verschiedene Bauunternehmen tätig. Die Lehr- und Wanderjahren führen ihn zu Zschokke. Dort betreute er im Zusammenhang mit dem Bau des Vereinatunnels Brückenprojekte und beobachtete, wie Spezialfirmen bei Brückenabbrüchen vorgehen. Und er ortete Verbesserungspotenzial. Meier erhielt freie Hand, einen Brückenabbruch umzusetzen, mietete kurzerhand Maschinen und Hydraulik-Anlagen und realisierte erste Abbruchprojekte. 1994 kehrte er ins elterliche Bauunternehmen zurück, das damals auf klassische Bereiche des Tiefbaus und Abbruch ausgerichtet war.

Es sei damals für die gesamte Bauindustrie eine schwierige Zeit gewesen. «Wir mussten neue Ideen entwickeln und andere Wege beschreiten», sagt Meier, der den Vater einst mit dem Plan schockierte, Berufsmusiker zu werden. Bei speziellen Rückbauten konnte er in den Folgejahren seine Erfahrungen anwenden. Mittlerweile zählt die gesamte Gruppe der Eduard Meier AG rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dem Hobby Musik ist Meier allerdings über all die Jahre treu geblieben. Und er gerät ins Schwärmen, wenn er Parallelen zieht zwischen Mathematik, Musik und Planung.

Holzbalken

Quelle: zvg

Jeder Balken war millimetergenau auf Mass gefertigt. Vermessungspunkte dienten der Kontrolle.

Redundanzen aufbauen

Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. Der Satz von Albert Einstein ist mehr als Ironie. «Alles kann schief gehen wegen eines Details», weiss Meier aus Erfahrung. Denn schon bei der Planung von Abbrüchen ist klar: «Wenn der Abbruch läuft und sich ein Problem ergibt, dann ist es meistens zu spät und man kann in der Regel nicht mehr reagieren.» Bei der Planung für den Abbruch der Bederbrücke wurde daher nichts dem Zufall überlassen. Um Irrtümern vorzubeugen, hat Meier mit dem Bauführer und zwei Polieren den gesamten Ablauf des Rückbaus mehrmals eingehend diskutiert. Potenzielle Fehlerquellen galt es zu eliminieren. Mit dieser Prämisse ging es an die Ablaufplanung.

In mehreren Schlaufen wurde der Ablauf vom Anfangs- bis zum Endtermin durchlaufen, immer mit der Frage vor Augen: «Woran haben wir nicht gedacht?» Schauerszenarien durchspielen, nennt Meier diese wichtige Phase der Planung. Der Ablauf wurde in der Folge zu einem strikten Programm verdichtet. Entscheidend sei aber auch, eine gewisse Distanz zur eigenen Planung zu finden. 

Trotz perfekter Planung, müsse ein Mindestmass an Flexibilität erhalten bleiben, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können. Und Meier erkennt dabei auch eine gewisse Analogie zur Musik. Es sei wie ein Spiel. Schnelle Takte, genauer Einsatz von Instrumenten, unterschiedliche Intensitäten im Ablauf. Für Improvisationen besteht bei Brückenabbrüchen aber wenig Spielraum. «Es ist auch eine mentale Sache», sagt Meier.

Der Ansatz: Redundanzen aufbauen. Alle Anbaugeräte wie Hämmer und Scheren für schwere Rückbaugeräte und Schreitbagger waren in mehrfacher Ausführung auf der Baustelle vorhanden. Um auf Eventualitäten vorbereitet zu sein, standen zwei Ersatzmaschinen der 30-Tonnen-Klasse bereit, die mit Sonderbewilligung für Fahrten von Schwertransportern übers Wochenende innerhalb von einer Dreiviertelstunde auf die Baustelle hätten gebracht werden können. 

Beim 60-Tonnen-Bagger war dieses Vorgehen nicht möglich. Bei einem Ausfall hätte es zu viel Zeit gekostet, die Maschine zu zerlegen und aus der Baugrube zu heben. Rund um die Uhr waren daher Mechaniker von Avesco vor Ort, die bei Unregelmässigkeiten sofort hätten einschreiten können. Hydraulikschläuche, Zylinder und andere Verschleissteile waren ebenfalls in mehrfacher Ausführung vorhanden. Erfahrung schützt auch bei der Planung und Ausführung vor Unbill.

Genaue Positionierung der Bagger

Welchen Stellenwert die Genauigkeit im vermeintlichen Chaos eines Abbruchs hat, zeigt der Geleisschutz. Als Plattform für den 60-Tonnen-Bagger und zum Schutz der Schienen dienten mehrere Lagen von Holzbalken. Jeder einzelne Holzbalken der untersten Lage zwischen Schwellen und Geleisen war eine millimetergenaue Massanfertigung unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren wie die Winkel der Perrons und der Radius der Geleise. 

Mittels Vermessungspunkten wurde die Geleisanlagen laufend kontrolliert, um bei kleinsten Abweichungen sofort eingreifen zu können. Anspruchsvoll bei der Planung war auch die Logistik. Zwölf Lastwagen mit Tiefbettanhängern galt es zeitlich streng getaktet zu koordinieren, wo-bei die Dauer fürs Ab- und Aufladen der schweren Geräte genau einzuhalten war.

Klassische Standardtools seien gerade für den 24-Stunden-Betrieb nicht geeignet, erklärt Meier, der auch über ein Diplom als Wirtschaftsingenieur verfügt. Und er verweist auf die Erfahrung mit selbst entwickelten Planungsinstrumenten und deren jahrelanger Feinjustierung. Tagebucheintragungen und eine fotografische Dokumentation über den Projektverlauf bildet im Anschluss die Basis für Manöverkritik und Lerneffekte. «Brückenabbruchprojekte sind zwar ähnlich, aber jedes einzelne ist einzigartig», betont Meier.

Schreitbagger

Quelle: Stefan Schmid

Gegen Schluss des Abbruchs ergab sich im Vergleich zur Planung ein Zeitgewinn. Die verfügbare Sperrzeit wurde genutzt, um den Aushub für die Pfeiler der neuen Brücke voranzutreiben.

Bis Montagmorgen 5 Uhr

Die Vorarbeiten wie das Wegfräsen des Belags auf der Brücke begannen bereits am Dienstag. Dann erfolgten die genaue Vermessung und die Bestimmung der Aufenthaltsbereiche beider Maschinen auf der Brücke. In derselben Woche wurde am Freitag Punkt 21 Uhr die Bederstrasse gesperrt. Mit der Demontage der Fahrleitungen von SBB und städtischer Verkehrsbetriebe begann der eigentliche Rückbau.

Während des Abbruchs war das Team rund um Meier von grösseren Überraschungen gefeit. Einzig bei der Montage des 60-Tonnen-Baggers, als sich ein Gegengewicht verklemmte, geriet der Zeitplan gleich zu Beginn eine Stunde in Verzug. Vier Stunden vor der Freigabe der Geleise am Montagmorgen hat dann der Ausfall des Hochbaukrans den Puls der Planer in die Höhe getrieben. Ein Pneukran stand jedoch zu jeder Zeit bereit. Schliesslich ergab sich ein Zeitgewinn von mehreren Stunden. Die Sperrzeit wurde für den Aushub der 3,5 Meter tiefen Fundamente der Brückenpfeiler genutzt.

Die glasartige Konsistenz der Beton-fundamente war letztlich die einzige wirkliche Überraschung, der sich die Abbruchspezialisten stellen mussten. Montagmorgen um fünf Uhr konnte die SBB-Stecke wieder freigegeben werden. «Just in Time», lautet Meiers Fazit. Jeweils in der Nacht wurde in den folgenden drei Tagen mit Schreitbaggern der Aushub für die Pfeiler vollendet. 

Die Widerlager der alten Brücke bleiben erhalten. Sie werden aber den statischen Anforderungen an die neue Brücke angepasst. Der Neubau ist rund 6,50 Meter breiter als die alte Brücke. In fünf Wochen wird er fertiggestellt sein. «Das ist die grössere Leistung als der Abbruch», relativiert Meier die eigene Leistung und lässt Bescheidenheit anklingen. Und er verweist auf ein Projekt ganz anderer Art: Die Suche nach einem Nachfolger des in Bälde pensionierten Geschäftsführers.

Der Zeitdruck und die Verantwortung bei komplexen Projekten wie Brückenabbrüchen sind enorm. Ausgleich findet Meier als Leadgitarrist in einer Band, für die am Hauptsitz des Unternehmens ein Übungsraum eingerichtet ist. Der Name der Band ist auch für den Planer und Macher Programm: «Nose ahead».

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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