Premiere der Astra Bridge: Holpriger Start für die Weltneuheit
Das Bundesamt für Strassen will mit der Astra Bridge neue Wege gehen, um Staus wegen Autobahn-Baustellen zu vermeiden. Vor kurzem erlebte die Brücke bei der Autobahn-Verzweigung Wiggertal ihre Feuertaufe – und offenbarte gewisse Startschwierigkeiten.
Quelle: Keystone/Urs Flüeler
Die Astra Bridge bei ihrem ersten Einsatz auf der Verzweigung Wiggertal: Über die knapp 240 Meter lange mobile Brücke kann der Verkehr fliessen, während darunter die Fahrbahn erneuert wird.
Baustellen auf der Autobahn sind für Verkehrsteilnehmer ein alltäglicher Anblick: Aktuell laufen auf Schweizer Nationalstrassen die Arbeiten an 74 Projekten, welche von den fünf Filialen des Bundesamtes für Strassen (Astra) gemanagt werden. Auf seiner Homepage räumt das Astra ein, dass die Zahl der Autobahn-Baustellen zugenommen hat, entsprechend dem stetigen Verkehrszuwachs.
«Demzufolge nutzen sich auch die Beläge stärker ab als noch vor zehn Jahren, insbesondere durch den Schwerverkehr.» Daneben sind einige Teile unseres Nationalstrassennetzes schon nur aus Altersgründen reif für eine Erneuerung. Das Problem bei solchen Eingriffen besteht darin, dass dafür eine oder mehrere Fahrspuren gesperrt werden müssen. Auf unseren chronisch überlasteten Schnellstrassen führt dies rasch zu Staus. Das wiederum zwingt das Astra, vermehrt auf Nachtbaustellen zu setzen, da ein Spurabbau tagsüber vielerorts nicht mehr möglich ist.
Doch solche nächtlichen Bauarbeiten bringen einige Probleme mit sich: So brauchen sie für die Bauarbeiter spezifische Schutzmassnahmen, die jeden Abend montiert und am Morgen wieder entfernt werden müssen. Zudem sind zum Beispiel lärmintensive Rückbauarbeiten wegen der geltenden Lärmgrenzwerte oft gar nicht möglich. Und schliesslich macht der ständig anwachsende Verkehr das Zeitfenster für diese Nachtbaustellen immer kleiner. Das Astra geht davon aus, dass auf den Hauptachsen künftig nicht vor 23 Uhr gearbeitet werden kann.
Zweispurige Hilfsbrücke Astra Bridge
Deshalb sucht das Bundesamt nach neuen Wegen, um die dringend nötigen Arbeiten möglichst störungsarm abzuwickeln. Und präsentierte vor kurzem als Weltneuheit die «Astra Bridge»: eine mobile Brücke, die jeweils über der zu sanierenden Fahrbahn aufgestellt wird. Der Verkehr fliesst zweispurig über diese Hilfsbrücke, während darunter gearbeitet werden kann.
Quelle: Astra
Die temporäre Brücke im Modell: Neben der Konstruktion bleibt eine Spur frei, über welche die Versorgung der Baustelle erfolgen kann. Die Spur dient auch für Notfälle.
Die Brücke ist maximal 236 Meter lang, 7,6 Meter breit und wird mit 50 bis 60 Stundenkilometern befahren. Sie ist aus 18 Portalen mit 19 in Längsrichtung unterteilten Zwischensegmenten zusammengesetzt, die auf der Oberseite eine Fahrbahn aufweisen. Dazu kommen an jedem Ende vier Rampenelemente. Alle Elemente besitzen drehbare Räder und ein Power Pack, sodass sie sich aus eigenem Antrieb bewegen können.
Brücke fährt auf Rädern
Auf total 96 Rädern fährt die 1250 Tonnen schwere Konstruktion somit vorwärts wie seitwärts. Die einzelnen Elemente korrespondieren miteinander und lassen sich zentimetergenau über eine GPS-Steuerung platzieren. Dank ihrer Konstruktionsweise aus einzelnen Elementen, die dem Prinzip der Wirbelsäule ähnelt, kann die Brücke auch Kurven befahren.
Quelle: Astra
Im Detail: Zwischen den Radsätzen ist 2,2 Meter Platz, um von und zur Baustelle zu gelangen. Für die eingesetzten Maschinen und Geräte wiederum beträgt die maximale Höhe 3,1 Meter.
Die Rampen an beiden Enden der Brücke weisen ein Gefälle von etwas über sechs Prozent auf. Die Bauarbeiter können unterhalb rund 100 Metern Fahrbahn bearbeiten, bei einer Breite von 5,2 und einer Höhe von 3,1 Metern. Das ist gerade genug für die üblicherweise eingesetzten Belagsmaschinen und -geräte. Sind die Arbeiten an einem Teilstück beendet, wird die Brücke mittels Fernsteuerung weiter zum nächsten Bauabschnitt gefahren. Neben der Brücke bleibt zudem Platz für die Logistikspur, die auch als Notfallstrecke dient.
Kosten von 20,5 Millionen Franken
Diese 20,5 Millionen Franken teure, temporäre Brücke löst mehrere Probleme auf einen Streich. «Die Astra Bridge sorgt nicht nur für eine hohe Verkehrskapazität. Durch die räumliche Trennung von Baustelle und Fahrbahn erhöht sie die Arbeitssicherheit für die Bauarbeiter», schreibt das Bundesamt.
Die Brücke könne zweispurig mit reduzierter Geschwindigkeit befahren werden. Die Verkehrsteilnehmer sind aber zu besonderer Vorsicht angehalten und sollten versetzt fahren. Die Baustellen können gemäss Astra zudem kürzer gehalten werden, und auf der Gegenfahrbahn sind jeweils weder Spurabbauten, noch Temporeduktionen oder Verringerungen der Breite der Fahrspuren nötig.
Quelle: Keystone/Urs Flüeler
Unter der Astra Bridge: Jedes Segment hat einen eigenen Radsatz mit Power Unit, sodass der Tatzelwurm nach Arbeitsende an den neuen Einsatzort vorgefahren werden kann; alles über GPS gesteuert.
Nach umfangreichen Tests und Vorbereitungen ist die Astra Bridge seit Kurzem in ihrem ersten Testeinsatz auf der Verzweigung Wiggertal, auf den extrem hoch belasteten Autobahnen A1 und A2. Mit dem Projekt beauftragt wurde eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus der Marti AG und der Senn AG, welche die Brücke konstruiert hat.
Die Arge hat auch die einzelnen Elemente mit 45 Tiefladern an ihren Einsatzort transportiert. «Das Projekt war eine grosse Herausforderung und technisch sehr anspruchsvoll», so Toni Hauert, Leiter Bereich Schalungs- und Sondermaschinenbau bei Marti Technik, in einem Pressebericht. Marti Technik wird die Brücke noch die nächsten fünf Verschiebungen begleiten, danach erfolgt die definitive Übergabe ans Astra.
Autobahnbrücke als «Technologiemonster»
Was auf dem Papier gut tönt, hat sich aber in der Praxis als nicht unproblematisch erwiesen. So meldete der «Blick»: «Die neue mobile Autobahnbrücke vom Astra liess den Berufsverkehr erst mal zusammenbrechen. In Richtung Bern lief über Stunden nichts.»
Grund: Die Verkehrsteilnehmer fahren noch sehr vorsichtig auf die unbekannte Brücke, vom Blick als «Technologiemonster» bezeichnet. Astra-Sprecher Samuel Hool beschwichtigt: Die vorsichtige Fahrweise könne teilweise zu Staus führen. Aber: «Nach einer gewissen Gewöhnungszeit wird sich der Verkehrsfluss verbessern.» Tatsächlich floss der Verkehr nach einer Weile wieder.
Quelle: Astra
Die Brücke im Test vor der Feuertaufe: Die Versuchsfahrten verliefen reibungslos; bei der Feuertaufe auf der Autobahn machten die Rampen indes Probleme, vor allem bei schwer beladenen Lastwagen.
Vor allem die Lkw-Fahrer bleiben aber skeptisch und reduzieren an der Rampe das Tempo auf rund 20 Stundenkilometer, obwohl 60 Kilometer pro Stunde erlaubt wären. Gemäss Blick halten einige Chauffeure sogar ganz an und besehen sich das Ganze erst einmal.
Die Brummifahrer äussern gegenüber der Tageszeitung auch Zweifel: «Wenn ich da mit den erlaubten 60 Stundenkilometern drauf gefahren wäre, hätte sich die Ladung gelöst. Ganz gleich, wie gut ich alles fixiert habe», sagt einer.
Autofahrer melden «massiven Knall»
Ein anderer sagt gegenüber Tele M1: «Wenn du da mit 60 drauffährst, hängst du an der Kabinendecke; es gibt einen derart massiven Knall.» Ein anderer berichtet von einem ziemlichen Schlag, obwohl er nur Tempo 25 fuhr: «Das war nicht angenehm, vor allem für die Vorderachse. Wenn du da schwer geladen hast, leidet das Material.»
Richard Kocherhaus, Leiter der Astra Filiale Zofingen, erklärt gegenüber dem TV-Sender: «Wir haben ein Vorgängermodell, den Flyover getestet, mit derselben Rampe und Steigung, und dort wurde das Phänomen nicht festgestellt.» Man werde die Situation beobachten und allenfalls Gegenmassnahmen ergreifen, falls sich dies als Problem erweise.
Quelle: Astra
Die Lösung im Querschnitt: Ein Vorteil der Brücke besteht auch darin, dass auf der Gegenfahrbahn der Verkehr nicht durch Verengungen oder andere Massnahmen beeinträchtigt wird.
Tempo für flüssigeren Verkehr reduziert
Tatsächlich gingen beim Astra gemäss dem Sender «Radio 32» zahlreiche Beschwerden ein, sodass man zwei Wochen nach Versuchsstart beschloss, das auf der Brücke erlaubte Tempo von 60 auf 40 Stundenkilometer zu reduzieren. Die Temporeduktion soll dafür sorgen, dass der Verkehr ab sofort ruhiger und gleichmässiger rollt.
Danach hat sich die Lage rund um die Astra Bridge entspannt, und dass bei einer solchen Weltneuheit am Anfang Probleme auftauchen können, ist nicht mehr als normal. Ob die Brücke den erhofften staumindernden Effekt erzielen kann, wird der weitere Verlauf des Pilotprojekts zeigen.
Die Wirkung auf die allgemeine Verkehrssituation auf unseren Autobahnen wird aber beschränkt bleiben, denn entgegen dem subjektiven Empfinden vieler Verkehrsteilnehmer sind Autobahn-Baustellen nur für sehr wenige Staus verantwortlich.
Gemäss dem Astra-Verkehrsflussbericht von 2020 sind sie gerade mal für ein Prozent der Staus verantwortlich. Zehn Prozent des Stauaufkommens können einem vorangegangenen Unfall zugeordnet werden. In 89 Prozent aller Fälle lautet die Ursache schlicht «Überlastung».
Anderer Ansatz: Turbobaustelle in Deutschland
Unser nördlicher Nachbar Deutschland gilt als das Land der Autobahnen, obwohl die Schweiz eine höhere Autobahn-Dichte aufweist. Beiden Ländern gemeinsam ist der Umstand, dass Verkehrsteilnehmer sich über Baustellen auf der Autobahn ärgern; und hier vor allem über deren Dauer.
Während bei uns das Astra mit der temporären Baustellen-Brücke eine technische Innovation zur Verhinderung von Staubildungen erprobt, testet man in Deutschland die «Turbo-Baustelle»: So wurden kürzlich im Bundesland Niedersachsen ganze vier Autobahn-Kilometer in knapp vier Tagen erneuert, was bei herkömmlichen Verfahren rund zwei Monate dauern würde.
300 Arbeiter, 300 Maschinen
Im Einsatz waren dafür über 300 Arbeiter und rund 300 Maschinen – und dies rund um die Uhr in 10- bis 12-Stunden-Schichten. Zehn riesige Walzen waren dabei für die Glättung der neuen Fahrbahn besorgt, 120 Lastwagen besorgten den stetigen Nachschub an Material. So konnten in rund 90 Stunden nicht weniger als 24 000 Tonnen Baustoffe verarbeitet werden.
Das Geheimnis hinter einer solchen Turbo-Baustelle ist die gigantische Planung: Mehr als ein Jahr Planung gingen den vier Arbeitstagen voraus; alle Beteiligten wie Polizei, Feuerwehr, Landkreise und Gemeinden waren von Beginn weg involviert, damit beispielsweise Absperrungen und Umleitungen reibungslos funktionierten.
Bestmögliche Leistung gesucht
Ein besonderes Augenmerk galt der Ausschreibung der Arbeiten: Der Auftrag für die Baustelle wurde nicht nach dem günstigsten Angebot vergeben, sondern nach der bestmöglichen Leistung. Der für den Autobahn-Abschnitt Zuständige erklärte: «Es ging vor allem darum, wie viele Arbeiter die Firmen einsetzen konnten und wie viele Maschinen. Bei einem Ausfall muss schnell Ersatz da sein, sonst bricht der Zeitplan zusammen.»
Nicht zu vergessen ist der Aspekt der Kosten: Die Turbo-Baustelle kostete rund 2,5 Millionen Euro. Doch wenn man den gesamtwirtschaftlichen Schaden durch sonst entstandene Staus einkalkuliert, rechnet sich das Vorgehen. (bk)
Ameisen stehen nie im Stau
Quelle: Rawpixel
Ameisen beim Melken von Blattläusen: Da sich die Insekten als Team und nicht als Individuen verhalten, sind Staus auf Ameisenstrassen auch bei hohem Verkehrsaufkommen unbekannt.
Wer je eine Ameisenstrasse beobachtet hat, der weiss: So etwas wie ein Stau ist bei den kleinen Insekten unbekannt, auch bei noch so hohem Verkehrsaufkommen. Wissenschaftler haben deshalb zu ergründen versucht, was die Winzlinge besser machen als Menschen. Zu diesem Zweck wurde in Japan ein Experiment durchgeführt: Eine Gruppe von Autofahrern wurde auf einen 230 Meter langen Rundkurs geschickt, mit klaren Vorgaben: Jeder musste dem Vorherfahrenden mit exakt 30 Stundenkilo-metern folgen und dabei stets den Sicherheitsabstand einhalten.
Nur kurze Zeit reibungslos
Das Ergebnis: Nur kurze Zeit floss der Verkehr reibungslos. Bald gelang es einzelnen Autofahrern nicht mehr, ihre Position einzuhalten. Also änderte sich der Sicherheitsabstand, wenn auch minim, weshalb einzelne Fahrzeuge das Tempo senken mussten, um den korrekten Abstand wieder herzustellen.
Nach kurzer Zeit bildeten sich so Fahrzeuggruppen: An deren hinterem Ende mussten die Fahrer bremsen, um nicht zu dicht aufzufahren. Am vorderen Ende wiederum beschleunigten die Fahrer, weil sie verlorene Geschwindigkeit aufholen mussten. So entstanden Stop-and-Go-Wellen, anders gesagt kleine Staus. Die Wissenschaftler konnten damit aufzeigen, dass auch ohne Flaschenhals oder ähnliche Hindernisse ein Verkehrsstau entstehen kann.
Alle Ameisen gleich schnell
In einem anderen Experiment wurden Ameisen über eine Brücke zu ihrer Futterquelle geführt, wobei man jeweils eine sehr unterschiedliche Anzahl von Ameisen über diese Brücke und wieder zurück verkehren liess. Dazu wurde die Breite der Brücke ständig verändert. Ergebnis: Der Verkehr floss trotz unterschiedlicher Breiten und Teilnehmerzahlen stets reibungslos. Entsprechend standen die Ameisen nie im Stau.
Das Erfolgsgeheimnis: Alle Ameisen liefen mit derselben Geschwindigkeit, Trödler und Drängler gab es nicht. Sobald die Brücke voll wurde, überholt keine Ameise mehr ein anderes Tier. Stattdessen passten die Tiere ihre Geschwindigkeit einander an. Laut den Verkehrsforschern besteht genau darin der Unterschied zu Menschen: Bei uns will jeder schneller sein als der andere und als Erster im Ziel ankommen. Die Ameisen hingegen kennen keinen Egoismus, sie verhalten sich als einziges grosses Team.
Da wir Menschen solches nicht können, wären Staus nur vermeidbar, wenn die Fahrzeuge untereinander kommunizieren und sich gegenseitig warnen könnten. Eine solche Car-to-Car-Kommunikation wird deshalb intensiv erforscht und könnte Verkehrsprobleme auf unerwartete Weise lösen. (bk)