14:05 BAUPRAXIS

Pfahlbaumuseum: Ein schützendes Dach für 5000 Jahre Geschichte

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Es gibt viele Möglichkeiten, die Auszeichnung «Welterbe» zu feiern. Das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen-Mühlhofen (D) zelebriert es mit einem modernen Museumsbau, der die Unterwasserfunde und das älteste archäologische Freilichtmuseum Deutschlands eindrucksvoll in Szene setzt.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Karin Stei

Professor Gunter Schöbel, Direktor des Pfahlbaumuseums, auf der Galerie des neuen Museumsbaus, der die Einrichtung fit für die Zukunft machen soll.

Ein «Haus am See » ist nicht erst ein Objekt der Begierde, seit der deutsche Hip-Hop-Musiker Peter Fox seine Sehnsucht in einem Lied verewigt hat. Schon vor rund 6000 Jahren errichteten die Menschen Pfahlbausiedlungen an den Seen und Mooren im Alpenvorland. 1854 wurden solche Siedlungen erstmals am Zürichsee beschrieben. Die Unesco erklärte 2011 die «Prähistorischen Pfahlbauten rund um die Alpen» zum universellen Erbe der Menschheit. 

Das Welterbe umfasst heute 111 Pfahlbaufundstellen aus den Alpenanrainer-Staaten Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich, Slowenien und Italien. Zahlreiche Museen zeigen Objekte, die tauchende Archäologen unter Wasser gefunden haben. Das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen am Bodensee ist wohl eines der bekanntesten. 1922 wurde es vom Pfahlbauverein gegründet und hat sich seitdem stark weiterentwickelt. 23 rekonstruierte Häuser aus der Stein- und Bronzezeit, Ausstellungsräume sowie ein Steinzeitparcours lassen heute die Welt vor 5000 Jahren wiederaufleben.

Investition für die Zukunft

Aktuell zählt der Touristenmagnet zwischen 270'000 und 300'000 Besucher jährlich. «Die Unesco-Auszeichnung war eine Aufforderung, uns neu zu orientieren und wir haben daraufhin einen Masterplan entwickelt, der den Bedürfnissen der Besucher wie auch des Museums Rechnung trägt», erklärt Prof. Gunter Schöbel, Direktor des Pfahlbaumuseums. Umgesetzt wurden seit 2011 so unter anderem der Steinzeitparcours und die immersive Erzählmaschine «Archaeorama», in der die Besucher Unterwasserforscher virtuell auf ihrem Tauchgang begleiten.

Vorläufiger Höhepunkt ist jedoch der neue Museumsbau, eröffnet am 20.Juni 2024. «Die ursprünglichen Museumsbauten aus den Jahren 1934 und 1996 benötigten dringend ein Update, um für das Publikum interessant zu bleiben und die Exponate ansprechend und konservatorisch auf der Höhe der Zeit zu präsentieren», betont Gunter Schöbel. Denn ohne Besucher kann das Museum nicht existieren. Als privates Unternehmen finanziert es sich selbst und ist auf die Eintrittsgelder angewiesen. «Es ist ein grosses Wagnis für einen gemeinnützigen Verein, aber durch entsprechende Kreditzusagen und erstmals durch eine Förderung vom Bund in Höhe von knapp zwei Millionen Euro und vom Land Baden-Württemberg in Höhe von 300'000 Euro, konnten wir die Finanzierung stemmen.»

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen/Mende

Abendstimmung am Pfahlbaumuseum Unteruhldingen: Ganz rechts ist das neue Besucherfoyer zu sehen, in der Mitte der neue Museumsbau, an den sich links die Bestandsbauten anlehnen.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Der neue Museumsbau fügt sich mit seiner Holzbauweise harmonisch in die Architektur der Pfahlbauten im Freilichtbereich ein.

Imposanter Holzbau

14,34 Millionen kostet der Neubau, der das bereits bestehende Ensemble nach Osten erweitert. Wo sich einst ein Parkplatz und Teile der alten Holzwerkstatt befanden, erhebt sich nun ein imposanter Holzbau und bildet mit dem neu gestalteten Museumsvorplatz den Endpunkt der Seepromenade vom Hafen her. Er beherbergt das Besucherzentrum und eine grosse, helle Ausstellungshalle. In ihrem Erdgeschoss werden in mehreren Vitrinen Originalfunde präsentiert, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Von hier führt der Weg auch ins «Archaeorama», als Startpunkt der Wissensvermittlung für den Rundgang durch die Freilichtanlage. Auf der Galerie können sich Besucher über offene Fragen der Pfahlbauhistorie, die Museumsgeschichte und neue Forschungsergebnisse informieren.

Insgesamt 1300 Quadratmeter Nutzfläche bietet der neue Bau, der nun Auftakt und Abschluss des Museumsbesuchs bildet. Es ist der erste Teil eines schmetterlingsförmig geplanten Doppelbaus, der bereits eine Baugenehmigung besitzt. Jedoch: «Für die zweite Hälfte hat das Geld nicht gereicht», bedauert Gunter Schöbel.

Einbaum als Inspiration

Wer sich in dem Langhaus mit Satteldach wie im Bauch eines Schiffs wähnt, den trügt sein Gefühl nicht. Denn die Dachkonstruktion ist einem umgedrehten Einbaum nachempfunden, ein steinzeitliches Fortbewegungsmittel. «In früheren Zeiten schützten die Steinzeitmenschen oder später die Wikinger auf diese Weise ihr Hab und Gut», erklärt Gunter Schöbel. Jetzt dient das innen sichtbare Spantenwerk als schützendes Dach für die fragilen Funde aus dem Seegrund. «Die Aufgabe der Architekten und Planer war ein multifunktionales Besucherzentrum mit Facilities zu designen, das allen konservatorischen Anforderungen genügt und sich in das bestehende Ensemble einfügt. Es sollte nicht in Konkurrenz zu den Pfahlbauten treten, die die Hauptattraktion sind und sollte umweltverträglich an den sensiblen Standort adaptiert sein», erklärt der Direktor der Pfahlbaumuseums. Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen: «Wir haben ein Welterbe, das nicht sichtbar ist. Es liegt unter Wasser, niemand kann es besuchen. Deswegen brauchten wir eine starke, szenografische Komponente.»

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Dank der Vorfertigung der Bauteile konnte das Dach in nur vier Wochen errichtet werden.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Von der über 12 Meter hohen Dachkonstruktion wurde mittels Zugstangen aus Stahl die hier noch eingepackte Galerie abgehängt.

Instabiler Seegrund

2017 wurde deshalb ein Architektenwettbewerb durchgeführt. Der Entwurf des Stuttgarter Büros Ackermann und Raff («a+r Architekten») überzeugte 2018 die Jury. Einsprachen von Einwohnern, die Bearbeitung umwelt- und naturschutzrechtlicher Fragen, Wechsel in der Gemeindeverwaltung und die Coronapandemie verzögerten unter anderem das Bauvorhaben. Im November 2022 erst konnten die Bauarbeiten beginnen. In einer ersten Bauphase wurden die bestehenden Gebäude saniert und so umgebaut, dass das das neue Gebäude direkt daran andocken konnte. 

Eine der grössten Herausforderungen war der schwierige Baugrund. Damit das Gebäude nicht absackt, mussten 81 Betonpfähle mit bis zu 20 Metern Länge im Seegrund verankert werden. «Im Vorfeld testeten die Ingenieure, ob die Betonpfähle halten würden und wie viele man davon braucht», erinnert sich Gunter Schöbel. Zusätzliche Probleme ergaben sich durch die sensible Uferlage und die Hochwasserproblematik. Gleich drei unterschiedliche Hochwasserlinien bereiteten den Planern Kopfzerbrechen. Denn das Seenforschungsinstitut, das Umweltministerium und der Landkreis gingen von unterschiedlichen Höhen aus, die unter anderem die Grösse der Retentionsflächen bestimmten.

Nachhaltige Holzbauweise

In Anlehnung an die Freilichtanlagen setzten die Architekten auf eine nachhaltige Holzbauweise. Viele Bauteile für den 45 Meter langen Erweiterungsbau, der fast vollständig aus Brettsperrholz besteht, konnten vorgefertigt werden, was die Bauzeit auf 18 Monate reduzierte. Die Fassade wurde mit vorvergrauten Kanthölzern aus langlebiger Lärche verkleidet, die sich optisch in die Umgebung einpassen. Auch innen dominiert das Holz. Die Wandverkleidungen sind aus Weisstanne, die Deckenflächen mit Holzakustikpaneelen ausgestattet.

Schmuckstück der Ausstellungshalle ist die offene Dachkonstruktion, die für eine faszinierende Symmetrie im Inneren sorgt. Erreicht haben dies die «a+r Architekten» mit einem geometrischen Kniff. Sie verbreiterten die Mitte der Ausstellungshalle, wo die Besucher aus dem Empfangsfoyer eintreten, während sich das Bauwerk an den verglasten Giebelseiten verjüngt. Dadurch verdreht sich das offene Dachtragewerk, was Symmetrie erzeugt. Die Holzrahmen bestehen aus Brettschichtholzträgern aus unbehandelter Fichte im Abstand von je 1,60 Metern mit gekreuzten Unterspannungen. Die Montage dauerte aufgrund der Vorfertigung nur vier Wochen. Von der über 12 Meter hohen Dachkonstruktion wurde mittels Zugstangen aus Stahl die Galerie abgehängt. 

Die gesamte Haustechnik und sanitären Anlagen befinden sich im Bestandsbau auf der Westseite. Eine Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach sorgen für Energie. Der freie Grundriss des Entwurfs ermöglicht eine hohe Flexibilität des Gebäudes auch im Hinblick auf zukünftige Nutzungen oder bei einem Rückbau. Denn unter dem Empfangsbereich verlaufen zwei öffentliche Wasserleitungen. Das Foyer wurde deshalb mit untergeordneten Bauteilen überbaut, die im Notfall in kurzer Zeit entfernt werden können.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

In der Galerie ist man der offenen Dachkonstruktion ganz nah. Hier endet der Rundgang mit vielen Informationen zur Museumsgeschichte und Rätseln des Pfahlbaus.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Der 5,40 Meter lange Einbaum, ein steinzeitliches Fortbewegungsmittel, wird von den Lichtobjekten so angestrahlt, dass er gleichsam auf dem Wasser zu schwimmen scheint.

Unterwassereffekt durch Licht

Der Innenausbau sollte ursprünglich durch das Büro von Otto Steiner im schweizerischen Sarnen erfolgen, mit denen bereits das «Archaeroma» erfolgreich umgesetzt wurde. Doch Corona machte einen Strich durch das schon ausgearbeitete Ausstellungskonzept, welches viel Interaktion auf engem Raum vorsah. Das Stuttgarter Büro «jangled nerves» überzeugte schliesslich mit der Idee, die Ausstellungshalle mittels einer Lichtskulptur in einen Raum unter und einen über Wasser zu teilen. Wer im Eingangsbereich steht, kann Lichtspiegelungen auf dem Boden entdecken, wie er sie vom Schwimmen kennt. Die Wasser-linie markiert ein von der Decke hängender, 5,40 Meter langer Einbaum, der dank der Lichtgestaltung gleichsam auf dem Wasser zu schwimmen scheint. Der Besucher taucht somit auf, wenn er die Galerie betritt, die sich der Archäologie und Museumsgeschichte über Wasser widmet.

Ausgeklügelte Lichttechnik

Für die Lichteffekte arbeitete «jangled nerves» mit «luxwerk» zusammen, einem Spezialisten für Sonderleuchten aus dem südbadischen Malterdingen. «Es war abenteuerlich, bis wir den Rechte-Inhaber der Technik, einen Südkoreaner, ausmachen konnten. Damit die Lichtreflexe auch funktionieren, mussten wir Oberlichter schliessen und an den Firstwänden nachbessern», erzählt Gunter Schöbel. Fünf skulpturale Objekte, die rund sieben Meter von der Deckenkonstruktion abgependelt sind, und einen Durchmesser von fast drei Metern haben, wurden eigens angefertigt.

Die weissen Pendelstangen sind dabei analog zu den Abhängungen der Galerie ausgeführt worden und nehmen im Hohlraum unsichtbar die Verstromung der Lichtskulpturen auf. An ein weiss lackiertes Zylindergehäuse am unteren Ende der Stangen wurden mit Auslegern je neun frei geformte «Schollen» montiert. Sie bestehen aus doppelt satiniertem Plexiglas und symbolisieren die Wasseroberfläche. An die Unterseiten der Zylindergehäuse sind jeweils Sonderoptiken aus mundgeblasenem Kristallglas angebracht, die sich drehen. Die Gläser mit einem Durchmesser von rund 50 Zentimetern werden von je drei minimalistischen LED-Strahlern durchleuchtet, die auch an den mittigen Metallzylindern montiert sind.

Da die Kristalloptiken unregelmässige Oberflächen und Wandstärken haben, erzeugen sie auf dem Fussboden des Museums einen Welleneffekt, der sich mit der Drehung der Glaskugeln ständig verändert. Und erfüllen damit Gunter Schöbels Wunsch, «mit dieser emotionalen und atmosphärischen Rauminszenierung» die Besucher perfekt auf die Faszination Pfahlbauten einzustimmen.

Information

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen
Strandpromenade 6
88690 Uhldingen-Mühlhofen
Tel. +49 7556 928900
www.pfahlbauten.de

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Karin Stei

Der Museumsbau wertet mit der neuen Platzgestaltung die Seepromenade in Unteruhldingen-Mühlhausen auf.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Erweiterung

Quelle: Karin Stei

Die im Vordergrund zu sehenden schollenartigen Plexiglasobjekte werden mittels einer ausgeklügelten Lichttechnik angestrahlt und erzeugen dadurch einen Welleneffekt auf dem Boden der Ausstellungshalle.

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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