07:44 BAUPRAXIS

Neues Produktionsverfahren: Backsteine in Serie individuell gestaltet

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: HSLU

Fassaden aus Backstein bestehen meist aus einheitlichen Steinreihen und bieten dem Auge wenig Abwechslung. Eine spannende Erweiterung des Sortiments sind individualisierbare Sichtflächen, die Architekten und Bauherrn neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Die Hochschule Luzern (HSLU) und Keller Unternehmungen in Pfungen haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt dafür ein innovatives Produktionsverfahren entwickelt.

Backsteine im Streiflicht

Quelle: HSLU

Cornelia Gassler mit Forschungskollege Martin Huwiler vor den Musterfassaden kelesto Signa in der Ofenhalle von Keller-Unternehmungen.

Einst mühsam von Hand hergestellt, werden Backsteine heute industriell gefertigt und weisen im Gegensatz zu ihren historischen Vorgängern heute deutlich weniger Unregelmässigkeiten auf. Klinkerfassaden können durch sehr viele Faktoren gestaltet werden, jedoch ist eines nicht möglich: die serienmässige Oberflächengestaltung durch Strukturen und Texturen. 

«In der industriellen Produktion ist das Immergleiche als ästhetisches Ideal entstanden und kultiviert worden. Dabei sind wir Menschen wahrnehmungspsychologisch gar nicht für Gleichförmigkeit gemacht. Im Gegenteil, wir brauchen mehr Informationen für die Augen, es ist wertvoll, wenn wir Spuren der Produktion zeigen», betont die Material- und Produktdesignerin Cornelia Gassler. Ihre Idee: Statt also viele Ressourcen in die Perfektion der Fassaden-Oberflächen zu investieren, warum nicht ein neues Ideal etablieren, das von Lebendigkeit durch Mikrostrukturen und Unregelmässigkeiten geprägt ist? Und durch eine reproduzierbare Ästhetik überzeugt?

Diese Fragen greift sie 2018 in ihrer Master-Arbeit «Klinker-Spiel - Designgetriebene Experimente mit Material» im Bereich Design & Kunst der HSLU auf, mentoriert von Martin Huwiler und Professorin Isabel Rosa Müggler Zumstein. «Meine Masterarbeit bestand nicht im Designen der Fassade, sondern ich habe ein Werkzeugsystem im Labor skizziert, das als neues Veredelungswerkzeug im Produktionsprozess zum Einsatz kommt. Mehrere Phasen der Produktion und Anwendung wurden modifiziert, sodass die Oberfläche des Klinkers gezielt gesteuert werden konnte», erklärt Cornelia Gassler. Oder anders ausgedrückt: Aus der Perspektive des Designs dachte sie die Gestaltung der Oberfläche von Klinkerfassaden komplett neu.

Dreiklang von Produktion, Technik und Forschung

Als Glücksfall sollte sich dabei die praktische Zusammenarbeit mit Keller AG Ziegeleien erweisen, dessen Fachstelle für Technik und Entwicklung, heute integriert in den Engineering-Bereich, Innovationen und Entwicklungen aufnimmt, oft in Kooperation mit Forschungsinstitutionen. Denn die 2018 mit dem Förderpreis des «Master of Arts in Design» ausgezeichnete Master-Arbeit Gasslers erweckte das Interesse von Max Wassmer, bis Sommer 2021 Leiter der Abteilung Technik & Entwicklung (heute Engineering) bei Keller Unternehmungen. Er sah das Potenzial, die Arbeit auf der Stufe Werkproduktion weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit der HSLU wurde ein Projekt unter dem Namen «ExxE - Extended Extrusion - Farbe und Bewegung an der Strangpresse» konzipiert und 2019 erfolgreich als Innosuisse-Projekt eingegeben.

Serielle und trotzdem individuelle Produktion

Die zentrale Frage von «ExxE»: Lassen sich modulare Werkzeugaufsätze entwickeln, die im industriellen Massstab hergestellten Steinen kostengünstig einen individuellen Touch verleihen? Und so eine neue Ästhetik von Sichtfassaden ermöglichen, mit denen Architektinnen und Architekten die Stadtlandschaft beleben können? Bis dato war es nicht möglich gewesen, die Oberfläche der serienmässig hergestellten Backsteine zusätzlich im industriellen Massstab zu verändern. «Die Backsteinproduktion ist auf die Herstellung grosser Mengen uniformer Backsteine ausgerichtet», sagt Susanne Mühlhaus, Bereichsleiterin Engineering bei Keller Unternehmungen, und Nachfolgerin Max Wassmers. «Um die Gestaltung der einzelnen Steine zu verändern, brauchte es einen neuen Ansatz.»

Extrusions-Mundstück

Quelle: HSLU

Die Entwicklung des Werkzeugsystems durchlief viele Versuche. Hier werden beispielsweise die ersten Befestigungen direkt nach dem Extrusions-Mundstück angebracht.

Unter der Projektleitung von Isabel Rosa Müggler Zumstein arbeiteten Technik- und Produktionsspezialisten der Keller Unternehmungen und des Ziegelherstellers Kubrix AG, sowie ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Produktdesignerinnen, Maschinenbauern und Architektinnen der HSLU von 2019 bis 2022 an der Erweiterung und Anpassung der Keramikproduktionsanlage (Strangpresse) für Sicht- und Klinkersteine. «Es wurden Möglichkeiten erforscht, wie mittels zusätzlicher Produktionsschritte Farbe appliziert, Relief-Strukturen übertragen und die Oberfläche von Klinkern in der laufenden Produktion durch Gestalter gezielt verändert werden können», so Susanne Mühlhaus.

Aus «ExxE» wird kelesto Signa

Das interdisziplinäre Team aus Design, Technik und Produktion stand vor vielen Aufgaben. So mussten zum Beispiel die Übersetzungen im Werkzeugset stimmen, um den nötigen Druck aufzubauen, ebenso wie die Ästhetik der Oberflächen. «Ein Grossteil meiner Forschungsarbeit bestand in der Entwicklung der Möglichkeiten an Oberflächen des Bearbeitungstoolsets. Die Frage war, wie entwickeln wir ein Designpotenzial, das spannend für die Architekturbüros ist und gleichzeitig der natürlichen Unregelmässigkeit historischer Backsteine gerecht wird», erklärt Cornelia Gassler. Ein Jahr lang feilte das Team am Werkzeug-System und führte in der laufenden Produktion Experimente durch. Die Oberflächenstruktur der getrockneten Klinker wurde immer wieder im Hinblick auf ihr Designpotenzial visuell beurteilt. Von den so ausgewählten Klinkern wurden dann sogenannte Musterplatten hergestellt, um ihre Flächenwirkung mit Fugen zu zeigen.

Versuchsanlage Exxe

Quelle: HSLU

Vorläufer des Projekts «ExxE» war das Masterprojekt «Klinker-Spiel» von Cornelia Gassler (2018). Bereits hier wurden Laborversuche durchgeführt.

Das Ergebnis der aufwendigen Arbeit ist ein prototypisches Werkzeug-System, welches in seinen Positionen unterschiedlich kombiniert und moduliert werden kann, und in dem sich Low-Tech und High-Tech vereinen: In nur 15 Minuten können die modularen Werkzeugaufsätze montiert und ausgetauscht werden. Gleichzeitig sind sie in der digitalen Steuerung sehr präzise kontrollierbar. Das Verfahren ermöglicht heute eine Standardserie der Oberflächengestaltungen, die auf dem Markt unter dem Namen kelesto Signa angeboten werden. Architekten und Bauherrn können aus sieben unterschiedlichen Oberflächenstrukturen, von geschwungen bis gezackt, wählen. Die neuartige Methode schliesst jedoch mit ein, dass in einem erweiterten Schritt Architekten und Bauherren eigene Wünsche der Oberflächenstrukturen einbringen können. Solche individualisierten Serien bedürfen einer Beratung und Bemusterung und der Entwicklung der dazugehörigen Werkzeuganpassung. Hierzu würde die Entwicklung der Keller AG Ziegeleien und dessen Bereich Engineering zur Verfügung stehen.  

Dass aus einer Master-Idee ein marktreifes Produkt wird, kommt nicht alle Tage vor. So freut sich denn auch Cornelia Gassler besonders: «Ich fand es wahnsinnig wertvoll, von der Laboridee in die Realität gehen zu dürfen, es war ein Lernprozess, da zwei Welten aufeinandertrafen. Das Potenzial des Werkzeug-Systems ist riesig.»

Vielfältige Produktpalette

Backstein rot

Quelle: HSLU

Roter Backstein.

Die Klinker der Produktlinie kelesto Signa werden aus speziellen Tonsorten in unterschiedlichen Farben hergestellt und bis zur Sintergrenze gebrannt. Die Sichtseite des Steins kann mit verschiedenen Standardoberflächendesigns gestaltet werden. Kelesto Signa ist in 17 verschiedenen Farben erhältlich. 

Weitere Information: www.keller-unternehmungen.ch/kelestosigna

Backstein grau

Quelle: HSLU

Grauer Backstein.

Backstein mit Radius

Quelle: HSLU

Backstein mit Radius.

Das Forschungsteam

HSLU – Technik & Architektur
Marco de Angelis
Susanne Triller
Dieter Geissbühler
Sascha Jabornegg
Mathias Elmiger
Simon Gerig

HSLU – Design &Kunst
Cornelia Gassler
Martin Huwiler   
Isabel Rosa Müggler Zumstein

Das Projekt «ExxE» wurde gefördert durch die Innovationsagentur Innosuisse des Bundes.

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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