Neue Fachwerk-Passerelle zur Kinderklinik des Berner Inselspitals
Das Berner Inselspital wird umfassend modernisiert und
ausgebaut. Ziel ist es unter anderem, die Wege zu verkürzen und die
Barrierefreiheit zu optimieren. Dafür wurden vom neuen Hauptgebäude des
Inselspitals eine Passerelle zum Gebäude der Kinderklinik sowie drei Verbindungen zum Intensivbehandlungs-,
Notfall- und Operationszentrum erstellt.
Quelle: zvg
Blick vom neuen Hauptgebäude auf die Passerelle zur Kinderklinik
Auf dem Gelände des Inselspitals herrscht Hochbetrieb.
Ambulanzen, Zubringertransporte, Privatfahrzeuge der Patienten und Besucher
sowie Busse passieren unaufhörlich die Freiburgerstrasse. Zudem noch
Materialtransporte, die die Baustelle des 18-etagigen Neubaus des Inselspitals
beliefern.
Vor knapp einem Jahr wurde der Rohbau des 63 Meter hohen
Gebäudes fertiggestellt. Drei Jahre sind für den Ausbau des neuen Hauptgebäudes
vorgesehen. Im dritten Quartal 2023 sollen die Räume des Anna-Seiler-Hauses mit
den Fachkliniken sowie den darüber liegenden Büro- und Bettenetagen bezugsbereit
sein.
Quelle: zvg
Das fertig montierte Stahlfachwerk der Passerelle vom neuen Hauptgebäude zur Kinderklinik.
Der Neubau soll Patienten und den hier Beschäftigten entscheidende Verbesserungen bringen. Mehr Patientenfreundlichkeit durch eine optimierte Wegeleitung und Barrierefreiheit sowie optimale Bedingungen in den Untersuchungs- und Patientenzimmern stehen im Mittelpunkt des Programms Infrastrukturentwicklung der Insel Gruppe.
Die Neubauten sollen mit den
Bestandsbauten zu einem geordneten Komplex zusammenwachsen, dabei alle Prozesse
der Infrastruktur optimiert und harmonisiert werden.
Die Montage der fast 80 Meter langen Passerelle auf der
Baustelle des neuen Klinikhauptgebäudes war das Ziel einer
Baustellenbesichtigung, die vom Stahlbau Zentrum Schweiz im Rahmen der
Veranstaltungsreihe «steelinn» organisiert wurde.
Quelle: Claudia Bertoldi
Baustellenbesichtigung beim im Ausbau befindlichen neuen Hauptgebäude des Inselspitals: Der Grossteil der Fachwerkteile der Passerelle ist bereits montiert.
Optimierte Verbindungswege
Das Projekt BB12 - das neue Hauptgebäude des Inselspitals - wurde digital geplant und ist Minergie-P-Eco-zertifiziert. Besonders die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten wurden beim Bau des Gebäudes berücksichtigt, was vor allem bedeutet: übersichtlichere, kürzere Wege und zentrale Anlaufstellen, um sich besser im Gebäude zurechtzufinden, sowie effizientere Prozesse, grössere Behandlungszimmer und ein angenehmes Ambiente, um den Aufenthalt im Spital möglichst angenehm zu gestalten.
Dazu gehört auch,
dass die oft langen Wege zu den Kontrollen und Behandlungen entscheidend
verkürzt werden. Deshalb wurden Passerellen als schnelle Verbindung zwischen
den Spitalsgebäuden eingeplant.
Quelle: Claudia Bertoldi
Der Bau der Passerelle vom Neubau des Hauptgebäudes (rechts) zur Kinderklinik erfolgte in einer Höhe von 18,6 Metern über Strassenniveau.
In luftiger Höhe, rund 20 Meter über Strassenniveau,
verläuft für jedermann gut sichtbar von der Südseite her die neue Passerelle
zum bestehenden Gebäude der Kinderklinik (KKL). Drei weitere Passerellen
verbinden auf verschiedenen Niveaus den Neubau nordseitig mit dem Gebäude des
Intensivbehandlungs-, Notfall- und Operationszentrums (INO).
Quelle: zvg
Aussenansicht der Passerelle während der Montage zur Kinderklinik.
Entwicklung Projekt Passerelle KKL
«Die optimale Anbindung des neuen Hauptgebäudes an die
anderen Gebäude stellen wichtige logistische Abläufe für das Personal und die
Patienten sicher. Über mehrere Vorprojekte, unter anderem mit einer Variante
«mit Knick» kristallisierte sich die beste Lösung mit einem Bogen heraus»,
berichtet Hansueli Küng, Projektleiter dsp Ingenieure + Planer AG. Vier
Varianten wurde verglichen. Zuvor war durch statische Berechnungen
sichergestellt worden, dass die Stützen der Bestandsbauten ausreichende statische
Reserven für den nachträglichen Anbau der Passerelle aufwiesen, also nicht
zusätzlich verstärkt werden mussten.
Im Vorprojekt waren zwei Passerellen in den Geschossen B und
E vorgesehen, die als einfache Balken mit einer Spannweite von 30 Metern über
die Freiburgerstrasse verlaufen sollten. Diese Variante wurde aufgrund der
massiven vorzunehmenden Eingriffe in den tieferliegenden Hörsaaltrakt der KKL
verworfen. Es wäre eine lokale Aufstockung des Hörsaaltrakts für den Anschluss
der Passerelle nötig gewesen.
Als neue Lösung wurde eine 80 Meter lange Brücke mit
direktem Anschluss an das Gebäude der Kinderklinik vorgeschlagen. Die vier
Meter breite, im Niveau leicht steigende Passerelle hätte nach einer Strecke
von rund 41 Metern im Winkel von 140 Grad auf eine zweite, rund 30 Meter lange
Rampe geschwenkt. Die Anschlusspunkte an den beiden Klinikgebäuden waren
vorgegeben, die Zwischenabstützungen der Passerelle sollten auf dem
Hörsaaltrakt der KKL aufliegen.
In einem zweiten Entwurf wurde der Winkel nach einer Länge
von rund 55 Metern durch einen Bogen mit sieben Feldern ersetzt. Der dritte
Entwurf sah eine lineare Linienführung mit Ellipsen-Viertelbogen vor. Diese
Konstruktion sollte mittels Mittelstütze über dem flachen Bestandbauwerk der
Kinderklinik und eventuell durch eine weitere Stütze über dem Achskreuz
abgefangen werden. Für die Passerelle mit einer Länge von insgesamt 77 Metern
wurde eine Kastenform mit einer lichten Breite von vier Metern und der lichten
Höhe von drei Metern vorgeschlagen.
Der vierte Entwurf sah hingegen zunächst drei
Richtungsänderungen mit einer direkten Linienführung und einer
Zwischenabstützung auf dem Gebäudeachsen des Hörsaaltrakts vor. Die Kastenform
der Passerelle mit einem äusseren Querschnitt von insgesamt 6,67 mal 4,60
Metern wurde beibehalten. Bei einer weiteren Anpassung wurden vier
Richtungsänderungen vorgeschlagen. Fünf lineare Teilstücke mit abgerundeten
Ecken sind mit Gelenken verbunden. Die Konstruktion wird durch drei
Gerberträger und zwei Stützen abgesichert.
74 Meter langes Fachwerk
Die letzte Variante mit den vier Richtungsänderungen diente
als definitive Lösung für das Ausführungsprojekt. Um die ideale Wegführung zu
erreichen, werden Teilstücke mit unterschiedlichen Längen eingesetzt. Die
Passerelle erhält ein gleichmässiges Fassadenraster, das auf das pfostenlose
Strebenfachwerk abgestimmt ist. Die Zwischenabstützungen liegen auf dem
Hörsaaltrakt der KKL. Die Lastverteilung auf vier Stützen ermöglicht einen
Lastabtrag über die Bestandsstützen, ohne dass eine Ertüchtigung notwendig ist.
Das statische System beruht auf Zweifeldträgern mit
Spannweiten von 38/7/34 Metern. Um an den Knickpunkten nur kleine Normalkräfte
in den Gurten und damit eine Minimierung der Umlenkkräfte in Dach- und
Bodenebene aufgrund der Richtungsänderung der Fachwerkgurte zu erhalten, wurde
davon ausgegangen, dass die globale Momentennullpunkte an den Knickpunkten
liegen. Das mittlere Segment ruht auf vier Stützen als fixes Widerlager, die
anschliessenden Segmente werden eingehängt.
Quelle: zvg
Ein besonders komplizierter Knotenpunkt, der sogenannte Weihnachtsstern mit zehn Stäben.
Im Neubau lagert die Konstruktion auf unverschieblichen Topflagern auf, die zur Aufnahme der Horizontalkräfte aus Wind und Erdbeben dienen. Beim alten Gebäude der KKL war diese Lösung nicht möglich. Hier wurden allseitig bewegliche Elastomerlager vorgesehen, die einen Abtragung von Horizontallasten auf die KKL verhindern und die zwängungsfreie Aufnahme von Längenänderungen ermöglichen.
Die Pendelstützen an den Zwischenauflagern
ermöglichen ebenfalls eine zwängungsfreie Aufnahme von Längenänderungen.
Gleichzeitig können dank der Querverbände zwischen den Stützen Horizontallasten
in Querrichtung abgetragen werden.
Da die Passerelle zwischen zwei Hochhäusern verläuft, ist
sie sehr hohen Windlasten (1.83 kN/m2 auf k-Niveau) ausgesetzt. Die durch den
Wind verursachten Relativbewegungen werden flexibel durch die Auflager des
Fahrbahnübergangs als auch durch den Fassadenanschluss auf-genommen.
Vorfertigung in Emmen
Gefertigt wurde die Passerelle in der Josef Meyer Stahl und
Metall AG in Emmen LU. Die Konstruktion weist einige Besonderheiten auf.
Besonders die Auflager, beim Anschluss am Hochhaus der KKL sind sie
beispielsweise mit einem Höhenversatz ausgebildet, sowie die Knotenpunkte
erforderten komplizierte Konstruktionsdetails und viel Präzision. Alle Teile
wurden in den Werkstätten vorgefertigt und zu transportfähigen Bauteilen
zusammengesetzt.
Die Anlieferung der enormen
Fachwerkteile erfolgte aus logistischen Gründen nachts. Sie wurden vor Ort
eingehoben und zusammengesetzt. «Dank der präzisen Ausführung im Werk waren
keine Nachbesserungen nötig», berichtet Frank Basler, Projektleiter von der der
Josef Meyer Stahl und Metall AG.
Mit dem Bau der Passerelle zur KKL wurde Anfang Mai
gestartet-. Seit Juni wurde das Stahlfachwerk in Teilen angeliefert und die
Passerelle stückweise verlängert. Die Montage musste dabei unter laufendem
Spitalbetrieb bei extrem be-engten Platzverhältnissen ausgeführt werden. Ende
Juli wurden die letzten Stahlteile installiert, nun erfolgt der Ausbau. Die
Passerelle soll bis Jahresende fertiggestellt sein. Die drei kürzeren
Verbindungen vom Neubau zum Intensivbehandlungs-, Notfall- und
Operationszentrum (INO) wurden bereits Mitte des Jahres fertiggestellt.
Quelle: Claudia Bertoldi
Eine der drei Passerellen vom neuen Hauptgebäude zum INO. Sie waren bereits im Juli fertig montiert und mussten zum Besichtigungszeitpunkt noch ausgebaut werden
Das Berner Inselspital
Quelle: zvg
Baustellenansicht des neuen Hauptgebäudes des Inselspitals mit der Passerelle zur Kinderklinik.
Das Insel-Areal erstreckt sich auf einem Areal von der
Grösse der Berner Altstadt. Die Insel Gruppe, zu der das Universitätsspital
seit der Fusion mit den Spitälern der Spital Netz Bern AG vor fünf Jahren
gehört, ist das grösste medizinische Versorgungssystem der Schweiz.
Doch die Geschichte des Inselspitals reicht bis ins Jahr
1354 zurück. Zunächst befand sich das durch eine Stiftung ins Leben gerufene,
nur mit 13 Betten ausgestattete Spital in der heutigen Berner Zeughausgasse.
1531 wurde das inzwischen auf 34 Betten herangewachsenen Spital in das
leerstehende Kloster der Dominikanerinnen «St. Michaels Insel» verlegt (der
heutige Standort des Bundeshauses Ost). Dieser Ort verlieh dem Spital seinen
Namen. 1713 wurde das Gebäude durch einen Brand zerstört, später an selber
Stelle wieder aufgebaut und 1724 für die Behandlung von 70 Erwachsenen und
zwölf Kindern neu eröffnet.
Mit dem Einzug Napoleons in den Jahren 1798 / 99 wurde das
Gebäude zum Militärspital umfunktioniert. 1809 enteignete der Kanton Bern das
Spital. So verlor es zwar seine Selbständigkeit, hatte als Militärspital aber
ausgedient und stand wieder der Bevölkerung zur Verfügung. 1841 erlangte das
Spital seine Autonomie zurück. Der Dotationsvertrag mit dem Kanton Bern sah
erstmals die Ausbildung von Medizinstudenten vor.
1880 wurde das Spital einer ersten grossen Umgestaltung und
Modernisierung unterzogen. Auf dem «Kreuzmatt-Areal», dem heutigen Standort des
Inselspitals, wurde 1885 ein Gebäude mit 340 Betten erstellt. 1958 bis 1978
erfolgte ein weiterer umfangreicher Umbau. Die alten Bestandsbauten wurden
mehrheitlich abgerissen und neue Bauten, unter anderem das Bettenhochhaus, der
Operationstrakt, Personalhäuser, das Wirtschaftsgebäude, das Labor- und
Werkstattgebäude, der Poliklinik-Trakt 1 und die Kinderklinik erstellt.
Seit 1990 wird das Inselspital nach unternehmerischen
Grundsätzen geführt. 1999 wurden die Universitätskliniken und -institute in
neun teilautonomen Departementen zusammengefasst. Im Mai 2012 öffnete das neue
Intensivbehandlungs-, Notfall- und Operationszentrum (INO) mit einer
Gesamtfläche von 50 000 Quadratmetern, welches die alten Operationstrakte Ost
und West aus den 1860/70er-Jahren ersetzt. Das moderne Gebäude mit
Operationssälen, Notfallzentrum, Labors sowie den Abteilungen Intensivmedizin,
Radiologie und Nuklearmedizin ist jetzt mit drei Passerellen an das neue
Hauptgebäude angegliedert.
In einer Volksabstimmung wurde 2015 der «Masterplan
Inselspital» mit der neuen Überbauungsordnung «Insel Areal III», heute als
«Programm Infrastrukturentwicklung der Insel Gruppe» bezeichnet, gutgeheissen und
damit die dritte umfassende Modernisierung und Neugestaltung des Inselspitals eingeleitet.
Die Neubauten sollen mit den bestehenden baulichen Strukturen zeitlich und
räumlich koordiniert zusammenwachsen.
Die Insel Gruppe zählt rund 11 000 Mitarbeitende. An den
sechs Standorten der Gruppe (Inselspital, Aarberg, Belp, Münsingen, Riggisberg
und Tiefenau) werden jährlich über 800 000 ambulante Konsultationen vorgenommen
und rund 60 000 stationäre Patientinnen und Patienten behandelt.
Weiter Informationen:
www.inselgruppe.ch/de/die-insel-gruppe/bauprojekte