08:04 BAUPRAXIS

Natur-­ und Kultur­land: Den Siedlungsrand in den Fokus rücken

Teaserbild-Quelle: Pusch

Siedlungsränder können eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. Sie dienen als Erholungs-­ und Bewegungszonen, vernetzen aber auch wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Nicht zuletzt statten sie Gemeinden mit einer mehr oder weniger attraktiven Visitenkarte aus. Es lohnt sich also, die Ränder vermehrt in den Fokus zu rücken.

Der Einsatz am Siedlungsrand zahlt sich aus – wertvolle Lebensräume und gut erreichbare, attraktive Naherholungsgebiete sind der Lohn.

Quelle: Pusch

Der Einsatz am Siedlungsrand zahlt sich aus – wertvolle Lebensräume und gut erreichbare, attraktive Naherholungsgebiete sind der Lohn.

von Jennifer Zimmermann*

Ränder sind in der Regel schmale Ab­schlüsse von grösseren Einheiten und da­rum auf den ersten Blick zweitrangig. Auf den zweiten Blick hingegen verdienen sie besondere Aufmerksamkeit. Denn Ränder bedeuten auch Spannung, Austausch und Dynamik zwischen Einflüssen von zwei unterschiedlichen Seiten. Ein interessantes Umfeld, in dem sich viel bewegen lässt.

Ränder haben es in sich

Dies gilt für die Gesellschaft, von deren Rändern immer wieder zentrale Impulse für Weiterentwicklungen und Errungen­schaften ausgehen. Es gilt aber auch für die Natur, deren Randgebiete als Übergän­ge zwischen verschiedenen Elementen, Strukturtypen und Vegetationsformen einezentrale Bedeutung haben.

Egal ob in Form von Auengebieten, Waldrändern, Ruderal­flächen, Gletschervorfeldern, Küsten oder Uferstreifen – Ränder sind sowohl Hot­spots für die Biodiversität als auch zentrale Landschaftselemente und Erholungsgebiete für uns Menschen.

Auch der Siedlungsrand hat das Potenzial, sowohl zu einem wichtigen Erholungs­raum als auch zu einem Biodiversitäts­hotspot zu werden. Um dies zu erreichen, gilt es, seine Strukturvielfalt zu fördern und damit seiner Übergangsfunktion und Mul­tifunktionalität Sorge zu tragen.

Gestaltung macht den Unterschied

Geprägt von Asphalt, Beton, Eternit und Wellblech oder dem abrupten Übergangin eine strukturlose Agrarlandschaft kann ein Siedlungsrand eintönig und wenig einladend wirken – kein attraktiver Zu­stand, weder für Mensch noch Natur. Das kann aber auch ganz anders aussehen. Der Siedlungsrand kann verspielt gestaltet sein, lebendig, grün und mit attraktiven Kleinstrukturen wie Hecken, natürlichen Bachläufen oder typischen Kulturland­schaftselementen versehen sein.

So wirkt er nicht nur attraktiv, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag für Ruhe, Erholung, Spiel und Bewegung und trägt als Visitenkarte der Gemeinde zu einem intakten Landschaftsbild bei. Und so wird er auch zu einer wahren Oase für eine viel­fältige Tier-­ und Pflanzenwelt und dient als wichtige Vernetzung von Lebensräumen. Je nach Topografie und vorhandenen Bauwerken und Landschaftselementen besteht ein attraktiver Siedlungsrand aus der en­gen Verzahnung von Natur-­ und Kultur­landschaft, klaren Kanten oder grösseren Übergangsflächen.

Mehr Aufmerksamkeit für das Randgeschehen

Mit dem neuen Raumplanungsgesetz ver­stärkt sich der Fokus auf die Siedlungs­ränder. Das Gesetz verlangt eine Verdich­tung gegen innen und die Verkleinerung überdimensionierter Bauzonen. Gerade der Bedarf nach Verdichtung erfordert die bewusste Schaffung von Grün-­ und Erholungsräumen im Innern und an den Rändern von Siedlungen sowie deren be­wusste Vernetzung.

Gemeinden müssen deshalb dem Sied­lungsrand mehr Aufmerksamkeit schen­ken, um für Bevölkerung und Natur attraktive Erholungs­ und Lebensräume zu schaffen. Denn attraktive Siedlungsränder entstehen nicht einfach so, für ein gelun­genes Ergebnis müssen sie vielmehr mit viel Sachverstand und unter Einbindung aller relevanten Akteure bewusst gestaltet werden. Dabei gilt es für Gemeinden, sich im Spannungsfeld verschiedener Interes­sen geschickt zu verhalten.

Herausforderungen für Gemeinden

Dieser Prozess stellt Gemeinden vor viel­zählige Herausforderungen. Dazu gehörteinerseits ein angemessener Umgang mit Gestaltungs-­ und Nutzungskonflikten zwi­schen den Bedürfnissen von Bevölkerung und Natur nach Erholung und Lebensraum und jenen von Landwirten, Gewerbetrei­benden und privaten Grundstückbesitzern nach möglichst intensiver Nutzung der zur Verfügung stehenden Flächen.

Ande­rerseits bedarf eine gelungene Gestaltung von Siedlungsrändern viel Expertise. Jede Siedlung ist individuell und braucht ent­sprechend auch ein massgeschneidertes und auf bereits bestehenden natürlichen und kulturellen Elementen aufbauendes Vorgehen bei der Verknüpfung ihres In­nen-­ und Aussenraums. Daneben stellen sich häufig Finanzierungsfragen, da oft­mals grössere Projekte entstehen, die das Gemeindebudget nicht mehr allein decken kann.

Um diese Herkulesaufgabe zu lösen sind Gemeinden auf die Unterstützung von Kantonen oder Regionalverbänden ange­wiesen. Im Thurgau stehen Kanton und Gemeinden beispielsweise in regem Kon­takt – der Kanton institutionalisierte eigens eine Plattform für einen Erfahrungsaus­tausch zur Innenentwicklung. In Val-­de-­Ruz pflegt die Gemeinde eine enge Zusam­menarbeit mit dem regionalen Naturpark, und in der Region Bodensee unterstützt die Agglomeration verschiedene Pro­jekte in Gemeinden zum Siedlungsrand. Kommu­nikation und Partizipation werden hier grossgeschrieben.

Projekte erfolgreich umsetzen

Die Herausforderungen können gerade für kleine und mittlere Gemeinden gross erscheinen. Erfolgreiche Beispiele aus der Praxis, wie etwa in der Gemeinde Hüttwi­len, dem Naturpark Chasseral und der Agglomeration Boden­see, zeigen aber eindrücklich, dass es nicht nur möglich ist, die Herausforderungen zu meistern, sondern dass man mit einem klugen Vorgehen als Gemeinde viel Unterstützung und Vertrauen bei der Bevölke­rung gewinnen kann.

Die Erfahrungen aus vielen Gemeinden zeigen, dass ver­schiedene Faktoren massgeblich zu erfolg­reichen Siedlungsrandprojekten beitragen. Es ist sinnvoll:

  • die Aufwertung des Siedlungsrandes mit anstehenden Projekten zu verknüpfen (wie Umzonungen, Strassensanierungen, Neu­bau von Quartieren),
  • alle relevanten Akteure und betroffenen Personen miteinzubeziehen und gemein­sam Lösungen zu suchen,
  • den geplanten Siedlungsrand zu visua­lisieren und damit Bilder zu schaffen, die den Mehrwert aufzeigen (Naherholung, Landschaftsbild, Biodiversität),
  • regelmässig zu kommunizieren und den Prozess zur Umsetzung eng zu begleiten,
  • immer wieder sicherzustellen, dass alle Beteiligten vom Gleichen sprechen,
  • Expertinnen und Experten miteinzube­ziehen und die rechtlichen Grundlagen zu berücksichtigen,
  • die Rolle der Gemeinde, der Einwohne­rinnen und Einwohner und des Kantons zu definieren,
  • die zukünftige Pflege des Siedlungs­randes mit einzuplanen.

Gestaltung verbindlich festlegen

Gemeinden haben unterschiedliche Möglichkeiten, den Fokus auf den Siedlungs­rand und seine bewusste Gestaltung und Aufwertung langfristig sicherzustellen. Sie können beispielsweise entsprechende Vorkehrungen im kommunalen Richtplan oder im Landschaftsentwicklungskonzept (LEK) verankern.

Um Konzepte für den Siedlungsrand auch für Grundeigentü­merinnen und ­-eigentümer verbindlich festzulegen, gilt es die Bau-­ und Zonenver­ordnung entsprechend zu gestalten. Damit ist gewährleistet, dass der Siedlungsrand auch über Amtsperioden hinweg die Auf­merksamkeit behält, die er aufgrund seiner wichtigen Funktionen verdient.

Links und weitere Infos:www.pusch.ch/themaumwelt

*Jennifer Zimmermann ist Leiterin Gemeindeangebote und Erwachsenengrundbildung bei Pusch, Zürich.

Dieser Artikel ist zuerst in derFach- und Mitgliederzeitschrift von Pusch «Thema Umwelt» 2/2019 erschienen.

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