Nashorn Pagode im Zoo Berlin: Tempelgehege im Tiergarten
Der Berliner Zoo hat ein neues Gehege für seine Panzernashörner angelegt. Dessen Architektur besteht aus einem mit einem Foliendach überkuppelten Rundbau mit einem pagodenartigen Betonfertigteilturm, der von nordindischen Tempeln inspiriert ist.
Quelle: Robert Mehl
Erhöhte Westansicht der Nashorn Pagode vom Bahnsteig des Bahnhofs zoologischer Garten.
Bei dem Berliner Zoo handelt es sich um den ältesten, noch bestehenden Zoo Deutschlands und um einen der artenreichsten der Welt. Der bekannte Bahnhof «Zoologischer Garten» liegt vis-à-vis des Zoo-Haupteingangs, dem markanten Löwentor. Gegründet wurde der Berliner Zoo 1844 aufgrund einer Kabinettsorder von König Friedrich Wilhelm IV von Preussen. Diesem offiziellen Beschluss ging ein von Martin Hinrich Lichtenstein verfasstes Memorandum vorweg, welches kein geringerer als der einflussreiche Alexander von Humboldt dem König vorlegte.
Der König beschloss,
einen Teil seines bestehenden Fasaneriegeländes unentgeltlich für die
Errichtung eines Zoos zur Verfügung zu stellen, und Lichtenstein wurde der
erste Zoodirektor. Entsprechend seiner Geschichte handelt es sich bei dem Zoo
nicht um einen öffentlichen Betrieb, sondern um eine gemeinnützige
Aktiengesellschaft (gAG), die privatwirtschaftliche Freiheit geniesst. So ist
der Berliner Zoo befugt, nach eigenem Ermessen Planungsbüros direkt mit der
Planung und Umsetzung eines Projekts zu beauftragen.
Konzept der Nashorn-Pagode
Zügig nach dem
Aufkommen der Zoos in Europa war man bestrebt, die darin präsentierten,
exotischen Tiere nicht in profanen Gehegen zu zeigen, sondern adaptierte für
diese Tiere die Bautypologie des Kulturkreises ihrer Herkunft. Dahinter stand
die Idee, die Besucher in eine andere, fremde Kultur zu entführen und einen
Hauch von fernen Ländern zu verströmen.
Auch die im Jahr 2023 fertig gestellte Nashorn-Pagode, ein Gehege für derzeit vier Indische Panzernashörner, folgt dieser Tradition: Mit der Planung direkt beauftragt wurde das auf Marken- und Erlebnisarchitektur spezialisierte und in Berlin ansässige Büro dan pearlman Erlebnisarchitektur GmbH. Deren CEO Kieran Stanley weist darauf hin, dass sein Planungsteam einem ganzheitlichen Ansatz folgt. Es beginnt beim architektonischen Entwurf, beinhaltet den GaLa-Bau, den technischen Gebäudeausbau mit einem besonderen Blick auf das Tierwohl und schliesslich die didaktische Präsentation der Tiere für die Besucher. So hat dan pearlman hat auch die zahlreichen Videofilme entwickelt und produziert sowie die interaktiven Displays im Raum angeordnet, auf denen diese Filme gezeigt werden. Die Nashorn-Pagode ersetzt einen schmucklosen, asbestbelasteten Bau der Nachkriegszeit und verschafft den Tieren deutlich mehr Platz. Kieran Stanley erinnert sich, dass die ersten Entwurfsskizzen 2017 entstanden, und der Bau während der Pandemie errichtet und im Sommer 2023 eingeweiht wurde.
Quelle: Robert Mehl
Frontalansicht Pagodeneingang und Vorplatz mit Bronzenashorn.
Quelle: Robert Mehl
Blick vom Innengehege auf den Eingang und den Pagodenturm, der durch die ETFE-Folie vage zu erkennen ist.
Natürlicher Lebensraum als Vorbild
In freier Wildbahn sind Panzernashörner noch im tropischen Teil Nordindiens anzutreffen, vor allem in den flacheren Teilen des Bundesstaats Assam, dort wo sich noch nicht die Höhenzüge des Himalaya-Gebirges erheben. Die Planer von dan pearlman suchten nach Bauformen, die für diesen Teil Indiens typisch sind und liessen sich insbesondere von den dortigen Tempelanlagen inspirieren. Beispielhaft sei hier der Tempelbezirk von Khajuraho angeführt, der etwa zeitgleich mit unserer Gotik entstand. Die Anlagen bestehen aus mehreren, jeweils über 30 m hohen Haupttempeln, die auf grossen, rechteckigen Plattformen stehen, in dessen Ecken sich kleinere Tempel finden. Insbesondere zu deren Silhouette zeigt der Turm der Berliner Nashorn-Pagode eine erkennbare, formale Nähe.
Konstruktives Kennzeichen dieser Tempel ist die fehlende Kenntnis ihrer Baumeister im Gewölbebau. Die Decken bestehen aus Kragstufen, die immer weiter nach innen springen, bis die Öffnung mit einem Schlussstein geschlossen werden kann. Kieran Stanley weist auch auf die besondere Sensibilität hin, wenn man graphische Elemente anderer Kulturkreise zu adaptieren sucht. So entschied sich sein Büro, auf die zahlreichen Betonfertigteilfriese mit Schalungsmatrizen neutrale Sternmuster zu applizieren.
Quelle: dan pearlman
Schnitt.
Quelle: dan pearlman
Ansicht.
Ringbau mit Foliendach und Turm
Das neue Panzernashorngehege besteht aus einem eingeschossigen ringförmigen Stallgebäude mit einem Aussendurchmesser von 60 m und einer Ringbreite von 10 m. In seiner Mitte liegt eine kreisrunde Halle von 40 m Durchmesser, die von einem Dach aus aufgeblasenen ETFE-Folienkissen überdeckt ist und in der tropische Temperaturen herrschen. Etwa ein Drittel der Fläche ist für die Zoobesucher zugänglich, die restliche Fläche ist den Tieren vorbehalten. Der Ringbau ist für das Publikum unzugänglich. Bemerkenswerterweise nimmt man diesen als Baukörper kaum wahr, weil die Besucher das Innengehege über den pagodenartigen Turmbau betreten, der als solitäres Element erscheint. Das quadratische Erdgeschoss der Pagode, dass eine jähe Untersicht in die 25 m hohe Turmspitze gewährt, begreift man als deren Sockelbau und nicht als Ringsegment – was es aber letztendlich ist.
Auf dieser eingeschossigen Sockelzone ruht die steile Turmspitze, die aus 18 Betonfertigteillagen besteht, die sich nach oben hin zunehmend verjüngen. Statt einem Schlussstein bildet ein Oculi den oberen Abschluss. Die äusserlich wahrnehmbare Turmspitze besteht aus einem messingfarbenen und mit indischen Mustern verzierten Messingring.
Die einzelnen Betonsteinlagen bestehen aus jeweils vier langgestreckten, 76 cm breiten und 65 cm hohen Querriegeln, an die an der Unterseite von Schicht zu Schicht unterschiedlich hohe, in ihrer Grundfläche aber grundsätzlich quadratische Betonabstandhalter eingearbeitet sind. An ihrer Unterseite weisen sie Dorne auf, die in das darunter liegende Betonfertigteil eingesteckt wurden.
Auf diese Weise entstehen breite und deshalb von unten gut sichtbare Licht- und Luftspalten zwischen den einzelnen Elementlagen, deren Abstand mit zunehmender Gebäudehöhe immer grösser wird. Der Grund für diese Dynamik sind die Gesetze der Perspektive, die weiter entfernte Objekte kleiner erscheinen lassen als nahe. Die Planer wollten jedoch, dass in der Untersicht der Steinlagenabstand immer gleich gross erscheint. Die statischen Berechnungen für diese anspruchsvolle Planungsaufgabe führte das in Berlin ansässige Büro Hartwich Bernhardt Ingenieure GmbH aus.
Die Elemente wurden aus rötlich-braun durchgefärbtem selbstverdichtendem Beton (SVB) von Beton- und Naturstein Babelsberg GmbH, mit Sitz in Potsdam erstellt. Kieran Stanley lobt rückblickend die kompetente Betonberatung, die er dort fand. Bewusst suchte man gemeinsam eine farbliche Nähe zu dem rötlichen Sandstein Nordostindiens und einen grösstmöglichen Abstand zu der orangefarbenen Terrakottaarchitektur, die vor gut 20 Jahren in Berlin beliebt war und sich etwa an dem Einkaufszentrum Alexa am Alexanderplatz wiederfindet.
Quelle: Robert Mehl
Seitlich weist der Pagodenraum von orientalischen Maschrabbiyas inspirierte, offene Sichtschutz-elemente auf (links). Die in Ortbeton ausgeführten Wandflächen sind gesandstrahlt (rechts).
Quelle: Robert Mehl
Sternendekor der geschichteten Betonfertigteilelemente des oberen Pagodenteils.
Technischer Ausbau
Der Turmbau ist auch im Winter komplett unbeheizt. Aufgrund der zuvor beschriebenen zahllosen Luftspalten ist er sehr gut durchlüftet und weist zudem in der Sockelzone noch stählerne Sichtschutzwände in den seitlichen Wandöffnungen auf. Sie sind mit Mustern perforiert und besitzen eine formale Nähe zu orientalischen Haremsfenstern, so genanten Maschrabiyyas. Eine automatische Glasschiebetür im Durchgang vom Turm zum Innengehege bildet erst die thermische Trennung zwischen innen und aussen. Der Ringbau besteht aus einer gedämmten Ortbetonkonstruktion mit Kerndämmung. Im Attikabereich wurde mit gekrümmten Betonfertigteilen ein umlaufender Fries ausgebildet, der ebenfalls ein mit Texturmatrizen angelegtes, sternartiges Dekormuster aufweist. Unterhalb des Frieses scheint das Gebäude aus grossen monolithischen Steinblöcken zu bestehen. Letztendlich ist es aber die erwähnte und ebenfalls durchgefärbte Ortbetonkonstruktion mit Kerndämmung, die hier zusätzlich mit Schattenfugen versehen ist.
Im Gegensatz zu anderen Tiergehegen weist die Nashorn-Pagode keine Rückseite im logistischen Sinne auf, wo etwa diskret Fahrzeuge entladen werden können. Da sich seine dem Besucherstrom abgewandte Seite dem bekannten Hauptbahndamm zuwendet, ist diese von jedem Zug aus einsehbar, der zwischen Bahnhof Zoo und Berliner Hauptbahnhof verkehrt. Entsprechend war es den Planern von dan pearlman wichtig, den Bau als Solitär zu begreifen und seine hochwertige Fassadengestaltung – insbesondere den Fries – umlaufend anzulegen.
Quelle: Robert Mehl
Untersicht des Pagodenturms mit seinen Betonfertigteilringen. Die offenen Spalte zwischen den einzelnen Schichtebenen nimmt nach oben zu. Perspektivisch bedingt erscheint dadurch von unten der sichtbare Innenstossabstand gleich.
Quelle: Robert Mehl
Pagodenspitze mit dekoriertem Metallring.
Baukosten und Nachhaltigkeit
Das gesamte Projekt hat alles in allem rd. 23. Mio. Euro gekostet. Kieran Stanley räumt ein, dass man durchaus die Frage stellen könnte, ob man das Geld nicht besser in Artenschutz vor Ort investiert, beantwortet sie aber sogleich mit der Symbolkraft dieses Gebäudes. Seine Architektur hat neben der Funktion eines Tiergeheges die Aufgabe, ein Bewusstsein für den Artenschutz zu schaffen. In dieser Hinsicht betrachtet er die Nashorn-Pagode als eine sehr langfristige Investition. Die öffentliche Resonanz, die der Bau seit seiner Eröffnung erfährt, gibt ihm recht: 2023 hat die Nashorn-Pagode auf Anhieb den begehrten Publikumspreis des Berliner Architekturpreises gewonnen. In dem Turmbau selbst wird prominent der Artenschutz thematisiert und mit einem mittig angeordneten Spendenbrunnen effektvoll inszeniert. Die Panzernashörner haben hier ein neues adäquates Zuhause gefunden, der Artenschutz an sich aber hat damit in Berlin einen Tempel erhalten!
Quelle: Robert Mehl
Im Präsentationsraum können die Besucher auf zwei Bildschirmen ein Erklärvideo starten. Die abgeschlossene Tür führt in den nicht öffentlichen Gebäudeteil. Durch diese Betreten die Tierpflege für öffentliche Fütterungen den Besucherbereich.