«Lindt Home of Chocolate» in Kilchberg: Glanzstück im Museumsbau
Das «Lindt Home of Chocolate» hat sich in kurzer Zeit zu einem erfolgreichen Museum entwickelt. Wie das von Christ & Gantenbein entworfene Gebäude beim Stammsitz in Kilchberg eine Attraktion für Architekturliebhaber wurde, erklärt Mona Farag, verantwortliche Partnerin bei Christ & Gantenbein, im Gespräch.
Quelle: Mark Niedermann
Verkleidet in weiss glasiertem Ziegelstein und mit goldener Firmeninschrift verziert, durchbricht die Hauptfassade den sonst rationalen, rechteckigen Backsteinbau.
Im Mittelalter führte ein Pilgerweg von
Zürich zum Kloster Einsiedeln. Heute endet der noch erhaltene Abschnitt, den
man vom Bahnhof Kilchberg aus erreicht, an einer modernen, neuen Pilgerstätte –
dem «Lindt Home of Chocolate» am Schokoladenplatz 1, vormals eine grosse
Parkfläche. Unter seinem Dach vereinen sich eine interaktive Ausstellung,
Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen mit Schauproduktion, ein Shop und
Café sowie Büros und Veranstaltungsräume. Seit der Einweihung 2020 zieht
das Schokoladen-Kompetenzzentrum auf dem historischen Fabrikareal von Lindt
& Sprüngli Besucher und Besucherinnen aus der ganzen Welt an.
2023 wurden 750 000 Gäste gezählt, ein neuer Rekord und ein Erfolg, den sich Ernst Tanner, Stiftungsratspräsident der «Lindt Chocolate Competence Foundation», bei der Grundsteinlegung 2017 bereits erhoffte: «Ich freue mich sehr auf das Chocolate Competence Center. Wir realisieren damit ein für die Schweiz in dieser Form einzigartiges Projekt, das die Innovationskraft unserer Industrie langfristig stärken wird. Die Gemeinde Kilchberg, die Region Zürich und sogar die gesamte Schweiz und unsere Branche wird von der Strahlkraft profitieren und die Schokoladen-Erlebniswelten werden alle Besucher begeistern.»
Quelle: Lukas Wassermann
Mona Farag, verantwortliche Partnerin bei Christ & Gantenbein, hatte die Projektleitung inne.
Komplexe Anforderungen
Aber nicht nur Schokoladen-Aficionados
pilgern hierher, sondern auch Architektur-Fans. Kein Wunder, denn Christ &
Gantenbein haben den rationalen Backsteinbau entworfen, der mit einem umso
beeindruckenderen Inneren aufwartet. Für das faszinierende Ausstellungsdesign
zeichnete das Stuttgarter Atelier Brückner verantwortlich. Mona Farag,
Architektin und Büro-Partnerin von Christ & Gantenbein, hielt die Fäden der
anspruchsvollen Projektleitung zusammen. «Ich bin nach dem Gewinn des
Architektenwettbewerbs 2014 durch unser Büro ins Projekt eingestiegen. Eine
spannende Aufgabe, denn die vielfältigen Ansprüche ans Gebäude waren
herausfordernd», erinnert sie sich.
Das Schokoladen-Kompetenzzentrum sollte
nach Wunsch der Bauherrschaft vor allem flexibel nutzbar und baulich leicht
umzugestalten sein. Was Besucher nicht ahnen: Wo sich heute die
Ausstellungsräume befinden, könnten Fenster eingebaut und Arbeitsplätze eingerichtet
werden. «Am Anfang ist es immer ungewiss, ob ein Konzept aufgeht. Deswegen
wurde auf grösstmögliche Flexibilität Wert gelegt.» Dies wirkte sich auch auf
die Planung der tragenden Aussenhülle aus.
Die Obergeschosse sind stützenfrei, damit jegliche Restriktionen sowohl bei möglichen Aktualisierungen als auch beim Bau der Forschungsanlage «Pilot Plant», die sich im ersten Stock befindet, vermieden werden konnten. «Zu Beginn war noch nicht klar, was für eine Produktionsanlage eingebaut werden soll. Sie wurde speziell konzipiert, da sie als Forschungsanlage kleiner als übliche Produktionsanlagen für das Gebäude sein musste», erklärt Mona Farag. Die Böden wurden auf hohe Lasten ausgelegt und spezielle Verglasungen eingebaut, um die Maschinengeräusche zur Halle hin zu dämpfen.
Quelle: Walter Mair
Eine Reihe von tragenden runden Stützen bildet eine robuste Struktur, die jedoch flexibel ist.
Quelle: Walter Mair
Runde Treppenaufgänge und imposante Oberlichter in der Decke verleihen dem Bauwerk besondere Eleganz.
Multifunktionale Elemente
Mit einer Länge von 64, einer Höhe von 15
und einer Breite von 13 Metern beschwört die ganz in Weiss gehaltene Halle ein
fast kathedrales Raumgefühl. Imposante Oberlichter tragen zum eleganten
Eindruck bei. Bei trübem Wetter taucht ein ausgeklügeltes Beleuchtungssystem
das Innere in angenehmes Licht. Im Zentrum der Halle zieht der von Atelier
Brückner gestaltete neun Meter hohe Schokobrunnen mit seinem Duft die Besucher
magisch an. Um das Atrium herum gruppieren sich die verschiedenen Bereiche, die
auf Wendeltreppen, über Brücken, Stege und Aufzüge zugänglich sind. Komplexe
Schalungsarbeiten waren dafür nötig. Was dem Betrachter verborgen bleibt: «Die
tragenden Teile des Atriums sind multifunktionale Elemente. In den Pilzstützen
verbergen sich zum Beispiel Aufzüge und Haustechnik.» Um die Stützen herum
kragen grosse Betonteller aus und helfen, die Spannweiten der Decke zu
verkürzen. Sie reichen hinunter in die zweistöckige Tiefgarage, für deren
Installation man unter einem vor dem Museum liegenden Bestandsgebäude bauen
musste.
In der Bauphase wurden bereits hohe Besucherströme simuliert, um die Belastbarkeit der Elemente und Engpässe im Gebäude zu testen. «Das ist zwar abstrakt, da die Besucher und Besucherinnen nicht gleichmässig über das Jahr verteilt kommen, aber man sieht jetzt, dass sich das robuste Design auch bei deutlich mehr Besuchern als vorausberechnet, bewährt», erklärt die Architektin. Einzig die Toilettenanlage und die Ausstellungsräume würde Mona Farag aufgrund der vielen Besucher heute grösser konzipieren. Bewährt hat sich auch der Fokus auf eine angenehme Akustik. Da es viele harte Flächen gibt, wurden nach einigen Simulationen Metallverkleidungen gewählt, die akustisch wirksam und zusätzlich gewellt sind. An den weiss-lasierten Betonwänden erzeugen sie so optisch zusätzliche stoffartige Effekte neben den Vorhängen.
Quelle: Karin Stei
Der sachliche Backsteinbau passt sich perfekt in die historische Fabrikanlage von 1899 in Kilchberg ein.
Quelle: Karin Stei
Verwendet wurden halb manuell, halb industriell gefertigte Backsteine, die an der Hauptfassade weiss glasiert wurden. So ergibt sich ein moderner Touch.
Reminiszenz an Firmengeschichte
Dreh- und Angelpunkt der Planung war für
Christ & Gantenbein der Bezug zur Unternehmensgeschichte von
Lindt & Sprüngli. «Wir hatten Fragen gestellt wie: Was ist der richtige
Ausdruck für das Haus? Wie nah an der Marke muss oder darf es sein? Und wie
sehr übernimmt es auch die Identität des umgebenden historischen
Fabrikgeländes?» Wichtig war Bauherrschaft und Architekten, dass sich das
Gebäude in das Areal eingliedern sollte. «Der Grundriss eines einfachen
Vierecks und die Wahl des roten Backsteins als Fassade beziehen sich direkt auf
die Bestandsgebäude von 1899, auf ihre Form und Kubatur», so Mona Farag.
Dieser neutrale Rahmen wird am Schokoladenplatz 1 bewusst gebrochen. An der
Hauptfassade schwingt das dreistöckige Gebäude nach innen und bildet einen kleinen
Vorplatz. Weiss glasierte Ziegel und der goldene Firmen-Schriftzug schmücken
die Front und erzeugen einen fliessenden Übergang in die Welt des
Museumsinneren.
Bei allem Bezug auf die Historie setzt der Bau aussen auf dezente Modernität. Die verwendeten Backsteine – 170 '000 rote und 50'000 weisse – sind halb manuell, halb industriell gefertigt. Das Resultat ist eine lebhafte und doch schlichte Oberfläche. «Die Wahl roter Fugen und die Einbindung sämtlicher Metallelemente und Türen der Fassade im selben Rotton, erzeugen eine der Nutzung des Gebäudes angemessene Eleganz», erklärt die ehemalige Projektleiterin.
Quelle: Lindt Chocolate Competence Foundation
Die fliessenden Bewegungen einer Conchiermaschine dienten Christ & Gantenbein unter anderem als Inspiration für die Kreisformen, die das Innere prägen.
Quelle: Karin Stei
Das Highlight des «Lindt Home of Chocolate» – der über 9 Meter hohe Schokoladenbrunnen, gestaltet von Atelier Brückner.
Fabrikarchitektur auch im Innern
«Auch im Inneren liegt der Bezug zum
Fabrikareal im Mittelpunkt», betont Mona Farag. Die «Trage-Skulptur» im Inneren
greife die Fabrikarchitektur auf. Passarellen, die die historischen
Fabrikgebäude verbinden, durchkreuzen zum Beispiel als Brücken das Atrium und
erlauben den Besuchern schnelle Übergänge zwischen den Gebäudeseiten. Auch die
verspielte Formensprache der multifunktionalen Elemente lehnt sich an die
Produktionsgeschichte von Lindt an. «Lange hing das Bild einer Conchiermaschine
an der Wand bei uns im Büro», erklärt Mona Farag. Das Fliessende, Drehende,
Sich-Bewegende im Prozess der Schokoladenherstellung spiegelt sich in den
geschwungenen Elementen wider. Museumsgäste sehen solch eine Conchiermaschine
in der Ausstellung. Und vielleicht stellt der ein oder die andere bei der
Betrachtung einen Bezug zur Architektur her.
«Lindt Home of Chocolate»
Finanziert und betrieben wird das «Lindt Home of Chocolate» von der Lindt Chocolate Competence Foundation. Zweck der Stiftung ist die gemeinnützige Förderung von Wissenschaft und Forschung, Ausbildung, Kultur und Information rund um die Schokolade. Neben der multimedialen und interaktiven Ausstellung mit verschiedenen Schwerpunkten umfasst das «Lindt Home of Chocolate» auch eine Forschungsanlage mit Schauproduktion. Die Ausstellung erstreckt sich auf rund 1500 Quadratmeter und behandelt Themen wie Kakaoanbau, Schokoladengeschichte, Schweizer Schokoladenpioniere und Schokoladenproduktion. Mehr als 100 Millionen Schweizer Franken flossen in das Schokoladen-Kompetenzzentrum am historischen Hauptsitz von Lindt & Sprüngli in Kilchberg. Es öffnete nach 36 Monaten Bauzeit im September 2020 seine Türen. www.lindt-home-of-chocolate.com