Le Corbusiers Wohnmaschine: Marseille und seine Stadt in der Stadt
La Cité radieuse in Marseille ist Unesco-Weltkulturerbe. Das Baublatt hat sich angesehen, wie Le Corbusiers Schlüsselwerk 70 Jahre nach Baubeginn aussieht und wie sich seine Ideen bewährt haben.
Was da zwischen 1947 und 1952 weitab vom im Weltkrieg zerbombten Zentrum Marseilles gebaut wurde, verschlug den Zeitgenossen die Sprache. Allen war klar, dass schnell wieder Wohnraum geschaffen werden musste. Was jedoch unter Le Corbusiers Leitung entstand, war keins der üblichen viergeschossigen Stadthäuser. Er setzte einen 135 Meter langen und 56 Meter hohen Koloss in die Landschaft. Und das lange bevor Schlagworte wie «Flächenfrass» geläufig waren. 337 Wohnungen für 1500 Einwohner sollten darin entstehen. Das Ganze hatte kein Erdgeschoss, sondern thronte auf Stelzen. Es war aus Sichtbeton, und die Balkone waren leuchtend bemalt. Mochte Le Corbusier diese Farben auch nach einem noch so ausgeklügelten Farbsystem bestimmt haben – die Leute fanden sie unziemlich. Was sollte man bloss von diesem Riesengebäude halten? Offiziell trug es den Namen «Unité d’habitation». Le Corbusier nannte es «Cité radieuse», «strahlende Stadt». Die Marseiller hatten schnell ihre eigene Bezeichnung dafür gefunden: «La Maison du fada» («das verrückte Haus»).
Der Spitzname blieb ihm in der Stadt bis heute. Für den Architekten jedenfalls wurde ein Traum wahr, als er im reifen Alter von 60 Jahren endlich sein lange in der Schublade ruhendes Konzept für eine «Cité radieuse» umsetzen durfte, an dem er 25 Jahre getüftelt hatte. Es sollte den «neuen Generationen des Maschinenzeitalters» ein Wohnkonzept bieten, in dem sich privater und öffentlicher Raum zu einer Einheit ergänzten. Zudem sollte die Cité durch ihre modulares Konzept auch zur «Normalisierung und Standardisierung der Konstruktionselemente des Baus» beitragen, und so Kosten und Bauzeit senken. Die individualisierten, ineffizienten herkömmlichen Bauweisen waren ihm ein Graus.