Kontrolle: virtuell statt visuell
Visuelle Zustandskontrollen am europäischen Strassen- und Schienennetz werden immer seltener. Geräte überwachen die Bauten permanent, die gesammelten Daten werden ausgelesen oder per Funk an eine Zentrale geschickt. Das EU-Forschungsprojekt «Istimes» geht jetzt noch weiter, indem es die Systeme vernetzt. Die Empa steuert ihr interdisziplinäres Know-how auf den Gebieten Sensortechnik, Datenübermittlung und zerstörungsfreie Prüfung bei.
Die Sihlhochstrasse in Zürich, eines der Forschungsobjekte im EU-Projekt «Istimes».
Europa besitzt ein engmaschiges und gleichzeitig stark beanspruchtes Strassen- und Schienennetz. Auf Autobahnen beispielsweise führt hohes Verkehrsaufkommen regelmässig zu Staus, aber auch zu Strassenschäden. Im Alpenraum «leiden» Brücken und Tunnels zudem unter der Witterung. Ähnlich ergeht es dem Schienennetz – immer mehr Züge verkehren immer schneller und setzen dem Material zu. Alle Verkehrswege ständig auf Schäden zu kontrollieren, ist eine schwierige Aufgabe – finanziell und personell, aber auch wegen der damit einhergehenden Beeinträchtigung des Verkehrs. Während visuelle Inspektionen und zerstörende Prüfungen wie Bohrungen nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, ist heute vieles bereits automatisiert und beruht auf Verfahren, mit denen Bauwerke zerstörungsfrei überprüft werden können. Bei besonders stark belasteten Streckenabschnitten sowie bei Brücken und Tunnels erfassen oft integrierte Sensoren permanent die Belastungen und registrieren eventuelle Veränderungen. So werden etwa an der Winterthurer Storchenbrücke die Belastungen der Schrägseilkabel erfasst und die Daten via Mobilfunkverbindung direkt an die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) nach Dübendorf übermittelt, wo diese ausgewertet werden. Besonders überwacht wird die Brücke, weil zwei ihrer 24 Schrägseilkabel nicht – wie üblich – aus Stahl, sondern aus wesentlich leichteren und nicht korrodierenden kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen sind, einer Empa-Entwicklung und beim Bau im Jahr 1996 weltweit ein Novum.
Automatisierung auch in Zürich
Das Ende 2009 angelaufene EU-Forschungsprogramm «Istimes» («Integrated System for Transport Infrastructure Surveillance and Monitoring by Electromagnetic Sensing») geht nun noch deutlich weiter. Das im 7. EU-Rahmenprogramm geförderte Projekt will in den nächsten drei Jahren ein integriertes Überwachungs- und Beobachtungssystem für Verkehrs- und Transportinfrastrukturen entwickeln, basierend auf verschiedenen elektromagnetischen Sensoren, etwa für Temperatur, Feuchte, Schwingungen oder Bewegung, die in ein automatisiertes Netzwerk integriert werden. Am Projekt beteiligt sind Forschungsinstitutionen und Behörden aus sieben europäischen Ländern, darunter als einziger Schweizer «Vertreter » die Empa, sowie neun Industriefirmen. Ziel des Projekts ist ein zuverlässiges Monitoring-System, das dann bei zwei Strukturen eingebaut und getestet werden soll, einer Autobahnbrücke – der Sihlhochstrasse in Zürich – und einem Eisenbahntunnel in der süditalienischen Region Potenza.
Empa steuert Georadar bei
Eine wichtige Aufgabe besteht zunächst einmal darin, zu bestimmen, welche Daten überhaupt aussagekräftig sind und daher ermittelt und ausgewertet werden sollten. Die Empa ist für dieses Teilprojekt zuständig, während das Gesamtprojekt vom italienischen Konsortium «Tern» geleitet wird, dem «Earth Observation and Natural Hazards Technologies Consortium», das die Empa auch zur Mitarbeit am EU-Projekt eingeladen hatte – wohl nicht zuletzt wegen der viel beachteten Arbeiten der Empa auf dem Gebiet der zerstörungsfreien Prüfung von Verkehrsbauwerken mit Georadar. Dieser Georadar wird bei Istimes eine wichtige Rolle spielen.
Das Verfahren beruht auf einem elektromagnetischen Signal, das von einer Antenne abgestrahlt wird. Die Reflexionen dieses Signals, die an einer Schichtgrenze wie der Unterseite des Strassenbelags entstehen, werden aufgezeichnet und ausgewertet. Die mobile Anlage ermöglicht eine effiziente Untersuchung von Strassen und Brücken bei minimaler Behinderung des fliessenden Verkehrs. Die Radaruntersuchungen zeigen beispielsweise die Dicke des Asphaltbelages oder die Lage von Bewehrungen im Beton. Und auch bei Eisenbahnstrecken kommt der Georadar zum Einsatz, etwa um den Zustand und die Dicke des Schotterbetts zu ermitteln. Ein solcher Georadar soll in Zukunft auch in Bussen oder Bahnen eingebaut werden, die so ständig den Zustand eines Streckenabschnittes untersuchen – bei der Sihlhochstrasse könnte dies etwa ein Regionalbus sein.
Warnen – bevor etwas geschieht
Doch auch die anderen Istimes-Partner bringen ihre Kompetenzen in das EU-Projekt ein. So liefert beispielsweise ein norwegisches Unternehmen die für gewisse Sensoren wichtigen optischen Elemente. Eine rumänische Firma ist spezialisiert auf Luftbilder – kombiniert mit von Satelliten ausgeführten Höhenmessungen geben diese Aufschluss über Veränderungen im Gelände. Das Istimes-Überwachungssystem könnte dadurch zum Beispiel frühzeitig eine Warnung ausgeben, wenn ein Hügel und die darauf stehende Brücke ins Rutschen kommen. (Rémy Nideröst)