08:34 BAUPRAXIS

Klosterkirche St. Johann in Müstair: Viel bunter als lange vermutet

Teaserbild-Quelle: Foto Stiftung Pro Kloster St. Johann

Die Wandmalereien der Klosterkirche St. Johann in Müstair GR sind ein weltweit bekanntes Zeugnis frühmittelalterlicher Malkunst. Ihr heutiges Erscheinungsbild ist das Ergebnis einer wechselvollen Geschichte und weicht vom ursprünglichen Zustand erheblich ab.

Von Patrick Cassitti*

Besonders die ursprüngliche Farbigkeit der Fresken ist durch Brände und andere Umwelteinflüsse stark beeinträchtigt. Das einstige Aussehen zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung kann daher nur erahnt werden. Durch naturwissenschaftliche und maltechnische Untersuchungen wird derzeit versucht, die ursprüngliche Polychromie der Fresken zu rekonstruieren.

Die Klosterkirche von St. Johann in Müstair präsentiert sich heute als ein Nebeneinander von karolingischen, romanischen und gotischen Ausstattungselementen. Dieses Erscheinungsbild geht auf die Freilegungs- und Restaurierungsarbeiten von Franz Xaver Sauter zurück, die zwischen 1947 und 1951 stattfanden. Die Arbeiten wurden vom Architekten Walther Sulser geleitet, die Oberaufsicht lag beim damaligen Präsidenten der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege, Linus Birchler.

Der Chor der Klosterkirche St. Johann in Müstair GR.

Quelle: Foto Stiftung Pro Kloster St. Johann

Der Chor der Klosterkirche St. Johann in Müstair GR.

Rezeption der Fresken im Wandel

Sauters Eingriff beeinflusste massgeblich die spätere Wahrnehmung der Fresken und deren Beurteilung durch die Fachwelt. Vor der Freilegung im Kirchenschiff waren die karolingischen Fresken lediglich durch die im Dachraum der Kirche sichtbaren Flächen bekannt, die sich in relativ gutem Zustand befanden.

Josef Zemp beschrieb eine Farbenpalette, die erdig-braune, braungelbe, gelbe, rote, graue, grau-blaue, weisse und schwarze Töne umfasste. Grün fehlte seiner Ansicht nach ganz, während er manche schwarze Partien richtig für alterierte Farben hielt. Die Bewertung dieser Reste war durchaus positiv, ihre Qualität wurde als sehr hoch eingeschätzt. Sie wurden als Werke «befreiender Grösse»1, «ruhiger Erscheinung und bildmässiger Geschlossenheit» beschrieben.

Durch die Entfernung der Fresken aus dem Dachraum 1908 respektive deren Freilegung und Restaurierung im Kirchenraum 1947 bis 1951 wurden die Wandmalereien in ihrer Substanz wesentlich verändert. Die von Franz Xaver Sauter freigelegten und stellenweise stark übermalten Fresken weisen eine sehr reduzierte Palette auf, die im Wesentlichen Rot- und Brauntöne, Grau, Weiss und Schwarz umfasst. Nach diesen Massnahmen fiel die Bewertung von Seiten der Fachleute differenzierter aus als zuvor.

Linus Birchler, der ein Schüler Josef Zemps war, weist in einem grundlegenden Aufsatz 1951 darauf hin, dass die freigelegten Fresken im Kirchenschiff aufgrund der im Zuge der Restaurierung erfolgten Entfernung der späteren Übermalungen flau wirkten, und dass die zeichnerischen Partien grossteils fehlten. Er bewertete die Fresken daher, im Gegensatz zu Josef Zemp, teilweise als «derb».

Kritisch äusserten sich seit den 50er-Jahren auch italienische Forscher. Der Kunsthistoriker Géza de Fràncovich würdigte die monumentale Grösse des Freskenzyklus, fand ihn aber «di qualità generalmente non alta», also von allgemein nicht hoher Qualität. Ähnliches befand Nicolò Rasmo, regionaler Denkmalpfleger im Trentino und in Südtirol. Die Fresken von Mals wären jenen in Müstair künstlerisch überlegen. Somit hatten die konservatorischen und restauratorischen Eingriffe der Jahre zwischen 1908 und 1951, die zu einem Verlust von Informationen zur ursprünglichen Farbigkeit der Fresken geführt haben, erheblichen Einfluss auf die Rezeption derselben durch die Fachleute.

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