Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie in Berlin von Mies van der Rohe
In Berlin wurde die von Mies van der Rohe entworfene Neue Nationalgalerie durch das Büro David Chipperfield Architects umfassend saniert. Dabei begriffen sich die Planer als «unsichtbare Architekten», um gemäss der Bauherrenvorgabe «So viel Mies wie möglich» umzusetzen.
Quelle: Simon Menges
Die Neue Nationalgalerie stammt von Ludwig Mies van der Rohe und gilt als Ikone der Klassischen Moderne.
Ein Gebäude von solch unantastbarer Autorität zu zerlegen, war eine merkwürdige Erfahrung, aber auch ein Privileg», stellt der Architekt David Chipperfield in einem Memorandum fest. Weiter ergänzt er, dass die Neue Nationalgalerie für seine Arbeit und die vieler anderer Architekten Massstäbe gesetzt hat. Hinter diese Fassade zu blicken, hat ihre Genialität und zugleich ihre Mängel offenbart, jedoch seine Bewunderung für Mies‘ Vision nur verstärkt.
Daher war Chipperfields Arbeit von chirurgischer Natur. Sie befasste sich mit technischen Belangen, um Mies' Vision zu schützen. Ein solches Unterfangen in einem Gebäude, in dem man nichts verstecken kann, bezeichnet Chipperfield als «einschüchternd». Aber sein Büro hofft, den «Patienten» dem Anschein nach unberührt entlassen zu haben – nur in viel besserem Zustand.
Martin Reichert, Partner und Managing Director im Büro Chipperfield, ergänzt dazu: «Dieses Bauvorhaben war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: die Ernsthaftigkeit, mit der selbst scheinbar marginale denkmalpflegerische Fragen von allen Beteiligten diskutiert wurden, die hohe Wertschätzung der materiellen Substanz, die differenzierte Abwägung der unterschiedlichen Interessen und Belange sowie die explizite Botschaft, dass nach Abschluss der Baumassnahme nicht mehr zu sehen ist, als ein mit grosser Sorgfalt instandgesetztes Hauptwerk der späten Moderne. Es gab kein Versprechen auf neuen Glanz, keine Verheissung neuer Qualitäten, keine Neuinterpretation oder ästhetische Auffrischung. Nur eine denkmalgerechte Grundinstandsetzung des letzten Werks von Ludwig Mies van der Rohe.»
Diese beiden Zitate benennen plastisch die grosse Herausforderung, vor der das Büro Chipperfield stand, als es vor zehn Jahren, im Juli 2012, das europaweite, offene Architekten-Auswahlverfahren für sich entscheiden konnte und vom Bauherrn der Stiftung Preussischer Kulturbesitz mit der Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie beauftragt wurde.
Formuliert war zunächst, die über die fast fünfzigjährige Existenz des Gebäudes entstandenen bzw. konstruktionsbedingten Bauschäden abzustellen und den Bau an die heute geltenden Bauvorschriften anzupassen. Eine sorgfältige Untersuchung, ergänzt durch eine fast einjährige Archivrecherche, insbesondere im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, zeigte jedoch, dass dies nicht möglich war, ohne das Gebäude in seinem inszenierten Purismus stark zu verfälschen.
Erschwerend kam hinzu – und das spricht Chipperfield eingangs an – dass sich beim Rückbau herausstellte, dass die Qualität der Ausführung mitunter zu wünschen übrig liess oder das manches versteckte Detail erschreckend profan war und schon zur Bauzeit nicht mehr dem Stand der Technik entsprach.
Blickfang Ausstellungshalle
Die grosse Ausstellungshalle mit ihrem 50 Meter im Quadrat messenden, monumentalen Flachdach, das auf acht im Verhältnis dazu schlanken Stahlstützen ruht, die frei vor der eingerückten Glasfassade stehen, ist das ikongrafische Gesicht der Neuen Nationalgalerie. Diese geometrisch einfache Struktur in seiner Reduziertheit zu erhalten, stellte die schwierigste Herausforderung dar.
Zunächst galt es, einem baukonstruktiven Mangel entgegenzuwirken, denn die aus überdimensional grossen Scheiben bestehende Glasfront wies keine Dehnungsmöglichkeiten auf. Selbstverständlich heizte sich alljährlich die mattschwarz gestrichene Stahlkonstruktion im Sommer stark auf und kühlte sich im Winter entsprechend stark ab. Daher kam es seit Eröffnung des Museumstempels am 15. September 1968 immer wieder zu Glasschäden, die man nun endgültig in den Griff bekommen wollte.
Quelle: Ute Zscharnt for David Chipperfield Architects
Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie (Juni 2016).
Des Weiteren handelte es sich bei den Stahlelementen der Glasfassade nicht um thermisch getrennte Profile, und die Scheiben bestanden auch nicht aus Isolierglas. So kam es ab Aussentemperaturen unterhalb von vier Grad Celsius zu einem starken Tauwasserausfall auf der Innenseite, was einerseits nicht museumsgerecht war, andererseits auch zu einer starken Korrosion der Stahlelemente führte. Diese trat vor allem an den scharfen Profilkanten auf, da diese eben nicht die heute gebräuchlichen Abrundungen aufwiesen. Durch die Scharfkantigkeit war die Adhäsion – die Haftkraft – des Lacks innen wie aussen stark reduziert, und Farbschichten fielen an diesen Stellen erheblich dünner aus.
Bei den rund dreieinhalb Meter breiten Scheiben stellte sich die Frage, ob man ein Wärmeschutzglas verwendet und was überhaupt infolge der zu erwartenden Spannungskräfte dafür geeignet war. In Abstimmung mit der Denkmalpflege entschieden sich die Planer gegen eine Wärmeschutzverglasung und für eine Verbundsicherheitsverglasung aus zwei teilvorgespannten Scheiben mit einer drei Millimeter starken Zwischenlage aus Ionoplast. Obwohl die neuen Scheiben mit 27 Millimeter mehr als doppelt so breit wie die 12 Millimetter starken Originalscheiben sind, überzeugen diese mit ihrer Farbneutralität und Lichtdurchlässigkeit. Sie tragen wesentlich zur Reduzierung der Spiegeleffekte bei und unterstützen die transparente Aussenwirkung der Halle essentiell.
Ein weiterer Vorteil war, dass die Scheiben – nur mit einer neuen Glasleiste versehen – in die bestehenden Profile ein-gepasst werden konnten. Das mit der Leitdetailplanung der Fassadensanierung beauftragte Stuttgarter Ingenieurbüro Drees & Sommer entwickelte für die Fassade zur Kompensation der thermischen Bewegungen sogenannte Dehnpfosten, die nunmehr jeden dritten Pfosten der Fassadenfläche ersetzen. Diese Vertikalelemente besitzen eine mechanische «Seele» aus starken Druckfedern, die den markant vorkragenden Pfostenmittelteil stets in Profilmitte halten, während sich die Scheiben ausdehnen oder zusammenziehen können. Diese über eingebaute Dichtungsfolien vor Feuchtigkeit geschützte Federmechanik wird gehalten von einem Gehäuse – quasi den Profilaussenkanten –, die jeweils mittels einer 3D-CNC-Fräse aus einem Stück Stahl erstellt wurden.
Schliesslich stellte sich die grundsätzliche Frage, wer überhaupt eine solche Glasbreite liefern konnte, da es schon in den 1960er-Jahren überhaupt nur noch einen Hersteller in Frankreich gab, der die Scheiben im dimensionsoffenen Libbey-Owens-Verfahren herstellte. In der heutigen Zeit dominiert das von Alastair Pilkington entwickelte Floatglas-Verfahren die Glasproduktion, das allerdings nur eine Maximalbreite von 3,21 Metern zulässt. Die weltweite Suche fand ihr erfolgreiches Ende in dem chinesischen Hersteller Jinjing aus der Provinz Shangdong. Dieser konnte die benötigten Scheiben in den Größen 3,43 × 5,40 Metern und 3,54 × 3,84 Metern über den Glasveredler NorthGlass aus Tianjin liefern.
Durch die Verwendung des VSG-Glases wurde zwar der Wärmeschutz deutlich verbessert, jedoch bei weitem noch nicht das Optimum erreicht. Dessen war man sich bewusst und nahm daher in Kauf, dass es bei bestimmten Wetterlagen weiterhin zu Tauwasserausfällen kommt. Einerseits betrachten die Architekten dies als eine tradierte Eigenschaft des Bauwerkes, andererseits liess sich nur so die vertraute Fassadensituation erhalten. Und schliesslich begegneten die Planer konstruktiv dem erwarteten Tauwasser damit, dass sie unter den bestehenden Lüftungsgittern, die Mies van der Rohe ohnehin innenseitig hinter der Fassade angelegt hatte, eine Entwässerung einrichteten.
Tempel durch Sockelgeschoss
Der formale Trick der Neuen Nationalgalerie ist ihr Sockelgeschoss, denn zum einen wird damit die schwarze Ausstellungshalle förmlich zu einem Tempel erhöht. Zum anderen sind in dem Sockelgeschoss die eigentlichen Ausstellungsräume untergebracht. Gemälde brauchen vor allem neutrale Wandflächen, um sie zu präsentieren, auch verhindert eine geschlossene Raumsituation effektiv das Eindringen schädlicher UV-Strahlung und ermöglicht eine pointierte Illuminierung.
Quelle: Ute Zscharnt for David Chipperfield Architects
Die Sanierungsarbeiten sind in vollem Gang. Ausstellungshalle, September 2016.
Äusserlich zeichnete sich der Sockel-bau vor allem durch seine Geschlossenheit auf und war deshalb mit insgesamt 14 000 Steintafeln aus Striegauer Granit sowohl an den Wänden wie auch auf der Freifläche verkleidet. Aus welchem Steinbruch genau das Steinmaterial um den niederschlesischen Ort Strzegom (Striegau) kam, lies sich nicht mehr abschliessend klären, was tatsächlich für den Ersatz zerbrochener Tafeln bedauerlich war. Besonders bei den exakt 1,194 Metern im Quadrat messenden und nur 3,2 Zentimetern starken Bodenplatten der Terrasse waren einige zerbrochen. Dies geschah vor allem infolge unregelmässiger Untergrundsetzungen und darauf aufgebrachter hoher Punktlasten, wie etwa Skulpturen oder das Bühnenequipment temporärer Events.
Der schadhafte Untergrund behinderte zunehmend eine einwandfreie Flächendrainage, was zu Pfützen und damit verbundenen Frostschäden im Winter führte. Darüber hinaus hinterliessen Moose, Algen und zahllose Skate-Boarder ihre Spuren auf dem Granit der Freifläche. Zur Sanierung nahm man alle Steine auf, kartierte deren genaue Position und säuberte sie im Partikelniederdruckverfahren. Bei manchen Elementen kam anschliessend noch ein Heisswasserhochdruckverfahren zum Einsatz, um so ihre übermässige Vergrünung zu neutralisieren.
Eine der ersten hinterlüfteten Fassaden
Die katalogisierten Granitplatten waren während des Rückbaus der Neuen Nationalgalerie auf ihren Rohbauzustand im Dezember 2016 aufrecht stehend in Brandenburg gelagert. Nunmehr wurden alle Bodenplatten reversibel auf einem Splittbett in einem lichten Abstand von zwölf Millimetern verlegt, um ein Abfliessen des Regenwassers dazwischen zu ermöglichen. Das Wasser gelangt zu einer Drainagematte mit Trennlage, die auf einer mit Heissbitumen eingeschlämmte Gefälledämmung aus Schaumglas aufliegt. Für Starkregenereignisse ist zusätzlich eine Abführung des Wassers oberhalb der Steinplatte eingerichtet.
Wie erwähnt sind auch die Sockelaussenwandflächen mit Naturstein verkleidet. Tatsächlich handelt es sich hier um eine der ersten vorgehängten, hinterlüfteten Fassaden, die in Deutschland ausgeführt wurden. Bei dieser Fassade steht daher nicht nur die Ansicht, sondern auch die Konstruktion, insbesondere die eingesetzten Befestigungsanker, unter Denkmalschutz. Entsprechend aufwändig hatten die Demontage und der Widereinbau derselben zu erfolgen.
Quelle: Simon Menges
Die sanierte Stahl-Glas-Fassade der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
Unmerkliche Ergänzungen
Eine für den Museumsbesucher nicht erfahrbare, aber für die internen Abläufe sehr bedeutsame bauliche Ergänzung hat zu einer Neuorganisation der Besucherwege geführt. Auf der Südostseite der Nationalgalerie entlang der Potsdamer Strasse wurde über fast die gesamte Sockelbreite ein neues Kunstdepot angebaut. Dies erlaubte, dass das ehemalige Skulpturendepot nordöstlich der unteren Treppenhalle zur Besuchergarderobe umgenutzt werden konnte. Dessen räumliches Pendant, ebenfalls ein früheres Depot, nur auf der Südwestseite der Treppenhalle, bauten David Chipperfield Architects zum neuen Bookshop um.
Dabei waren sie bestrebt, ihre eigene architektonische Handschrift maximal zurückzuhalten und es so auszuführen, wie es der grosse Meister in unserer heutigen Zeit vielleicht gemacht hätte. So adaptierten sie dessen hier angetroffenes Prinzip, Mobiliar grundsätzlich in amerikanischer Brauneiche mit einer vertikal verlaufenden Maserung anzulegen, auch arbeiteten sie mit schwarzen Füllungen bei den Tischplatten und schwarzen Metalleinbauten, die einen warmen Kontrast zu den dunklen Holzoberflächen bilden.
Die beiden ursprünglichen Garderoben in der grossen Ausstellungshalle wurden hingegen sorgsam restauriert, wobei die historischen Gebrauchsspuren belassen wurden. Allein deren Aufnahmekapazität von 192 Mänteln und 96 Hüten ist nunmehr ausschliesslich besonderen Ereignissen vorbehalten. Tatsächlich ist es verbrieft, dass Mies’ bei Mänteln eine Reihungsbreite von fünf Zentimetern am Bügel und bei Hüten einen Platzbedarf von zehn Zentimetern in gekippter Lage angesetzt hat.
Wiedererweckt wurde der ursprünglich von ihm geschaffene Verkaufsstand im Untergeschoss, der in den 1980er-Jahren jedoch abgebaut worden war und grösstenteils nicht mehr erhalten ist. Er wurde in seiner Dimension und Anlage neu erstellt und dient nunmehr als Kassen- und Informationstresen, wo insbesondere die Audio-Guides ausgegeben werden. An diese neue Anforderung wurde das Möbel entsprechend angepasst, weshalb es deutliche Unterschiede zu seinem Vorgänger aufweist.
Quelle: Ute Zscharnt for David Chipperfield Architects
Der Boden wird erneuert. Neue Nationalgalerie Berlin, Ausstellungshalle Mai 2017.
«Wallwasher» für gleichmässige Beleuchtung
Schon in der ursprünglichen Anlage der Ausstellungsräume hatte Mies van der Rohe mit Abhangdecken und mit indirekten Deckenflutern, so genannten «Wallwasher» gearbeitet, die ein gleichmässiges Ausleuchten der Wandflächen erlaubten. Leider hat sich im Zuge der Sanierungsarbeiten herausgestellt, dass die Deckenelemente profan an Holzleisten angeschlagen und damit für Ausstellungszwecke nicht demontabel waren. Dieses Abhangdeckensystem wurde durch ein in der Rasterung und optischen Anmutung gleichartiges System ersetzt, das jedoch reversibel in Metallschienen geführt ist und gleichzeitig auch noch verdeckte Stromschienen aufweist.
In den ehemaligen Depotbereichen, die nunmehr als Garderobe beziehungsweise als Book-Shop genutzt werden, beliess man jedoch die darin vorgefundene Untersicht der Betonkassetten, die sich als Rohbautatsächlich durch das gesamte Untergeschoss zieht. Verzichtet hat man allerdings auf die ursprünglichen Leuchtmittel, die etwa in diesen Kassetten, aber auch im gesamten Bau verwendet wurden. Stattdessen arbeitet man heute mit einer zeitgemässen LED-Beleuchtung. Sie dient im nicht unerheblichen Masse der Energieeinsparung und erlaubt zudem für Wechselausstellungen die Wahl anderer Lichtfarben als weiss.
Ursprüngliche Farbfassungen wiederhergestellt
Die Wiederherstellung der ursprünglichen Farbfassungen, insbesondere die Rekonstruktion des ultramatten, überhaupt nicht reflektierenden Schwarztons der Metallteile, war eine besondere Herausforderung. Dies lag unter anderem daran, dass man sich aus verständlichen Gründen nicht mehr der giftigen Ausgangsstoffe bedienen durfte, die man während der Erbauung sorglos eingesetzt hatte. Nunmehr gibt es jeweils eine Farbfassung für den Innen- und für den Aussenbereich. Farblich unterscheiden sie sich natürlich kaum, aber bauphysikalisch sind sie besser an die jeweiligen Anforderungen angepasst. In der Presseerklärung der Architekten findet sich der folgende Satz:
«Die Grundinstandsetzung hatte den Anspruch, dem Bauwerk in seiner ursprünglichen wie künftigen Nutzung als Kunstmuseum und Sonderausstellungsgebäude von internationalem Rang einen zweiten Lebensabschnitt von weiteren 40 bis 50 Jahren zu geben, indem ein an-gemessener Bauunterhalt ausreicht, um das Gebäude und den Betrieb zu sichern, ohne dass tiefgreifende oder strukturelle Veränderungen erforderlich werden.» Dies ist fürwahr gelungen!