Umweltfreundlich bauen mit Hanf?
Aus Nutzhanf lässt sich viel Brauchbares herstellen: Lebensmittel, Medikamente oder Kleider. Und aus Hanfschäben, dem Abfall, der bei der Herstellung dieser Produkte entsteht, auch ein Baumaterial: Hanfstein. Seine positiven Eigenschaften verblüffen nachhaltig.
Quelle: Archiv Baublatt
Industriehanf, Symbolbild.
Die Weltbevölkerung wächst ungebremst, und auch die Belastung der Umwelt nimmt weiter zu. Die Politik denkt und handelt aber vorwiegend im Sinne kurzfristiger, wirtschaftlicher Bilanzen, weshalb keine griffigen internationalen Klimaschutz-Abkommen möglich sind.
Doch gerade in der Wirtschaft selbst wächst die Einsicht, dass nachhaltige Lösungen gefragt sind, um das Leben auf dem Planeten lebenswert zu erhalten. Das gilt auch für die Baubranche: Diese muss für die wachsende Anzahl Menschen Häuser und Infrastrukturen bauen und erhalten, und sie muss neue Baupraktiken finden, da die konventionellen Methoden unhaltbar werden. Diese greifen auf problematische Materialien und Praktiken zurück, oder wie es der Wiener Architekt Dietmar Steiner formuliert: «Wir bauen den grössten Sondermüll der Baugeschichte.»
Spareffekt verpufft
Heutzutage ist es üblich, bei Neubauten mit vielen Schichten zu arbeiten, mit verschiedenen Materialien und Dehnungen. Daraus ergeben sich über kurz oder lang Schwachpunkte mit Kondenswasserbildung, Schimmel, Bakterien. Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Hauses in Europa beträgt etwa 30 Jahre, danach ist es Sondermüll, da sich unter anderem die einzelnen Schichten kaum mehr voneinander lösen lassen.
Und die Energie, die bei der Produktion und Entsorgung eines Gebäudes verbraucht wird, verursacht dabei weit mehr CO2-Ausstoss, als man in der Lebensdauer sparen kann. Deshalb werden alte Materialien und vergessene Techniken wiederentdeckt: Wir bauen vermehrt mit Holz, stellen Stahlersatz aus Bambusfasern her, dämmen Gebäude mit Stroh, Jute, Kokos oder Schafwolle und ersetzen energiefressende Klimaanlagen durch bioaktive Lehmputze. Auch Dämmstoffe aus Hanffasern sind bei uns auf dem Vormarsch (siehe Box «Hanf als Dämmstoff»).
Einstreu für Kleinnager
Bei der Gewinnung dieser Hanffasern bleiben die holzigen Anteile der Pflanze, die Schäben, übrig. Dieser wurde bisher meist als Einstreu für Meerschweinchen und Hamster genutzt. Der Südtiroler Bauberater Werner Schönthaler hat dieses scheinbare Abfallmaterial nun aber zu einem Baustoff entwickelt, indem er es mit Kalk kombiniert. Kalk kannten schon die alten Römer als langlebigstes aller Bindematerialien, und Hanf ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. «Durch sein schnelles Wachstum enthält der Hanf viel Silizium, was sich optimal mit dem Naturkalk verbindet, mineralisiert und so zu einem Stein wird.»
Schönthaler, dessen Familie seit 1964 ein Geschäft mit Baustoffen betreibt, musste drei Jahre lang probieren, mischen, Misserfolge erzielen und von vorne beginnen, bis er die richtige Mischung und Trocknung gefunden hatte, um die Bausteine produzieren zu können. Hierfür werden die Hanfschäben mit besonderen Naturkalken und Mineralien gemischt, in einer Ziegelmaschine in Formen gepresst und luftgetrocknet. Heraus kommen Hanfsteine in diversen Stärken, die nach einem Monat Trocknungszeit verbaut werden können. «Die Produktion benötigt zwar eine grosse Maschine, ist wegen der natürlichen Trocknung aber äusserst schonend für die Umwelt.»
Quelle: zvg
Bau eines Hauses mit Hanfsteinen im Südtirol: Das Material dämmt Temperatur und Schall, reguliert Feuchtigkeit und Klima, reinigt die Luft, hält Schimmel und Schädlinge fern – und sein Rohstoff lässt sich auf jedem Rübenacker anbauen.
Zwei Hektar für ein Haus
Das gilt auch für den Anbau der Pflanze selbst. «Hanf wächst wie Unkraut», weiss Werner Schönthaler, «rund 50 Mal schneller als Holz und auf einer Höhe bis 1900 Meter. Die Pflanze regeneriert den Boden, ist äusserst robust, braucht weder Dünger noch Pestizide. Und ein Feld von zwei Hektaren reicht, um daraus das Material für ein Haus zu gewinnen.»
Warum aber soll man überhaupt mit dem Hanfstein bauen, der mehr Kosten verursacht als herkömmliche Baustoffe? Zum einen verleiht die Hanffaser dem Baumaterial beeindruckende bauphysikalische Eigenschaften: Wer mit Hanfsteinen baut, kann auf jede Dämmung verzichten: Mit einer Mauerdicke von 40 Zentimetern erreicht man einen U-Wert von 0,18, was dem höchsten Klimahausstandard entspricht. Mit 45 Zentimetern erreicht man Passivhausstandard. Die Steine widerstehen zudem Temperaturen von über 650 Grad Celsius und sind schwer entflammbar. Auch Insekten oder Nagetiere beissen sich an ihnen die Kiefer und Zähne aus.
Weiter haben Hanfsteine die Eigenschaft, Wärme zu dämmen, zu speichern und zu reflektieren. «Dadurch bringen sie behagliche Wärme im Winter und Kühle im Sommer. Sie dämmen Schall und regulieren die Raumakustik. In der Wirkung auf die Raumluft sind Hanfsteine dem Lehm sehr ähnlich. Sie nehmen die Luftfeuchtigkeit auf, durch den hohen PH-Wert des Kalks wird die Luft gereinigt und desinfiziert und wieder an den Raum abgegeben.» Die Folge ist eine reine Raumluft mit Regulation der Luftfeuchtigkeit, bei der man sich behaglicher fühlt.
Quelle: zvg
Der Hanfstein in Nahaufnahme. Am Ende seiner Nutzung lässt sich der Baustoff auf denkbar einfache Weise rezyklieren: das Naturmaterial ist kompostierbar.
Natürliche Klimaanlage
Der Hanfstein neutralisiert des Weiteren Gerüche, und durch die Kondensationsenergie, also das Aufnehmen und Abgeben der Luftfeuchtigkeit, entsteht eine natürliche Klimaanlage, die imWinter Wärme und im Sommer Kühle freisetzt, ganz ohne den Einsatz von Energie und Technik.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Wiederverwertbarkeit des Materials: Hanfsteine können nicht nur kompostiert, sondern komplett als Baumaterial wiederverwendet werden, bilden also einen «Cradle to Cradle»-Kreislauf. Die Ökobilanz des Materials schliesslich ist atemberaubend: Berechnet man gemäss Norm alle Einflüsse von der Produktion bis zur Entsorgung akribisch, erzielt der Hanfstein eine CO²-Bilanz von minus 60 Prozent. Man spart mit dem Bau eines Hanfhauses also mehrere Tonnen Kohlendioxyd. Kommt der Hanf von einem naheliegenden Feld, verbessertsich die ohnehin sehr gute Ökobilanz des Baus noch einmal erheblich.
Was den Stein als Material interessant macht, denn die Normen und Labels gehen immer stärker in Richtung emissionsarmer und naturnaher Bauweise. So wird die EU mit den «Nearly zero-energy buildings» ab 2020 bei jedem Bau dieProduktion und Entsorgung der Materialien in die Ökobilanz einberechnen. In den skandinavischen Ländern ist dies heute vorgeschrieben. «Bauten mit Hanf-Kalk werden dem Anspruch heute schon gerecht», unterstreicht Werner Schönthaler.
Wiederentdeckung in Mitteleuropa
Neben der Südtiroler Firma haben auch andere den Hanf als Baumaterial wiederentdeckt. «In Frankreich wird seit rund 20 Jahren mit Hanfgebaut, in Belgien seit 15, in Zentralitalien seit etwa 10», weiss Schönthaler. «Und in Südeuropa wird sehr viel mit Hanf gebaut. Aber neue Materialien brauchen immer Zeit, bis sie von der Allgemeinheit angenommen werden.» Im Baugewerbe gehe man von zehn Jahren aus, bis etwas Neues angenommen wird. «Nach meiner Erfahrung dauert es im Berggebiet und in engen Tälern ein wenig länger.»
Doch es gibt schon jetzt eine Reihe von Vorzeige-Bauten mit Hanfstein. In Italien hat die «Casa di Luce» den «Green Building Award» gewonnen, im Südtirol hat der Biobauer Alexander Agethle ein bemerkenswertes Wohnhaus errichtet, in jener an Biobauern und sonstigen Öko-Pionieren reichen, aufmüpfigen Gemeinde Mals, die sich gegenden Willen der Landesregierung selbst das Gütesiegel «pestizidfrei» verliehen hat.
In der Schweiz wurde in Flims ein mit Hanf-Kalk saniertes Haus preisgekrönt (Siehe Box unten «Preis für Hanf-Kalk-Putz»). Dazu entsteht im Ferienort Flims derzeit eine Hanfbar: Der Südtiroler Bauplaner Roland Mall nutzt die nachhaltigen Steine für den Bau des «Café Lieto», dessen Bau letztes Frühjahr begann. Auf einem Fundament aus Beton verbaut man hier total acht Kubikmeter Ziegel.
Quelle: zvg
Befestigung der Hanfsteine mit herkömmlichen Wanddübel-Systemen: Das Vorzeigeobjekt «Café Lieto» in Flims.
Ein spezielles Projekt hat Schönthaler für den Sommer geplant: «Im Juli bauen wir mit Schweizer Freunden im Monviso Institute im Piemont ein Null-Kilometer-Haus: Hier kommt der Hanf vom Feld nebenan direkt in die Wände.» Das italienische Monviso Institute ist nach eigener Beschreibung ein Gebirgs-Labor «für Forschung, Lehre und Unternehmertum in Nachhaltigkeit, Transformationen und System-Design».
Schönthaler selbst hat in Südtiroler Dorf Tschengls den Hot Castelatsch mit Hanfsteinen gebaut und bewohnt ihn heute selbst. Hier hat er für einen weiteren Hanfrohstoff Verwertung gefunden: Er entwickelte eine eigene Kosmetiklinie, die auf der Verwendung von Hanföl basiert. Doch wie er zugibt, verbringt er viel zu wenig Zeit auf dem idyllischen Hof im Vinschgau:
Werner Schönthaler ist viel unterwegs, um für seinen nachhaltigen Baustoff Hanfstein zu werben, der direkt neben der Fabrik auf dem Acker wächst. Das rasche Umschwenken auf solche ökologische Techniken und Materialien ist für ihn eine dringende Notwendigkeit: «Wir müssen rasch umdenken und handeln. Und wir müssen uns wieder natürlichen Materialien und Abläufen zuwenden. Die Zukunft wird grün sein – oder sie wird nicht mehr sein!»
Hanf als Dämmstoff
Bereits seit längerem bekannt und erprobt ist Hanf als Dämmstoff. Hierfür werden indes die langen Hanffasern verwendet, welche auch zu Textilien und ähnlichen Produkten verarbeitet werden. Hanf ist hierbei einer von mehreren biologischen Rohstoffen, neben Jute, Schafwolle, Kork und Kokosfasern. Die mit Soda gegen Feuer und Schädlinge imprägnierten Hanffasern werden zu Vliesen gekämmt, unter Zugabe von zehn Prozent einer Stützfaser aus Maisstärke, und die Vliese übereinander gelegt, um die gewünschte Stärke der Dämmmatte zu erhalten. Hanf als Dämmstoff verfügt neben seiner eigentlichen isolierenden Funktion über eine Reihe weiterer positiver Eigenschaften, analog zum Hanfstein. (bk)
Preis für Hanf-Kalk-Putz
An einen felsigen Hügel geschmiegt, im Ortsteil Las Caglias im Engadiner Ferienort Flims Waldhaus, steht ein 1959 erbautes Apartmenthaus, dessen Sanierung mit Hanf und Kalk einen Preis errang. Antje Brückner und Ursula Raymann von der Zürcher Farbkanzlei GmbH kamen beim letztjährigen Appli-tech-Innovationswettbewerb «Farbe, Putz, Dämmung» mit ihrer Lösung auf den zweiten Rang.
Sie dämmten das Gebäude aussen mit einer acht Zentimeter starken Kalk-Hanf-Schicht als Dämmputz, der einen halben Meter tief in den Boden gezogen wurde. Dabei wurden die Hanffasern vor dem Verputzen genässt, so dass der Putz insgesamt genügend Flüssigkeit zur Carbonatisierung hat. Dieser chemische Prozess, mit dem Kohlendioxyd der Luft, verleiht der Fassade eine widerstandfähige Aussenhaut.
Weil die nassen Hanfschäben beim Austrocknen an Volumen verlieren, entsteht hinter dieser Schicht eine grosse Anzahl kleiner Lufträume. Diese erhöhen den Dämmwert der Fassade und verringern die Gefahr von Abplatzungen, wenn die Fasern nass werden und aufquellen. Insgesamt haben die Aussen- und Zwischenwände aus Hanf, Zement und Kalk nicht nur eine gute Dämmwirkung. Die Bauweise reguliert auch, ähnlich wie bei Schönthalers Hanfsteinen, Feuchtigkeit und Temperatur im Innern des Gebäudes: Selbst an den heissesten Sommertagen ist keine zusätzliche Kühlung erforderlich.
Die mineralische Einbindung der Hanfschäben verleiht den Hanf-Kalk-Baustoffen zudem ein günstiges Brandverhalten: Sie gelten als nicht brennbar. Daneben sind sie beständig gegenüber Ungeziefer und umweltverträglich, da die Herstellung aus überwiegend nachwachsenden Rohstoffen einen geringen Stoff-und Energieverbrauch von der Herstellung bis zum Rückbau erfordert. Und auch hier gilt: Das Material ist komplett rezyklierbar. (bk)