11:59 BAUPRAXIS

Handwerker in der Denkmalpflege: Auf den Spuren der Vergangenheit

Geschrieben von: Simone Matthieu
Teaserbild-Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH

Sein Herz schlägt für die Bautechnik der Vergangenheit. Mit grosser Sorgfalt und viel Leidenschaft versucht Thomas Neuweiler, historische Bauten in ihren Ursprungszustand zurückzuversetzen – von Überresten römischer Kastelle bis zu Schlössern, die heute noch bewohnt sind. Weil es keine Anleitungen für diese Arbeiten gibt, müssen Neuweiler und sein Team viel selbst austüfteln.

Römerkastell Irgenhausen

Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH

In den 1940er-Jahren saniert, mussten die Arbeiten am Römerkastell Irgenhausen rückgängig und historisch korrekt neu gemacht werden.

Er sitzt in der Werkstatt und Lagerhalle der T.Neuweiler GmbH in Oberwinterthur. Sein Markenzeichen, die schwarze Mütze, immer auf dem Kopf, natürlich im Bauarbeitertenu, ein wacher Blick durch die Brille mit den runden Gläsern. Das Baublatt kommt zu spät, liess sich vom Navi an die alte Adresse von Thomas Neuweilers Firma leiten. Zum Glück sind die beiden Standorte nur zehn Minuten Fussmarsch voneinander entfernt. Der zweifache Vater lacht: «Am alten Standort wohne ich jetzt.» In einer speziellen Durchmischung von Bewohnern: In dem Haus, das ihm gehört, haben er und sein Sohn Simon (38) je eine Wohnung für sich. Der Rest wird zimmerweise untervermietet. Hinzu kommen Gemeinschaftsräume, einer mit Küche. Die WG kocht gerne abends zusammen oder trifft sich zum Frühstück.

Neuweiler absolvierte eine Ausbildung zum Steinbildhauer EFZ. Danach half er seinem Vater aus. Ernst Neuweiler besass eine Firma für archäologische Untersuchungen und Bauanalysen. Seine Frau arbeitete im Keramikatelier des Landesmuseums und setzte historische Fundstücke zusammen. Woher Thomas Neuweilers Interesse an Historischem kommt, ist also nicht schwierig zu erraten. Um sich weiterzubilden, setzten sich Vater und Sohn zuweilen an der Universität in Vorlesungen über Archäologie – es würde sowieso keiner merken, ob da noch zwei weitere Nasen anwesend sind. So und mit anderen Kursen häuften sie ihr Wissen im Bereich Denkmalpflege und Archäologie an. Nachdem sein Vater verstorben war, gründete der Winterthurer 1986 eine Einzelfirma unter eigenem Namen und spezialisierte sich auf die Instandsetzung von Ruinen und baubiologische Umbauten. «Aufgrund der Auftragslage musste ich immer mehr Leute dazuholen.» Inzwischen ist die Firma eine GmbH und beschäftigt sechs Mann aus verschiedenen Baubereichen: Maurer, Steinmetze und Baubiologen. Alle haben sie zusätzlich den Fachausweis als eidgenössische Handwerker in der Denkmalpflege gemacht. «Toll ist, dass sie zudem alle im Zivildienst Trockenmauern erstellten – das ist schon fast ein Fachausweis.» Neben Neuweiler gehören seit 2018 drei weitere Mitarbeiter zur Geschäftsleitung. Dies wegen der Übergabe des Geschäfts zu Neuweilers baldiger Pensionierung. 

Falsche Materialien für alte Bauten

Neuweiler geht es darum, die Objekte der Auftragsarbeiten möglichst originalgetreu zu rekonstruieren. «Das Wichtigste dabei ist, dass es vor 1850 nur Kalk gab, um Mörtel herzustellen. All die Steine in römischen Bauten wurden original mit Kalk zusammengehalten.» Das Problem sei, dass Mitte bis Ende des letzten Jahrhunderts zwar denkmalgeschützte Gebäude oder Gemäuer «saniert» wurden. Aber: «Da wurden zement- und kunststoffhaltige Materialien verwendet.» Diese vertragen sich nicht mit den historischen Baumaterialien. «Der natürliche Wasserfluss, der durch Kalkmörtel gewährleistet ist, können die neuen Stoffe nicht wiedergeben.» Das heisst, irgendwann staut sich das Wasser, gefriert allenfalls im Winter und kann so die historische Bausubstanz beschädigen. «Wenn wir gerufen werden, dann weniger, weil die Römer etwas falsch gemacht haben, sondern eben die, die im letzten Jahrhundert mit falschen Materialien alte Bauten nachbesserten.» 

Römisches Kastell Thomas Neuweiler

Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH

Thomas Neuweiler begutachtet die Mauern des Römerkastells Irgenhausen.

Römisches Kastell

Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH

Die Fugen der Kastellmauern wurden mit einem hydraulischen Kalkmörtel neu verfugt.

Im Römerkastell Irgenhausen aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. wurde in «Nifeliarbeit» der zementhaltige, in den 1940er-Jahren aufgetragene Mörtel aus den Zwischenräumen der Steine herausgekratzt. Mit einem eigens entwickelten Mörtelgemisch retteten die Arbeiter die römischen Originalmauern, die nun mit dem frischen Kalk-Mörtel nahe an den ursprünglichen, historischen Bau herankommen. «Wasser hat an einem falsch sanierten historischen Bau das grösste Zerstörungspotential.» Er schätzt, dass rund ein Prozent der Bausumme in der Schweiz unter Denkmalschutz steht. Etwa die Hälfte ihrer Aufträge erhalten sie aus der öffentlichen Hand, die andere Hälfte von Privaten. «Diese Arbeit hat nicht viel gemein mit den modernen Baumethoden, man muss anders denken. Vielmehr geht es um die Auseinandersetzung mit dem alten Material, den ursprünglichen Oberflächen. Kreativität ist nicht gefragt, es gilt zu erreichen, was die vor 300 Jahren oder noch früher gebaut haben.»

Vorlesungen an der Universität

Leider gibt es kaum Vorgaben oder Dokumentationen, die die historischen Handwerker für ihre Arbeit zu Rate ziehen können. «Es existieren schon Bücher, gerade wenn es um Kalk geht. Aber: Es gibt so viele Kalk-Experten wie Fassaden, die sie restaurierten.» Deshalb mussten die Arbeiter von der T. Neuweiler GmbH selbst herausfinden, was funktioniert, sich an die richtigen Mischverhältnisse herantasten. «Man muss halt mal probieren. Es gab auch schon Projekte, die voll in die Hose gingen. Aber Fehler dürfen passieren.» Manchmal habe man den Eindruck, als würde man bei jedem Projekt neu anfangen. «Doch man bekommt mit der Zeit schon ein gutes Gefühl, was etwa gefragt ist, welche Stoffe passen. Wir können abschätzen, was es braucht. Teilweise arbeiten wir mit einem Labor zusammen, das historisches Material analysiert und uns Empfehlungen für Baustoffe gibt.»

Sanierung Schloss Mörsburg Winterthur

Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH

Die Sanierung des Schlosses Mörsburg bei Winterthur beinhaltete Arbeiten am Turm und den Ruinenmauern. Es ging dabei vor allem um den Erhalt und Restaurierung der historischen Bausubstanz.

Neuweilers Baufirma dokumentiert ihre Arbeit akribisch mit Fotos und Beschreibungen. Sie geben auch die Mischverhältnisse ihrer Mörtel preis und ganz allgemein, wie sie vorgegangen sind. «In fünfzig Jahren sollen spätere Generationen von Handwerkern auf das zurückgreifen können, was wir gemacht haben. Sonst geht unsere ganze Erfahrung, unser ganzes Wissen verloren. So ein Kompendium hätten wir auch gern gehabt», meint Neuweiler lachend.

Es gibt jedoch auch Fälle, bei denen die Interessen auseinandergehen: «Die Denkmalpflege strebt an, dass möglichst viel historische Substanz und Oberflächen erhalten bleiben. Der Bauherr hingegen entscheidet, wie viel Zeit und Geld dafür zur Verfügung steht und da wird manchmal geknausert.» Wenn Neuweiler und sein Team als Spezialisten hinzugezogen werden, gehen sie davon aus, dass erwartet wird, die denkmalpflegerischen Anforderungen zu erfüllen. «Manchmal gibt es zwar Vorgaben von der Denkmalpflege, diese sind allerdings nicht immer präzise formuliert.» Vieles hängt davon ab, ob der Architekt eine ähnliche Wertschätzung wie Neuweiler für historisches Bauen hat. «Doch wenn der Bauherr einschreitet, muss man halt gelegentlich auf ein Detail verzichten.»

Archäologische Schätze

Ein Höhepunkt ist für Neuweiler, wenn er bei historischen Bauten archäologische «Schätze» findet. «Meine Augen sind völlig auf grün eingestellt, denn die meisten Metallsachen aus der damaligen Zeit haben sich über die vielen Jahre grün gefärbt.» Bei den Restaurierungen des Erdmannliloch in Bachs ZH fand er, als er mit der feinen Mörtelkelle am Eingang schabte, eine Tonscherbe. Bei der Analyse stellte sich heraus, dass die Scherbe zu einem Wassergefäss aus dem Mittelalter gehörte, mit dem die Gäste beim Eintreten ihre Hände wuschen. Beim Erneuern der Fassade des «Haus zum Sonnenberg» (1756) in der Winterthurer Altstadt kamen unter dem entfernten Putz Malereien hervor. Zuerst wollte man sie farblich auffrischen, entschied dann aber, alle Malereien ohne Rekonstruktionen zu zeigen. Zu Neuweilers schönsten Arbeiten zählt die Restaurierung der ganzen Fassade des Schlosses Mörsburg (um 1194) in Winterthur. «Das war unser erster richtig grosser Auftrag. Und da der gesamte Aussenputz der Burg stark verwittert war, auch eine echte Herausforderung.» – Neuweilers zweites Standbein sind baubiologische Umbauten. «Das ergänzt sich gut mit der historischen Arbeit: Man darf auch hier keine künstlichen Zusätze verwenden. Wir fertigen Böden, Wände und Decken nur mit Kalk und Sand.»

Thomas Neuweiler vor seiner Werkstatt in Oberwinterthur

Quelle: Simone Matthieu

Thomas Neuweiler möchte irgendwann ein ganzes Gebäude von A bis Z umbauen.

Ein Traum, den er sich noch erfüllen möchte, ist, ein ganzes Gebäude von A bis Z umzubauen. «Ich würde gern all die Erfahrungen, die ich in den letzten 40 Jahren gesammelt habe, einsetzen. Und selbst entscheiden, wie ein Raum gestaltet wird.» Etwas, das in diese Richtung geht, wird vielleicht noch dieses Jahr realisiert: Die Handwerker sollen ein altes Schützenhaus bewohnbar machen. «Ich kenne den Architekten, der das baubiologisch ausgeführt haben will. Er sagte mir: Du kannst bei meinen Altbauten jederzeit etwas ausprobieren.» Es sei schön, wenn einem so viel zugetraut werde. Und erfüllend, eigene Spuren und Erfolge an einem Bau zu hinterlassen. 63 Jahre alt ist Thomas Neuweiler mittlerweile. Er will mit 65 in Pension gehen. «Vielleicht klinke ich mich dann aber doch noch in das eine oder andere spannende Projekt ein.» 

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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