Handwerker in der Denkmalpflege: Auf den Spuren der Vergangenheit
Sein Herz schlägt für die Bautechnik der Vergangenheit. Mit grosser Sorgfalt und viel Leidenschaft versucht Thomas Neuweiler, historische Bauten in ihren Ursprungszustand zurückzuversetzen – von Überresten römischer Kastelle bis zu Schlössern, die heute noch bewohnt sind. Weil es keine Anleitungen für diese Arbeiten gibt, müssen Neuweiler und sein Team viel selbst austüfteln.
Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH
In den 1940er-Jahren saniert, mussten die Arbeiten am Römerkastell Irgenhausen rückgängig und historisch korrekt neu gemacht werden.
Er sitzt in der Werkstatt und Lagerhalle der T. Neuweiler GmbH in
Oberwinterthur. Sein Markenzeichen, die schwarze Mütze,
immer auf dem Kopf, natürlich im Bauarbeitertenu, ein wacher
Blick durch die Brille mit den runden Gläsern. Das
Baublatt kommt zu spät, liess sich vom Navi an die alte
Adresse von Thomas Neuweilers Firma leiten. Zum Glück sind
die beiden Standorte nur zehn Minuten Fussmarsch voneinander entfernt. Der
zweifache Vater lacht: «Am alten Standort wohne ich jetzt.» In einer speziellen Durchmischung von Bewohnern: In dem Haus,
das ihm gehört, haben er und sein Sohn Simon (38) je eine Wohnung für sich. Der
Rest wird zimmerweise untervermietet. Hinzu kommen Gemeinschaftsräume, einer
mit Küche. Die WG kocht gerne abends zusammen oder trifft sich zum Frühstück.
Neuweiler absolvierte eine Ausbildung zum Steinbildhauer
EFZ. Danach half er seinem Vater aus. Ernst Neuweiler besass eine Firma für
archäologische Untersuchungen und Bauanalysen. Seine Frau arbeitete im
Keramikatelier des Landesmuseums und setzte historische Fundstücke zusammen.
Woher Thomas Neuweilers Interesse an Historischem kommt, ist also nicht
schwierig zu erraten. Um sich weiterzubilden, setzten sich Vater und Sohn
zuweilen an der Universität in Vorlesungen über Archäologie – es würde sowieso
keiner merken, ob da noch zwei weitere Nasen anwesend sind. So und mit anderen
Kursen häuften sie ihr Wissen im Bereich Denkmalpflege und Archäologie an.
Nachdem sein Vater verstorben war, gründete der Winterthurer 1986 eine
Einzelfirma unter eigenem Namen und spezialisierte sich auf die Instandsetzung
von Ruinen und baubiologische Umbauten. «Aufgrund der Auftragslage musste ich
immer mehr Leute dazuholen.» Inzwischen ist die Firma eine GmbH und beschäftigt
sechs Mann aus verschiedenen Baubereichen: Maurer, Steinmetze und Baubiologen.
Alle haben sie zusätzlich den Fachausweis als eidgenössische Handwerker in der
Denkmalpflege gemacht. «Toll ist, dass sie zudem alle im Zivildienst
Trockenmauern erstellten – das ist schon fast ein Fachausweis.» Neben Neuweiler
gehören seit 2018 drei weitere Mitarbeiter zur Geschäftsleitung. Dies wegen der
Übergabe des Geschäfts zu Neuweilers baldiger Pensionierung.
Falsche Materialien für alte Bauten
Neuweiler geht es darum, die Objekte der Auftragsarbeiten
möglichst originalgetreu zu rekonstruieren. «Das Wichtigste dabei ist, dass es
vor 1850 nur Kalk gab, um Mörtel herzustellen. All die Steine in römischen
Bauten wurden original mit Kalk zusammengehalten.» Das Problem sei, dass Mitte
bis Ende des letzten Jahrhunderts zwar denkmalgeschützte Gebäude oder Gemäuer
«saniert» wurden. Aber: «Da wurden zement- und kunststoffhaltige Materialien
verwendet.» Diese vertragen sich nicht mit den historischen Baumaterialien.
«Der natürliche Wasserfluss, der durch Kalkmörtel gewährleistet ist, können die
neuen Stoffe nicht wiedergeben.» Das heisst, irgendwann staut sich das Wasser,
gefriert allenfalls im Winter und kann so die historische Bausubstanz
beschädigen. «Wenn wir gerufen werden, dann weniger, weil die Römer etwas
falsch gemacht haben, sondern eben die, die im letzten Jahrhundert mit falschen
Materialien alte Bauten nachbesserten.»
Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH
Thomas Neuweiler begutachtet die Mauern des Römerkastells Irgenhausen.
Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH
Die Fugen der Kastellmauern wurden mit einem hydraulischen Kalkmörtel neu verfugt.
Im Römerkastell Irgenhausen aus dem vierten Jahrhundert n.
Chr. wurde in «Nifeliarbeit» der zementhaltige, in den 1940er-Jahren
aufgetragene Mörtel aus den Zwischenräumen der Steine herausgekratzt. Mit einem
eigens entwickelten Mörtelgemisch retteten die Arbeiter die römischen
Originalmauern, die nun mit dem frischen Kalk-Mörtel nahe an den
ursprünglichen, historischen Bau herankommen. «Wasser hat an einem falsch
sanierten historischen Bau das grösste Zerstörungspotential.» Er schätzt, dass
rund ein Prozent der Bausumme in der Schweiz unter Denkmalschutz steht. Etwa
die Hälfte ihrer Aufträge erhalten sie aus der öffentlichen Hand, die andere
Hälfte von Privaten. «Diese Arbeit hat nicht viel gemein mit den modernen
Baumethoden, man muss anders denken. Vielmehr geht es um die Auseinandersetzung
mit dem alten Material, den ursprünglichen Oberflächen. Kreativität ist nicht
gefragt, es gilt zu erreichen, was die vor 300 Jahren oder noch früher gebaut
haben.»
Vorlesungen an der Universität
Leider gibt es kaum Vorgaben oder Dokumentationen, die die
historischen Handwerker für ihre Arbeit zu Rate ziehen können. «Es existieren
schon Bücher, gerade wenn es um Kalk geht. Aber: Es gibt so viele Kalk-Experten
wie Fassaden, die sie restaurierten.» Deshalb mussten die Arbeiter von der T.
Neuweiler GmbH selbst herausfinden, was funktioniert, sich an die richtigen
Mischverhältnisse herantasten. «Man muss halt mal probieren. Es gab auch schon
Projekte, die voll in die Hose gingen. Aber Fehler dürfen passieren.» Manchmal
habe man den Eindruck, als würde man bei jedem Projekt neu anfangen. «Doch man
bekommt mit der Zeit schon ein gutes Gefühl, was etwa gefragt ist, welche
Stoffe passen. Wir können abschätzen, was es braucht. Teilweise arbeiten wir
mit einem Labor zusammen, das historisches Material analysiert und uns
Empfehlungen für Baustoffe gibt.»
Quelle: Fernando Hilber / T. Neuweiler GmbH
Die Sanierung des Schlosses Mörsburg bei Winterthur beinhaltete Arbeiten am Turm und den Ruinenmauern. Es ging dabei vor allem um den Erhalt und Restaurierung der historischen Bausubstanz.
Neuweilers Baufirma dokumentiert ihre Arbeit akribisch mit
Fotos und Beschreibungen. Sie geben auch die Mischverhältnisse ihrer Mörtel
preis und ganz allgemein, wie sie vorgegangen sind. «In fünfzig Jahren sollen
spätere Generationen von Handwerkern auf das zurückgreifen können, was wir
gemacht haben. Sonst geht unsere ganze Erfahrung, unser ganzes Wissen verloren.
So ein Kompendium hätten wir auch gern gehabt», meint Neuweiler lachend.
Es gibt jedoch auch Fälle, bei denen die Interessen
auseinandergehen: «Die Denkmalpflege strebt an, dass möglichst viel historische
Substanz und Oberflächen erhalten bleiben. Der Bauherr hingegen entscheidet,
wie viel Zeit und Geld dafür zur Verfügung steht und da wird manchmal
geknausert.» Wenn Neuweiler und sein Team als Spezialisten hinzugezogen werden,
gehen sie davon aus, dass erwartet wird, die denkmalpflegerischen Anforderungen
zu erfüllen. «Manchmal gibt es zwar Vorgaben von der Denkmalpflege, diese sind
allerdings nicht immer präzise formuliert.» Vieles hängt davon ab, ob der
Architekt eine ähnliche Wertschätzung wie Neuweiler für historisches Bauen hat.
«Doch wenn der Bauherr einschreitet, muss man halt gelegentlich auf ein Detail
verzichten.»
Archäologische Schätze
Ein Höhepunkt ist für Neuweiler, wenn er bei historischen Bauten archäologische «Schätze» findet. «Meine Augen sind völlig auf grün eingestellt, denn die meisten Metallsachen aus der damaligen Zeit haben sich über die vielen Jahre grün gefärbt.» Bei den Restaurierungen des Erdmannliloch in Bachs ZH fand er, als er mit der feinen Mörtelkelle am Eingang schabte, eine Tonscherbe. Bei der Analyse stellte sich heraus, dass die Scherbe zu einem Wassergefäss aus dem Mittelalter gehörte, mit dem die Gäste beim Eintreten ihre Hände wuschen. Beim Erneuern der Fassade des «Haus zum Sonnenberg» (1756) in der Winterthurer Altstadt kamen unter dem entfernten Putz Malereien hervor. Zuerst wollte man sie farblich auffrischen, entschied dann aber, alle Malereien ohne Rekonstruktionen zu zeigen. Zu Neuweilers schönsten Arbeiten zählt die Restaurierung der ganzen Fassade des Schlosses Mörsburg (um 1194) in Winterthur. «Das war unser erster richtig grosser Auftrag. Und da der gesamte Aussenputz der Burg stark verwittert war, auch eine echte Herausforderung.» – Neuweilers zweites Standbein sind baubiologische Umbauten. «Das ergänzt sich gut mit der historischen Arbeit: Man darf auch hier keine künstlichen Zusätze verwenden. Wir fertigen Böden, Wände und Decken nur mit Kalk und Sand.»
Quelle: Simone Matthieu
Thomas Neuweiler möchte irgendwann ein ganzes Gebäude von A bis Z umbauen.
Ein Traum, den er sich noch erfüllen möchte, ist, ein ganzes Gebäude von A bis Z umzubauen. «Ich würde gern all die Erfahrungen, die ich in den letzten 40 Jahren gesammelt habe, einsetzen. Und selbst entscheiden, wie ein Raum gestaltet wird.» Etwas, das in diese Richtung geht, wird vielleicht noch dieses Jahr realisiert: Die Handwerker sollen ein altes Schützenhaus bewohnbar machen. «Ich kenne den Architekten, der das baubiologisch ausgeführt haben will. Er sagte mir: Du kannst bei meinen Altbauten jederzeit etwas ausprobieren.» Es sei schön, wenn einem so viel zugetraut werde. Und erfüllend, eigene Spuren und Erfolge an einem Bau zu hinterlassen. 63 Jahre alt ist Thomas Neuweiler mittlerweile. Er will mit 65 in Pension gehen. «Vielleicht klinke ich mich dann aber doch noch in das eine oder andere spannende Projekt ein.»