Handwerk: Historische Details im Sandgussverfahren hergestellt
Historische Bausubstanz zu erhalten, ist derzeit ein oft gehörtes Credo von Bauherren und Architekten. Und zwar nicht nur die grossen Elemente wie Fassaden oder Farben, sondern auch die Details – zum Beispiel Türdrücker. In diesem Nischenbereich, also bei auf Auftrag gestalteten und gegossenen Beschlägen in Kleinserien oder Unikaten, ist die Manufaktur Glutz wortwörtlich am Drücker. Ein Werkstattbesuch im Jubiläumsjahr des 160 Jahre alten Traditionsunternehmens.
Quelle: Glutz
Löwenkopfdrücker und Rosette als Modell und in einem alten Glutz-Katalog.
Das Industriegelände am Bahnhof Solothurn-West hat sich über die Jahrzehnte stetig ausgedehnt und grenzt heute ans Wohngebiet. Während im Industrieunternehmen Fliessbandarbeit und Hightech angesagt sind, spielen in einem der Gebäude des riesigen Areals Handwerk und altes Werkzeug die Hauptrolle.
Die Manufaktur ist mit sechs Mitarbeitenden ein Winzling im
Vergleich zum industriellen Unternehmensbereich mit insgesamt 300 Beschäftigten.
Aber sie ist ein wichtiger Zeuge der Firmengeschichte und was hier entsteht,
ist sozusagen der Ursprung des modernen Sortiments an Türgriffen, das bei Glutz
industriell produziert wird.
In der Manufaktur werden nach alten Modellen oder
neuen Vorlagen Drücker im Sandgussverfahren handwerklich hergestellt,
vorwiegend aus Bronze oder Messing. Die Nachfrage wächst, gerade bei Umbauten
von denkmalgeschützten Gebäuden wollen Bauherren und Architekten immer öfter Türdrücker,
die perfekt auf das Bauobjekt zugeschnitten sind.
Quelle: Glutz
Für das nach historischem Vorbild sanierten Schloss Schadau entwickelte die Glutz-Manufaktur mit den Architekten Suter + Partner auf das Objekt zugeschnittene Türdrücker und Oliven.
Quelle: Glutz
Die Türgriffe bei den Hotelzimmern haben Holzhülsen, jene in den anderen Bereichen sind in einer goldschimmernden Metallversion ausgeführt.
Eselsköpfe und Oliven
Das Stadtcasino Basel wurde zwischen 2012 bis 2016 von Herzog & de Meuron
renoviert und weitmöglichst dem ursprünglichen Baustil angeglichen. Dazu gehörte
eine Farbgestaltung und im Musiksaal eine Bestuhlung nach historischem Vorbild,
die Erneuerung des Bodens und zahlreiche weitere Eingriffe. Bei den Türgriffen
fanden die Architekten auch nach intensiver Recherche nichts Passendes, weshalb
sie selbst einen Entwurf fertigten, aufgrund dessen dann die Glutz-Manufaktur
eine Kleinserie der Türdrücker produzierte.
Ein weiteres Beispiel befindet sich im Neubau des Kunsthaus Zürich. Der Türgriff zum Eingang der Bührle-Sammlung hat die Form eines Eselskopfs. Das Objekt aus Bronze ist selbst ein kleines Kunstwerk, das wahrscheinlich dem Blick der meisten Museumsbesucher entgeht. Schade eigentlich, denn das von einem Künstler entworfene Objekt ist eine kleine, augenzwinkernde Reverenz an die Sponsorin Hortense Anda-Bührle (1926-2014), die ein grosse Eselfreundin war.
Ein weiteres Umbauprojekt mit denkmalpflegerischem Hintergrund ist das Schloss Schadau am Thunersee, das 1850 als private Sommerresident erbaut wurde und seit 1925 im Besitz der Stadt Thun ist. Als eines der bedeutendsten Werke des romantischen Historismus in der Schweiz stellt das Schloss Schadau ein Kulturgut von nationaler Bedeutung dar. Für den Umbau wurde das Architekturbüro Suter + Partner in Bern beauftragt, das viel Erfahrung im Bereich Renovierung und Restaurierung hat.
Das Ziel der Bauherrschaft war, das Gebäude zu einem ganzheitlichen Restaurant- und Hotelbetrieb umzubauen und das baukulturelle Erbe so weit wie möglich zu erhalten beziehungsweise wieder herzustellen. Eine Untersuchung ergab, dass praktisch die komplette feste Innenausstattung aus der originalen Bauzeit erhalten war, etwa die Fenster, Türen, Knietäfer oder Bodenbeläge. Und die Elemente, die zerstört oder stark beschädigt waren, sollten nach historischem Vorbild erneuert werden, darunter die Türdrücker und Fensteroliven.
«Wir haben viele Kataloge gewälzt und Muster bestellt, konnten aber nichts Passendes finden», erzählt Marco Blaser, Architekt bei Suter + Partner. Die Lösung fand er schliesslich nach einem Besuch der Glutz-Manufaktur, die in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro einen Drücker nach bauzeitlichen Vorbildern entwarf, ein Modell baute, aufgrund dessen schliesslich der Guss folgte.
Bei den Hotelzimmern haben die Türgriffe eine Holzhülse, im Backoffice kam die goldschimmernde Metallversion zum Einsatz. Dieses und die anderen genannten Projekte wurden an einem Fachanlass der Baumuster-Centrale im vergangenen Oktober vorgestellt. Dort konnten die Interessierten auch eine kleine Auswahl an historischen Türgriffen bestaunen und berühren, die im Gebäude der Glutz-Manufaktur lagern.
Glut und Glanz
Die Manufaktur selbst ist wie eine Zeitkapsel, in der das alte Handwerk des Giessens nach alter Manier gepflegt wird. Ein traditioneller Schmelzofen, alte Werkbänke, ein Lager mit Hunderten Drückermodellen, aber auch ein 3D-Drucker und Computer finden sich im Reich von Florian Kaufmann, seit zwei Jahren Leiter der Glutz-Manufaktur. Der erste Blick nach dem Eintreten fällt auf eine Zeile Kuhglocken.
«Das sind keine Touristenglocken, sondern solche mit dem ton juste», präzisiert Kaufmann. Das heisst, es sind Glocken, deren Klänge präzis gesetzt und aufeinander abgestimmt sind und für Bauern gefertigt werden, deren Kühe auf den Weiden für harmonische Klänge sorgen. An der Wand vis-à-vis überblickt die Heilige Barbara den Raum – sie ist auch die Schutzheilige der Giesser.
In der Manufaktur wird mehrmals pro Woche gegossen. Das Metall wird in einem Tiegel bei 1200° bis 1400° Celsius geschmolzen. «So können wir das Potenzial des Tiegels ausschöpfen, in dem wir bis 50 kg Metall schmelzen können», erläutert Kaufmann. Und er fügt an, dass bei den Giesstagen der Glocken traditionellerweise auch der Mondstand berücksichtigt würde.
Unter den sechs Mitarbeitenden sind Vertreter diverser Handwerkskünste wie Modellbauer, Formenbauer, Giesstechnologen und Polytechniker sowie eine Projektleiterin zur Abklärung aller wichtigen Details, von der Gestaltung bis zu den technischen Anforderungen. Ein Lehrling komplettiert das kleine Team, womit auch das Weiterbestehen des Know-hows gesichert werden soll.
Für einen Bronze- oder Messingdrücker braucht es zuerst eine Skizze und dann ein 3D-Modell. Dieses kann aus Holz geschnitzt oder anderen Materialien bestehen, sogar aus Fimoknete, wichtig ist allein, dass das Modell dem Stampfen beim Formenbau standhalten kann. Dieses wird dann in Formfeinstsand, einem Gemisch aus Sand und Öl, festgestampft. Danach wird das Modell entfernt und die Negativform im Sand ausgegossen. Schliesslich kommt der Rohguss zunächst in die mechanische Werkstatt, wo die Teile passgenau bearbeitet werden und zuletzt in die Oberflächenbearbeitung, die vom Polieren, Mattieren und Vernickeln in matt und glänz bis zum Brünieren und Patinieren reicht.
Abfall gibt es praktisch nicht in der Glutz-Manufaktur: Ein grosser Teil des Sandes kann wieder verwendet, das Metall neu eingeschmolzen werden. Die Manufaktur folgt immer noch demselben handwerklichen Herstellungsprozess wie einst, und trifft gleichzeitig ein äusserst zeitgemässes Leitmotiv: abfallschonende Produktion im Sinne der Kreislaufwirtschaft.
«Wir bieten Lösungen, wo es keine zu geben scheint»
Quelle: Glutz
Florian Kaufmann ist Leiter der Glutz-Manufaktur, hier im Museumsbereich über der Werkstatt.
Florian Kaufmann begann seine berufliche Laufbahn mit einer Schreinerlehre und einem anschliessenden Industriedesignstudium. Danach hatte er diverse Stellen im Bereich Innenarchitektur und kam schliesslich als Product Manager zu Glutz, bevor er die Leitung der Manufaktur übernahm.
Herr Kaufmann, welchen Stellenwert hatte die
Manufaktur, als Sie Ihre Arbeit aufnahmen?
Man kann sagen, die Manufaktur befand sich in
einem Dornröschenschlaf. Obwohl der Stellenwert der Manufaktur hoch war und die
Eigentümerfamilie diese erhalten wollte, wurde der Bereich gegen innen wie auch
nach aussen noch zu wenig wahrgenommen. Das konnten wir inzwischen etwas ändern.
Was war Ihre Vision, als Sie begannen?
Ich hatte mich mit einem Strategiepapier auf
die Stelle beworben. Darin wollte ich Antworten geben auf die Frage, wie man
die Manufaktur am Markt gewinnbringend positionieren kann. Glutz ist ja nach
wie vor ein Familienunternehmen, und die Besitzer legen grossen Wert darauf,
den Stellenwert der Manufaktur hochzuhalten, denn obwohl Glutz längst ein
industrieller Betrieb ist, ist die Manufaktur ein wichtiger Bestandteil der
Unternehmensgeschichte. Mein Ziel ist es, die Manufaktur zu einem
Kompetenzzentrum für Messing- und Bronzeguss zu machen. Dafür braucht es viel
Kommunikationsarbeit.
Sie meinen zum Beispiel auch den Anlass
«Schlossgeschichte, greifbar» in der Baumuster-Centrale im vergangenen Oktober?
Genau. Es nahmen rund 120 Fachleute,
mehrheitlich Architekten, teil. Das zeigt, wie gross das Interesse an diesem
Thema ist.
Wenn Sie die wichtigste Botschaft bzw.
Spezialität der Manufaktur nennen müssten, welche wäre das?
Unsere Spezialität ist es, die
denkmalpflegerische Optik von Beschlägen sowie individuelle Wünsche ab
Stückzahl eins mit den modernsten technischen Features zu verbinden. Das
heisst, wir können historische Türbeschläge im traditionellen Verfahren
herstellen und diese für modernste Anwendungen einsetzbar machen wie zum
Beispiel für Flucht- und Brandschutztüren oder elektronische Zutrittsysteme.
Diese Kombination macht die Glutz-Manufaktur absolut einzigartig.
Wie steht es mit den Normen?
Es ist ein Vorteil, dass wir Teil des
Industrieunternehmens Glutz sind, wo die Fragen um Normen Alltag sind und es
auch eine eigene Entwicklungsabteilung mit Prüflabor gibt.
Der Betrieb giesst auch Glocken und
kunsthandwerkliche Objekte. Wie gross ist der Anteil an Beschlägen auf
Bauherrenwunsch und warum entscheiden sich die Auftraggeber für individuelle
Modelle statt für Modelle aus dem bestehenden Glutz-Sortiment?
Das Verhältnis ist etwa 50:50. Die Bauherren,
die zu uns kommen, haben auf dem Markt nichts gefunden, das ihren Vorstellungen
entspricht. Es sind vorwiegend Projekte mit denkmalpflegerischem oder
künstlerischem Hintergrund, aber wir produzieren auch moderne Entwürfe.
Grundsätzlich bieten wir Lösungen, wo es keine zu geben scheint.
Woher kommen die Vorlagen bzw. Entwürfe für
solche Sonderaufträge?
Das ist unterschiedlich. Wir haben ein Lager
mit 12'000 historischen Modellen. Für den Bereich Denkmalpflege kommen vor
allem diese Entwürfe zum Einsatz. Manchmal macht ein Künstler ein Modell, so
wie das beim Bronze-Türgriff für das Kunsthaus Zürich der Fall war. Die
Türgriffe im Stadtkasino Basel hingegen basieren auf einem Entwurf der
Architekten von Herzog & de Meuron. Oder aber wir entwickeln inhouse ein
Design für die Bauherren. Wir produzieren nicht nur, wir bieten Lösungen an,
die auf unserem enormem Wissen im Bereich Beschläge basieren.
160 Jahre Glutz
Quelle: Glutz
Beschläge aus vergangenen Zeiten im kleinen Glutz-Museum über der Werkstatt.
Rosetten, Schilder, Buntbartgarnituren, Löwenkopf-Türklopfer:
Allein die Wörter klingen wie Exoten aus der Vergangenheit. Solche Objekte,
aber auch Bügeleisen, alte Verträge, 100-jährige Kataloge oder Werbebroschüren
gehören zum Fundus der Museumsräume eine Etage über der Glutz-Manufaktur. Und
natürlich die 12’000 Objekte umfassende Sammlung an Türdrückern aus diversen
Stilepochen, vorwiegend aus dem Historismus. Sie alle zeigen die spannende,
bewegte Historie des Familienunternehmens Glutz auf, das 1863 gegründet wurde
und bis heute Industriegeschichte schreibt.
Bereits zu Beginn der industriellen
Revolution im 19. Jahrhundert machte sich der Gründer Viktor Glutz-Blotzheim
die Dampfmaschine zu Nutze, um in der neu erbauten Fabrik in Solothurn
Schlösser und Beschläge von hoher Qualität zu fertigen. Die Produkte fanden
Anklang beim nationalen und internationalen Publikum. Die Nachfolgegenerationen
bewiesen ebenfalls Pioniergeist und erkannten, dass umfassende Produktangebote
rund um die Tür gefragt waren.
Mit dem Zeitgeist gehen, war stets ein Thema bei Glutz. So gehören heute neben mechanischen Schlössern und Beschlägen auch elektronische Zugangssysteme, die mit Batch oder Smartphone gesteuert werden, zum Sortiment. Trotz Industrialisierung und Digitalisierung: Die Manufaktur hat nach wie vor einen wichtigen Stellenwert, denn sie verweist auf die Anfänge der Unternehmensgeschichte. Und sie ist auch eine Art lebendiges Museum, denn Manufaktur und Sammlung können auf Anfrage besucht werden. Sie sind offiziell im Solothurner Museumsregister gelistet. (ka)
Quelle: Glutz
Rund 12’000 historische Objekte lagern in oberhalb der Manufaktur. Hier finden Bauherren, die das Spezielle suchen, eine grosse Auswahl an Modellen vorwiegend aus der Zeit des Historismus.