Gottfried Böhm, der Boss des Sakralbaus
Gottfried Böhm entwarf über 60 Kirchen in 20 Jahren und war der erste deutsche Architekt, der den Pritzker-Preis gewann. Am Mittwoch ist er im Alter von 101 Jahren gestorben. Aus aktuellem Anlass ein Porträt über den Meister, das im Baublatt anlässlich seines 100. Geburtstags erschienen ist.
Quelle: Christian Schaulin
Gottfried Böhm ist nicht nur dank des Pritzker-Preises einer der ganz Grossen der deutschen Architektur.
Artikel vom 23. Juli 2020 / aktualisiert am 10. Juni 2021
«Dieser Preis garantiert nicht Unsterblichkeit. Aber er
symbolisiert die Bewunderung für das Selbstbewusstsein, mit dem Böhm neue Werke
in Vorhandenes einfügt und somit Vergangenheit und Zukunft verbindet», hiess es
in der Laudatio, als Gottfried Böhm 1986 der renommierte Pritzker-Preis
verliehen wurde, und noch heute trifft sie in vieler Hinsicht den Nagel auf den
Kopf.
Denn unsterblich ist natürlich auch Gottfried Böhm nicht.
Trotzdem wurde er im Januar dieses Jahres bereits 100 Jahre alt. Und
tatsächlich verstand und versteht Böhm es wie kein anderer Architekt, die
Vergangenheit und die Zukunft zu verbinden, was nicht nur Werke wie das Rathaus
Bensberg zeigen, sondern schlicht der Fakt, dass der Vater bereits ein
berühmter Architekt war und nun drei seiner vier Söhne.
Schon früh war also Gottfried Böhms Weg vorbestimmt. Trotzdem entschied er sich, als er 1942 als 22-Jähriger verletzt vom Russland-Feldzug nach Hause kam, parallel zu der Architektur auch Bilderhauerei an der TU München zu studieren. Laut eigenen Aussagen hatte er Angst, den Ansprüchen des Vaters nicht zu genügen, der zu jener Zeit bereits ein gefragter Kirchenbauer war. Geschadet hat das Studium der Bilderhauerei aus heutiger Perspektive nicht. Denn auch wenn Gottfried Böhm 1947 nach Köln zurückkehrte, um sich fortan gemeinsam mit Vater Dominikus dem Sakralbau und somit der Architektur zu widmen, sollte ihn das Skulpturale ein Leben lang begleiten.
Quelle: CC BY Ocrho
Das Rathaus Bensberg zeigt exemplarisch Böhms Geschick, Altes mit Neuem zu verbinden.
Gegenpol zur NS-Architektur
Köln war damals eine vom zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt.
«Die Nachkriegszeit in Köln hatte auch was Schönes. Da haben die Schotterberge
herrlich geblüht. Es war so eine Bergwelt», erinnert sich Gottfried Böhm im
Dokumentarfilm «Die Böhms – Architektur einer Familie». Sinnigerweise trug auch
sein erster Auftrag, den er alleine ausführen konnte, den Namen «Madonna in den
Trümmern». Denn Böhm fand ihn den Ruinen der St. Kolumba-Kirche eine noch
intakte Madonnenstatue und baute um sie herum eine kleine Kapelle.
Heute ist die Kapelle in das Kunstmuseum Kolumba integriert,
das übrigens mit Peter Zumthor einer der zwei Schweizer Pritzker-Preisträger
erbaute. Nicht nur zur Freude von Böhm übrigens. Denn das Licht scheint seit
dem Neubau 2007 nicht mehr gleich durch die Fenster der Kapelle.
Das Licht ist aber ein zentrales Element in Böhms Schaffen,
genauso wie der Sakralbau. Bis Mitte der 60er-Jahre entwarf Böhm über 60
Kirchen. Anfänglich oft gemeinsam mit Vater Dominikus, bis dieser 1955 starb.
Dabei kam meist Beton zum Einsatz, der Böhm insbesondere deshalb faszinierte,
weil damit leichtere Konstruktionen möglich waren. So waren mit Beton keine
dicken Wände und Säulen mehr vonnöten, und ausserdem konnte man Decken hängend
spannen.
Mit der von ihm entwickelten und immer wieder neu
interpretierten «Gewebedecke», einer Weiterentwicklung der bereits von seinem
Vater verwendeten Rabitzschalen, konnte er grosse Strecken überbrücken, was den
Räumen oft etwas Zeltartiges, aber auch Leichtes und Textilartiges gibt.
In den ersten Jahren seines Schaffens profitierte Böhm
davon, dass die Nachkriegszeit für die Architektur relativ offen war.
Gleichzeitig versuchte Böhm mit seinen Bauten für einen Prozess der Heilung zu
stehen und einen Gegenpunkt zur Architektur der NS-Zeit, als Beton verpönt war,
zu setzen. Sicherlich geholfen hat aber auch, dass er mit dem Kölner Kardinal
Josef Frings einen Bauherrn im Rücken hatte, der nicht nur äusserst populär
war, sondern Innovationen förderte.
So will die Legende zum Beispiel, dass Frings, der damals fast blind war, Böhms Modell für die Wallfahrtskirche in Neviges, das eigentlich nur den zweiten Platz des Architekturwettbewerbs belegt hatte, abtastete und das Leben darin gespürt haben soll. Anders ist die Entstehung dieses Hauptwerks von Böhm aber auch fast nicht zu erklären. Denn man wundert sich beim Anblick des Doms heute noch, dass er das damals bauen durfte.
Quelle: Inge und Arved von der Ropp
Die Pilger müssen in Neviges nicht nur im übertragenen Sinn den Fels besteigen, um zum Wallfahrtsdom zu gelangen.
Der brutale Böhm
Die Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens, wird oft
als Böhms Hauptwerk bezeichnet. Und tatsächlich hat er wohl kaum ein anderes
Gebäude entworfen, das so viele Emotionen auslöst. Von aussen erinnert die
Kirche an ein zerklüftetes Bergmassiv, deshalb auch der Übername «Betonfelsen».
Das war aber durchaus beabsichtigt, denn zum einen wollte er die Kirche an die
natürlichen Formationen des Bergischen Landes anpassen und zum anderen sollen
die Pilger die Anhöhe besteigen und dann einen Innenraum betreten, in dem sich
die Pflastersteine des Pilgerwegs fortsetzen.
Die wahre Pracht des Baus zeigt sich sowieso im Innern, wo
der Hauptaltar im Zentrum eines Marktplatzes zu stehen scheint, worin sich auch
der Geist des zweiten vatikanischen Konzils zeigt. Wand und Decke stützen sich
gegenseitig und ergeben eine Gemeinschaft.
Der Nevigeser Wallfahrtsdom wird heute – genau wie andere Werke Böhms wie beispielsweise das Rathaus Bensberg oder die Pfarrkirche Christi Auferstehung im Kölner Quartier Lindenthal – dem Brutalismus zugerechnet. Damit ist Gottfried Böhm allerdings nicht einverstanden, wie er in einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur gestand: «Das beschäftigt mich im Moment leider ziemlich stark. Ich möchte doch nicht als brutaler Mensch gelten, einer der brutalistisch baut. Nur weil ich Beton verwende? Sind Kirchen in Granit dann auch brutalistisch? Mir geht es um Wärme. Das möchte ich haben: Dass meine Bauten innen drin und auch aussen Wärme ausstrahlen.»
Quelle: CC BY Geolina163
Gilt ebenfalls als eines der Hauptwerke des Brutalismus: Die Kirche Christi Auferstehung in Köln Lindenthal.
Weg vom Beton
Tatsächlich scheint es schwierig, Böhm einer speziellen
Architekturrichtung zuzuordnen. Selbst als «Kirchenbauer» lässt sich der Kölner
Architekt nicht bezeichnen, auch wenn seine insgesamt über 70 geschaffenen
Kirchen, die allesamt noch stehen, sicherlich zu seinen besten Werken zählen.
Doch nachdem Ende der 60er-Jahre die Kirchenbaukonjunktur auch durch die erste
Weltwirtschaftskrise ein Ende nahm, widmete sich Böhm immer mehr dem Städte-
und Siedlungsbau. Zuerst zementierte er seinen Ruf als Verbinder von Neuem und
Altem aber mit Werken wie der Godesburg in Bonn, der Kauzenburg in Bad
Kreuznach und vor allem dem Rathaus Bensberg.
Dabei führte Böhm der Weg auch immer mehr weg vom Beton hin
zu Stahl und Glas als meist verwendete Materialien. Auftraggeber waren zu jener
Zeit vor allem Gemeinden und Kommunen, die Nachholbedarf nicht nur bei
Rathäusern, sondern auch bei Museen und Theatern hatten. So entwarf Böhm in
dieser Zeit beispielsweise das Bürgerhaus Bergischer Löwe in Bergisch Gladbach
oder das Diözesanmuseum in Paderborn, die sich nicht nur aufgrund der Materialität
stark von seinen früheren Werken unterscheiden.
Darüber hinaus versuchte sich Böhm auch im Siedlungsbau. Als wichtigstes Werk gilt hierbei der Trabantenstadt Chorweiler im Norden von Köln. Diese Siedlung hob sich deutlich von Massenquartieren der 60er-Jahre ab und war auch wesentlich teurer. Doch auch wenn Chorweiler beispielhaft für den sozialen Siedlungsbau jener Jahre war, so täuschen die farbigen Balkone nur wenig über die Tristesse der Umgebung hinweg.
Quelle: CC Alexander Pelzer
In seinem späteren Werk – wie hier beim Diozösanmuseum in Paderborn – führte Böhm der Weg immer mehr weg vom Beton als meist verwendetem Material.
Die dritte Generation
Spätestens ab den 90er-Jahren überliess Gottfried Böhm die
Architektur immer mehr seinen Söhnen Stephan, Peter und Paul. Gemeinsam mit
ihnen verwirklichte er aber weiterhin diverse Projekte wie beispielsweise die
Zentralmoschee in Köln gemeinsam mit Paul, das Hans Otto Theater in Potsdam mit
Stephan oder die verschachtelten WDR-Arkaden in Köln mit Peter und seiner Frau
Elisabeth, die ebenfalls Architektin war, doch stets dem Mann den Vorrang
gelassen hatte, auch wenn ihr Einfluss auf alle seine Bauten unbestritten ist.
Die Söhne nennen den Vater bis heute schlicht den «Boss», genauso wie seine Schüler an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, wo er von 1963 bis 1985 den Lehrstuhl für Werklehre innehatte. Die Söhne arbeiten noch heute im gleichen Haus in Köln, das einst Dominikus Böhm errichten liess. Sie sorgen mit ihrer Tätigkeit dafür, dass die Architekturdynastie Böhm in der dritten Generation weitergeht, auch wenn sie ihre Stile teils stark von jenem des Vaters unterscheiden. «Ich bin gespannt, ob meine Enkel auch Architektur machen», meint Gottfried Böhm im Dokumentarfilm. Einer von ihnen studiert zumindest schon mal Architektur.
Umfassende Würdigung
Mit seinen ausdrucksstarken und formgewaltigen Gebäuden hat
Böhm nicht nur die Nachkriegsarchitektur in Deutschland geprägt. Deshalb
erscheint es nur logisch, dass ihm dieses Jahr zum 100. Geburtstag eine
umfassende Veranstaltungsreihe gewidmet wird. Über das ganze Jahr verteilt
finden in diversen deutschen Städten – vornehmlich aber in Köln und
Nord-Rhein-Westfalen – Rundgänge, Führungen und Ausstellungen statt. Unter
anderem gibt es beispielsweise im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt
zurzeit eine Ausstellung zur Wallfahrtskirche in Neviges.
Dabei wollen die Veranstalter zeigen, dass er mehr ist als
der «Kirchen Böhm». Denn «seine Rathäuser, Wohnungen, Bürobauten und
Stadtplanungen haben die deutsche Architektur bis heute geprägt». Daran besteht
sicherlich kein Zweifel, auch wenn einige Kritiker insbesondere seine späteren
Werke für «verschwurbelt» halten. Doch Böhm dürfte das reichlich egal sein,
werden seine Bauten, welche die deutsche Postmoderne prägten, ihn doch
überleben.
Mehr nervt ihn zurzeit sowieso, dass sich das Alter nun doch
langsam bemerkbar macht, so dass er sich seit der Eröffnung des Hans Otto
Theaters 2006 mehrheitlich der Kohle-Zeichnerei, die er wie kein Zweiter
beherrscht, zuwendet. Auch der Tod seiner Frau Elisabeth 2012 hat in hart
getroffen. «Die Liebe ist ja eine Energie. Die macht einem richtig warm, wenn man
geliebt wird oder auch selber liebt. Und von der Energie wissen wir, dass sie
sich wandeln kann, aber ewig lebt», meint Gottfried Böhm im Dokumentarfilm. Und
um Wärme – und insofern um Liebe – ging es ihm stets. Das merkt man sogar
seinen «brutalistischen» Werken an.
Mehr Infos zu den Veranstaltungen unter www.boehm100.de