«Gebaute Beziehungen»: Die Bauten von Max Frisch und Franz Bruno Frisch
Petra Hagen Hodgson legt mit «Gebaute Beziehungen» eine umfassende Doppelmonographie zum architektonischen Schaffen des Schriftstellers und Architekten Max Frisch und dessen Vater Franz Bruno Frisch vor.
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Bei der denkmalgeschützten Villa Sihlberg, auch bekannt als Schloss Sihlberg, in Zürich-Enge wird der junge Franz Bruno Frisch erstmals genannt: Als Bauleiter für das Büro Albert August Müller.
Der Zauber dieses Buches versteckt sich in
einer Fussnote: Die Autorin Petra Hagen Hodgson hat als junge Studentin der
Germanistik und Kunstgeschichte in den 1980er Jahren den Schriftsteller und
Architekten Max Frisch wiederholt persönlich getroffen und ihn zu seiner
Architektur interviewt. Diese Gespräche bildeten die Grundlage ihrer
Lizentiatsarbeit bei Prof. Stanislaus von Moos, denn Frischs planerisches
Schaffen war damals von der Wissenschaft noch weitgehend unerforscht. Auch in
dem 480-seitigen Werk «Gebaute Beziehungen – Max Frisch und Bruno Franz Frisch»
bezieht sich Petra Hagen Hodgson immer wieder auf diese damals mit einer
sperrigen Bandmaschine mitgeschnittenen Interviews. Die so erhobenen Aussagen
von Max Frisch sollten auch die Grundlage ihrer Promotion bilden, zu der es
aber seinerzeit nicht kam. In beeindruckender Beharrlichkeit verlor sie dieses
Projekt aber nie aus den Augen und legt ihre Promotionsschrift in Form der
vorliegenden Doppelmonograpie pünktlich zu ihrer Pensionierung an der ZHAW vor.
Bereits 1986 war ihr viel beachtetes Buch
«Städtebau im Kreuzverhör – Max Frisch zum Städtebau der fünfziger Jahre» im
damals neu gegründeten LIT-Verlag erschienen. Darin beschäftigt sie sich
erstmals mit Frischs städtebaulichen Schriften wie «wir selber bauen unsre
Stadt», «Der Laie und die Architektur» und vor allem «achtung: die Schweiz».
Auch wenn Petra Hagen Hodgson selbst Frischs rückblickende Aussagen als
vielfach geschönt bewertet, berühren diese in ihrer Unmittelbarkeit. So äussert
sich Frisch ja auch zur Qualität der städtebaulichen Lehre während seines
ETH-Studiums in den 1930er Jahren wie folgt: «Städtebau [...] war damals kein
Lehrfach an der ETH, sondern – man darf es gar nicht sagen, wie das war –
Städtebau hiess: Es wäre schön, wenn man hier einen Grünzug durchführen könnte
usw., das war also rein geschmäcklerisch-ästhetisch» (S. 138).
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Den heute denkmalgeschützten Badepavillon Horgen schuf Franz Bruno Frisch im Stil des Neo-Rokoko von 1899-1901 für das Büro Albert August Müller. 1950 gewann Max Frisch unweit davon den Architektur-Wettbewerb zum Seebad Horgen, welches aber unrealisiert blieb.
Die intensive Auseinandersetzung mit dem
architektonischen Werk von Max Frisch prägte nicht unerheblich Hagen Hodgsons
Werdegang. So lehrte sie ab 2007 an der ZHAW zum Thema Gartenstadt und leitete
dort die Forschungsgruppe «Grün und Gesundheit». Dieses Thema findet sich auch
bei Frisch wieder: Er hatte als Architekt der Garten- und Landschaftsplanung
einen grossen Stellenwert eingeräumt – man denke hier nur an sein einziges
grösseres Projekt: das Freibad Letzigraben in Zürich: Im vorgeschalteten Wettbewerb
setzte sich der Entwurf seines jungen Büros eben wegen der Natureinbindung
gegenüber den etablierten Architekten durch. Sicherlich steht die Anlage ob
dieser Qualitäten und nicht wegen dem grossen Namen unter Denkmalschutz.
Vielfältige Beziehungen
Tatsächlich führt der Buchtitel «Gebaute
Beziehungen – Max Frisch und Franz Bruno Frisch» latent in die irre, da sich
Hagen Hodgson nicht nur mit der Vater-Sohn-Beziehung auseinandersetzt. Gut die
Hälfte des Buchs versucht das architektonische Wesen von Max Frisch zu fassen.
So untersucht das Kapitel «Vom genauen Hinschauen: Positionierungen, Einflüsse,
Umbrüche» ausführlich die äusseren Faktoren, die Frisch architektonisch
beeinflussten. Dem Umstand, dass Max Frisch sowohl Architektur als auch
Städtebau als eine politische Aufgabe begriff, ist das gleichnamige Kapitel
gewidmet. Ein weiteres Kapitel, das mit «Möglichkeitsbilder für die neue Stadt»
betitelt ist, beschäftigt sich mit den von Frisch erkannten und formulierten
urbanen Zielen. Darüber hinaus beleuchtet ein Kapitel das gegenseitige
Durchdringen von Architektur und Literatur. Es ist mit dem ihm gewidmeten,
bildhaftkonkreten Gedicht seines Freundes und Künstler Gottfried Honegger
überschrieben:
«für Dich hat jedes Wort
sein Mass
sein Gewicht
seine Farbe
seinen Klang»
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Das denkmalgeschützte Gemeindehaus in Hausen am Albis ZH schuf Franz Bruno Frisch 1911-12 mit seinem eigenen Büro. Es ist sein größtes Bauprojekt für die öffentliche Hand.
Franz Bruno Frischs Werk
Max Frisch hat sein Verhältnis zu seinem
Vater wiederholt als «Vakuum» bezeichnet. Auch hat er die Darstellung, dass
dieser ein ehrgeiziger «Selfmade-Man» war, der infolge einer mangelnden
architektonischen Qualität 1932 erfolglos verstarb, durchaus mitgetragen.
Unbeirrt dieser Aussagen weist Hagen Hodgson mit ihrem Werk aber überzeugend
nach, dass weder das eine, noch das andere auf Franz Bruno Frisch (1871 – 1932)
zutrifft.
Hinsichtlich der persönlichen Beziehung
verweist sie vorrangig darauf hin, dass Frisch unior sich überhaupt erst vier
Jahre nach dem plötzlichen Vatertod aus freien Stücken zu einem
Architekturstudium an der ETH Zürich entschloss. Er unternahm diesen Schritt
bewusst, um einen «Brotberuf» zu erlernen, weil er der Meinung war, dass ihm
der damals ausgeübte Journalistenberuf langfristig keine finanzielle
Sicherheit bieten würde. Sicherlich geprägt hat ihn dabei das zeitlebens enge
Verhältnis zu seiner Mutter Karolina Bettina (Lina genannt) Frisch
(1875 – 1966). Sie entstammte einem grossbürgerlichen Haus und empfand ihr
Dasein ob der späten Erfolglosigkeit ihres Ehemanns als nicht standesgemäss.
Im Gespräch mit der Autorin räumt Frisch
jedoch ein, dass er die Tätigkeit seines Vaters durchaus mit positiven
Erinnerungen verband. So erinnert er sich, dass er als kleiner Junge im
väterlichen Büro etliche Zeit verbrachte und «dort basteln durfte» (S. 118).
Für den Architektenberuf sprach nach Frisch auch, dass er wusste, wie es in so
einem Büro zuging. Den Büroalltag konnte er sich durchaus plastisch räumlich
ausmalen.
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Das denkmalgeschützte Schulhaus in Rifferswil (1912-13) ist eines der letzten fertiggestellten Bauwerke von Franz Bruno Frisch. Es steht wie das Gemeindehaus in Hausen am Hang, weshalb in seinem Untergeschoss Feuerwehrgaragen untergebracht sind.
Richtig ist, dass Franz Bruno Frisch nie
Architektur studiert hat, sondern 1890 als Bauzeichner in das angesehene
Architekturbüro von Albert August Müller (1846 – 1912) eintrat. Schnell erwarb
er sich dort Ansehen als kompetenter «Allrounder», dem zunehmend
verantwortungsvollere Realisierungen übertragen wurden. Schon 1897 – also mit
erst 26 Jahren – wurde ihm die Ausführungsplanung und die Bauleitung der Villa
Sihlberg (heute bekannt als Schloss Sihlberg) übertragen. Neben weiteren, im
damals angesagten Heimatstil errichteten Villenprojekten zeichnet er auch für
den Badepavillon in Horgen ZH verantwortlich, der zwischen 1899 und 1901 im
Neu-Rokoko-Stil entstand.
Hagen Hodgson verweist auf die damals
gängige Praxis, dass nicht-studierte Architekten Büros eröffneten. Auch kann
sie nachvollziehen, dass Franz Bruno Frisch in Aussicht eines eigenen Auftrags
– es war das Mehrfamilienhaus in der Gladbachstrasse 30 – sein Lehrbüro
verlies. In der kurzen Blütezeit seines eigenen Büros zwischen 1909 und 1914
realisierte er neun (!) Bauprojekte. Hervorzuheben sind das Gemeindehaus in
Hausen am Albis ZH (1912), das Schulhaus Rifferswil ZH (1913) sowie die Zürcher
Einfamilienhauskolonie Rossbergstrasse 20-38 (1915). Von seinen insgesamt 13
Bauten (vier davon für das Büro Müller), wurden lediglich zwei abgerissen, neun
davon stehen heute unter Denkmalschutz.
Franz Bruno Frischs Karriere endet jäh mit
dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Baubranche stand weitgehend still und
nicht nur er erhielt keine Aufträge mehr. Er schwenkte pragmatisch um und
versuchte als Makler zu überleben.
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Den achteckigen Pavillon legte Max Frisch als dominantes Element seines heute denkmalgeschützten Freibad Letzigraben (1942-1949) an. Gut erkennbar die Fenstersprossen, um den Ausblick aus diesem –ähnlich einem Guckkastentheater – zu abstrahieren.
Max Frischs Werk
Gleichwohl Max Frisch architektonisches
Schaffen erheblich geringer ausfiel, räumt die Autorin diesem erheblich mehr
Raum ein. Freimütig bekennt sie, dass der Quellenstand – verfügbar über das an
der ETH Zürich angesiedelte Max Frisch Archiv – hier ein ungleich besserer sei.
Das Oeuvre von Max Frisch wird überragt von dem bereits erwähnten Freibad im
Zürcher Letzigraben, dessen Ausführung sich kriegsbedingt von 1942 bis 1949
hinzog. Stilistisch hebt es sich deutlich von den anderen Realisationen Frischs
ab. Es ist von einer Ästhetik geprägt, die den Stil der 1950er Jahre
vorweggreift und zeichnet sich – wie eingangs erwähnt – durch eine sinnfällige
Verschmelzung von Garten- und Landschaftsbau aus. Dominiert wird die Anlage von
einem achteckigen Pavillon am höchsten Geländepunkt.
Daneben konnte Frisch noch vier Wohnhäuser realisieren, zwei (1941 und 1960) für seinen Bruder Franz (1903 – 1978), ferner ein kleineres Siedlerhaus in Bauma (1945) sowie ein grösseres Landhaus in Schaan/Liechtenstein. Zudem beteiligte er sich letztlich erfolglos an zahlreichen Architekturwettbewerben. Hervorzuheben ist der Wettbewerb zum Seebad Horgen von 1950, den er auch gewann. Infolge zahlreicher im Vorfeld ungekannter Planungshindernisse, kam es jedoch zu keiner Beauftragung der weit gediehenen Planung.
Quelle: Petra Hagen Hodgson
Das Haus Stern in Bauma war das zweite fertiggestellte Gebäude von Max Frisch, entstanden zwischen 1944-1945. Es ist sein letztes Wohnhaus das heute noch steht.
Auch wenn sie als Mitarbeiterin seines
Büros oder Miturheberin der Entwürfe nie genannt wird, ist für Hagen Hodgson
die kreative Teilhabe von Frischs erster Ehefrau Gertrud Frisch-von Meyenburg –
Trudy genannt – (1916 – 2009) unzweifelhaft. Schliesslich war sie eine der
wenigen Frauen, die mit Frisch zusammen Architektur studierten. Beide
heirateten 1942 und sie bekam in kurzer Zeit drei Kinder. Die Autorin hält es
für sicher, dass sich das Paar über die laufenden Projekte austauschte und sie
ihn aktiv unterstützte, zumal sie seit 1940 ebenfalls diplomiert war.
1952 erhielt Frisch von der Rockefeller
Stiftung ein Stipendium, das ihm einen einjährigen Aufenthalt in den USA
ermöglichte. Die Auseinandersetzung mit der dortigen Architektur veranlasste
ihn seinen Architekturstil zu überdenken. So wandte er sich von der neuen
Sachlichkeit ab und einer glaslastigen Ästhetik zu, von der seine beiden
letzten Wettbewerbseingaben geprägt sind. 1954 veräusserte er sein
Architekturbüro an seinen Mitarbeiter Hannes Trösch (1924 – 2002) und
professionalisierte seine Tätigkeit als Schriftsteller.
Von Max Frischs Bauten stehen heute noch
das Freibad und das kleine Siedlerhaus in Bauma. Zu seinen Lebzeiten
abgerissen wurde in den 1980er Jahren das jüngere Haus seines Bruders nahe
Lugano, das Frisch für sein gelungenstes Wohnhausprojekt hielt. 2005 folgte das
Landhaus Ferster in Liechtenstein und schliesslich 2014 das erste brüderliche
Wohnhaus in Arlesheim – Frischs erstes Gebäude überhaupt.
Quelle: Max Frisch Archiv
Das zweite Wohnhaus für seinen Bruder Franz entstand 1960 in Porza nahe dem Luganer See. Max Frisch betrachtete es als sein gelungenstes Werk. Es wurde noch zu seinen Lebzeiten in den 1980er Jahren abgerissen.
Sprossenfenster und Guckkastenbühne
Max Frisch lehnte aber eigentlich grosse
Glasflächen ab. Er wollte vielmehr dem Ausblick einen Rahmen geben und diesen
so abstrahieren. Deshalb favorisierte er kleinere Fensteröffnungen und deren
Sprossen-Unterteilung. In der Fenstersegmentierung erkannte Frisch eine Nähe
zum geliebten Theater. Für ihn abstrahierten ein klassisches Guckkastentheater
mit seinem Sockel und dem Vorhang ein Schauspiel in gleicher Weise wie
Fenstersprossen die aussenliegende Welt.
Als Theatermensch konnte Frisch
ausgesprochen wenig mit dem «Totaltheater» anfangen, das in den 1960er Jahren
sehr populär war. 1965 war er als theaterkundiger und prominenter Architekt in
das Preisgericht des internationalen Wettbewerbs zum neuen Zürcher
Schauspielhaus berufen worden. Diesen gewann der Däne Jørn Utzon, dessen
weltbekanntes Opernhaus von Sydney seinerzeit noch im Bau war. Frisch machte
sich erfolgreich für eine Umplanung des Siegerentwurfs zugunsten eines
Guckkastentheaters stark. 1970 wurde das viel beachtete Projekt jedoch
eingestellt, da die Verantwortlichen eineKostenexplosion ähnlich wie bei dem
australischen Opernhaus fürchteten. Als Ergebnis wurde der bestehende Altbau
nur umfassend saniert.
Ein Standardwerk
In ihrer Vollständigkeit beeindrucken vor
allem die architektonischen Werkverzeichnisse von Vater und Sohn Frisch.
Insbesondere die Recherchearbeit zum Schaffen von Frisch-Senior gilt es zu
würdigen, da diese schlüssig die bisherige Beurteilung seiner fachlichen
Kompetenz widerlegt. Bedeutsam ist die Arbeit aber nicht zuletzt, weil die
Autorin Max Frisch noch persönlich zu dem Thema der Architektur befragen
konnte. Zudem war es ihr vergönnt, noch alle Bauten von Max Frisch – auch das
am Luganer See – zu besuchen. Entsprechend ist dieses wertvolle Werk als das
einer echten Zeitzeugin anzusprechen.
Buchtipp
Quelle: zvg
Buchcover: Gebaute Beziehungen, Max Frisch und Franz Bruno Frisch – Zwei Architekten im Kontext ihrer Zeit.
Gebaute Beziehungen
Max Frisch und Franz Bruno Frisch – Zwei Architekten im Kontext ihrer Zeit
Von Petra Hagen Hodgson; 2023; Gebunden; 480 Seiten, 323 farbige und 128 s/w-Abbildungen; 21 x 28.5 cm; ISBN 978-3-03942-128-2