Fernwärme-Ausbau: Basels längste Baustelle fördert Skelette zu Tage
Die Verlegung der Fernwärmeleitungen in Basel ist für die Archäologische Bodenforschung eine einmalige Chance, in seit Jahrhunderten ungestörten Schichten Funde zu machen – vom Kettenhemdfragment bis zu ganzen Skeletten.
Quelle: Philippe Saurbeck, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt.
Blick in eine Baugrube in der Freien Strasse: Im Zuge des Fernwärme-Ausbaus sind in Basel mehrere Rettungsgrabungen im Gange.
Basel ist gerade an der buchstäblich
längsten Baustelle seiner Baugeschichte. Noch bis ins Jahr 2024 bauen die IWB
in der Freien Strasse eine Fernwärme-Transportleitung, die eine der Hauptadern
des Basler Fernwärmenetzes werden soll. Sie wird die Wärme aus der
Kehrichtverwertungsanlage und den Holzkraftwerken in die Quartiere bringen.
Bis 2035 sollen insgesamt 60 Kilometer Fernwärmeleitungen im Stadtgebiet verlegt werden. Das entspricht etwa eine Fünftel der Länge des städtischen Strassennetzes. Das ist nur zu schaffen, wenn im Jahr rund 4,5 Kilometer Leitung verlegt werden. Das wiederum ergibt im Schnitt 45 Baustellen pro Jahr allein wegen der Fernwärme – und viel Arbeit für die Archäologische Bodenforschung.
Einmalige Chance
Für die Archäologen ist das Ganze aber auch eine einmalige Gelegenheit. Schliesslich werden die Fernwärmeleitungen nicht in bestehenden Werkleitungen verlegt, sondern in Strassenbereichen, in denen die archäologischen Schichten noch weitgehend unberührt sind. «Wir machen in Basel nichts anderes als reine Rettungsgrabungen.
Die Stadt ist weitgehend gebaut und wir kommen nur in den Untergrund, wenn irgendwo Bauarbeiten angesagt sind. Durch die vielen Baustellen im Moment arbeiten wir unter Hochlast», sagt Marco Bernasconi, Leiter der Abteilung Ausgrabung bei der Archäologischen Bodenforschung Basel.
Quelle: Philippe Saurbeck, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt
Dieses Aquamanile befand sich ebenfalls im Kellerschutt. In gehobenen Haushalten wusch man sich mit diesem gieskannenartigen Gefäss vor dem Essen die Hände.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Fund in einem mit Brandschutt verfüllten Keller: Teil einer steinernen Gussform für Schmuckappliken, die man zur Zierde auf Textilien aufnähte. Mit dieser Form liessen sich fünf Motive aufs Mal herstellen.
Die Bauarbeiten erfolgen auch in der «Freien Strasse» unterhalb des Münsterhügels, einer der wichtigsten Einkaufsstrassen Basels. Der Strassenverlauf ist seit Römerzeiten kaum verändert. Einst führte die Strasse von Augusta Raurica durch Basel weiter Richtung Kembs im heutigen Elsass. «Die Strasse wird seit Jahrtausenden ununterbrochen genutzt und das Fernwärmetrassee gehört damit zu den raren Bereichen im Stadtgebiet, die nie durch Bauarbeiten gestört wurden. Das macht sie für uns besonders interessant», so Bernasconi weiter.
Mehr Bodeneingriffe als geplant
Tatsächlich wurden die Archäologen fündig. In einem im 14. Jahrhundert mit Brandschutt verfüllten Keller unter dem Marktplatz, von dem die Freie Strasse abzweigt, kamen mittelalterliche Kettenhemdteile, ein so genanntes Aquamanile in Löwenform, ein Gefäss, das man in gehobenen Haushalten zum Händewaschen benutzte, oder eine Gussform für Schmuckappliken, die man auf Gewänder nähte, zum Vorschein.
Daniel Hofer vom Tiefbauamt merkt an: «Durch die Erweiterung des Fernwärmeprojekts an der Freien Strasse mussten wir bereits eine Erstreckungsfrist beantragen, da mehr Bodeneingriffe erfolgten als ursprünglich geplant und die Archäologen Zeit brauchen, alles fachgerecht zu sichern. Im südlichen Teil der Strasse sind wir aber schon daran, wieder den Plattenbelag zu verlegen, während im Strassenabschnitt in der Nähe des Marktplatzes die Baugruben noch offen sind.»
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Fries von der Fassade eines römischen Tempels, der als Baumaterial recycelt worden war. Er wurde vermutlich aus Augusta Raurica nach Basel geschafft und dort mehrfach erneut verbaut.
Recyceltes Fries
In der Freien Strasse selbst stiessen sie auf ein Fries von der Fassade eines römischen Tempels, der als Baumaterial recycelt worden war. Er stammt aus dem 1. oder 2. Jahrhundert. Das heisst aber nicht, dass es damals einen römischen Tempel an der Freien Strasse gegeben hätte. Es gab in dieser Zeit keinerlei römische Monumentalbauten im frührömischen Basel, wie man heute weiss.
Bernasconi hat eine andere Erklärung: «Augusta Raurica wurde im 3. Jahrhundert nach Christus wegen andauernder Bürgerkriege aufgegeben. Gleichzeitig wurde Basel der Münsterhügel allmählich befestigt, weil die Römer die Grenze an den Rhein zurückzogen. Für die Befestigungen nutzten sie Material, das sie über den Rhein aus Augusta Raurica heranschafften.»
So wurde das Fragment wohl Teil der Stadtmauer. Als die Befestigungsanlage später aufgegeben wurde, bediente man sich dort und beschaffte sich Baumaterial: Es kam gerade recht für den Bau eines mittelalterlichen Gebäudes. Bernasconi: «Wir wissen aus Schriftquellen, dass bis ins Mittelalter regelmässig in den römischen Ruinen von Augusta Raurica, dem heutigen Augst, «Steine gebrochen» wurden.»
Quelle: Corinne Hodel, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt
Basel-Riehentorstrasse: Freilegen der Bestattung eines Mannes in einer Steinkiste. Solche Gräber, die mit Steinplatten umfasst waren, sind typisch für das 7./8. Jahrhundert n. Chr.
Lohstampfe und Skelette
Da auch rund um den Wettsteinplatz Fernwärmeleitungen verlegt werden, kamen dort bereits elf frühmittelalterliche Gräber zum Vorschein. Gerade erst wurde das Skelett eines Mannes in einem Steinplattengrab freigelegt, der typischen Bestattungsmethode für das 7. bis 8. Jahrhundert.
Bereits im März stiessen die Archäologen ganz in der Nähe auf das ungewöhnlich reich ausgestattete Grab eines etwa zwölfjährigen Mädchens aus dem 6. Jahrhundert. Es wurde als Block geborgen und in den Werkstätten der Archäologen fachgerecht freigelegt und dokumentiert. Zum Vorschein kamen unter anderem gut 350 Perlen in ungewöhnlicher Vielfalt an Typen und Formen sowie ein eiserner Gürtelverschluss mit Goldeinlagen.
Auch Reste einer «Lohstampfe» und eines ab 1312 als Mühle und seit 1422 als Säge schriftlich belegten Gebäudes wurden gefunden. In der Lohstampfe zerkleinerte man Fichten- und Eichenholzrinde. Die daraus entstehende, stark gerbsäurehaltige «Lohe» wurde anschliessend für den Gerbprozess von Tierhäuten eingesetzt. Der Name der «Gerbergasse» auf der gegenüberliegenden Rheinseite zeugt noch von der langen Tradition der Gerberei in Basel.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Marco Bernasconi (rechts) erläutert Details zu einem Skelettfund in der Riehentorstrasse.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Grabungen in der St. Alban Vorstadt werden akribisch dokumentiert.
Auch Grabungen in der St. Alban Vorstadt
Seit Anfang Juni wird auch in der St. Alban Vorstadt gegraben. Sie befindet sich im Vorgelände des seit 3000 Jahren besiedelten Münsterhügels. Hier verlief die Fortsetzung der heutigen «Freien Strasse», die antike Strasse nach Augusta Raurica. Daher erwarten die Archäologen, auf Gräber aus der Römerzeit zu stossen.
Bei den Römern war es üblich, die Toten entlang der Ausfallstrassen der Städte zu bestatten. Zudem hoffen sie, auf Bestattungen aus dem mittelalterlichen Spital des St. Alban-Klosters sowie weitere hoch- und spätmittelalterliche Bauten zu stossen. Museumsreife Funde gab es noch nicht, aber ein vermutlich römischer Strassenabschnitt konnte bereits freigelegt werden.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Die Archäologien interessieren sich für die Bodenschichten bis zum Rheinkies, der in der St. Alban Vorstadt etwa auf halber Höhe der Baugrube beginnt.
Ausgrabungen bei laufender Baustelle – wie funktioniert das?
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Staubsauger der Archäologischen Bodenforschung Basel.
Marco Bernasconi Leiter der Abteilung
Ausgrabung bei der Archäologischen Bodenforschung Basel (ABBS) erklärt, wie das
Team vorgeht, wenn es in einer laufenden Baustelle tätig ist: «Die Maxime ist
bei uns immer: Die Baustelle sollte so schnell als möglich arbeiten können. Wir
müssen deshalb im Bauprogramm eingetaktet werden, so dass eine enge
Koordination zwischen den verschiedenen Baupartnern entstehen kann.»
In der Praxis läuft das so ab: Die Aushubarbeiten werden von einem Mitarbeiter der ABBS begleitet. Kommt nichts archäologisch Relevantes zum Vorschein, wird mit dem Bagger gearbeitet. Sobald sich die Situation verändert, übernehmen die Archäologen. Das kann bedeuten, dass die folgenden Schichten im Handaushub durch die Archäologen abgebaut werden, während sich das Bauunternehmen um den Abtransport des Aushubs und die Baugrubensicherung kümmert.
Wenn das Bauprogramm darauf ausgerichtet ist, weil man mit archäologischen Funden rechnet, sollte der Bauunternehmer nun an einer anderen Stelle weiter arbeiten können. Deshalb ist eine gemeinsame Planung für ein erfolgreiches Bauprojekt wichtig.
Die ABBS hat für grössere Baustellen auch eigenes Gerät, Kleinbagger und Raupendumper. Es eignet sich allerdings nur für Flächengrabungen, nicht für Leitungsgrabungen. «An Kleingeräten benutzen wir Förderbänder und Staubsauger. Der Rest ist Handarbeit mit Schaufel, Pickel, Vorschlaghammer, Kelle und ähnlichem.» (ava)