08:29 BAUPRAXIS

Erdrutsch in Schwanden: Aufräumarbeiten mit High-tech

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni

Nach dem Erdrutsch in Schwanden GL laufen umfangreiche Aufräumarbeiten, bei denen die Armee wertvolle Dienste leistete: Mit Spezialgeräten schufen Expertenteams des Katastrophenhilfekorps zu Beginn die Voraussetzungen, um die riesigen Erdmassen rasch und sicher abtragen zu können.

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Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni

Innert acht Tagen aufgebaut: Die Notbrücke Marke «Mabey Johnson Compact 200».

Gleich vier Erdrutsche suchten Schwanden GL letztes Jahr heim, zerstörten zahlreiche Gebäude und hinterliessen grosse Mengen an Erdmaterial. Die Gemeinde Glarus Süd begann umgehend mit Aufräumarbeiten im Gebiet Wagenrunse, wobei zuerst Ablagerungsplätze für den abzubauenden Erdrutsch geschaffen wurden. Immerhin: Bei dem Ausheben dieser Flächen stiess man auf sehr gutes Material, das sich für Schutzbauten eignet. Räumung und Neubau dieser Schutzwälle können deshalb gleichzeitig erfolgen.

Bevor aber an diese Arbeiten überhaupt zu denken war, mussten ein Dorf evakuiert und zerstörte Infrastruktur zumindest provisorisch wiederhergestellt werden. Hier kam die Armee ins Spiel: Bereits im Oktober 2023, kurz nach den ersten beiden Ereignissen, schlugen Armeeangehörige eine Brücke über den Fluss Sernf. Für Ruedi Stüssi, den Stabschef des Gemeindeführungsorgans, ein Meilenstein: «Diese Brücke stellt die Zufahrt zum Werkhof und ins abgeschnittene Wohn- und Gewerbegebiet auch für schweres Räumgerät sicher.» 

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Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni

Das Überschwemmungsgebiet Wagenrunse aus der Luft: Noch immer drohen weitere Erdmassen ins Tal zu rutschen.

Notbrücke ab Lager

Die Spezialisten montierten eine vorgefertigte Brücke aus England, Typ «Mabey Compact 200», die 36 Meter lang ist und 40 Tonnen tragen kann. Das Material für den Brückentyp ist in einer Logistikbasis der Armee eingelagert. «Über die Rüstungsbehörde Armasuisse wurden insgesamt acht Brücken dieses Typs beschafft», sagt Oberst Sébastien Neuhaus, Kommandant des Katastrophenhilfe-Bereitschaftsbataillons. Mit ihnen lassen sich Bauwerke bis zu 61 Meter Länge erstellen.

Die Brücke in Schwanden, die auf drei LKWs mit Schlittenanhängern Platz hatte, besteht aus 2585 Einzelteilen mit einem Gesamtgewicht von 54,5 Tonnen. Nachdem ein Unternehmer zwei Widerlager erstellt hatte, errichtete die Armee die Brücke, wobei zwei Radbagger, ein Teleskoplader und ein Traktor mit Forstwinde zum Einsatz kamen. Für den Brückenbau benötigen die Fachleute acht Tage, wobei vierzehn Durchdiener und ein Berufsmilitär im Einsatz waren. Der Rückbau wird ähnlich viel Zeit in Anspruch nehmen.

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Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni

Eine Spezialeinheit der Armee, das Katastrophenhilfe-Bereitschaftsbataillon, baute die Notbrücke über die Sernf.

Gezogen statt gestossen

Speziell an der Situation in Schwanden war der Platzmangel. Sébastien Neuhaus: «Die Brücke wird normalerweise in Baurichtung gestossen, sei es durch einen Lastwagen oder durch eine Baumaschine, was hier nur am Anfang möglich war. Danach aber konnten wir die Brücke mit einer Forstwinde über die Sernf ziehen, da die Brücke für den Bau auf Rollen gelagert war.»

Im Februar diesen Jahres kamen erneut Angehörige des «Kata Hi Ber Bat», so das militärische Kürzel, zum Einsatz: Spezialisten aus dem Lehrverband Genie / Rettung /ABC. Sie hatten den Auftrag, in der Gefahrenzone einen Entlastungsgraben auszuheben, der Wasser und kleine Schlammströme ableiten und somit das sichere Arbeiten im Erdrutschgebiet ermöglichen soll.

Ferngesteuerter Bagger 

Um kein Menschenleben zu gefährden, griff die Armee auf einen ferngesteuerten Bagger zurück, einen «Caterpillar 323» aus dem Jahr 2020. Daneben besitzt die Armasuisse auch einen entsprechend umgebauten «Menzi-Muck Schreitbagger M545» von 2017, den die Armee ebenfalls nutzt. «Die Fernsteuerung beider Maschinen war ursprünglich ein Projekt mit der ETH, welches nun vom Start Up Unternehmen Gravis Robotics weitergeführt wird», so Sébastien Neuhaus.

«Wir haben an der ETH im Gebiet ‹autonome Baumaschinen› geforscht und in diesem Zusammenhang auch an einer Fernsteuerungslösung gearbeitet», erklärt Dominic Jud, CTO und Mitgründer von Gravis Robotics. Am Ende dieser Forschungsarbeit gründete man vor eineinhalb Jahren das Unternehmen. 

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Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni

Die Brücke kurz vor der Fertigstellung: Am Ende ist sie 36 Meter lang und kann 40 Tonnen Gewicht tragen.

System passt auf alle Marken

Die Forschung dazu erfolgte in einer Kooperation der ETH Zürich mit «Armasuisse W+T», dem Technologiekompetenzzentrum des Bundesamtes für Rüstung. Sie führte zu den beiden weltweit bisher einmaligen Baumaschinen-Prototypen, welche sich automatisiert, aber auch ferngesteuert betreiben lassen. «Es gibt keine andere Nation, die einen Menzi-Muck hat, der den Unterwagen automatisch regeln kann», sagt Markus Höpflinger, Leiter Schweizer Drohnen- und Robotikzentrum der Armasuisse. Beim CAT sei sehr viel mit KI gemacht worden.

Die Fernsteuerung kann indes auch in andere Baumaschinen eingebaut werden, so Dominic Jud. «Wir haben in diesem Forschungsprojekt einen CAT und einen Menzi-Muck ab Werk umgebaut, doch unser System lässt sich auch für andere Marken und Modelle nutzen.»

Für die Einsätze der Armee war die Fernsteuerung wichtig; der Schwerpunkt der Entwicklung liegt bei Gravis aber in der Autonomie: «Unser Ziel ist es, grosse Bagger autonom betreiben zu können. So dass die Baumaschine also ihre Aufgabe selbsttätig erledigt, und nur bei einem Problem, wenn der Bagger irgendwo steckenbleibt, greift ein Maschinist kurz mit der Fernsteuerung ein und bereinigt das Ganze.»

Die Baumaschinenführer der Armee wurden vorgängig auf der Maschine geschult und ausgebildet, was sowohl den Betrieb und die Wartung der Maschine, als auch deren Sicherheitseinrichtungen beinhaltet. Sébastien Neuhaus: «Ein Einsatz kann dabei nicht immer eins zu eins geübt werden. Wir haben die Möglichkeit, in einer Kiesgrube in Bremgarten den Umgang mit der Maschine zu üben. Dabei kann ferngesteuert oder auch manuell gesteuert werden.»

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Quelle: Gravis Robotics

Alles im Blick: Der Baggerführer sitzt in sicherer Entfernung zum Einsatzort, kann die Maschine aber trotzdem präzise steuern.

Hintergrund Mitholz

Die Armasuisse hat die Erforschung dieser speziellen Fernsteuerung und der Automatisierungslösung mitfinanziert. Hintergrund sind militärische Einsätze in ausserordentlichen Lagen, zum Beispiel der automatisierte Aufbau eines Schutzwalls im Geniebereich. Ein Thema sind auch die anstehenden Räumungsarbeiten im ehemaligen Munitionslager Mitholz, so Höpfliger. «Wir haben es hier mit Tausenden von 50-Kilogramm-Fliegerbomben zu tun, in einem felssturzgefährdeten Gebiet. Zudem sieht man einen Grossteil der Munition im Moment noch gar nicht.» Hier brauche es den Einsatz von Geräten, damit Kampfmittelräumer aus sicherer Entfernung arbeiten können. «Auch bei einem Grossbrand in einer Chemieanlage oder einem nuklearen Ereignis wäre ein solcher unbemannter Bagger hilfreich.»

Testweise zum Einsatz gekommen ist der ferngesteuerten Menzi-Muck 2020 von Armasuisse bei den SBB. Es wurde hierfür ein Prozess aufgebaut, dank dem die Bundesbahn die Unterstützung der Armee mit den unbemannten Baumaschinen beanspruchen kann. «Das Gerät gibt uns eine Möglichkeit, bei Naturgefahren zu intervenieren und grösseren Schaden zu vermeiden. Und dies ohne Personen einer Gefahr auszusetzen,» so Marc Hauser, Leiter Abteilung Naturgefahren bei den SBB im selben Beitrag. Die Bahn rechnet wegen des Klimawandels mit einer starken Zunahme an Naturereignissen. «Wir werden vermehrt Murgänge haben, starke und intensive. Hier können wir frühzeitig Rückhalte- oder Abfangbauwerke erstellen, dank dieser Technologie.»

Wie im Simulator

Bei der neuartigen Fernsteuerung arbeiten Baggerführerin oder Baggerführer dabei nicht auf Sicht: Sie sitzen in sicherer Entfernung zum Gefahrengebiet in einer abgesetzten Steuerstation, in einem kleinen Anhänger. Die Signale von und zum Bagger werden über ein Funknetz in Echtzeit übertragen, so dass die Person 200 bis 300 Meter vom Einsatzort entfernt sein kann. Auch eine Satellitenverbindung über Satcom (Starlink) wurde schon getestet. Markus Höpfliger von der Armasuisse: «Damit konnten Operateur und Maschine irgendwo auf der Welt verteilt sein.»

Die Steuerstation erinnert stark an einen Simulator: Ein High-tech-Sitz mit Steuerelementen links und rechts, ganz dem Cockpit des Baggers nachempfunden. Und statt Scheiben geben mehrere Bildschirme dem Menschen am Joystick umfassende Sicht nach vorne, zu den Seiten und nach hinten, alles über Kameras, die nebst zahlreichen Sensoren im Bagger installiert sind. Zudem bewegt sich der Sitz jeweils mit der Kabine mit, was die Arbeit für den Baggerführenden sehr realistisch macht.

Dazu kommt Augmented Reality zum Einsatz: Dem Bild auf den Monitoren ist ein blaues Raster unterlegt. Dadurch lassen sich auf dem ansonsten flach wiedergegebenen Bild Distanzen abzuschätzen und ein Gefühl für die dritte Dimension entwickeln.

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Quelle: Gemeinde Glarus Süd

Nach dem Armeeeinsatz konnten die Aufräumarbeiten im Gebiet Wagenrunse ohne Gefahr für Mensch und Maschine aufgenommen werden.

Arbeit termingerecht beendet

Nach rund einem Monat konnte die Armee ihren Einsatz im April termingerecht abschliessen: Mit dem ferngesteuerten CAT-Bagger wurde ein Graben ausgehoben, der dafür sorgt, dass Wasser nicht mehr entlang und durch Gebäude fliesst, die später wieder genutzt werden sollen. Daneben führten die Grabarbeiten der Armee zu besseren Kenntnissen über die Eigenschaften der abgelagerten Erdmassen. Das wiederum hilft, die Folgearbeiten optimal zu organisieren.

Im Mai konnten die nächsten Arbeiten gestartet werden: Insgesamt 15 Gebäude müssen abgerissen werden, und parallel dazu läuft der Bau eines Schutzdamms in der Gefahrenzone. Denn nach wie vor drohen 45'000 Kubikmeter Geröllmassen ins Tal zu rutschen. Zum Vergleich: Beim ersten Erdrutsch im August 2023 waren es rund 30'000 Kubikmeter. Die Arbeiten haben laut Ruedi Stüssi bereits begonnen, obwohl die dafür benötigten Stellungnahmen von Bund und Kanton noch ausstehen. «Dies schreibt der Schutz der Bevölkerung vor.» Allerdings dürfen erst Rohbauten erledigt werden.

Bevor die ersten Wohnhäuser abgerissen wurden, konnten deren Bewohnerinnen und Bewohner immerhin noch einmal in ihr Zuhause zurückkehren. Die Häuserreihe, von der nur noch die obersten Geschosse aus den Schlammmassen ragen, war zuvor von einem Statiker untersucht und freigegeben worden. Durch die Fenster der noch freiliegenden Etage konnten wenigstens ein paar persönliche Gegenstände gerettet werden.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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