„Erbe von unschätzbarem Wert“
Für rund 60 Millionen Franken soll in Corsier-sur-Vevey ein Charlie Chaplin Museum entstehen, im früheren Wohnsitz des Filmgenies. Darin werden viele Objekte gezeigt, die der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren. Philippe Meylan, der Präsident der Entwicklungsgesellschaft, hofft, dass man 2013 die ersten Besucher empfangen kann.
Seit zehn Jahren träumen Philippe Meylan und seine Partner von einem Museum zu Ehren Charlie Chaplins. Der britische Filmgigant, der Klassiker wie "Modern Times" oder "Der Grosse Diktator" schuf, verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens an der Waadtländer Riviera. Chaplin war 1952 in die Schweiz gekommen, da er in der USA ein Opfer der paranoiden Staatsschützer geworden war: Da er als Kommunist galt, wurde gegen ihn ein Verfahren wegen "subversiver Tätigkeiten" angestrengt.
Chaplin, der durch seine Filmerfolge reich geworden war, kaufte sich das grosszügige Anwesen Manoir de Ban oberhalb von Corsier-sur-Vevey. Hier wurden seine Kinder Annette-Emilie und Christopher geboren, und hier starb er am Weihnachtstag 1977, im hohen Alter von 88 Jahren. Und hier wird in Zukunft das "Chaplin Museum" seine Heimat finden.
Nachdem man zuerst daran gedacht hatte, diese Räume in den einstigen Werkstätten der ACM Vevey unterzubringen, entschied man doch, dass Chaplins ehemaliger Wohnsitz das einzige geeignete Umfeld für das Museum sei. Das 1840 erstellte Herrenhaus in Corsier ist im Inventar der geschützten Bauten des Kantons Waadt eingetragen und befindet sich in der Domaine de Ban, die sich über 132'858 Quadratmeter erstreckt. Realisiert wird das auf 60 Millionen Franken geschätzte Projekt von der Stiftung des Charlie Chaplin Museums und der Chaplin Museum Development SA.
250'000 Besucher pro Jahr
Die Baubewilligung für das Museum wurde letzten Juni erteilt, der Realisierung des für die Region emblematischen Vorhabens steht als nichts mehr im Wege. Das Projekt besteht vor allem im Umbau der Villa in ein Museum. Die Promotoren wollen ihr die Aura früherer Zeiten wiedergeben, damit die Besucher die Ambiance wiederfinden, in der Chaplin Persönlichkeiten und berühmte Künstler, Wissenschaftler und Politiker aus der ganzen Welt als Gäste empfing.
In den grossen Räumen wird das Leben des Filmkünstlers aufgerollt, seine Kindheit, seine Anfänge, die Inspirationsquellen für sein filmisches Werk, seine Familie und seine Freunde. Das bestehende Bauernhaus neben dem neuen Gebäude des Museums wird sein aktuelles Erscheinungsbild behalten. Das Innere wird jedoch eine komplette Veränderung erfahren mit dem Einbau von Büros, technischen Räumen, dem Billetschalter, öffentlichen Einrichtungen, einer Boutique und einem Café mit Blick über die gesamte Anlage. Ein neues Gebäude wird dem Werk von "Charlot" gewidmet sein. Die Initianten rechnen damit, dass das fertige Museum jährlich rund 250'000 Besucher anziehen wird. (ev)
Interview mit Philippe Meylan, dem Präsidenten der Gesellschaft Chaplin Museum Development SA
Philippe Meylan, wie sind Sie zur Idee eines Charlie Chaplin Museums gekommen?
Zuerst muss man wissen, dass ich in meiner Jugend als Nachbar der Domaine du Ban Gelegenheit hatte, mit der Familie Chaplin zu verkehren, vor allem mit gewissen Kindern des Filmemachers. Die Idee zum Museum entstand bei einer zufälligen Begegnung mit dem Szenografen und Museografen Yves Durand in Québec. In seinem Büro, wo wir über Geschäftliches sprachen, hatte er ein riesiges Poster von Charlot und ein Büchergestell voller Bücher über den Cineasten, den er aufrichtig bewundert. Ich habe ihm erzählt, dass ich Gelegenheit gehabt hatte, ihm zu Lebzeiten zu begegnen. Im Laufe der Unterhaltung machten wir im Spass die Bemerkung, dass wir ihn eigentlich ein Museum widmen sollten. Drei Wochen später rief er mich an und sagte mir, er wolle in die Schweiz kommen, um darüber zu diskutieren.
Wie hat die Familie Chaplin reagiert?
Sehr positiv. Tatsächlich hatte der Sohn Eugène Chaplin ein paar Jahre früher bereits einmal versucht, ein solches Projekt in den ehemaligen Werkstätten der ACM Vevey auf die Beine zu stellen. Wir haben gemeinsam nochmals die Möglichkeit untersucht, das Ganze in ein Industrieareal zu integrieren. Das hätte gut zum Geist von "Modern Times" gepasst. Bei einem unserer Treffen äusserte Chaplin den Wunsch, das Manoir zu verkaufen, da das Gebäude und der Park für die Familie eine zu grosse Belastung wurde. Damit drängte sich dieser Ort geradezu auf, denn mir schien es unvorstellbar, dass dieses Gut jeglichen konkreten Bezug zu seinem berühmten Besitzer verlieren sollte. So wurde beschlossen, eine Stiftung zu gründen, um es zu kaufen. Gleichzeitig versicherten wir uns, dass das Museum – dank der Unterstützung der zehn Gemeinden des Bezirks – auch realisierbar ist. Aufgrund der Projekte, die wir erstellten, schenkte uns die Familie ihr Vertrauen. Sie stellt uns ein Archiv zur Verfügung und ein Erbe von unschätzbarem Wert, das bis jetzt sorgfältig aufbewahrt wurde: Die Möbel, so auch der Flügel auf dem er die Musik zu seinen letzten Filmen komponierte, die Kunstwerke, Objekte, Bücher, Manuskripte und Familienalben, teilweise noch nie publiziert, werden hier zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Konkret werden die Hauptwohnräume, in denen er gelebt hat, das Esszimmer, der Salon, sein Büro und seine Bibliothek wiederhergestellt.
Die Realisierung dieses Projekts hat zehn Jahre in Anspruch genommen. Welches waren die wichtigsten Etappen?
Im Laufe der Erarbeitung des Quartierplans hat uns eine Einsprache enorm geschadet. Nach mehreren Jahren wurde sie schliesslich vom Bundesgericht abgewiesen, aber dieser Vorfall hat das Projekt wesentlich verzögert. Dies hat uns dazu gezwungen, das Manoir an finanzielle Partner in Luxemburg zu verkaufen. Sie haben bei dieser Gelegenheit die "Société du Domaine du Manoir du Ban Luxembourg" gegründet und sich verpflichtet, sich an der Realisierung des Museums zu beteiligen. Seit wir die Baubewilligung erhalten haben, sind wir dabei, die Finanzierung zu strukturieren. Das Projekt hat sich in dieser langen Vorbereitungsphase stark entwickelt. Durch die Begegnungen mit Persönlichkeiten aus der Filmwelt, mit kreativen Partnern und Geldgebern aus dem Ausland, stellten wir allmählich mit Freuden fest, welche universelle Reichweite das Museum haben wird.
Was für eine Architektur schwebt Ihnen für das neue Gebäude vor?
Der Neubau erhält eine sehr einfache Volumetrie. Er wird 55 Meter lang und 17 Meter breit, umfasst 12'000 Kubikmeter und hat die Form eines Filmstudios. 2000 Quadratmeter stehen für szenografische und multimediale Präsentationen zur Verfügung. Dem Umweltschutzgedanken wird entsprochen, indem die endogenen und natürlichen Ressourcen maximal ausgenützt werden. So erfolgt die Energieproduktion über Wärmepumpen, die an Erdsonden gekoppelt sind, und die Sonneneinstrahlung wird für die sanitäre Warmwasseraufbereitung genutzt. Bei der Architektur suchen wir eine harmonische Einordnung in die natürliche Umgebung und wollen dem Gebäude gleichzeitig eine Identität verleihen. Das ist nicht ganz einfach, denn wir wollen weder ein Mausoleum noch ein zu eindeutig von einem berühmten Architekten geprägtes Werk haben. Wir streben nach einer gewissen Bescheidenheit und nach einem spielerischen Ansatz, welcher der Persönlichkeit des Filmkünstlers gut entsprechen würde.
Ist eine Einweihung per Ende 2012 realistisch?
Das ist eine gute Frage. Wir können mit den Arbeiten vor Ort nicht beginnen, solange wir das globale Budget noch nicht haben. Wir hoffen, dass die Liste der finanziellen Partner nächstens vollständig sein wird. Anschliessend werden das Erstellen der Ausführungspläne und die Submission einige Monate in Anspruch nehmen. Wenn wir jedoch mit den Arbeiten Anfang 2011 loslegen können, dann ist eine Einweihung Anfang 2013 absolut denkbar. (ev)