Endlager für Atommüll: Empa analysiert Materialsysteme im Felslabor
Zement gehört bei der sicheren Lagerung von radioaktivem Abfall zu den Schlüsselmaterialien. Denn die Behälter müssen schier unendlich haltbar sein. Empa-Forscher analysieren in einem Felslabor beim Monte Terri entsprechende Materialsysteme.
Quelle: Pierre Montavon / Empa
Gemeinsam mit internationalen Partnern und Forschungsgruppen aus der Schweiz untersuchen Empa-Forschende die Reaktionen von Zement-basierten Materialien und dem umliegenden Opalinuston.
Entsprechend dem Kernenergiegesetz sollen in der Schweiz geologische Tiefenläger künftig schwach-, mittel- und hochaktiven Atommüll aufnehmen. Dies setzt stabile Gesteinsschichten voraus, die die Endlagerbehälter umschliessen. Doch kein Material ist unveränderlich, denn selbst Marmor, Stein und Eisen können mit der Zeit brechen, wie die Empa in einer Mitteilung von Dienstag schreibt.
Für diese Aufgabe wird darum ein Wirtsgestein benötigt, das über Jahrtausende geologisch möglichst stabil und dicht ist. Der 180 Millionen Jahre alte Opalinuston habe sich nun als passendes Wirtsgestein herauskristallisiert, wie die Empa mitteilt. Dieser dehnt sich in der Schweiz unter anderem zwischen Olten und Schaffhausen in einer Tiefe von 600 Metern aus. Das Gestein weist eine geringe Wasserleitfähigkeit auf und besitzt hervorragende isolierende Eigenschaften.
Felsenfest eingeschlossenes Atommüll-Endlager
Doch wie reagieren die kristallinen Strukturen und Tonmineralien von Opalinuston mit Zement-basierten Sicherheitsbarrieren, wenn der Zahn der Zeit zu Veränderungen führt? Die Nagra benötigt zur Klärung dieser Fragen Daten, damit ein Atommüll-Endlager im Hinblick auf Umweltschutz und Sicherheit felsenfest in der Erde eingebettet werden kann.
Die Forscherin Barbara Lothenbach und ihr Team vom Empa-Labor «Beton & Asphalt» widmen sich den dazu nötigen Analysen. Dies in Form von Experimenten unter realitätsnahen Bedingungen, die sie im Felslabor Mont Terri in St. Ursanne durchführen, welches in einer solchen Opalinustonschicht errichtet wurde.
Gemeinsam mit Partnern wie der Universität Bern und dem Paul Scherrer Institut (PSI) werden hier Reaktionen von Zement-basierten Materialien und dem umliegenden Opalinuston simuliert. Das Team untersucht und modelliert dabei die Langzeitentwicklung der Grenzschichten zwischen den Materialsystemen in mehrjährigen Versuchen bei Temperaturen zwischen 20 und 70 Grad Celsius.
Quelle: Empa
Empa-Forscherin Barbara Lothenbach.
Low-Alkali- oder Portland-Zement
Von besonderer Bedeutung ist hierbei der stark alkalische
pH-Wert von Zement, der bei herkömmlichem Portland-Zement bei pH 13.5 oder
sogar darüber liegen kann, wie die Empa erklärt. Damit das alkalische Milieu
die Tonmineralien in der Umgebung weniger stark angreift, schien zunächst eine
Neuentwicklung, der sogenannte «low-alkali»-Zement, ein guter Kandidat für
langlebige, Zement-basierte Schutzbarrieren zu sein.
Mit einem pH-Wert von 12.2 oder tiefer weist dieser eine
mehr als zehnmal niedrigere Alkalikonzentration auf. Lothenbach und ihr Team
verglichen daher Zementarten mit unterschiedlichen pH-Werten mittels
thermodynamischer Modellierungen und Röntgendiffraktionsanalysen. Damit liegen
laut der Empa nun erstmals Langzeitergebnisse vor, mit denen sich die
Zementarten und ihre Entwicklung im Berg charakterisieren lassen.
Dabei stellte sich heraus, dass Low-Alkali--Zement
tatsächlich schonender mit den Tonmineralien umgeht. Allerdings bilden sich bei
der Verwendung von herkömmlichem Portland-Zement über die Zeit chemische
Verbindungen, die zu ähnlich günstigen Verhältnissen in der Sicherheitsbarriere
führen. Damit sei der preiswertere und erprobte Portland-Zement wieder zurück
in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, wie Lothenbach in der Mitteilung
erklärt.
Schutzbarriere aus Beton gegen Radioaktivität
Sollen Zement-basierte Materialien radioaktive Substanzen
vom Austritt in die Umwelt abhalten, darf zudem die Reaktion zwischen dem Atommüll
und dem Zement die Sicherheitsbarrieren des Lagers nicht beeinträchtigen. Die
Forscher haben darum radioaktive Isotope, die im Abfall vorhanden sind, wie
etwa jene des Elements Selen, in Adsorptionsstudien untersucht.
Die Ergebnisse zeigen, dass Selen-Verbindungen in grossen
Mengen vom Zement aufgenommen werden. «Eine Schutzbarriere aus Beton verzögert
das Austreten von Radioaktivität in die Biosphäre, da die Zementmineralien die
radioaktiven Substanzen binden und damit eine Verbreitung aufhalten», so Lothenbach
weiter.
So einfach lassen sich aber nicht alle Prozesse bewerten, die im komplexen Zusammenspiel der aufeinandertreffenden Materialien ablaufen, wie die Forscherin festhält. Man hatte zwar gehofft, dass die Entwicklung von neuen low-alkali-Zementarten Vorteile für die Haltbarkeit der Sicherheitsbarrieren bieten. Allerdings stellten sie bei anderen Eigenschaften Nachteile fest: Mittels thermodynamischer Modellierungen und experimentellen Daten konnten die Forschenden erkennen, dass solche Zement-Arten Substanzen wie radioaktives Iodid schlechter binden.
Quelle: swisstopo
Das Felslabor beim Mont Terri in St. Ursanne von aussen.
Gefährliche Korrosion
Erstrebenswert ist eine Isolationsschicht, die zwar möglichst wasserdicht, jedoch nicht gasdicht abschliesst. Gase können in einem Tiefenlager beispielsweise durch Korrosion der eingeschlossenen Stahlbehälter entstehen, wobei sich Eisenhydroxid bildet und Wasserstoff freigesetzt wird. Solche Gase, die über die Zeit in kleinen Mengen entstehen, müssen entweichen können, um die Entstehung von Überdruck zu verhindern.
Um langfristigen Reaktionen bei der Korrosion von Eisen an der Grenze zum Zementmaterial auf die Spur zu kommen, führten die Forschenden Untersuchungen mittels chemischer Analysen und Spektroskopie durch. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich Portland-Zement mit hohen pH-Werten besser bewährt als Low-Alkali-Zement. Nun stehen weitere Experimente an, die diese noch wenig bekannten Korrosionsprozesse genauer beleuchten sollen.
Erkenntnisse auch für Bauindustrie interessant
Zudem hat Lothenbachs Team die Phasen in der Interaktionszone von Zement und Opalinuston charakterisiert, die aus der Wechselwirkung von Tonmineralien mit den Bestandteilen des Zements entstehen, wie etwa eine Magnesiumsilikat-Phase. Dass derartige Zwischenschichten entstehen und zu einer Abdichtung der Schutzschicht beitragen könnten, war bisher nicht eindeutig geklärt.
Erkenntnisse dieser Art können zur Entwicklung neuer Materialsysteme beitragen, die für die gesamte Bauindustrie interessant sind, ist Lothenbach überzeugt. Denn trotz der guten Materialeigenschaften von Portland-Zement wird heute verstärkt nach Umwelt- und Ressourcen-schonenderen Alternativen gesucht, die auch für andere Anwendungen als in einem geologischen Tiefenlager eingesetzt werden könnten. (pd/pb)
Zur Mitteilung der Empa: empa.ch/web/s604/atomares-endlager
Das Mont-Terri-Projekt
Am internationalen Forschungsprogramm im Mont Terri Felslabor sind elf Nationen mit Universitäten und Forschungsinstituten beteiligt, darunter die Empa. Die unterirdische Anlage befindet sich in einer Opalinuston-Schicht in 300 Meter Tiefe im Mont Terri bei St. Ursanne (JU). Das Labor wird vom Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) betrieben, die Projektpartner finanzieren die Forschung. Seit 1996 werden hier Gesteinsformationen untersucht, die bei der Lagerung radioaktiver Abfälle eine Rolle spielen könnten.