Ein gläserner Tornado für die Albert Knox Galerie in Buffalo
Eine skulpturale Glaskonstruktion mit Namen «common sky» prägt seit Frühjahr 2023 den neuen Haupteingang der Albert Knox Galerie im nordamerikanischen Buffalo. Ersonnen wurde der gläserne Tornado von den Künstlern Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann und deren gemeinsamen -Gestaltungsbüro Studio Other Spaces (SOS).
Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces
Wie ein Himmel, der in Form eines Tornados den Boden berührt: Die Glaskonstruktion «common sky» bei der Albert Knox Galerie in Buffalo.
Die Struktur ist gewölbt, sowohl aus
statischen wie auch aus praktischen und natürlich auch aus Designgründen. «Man
kann sie sich vorstellen als einen Himmel, der in Form eines Tornados den Boden
berührt», erläutert der Künstler und Architekt Sebastian Behmann von Studio
Other Spaces (SOS). Doch es gibt weit mehr Verbindungen als seine augenfällige
Form, mit denen sich das skulpturale Glasdach zum Aussenraum und Himmel in
Bezug setzt: So sind die dreieckigen Glasflächen der Dachhaut alternierend mal
mit einer blickdichten Spiegelfolie belegt und mal nicht.
Unmittelbar unter der wasserführenden
Dachfläche wurde eine zweite Lage verspiegelter Dreiecksflächen angelegt, die
jeweils nur unterhalb der transparenten Glasflächen angeordnet sind. Steht man
nun unter diesem Spiegelgewölbe und schaut nach oben, sieht man natürlich sich
selbst, weitere Besucher und vor allem den hellen Fussboden. Zwischen den
Spiegelflächen erkennt man noch dünne Linien des Himmels. Dieses im ersten
Moment sehr introvertiert erscheinende Konstrukt hat einen überraschenden
Effekt: Steht die Sonne hoch am Himmel, dann werfen die lichtundurchlässigen
Spiegelflächen einen Schatten auf den weissen Fussboden.
Diese dunklen Flächen werden von den
Spiegeln dunkel reflektiert, weshalb der ganze Raum entsprechend dunkel wirkt.
An trüben Tagen jedoch, wenn die Sonne nicht scheint und es keinen
Schattenwurf, sondern nur diffuses Licht gibt, dann ist der Boden hell und mit
ihm die Deckenspiegel – womit der ganze Raum überraschend hell erscheint.
Tatsächlich projizieren die zahllosen Spiegel nicht nur die jeweilige
Wettersituation und die Lichtstimmungen der Aussenwelt nach innen, sie
verstärken und abstrahieren sie zugleich, weshalb man sich an diesem Ort
intuitiv sehr stark mit den natürlichen Elementen verbunden fühlt.
Quelle: Jeff Mace. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum
Diese Luftaufnahme zeigt die besondere städtebauliche Situation mit dem Anbau an den Bestand.
Vorgeschichte des Museums
Der Bereich des neuen Haupteingangs des
Buffalo AKG Art Museums war früher ein für Museumsbesucher unzugänglicher Innenhof
zwischen dem 1905 fertiggestellten Hauptgebäude des Museums und seiner baulich
getrennten Erweiterung durch Gordon Bunshaft aus dem Jahr 1962. Der heutige
Museumsdirektor, der Finne Janne Sirén, war die treibende Kraft bei der Umsetzung
der Museumserweiterung, die seit vielen Jahren in den Hinterköpfen präsent
war.
2012 wurde zunächst ein städtebaulicher
Ideenwettbewerb durchgeführt, den das bekannte norwegische Architekturbüro
Snøhetta gewann. Dieser führte 2016 zu einem Architekturwettbewerb, den die
New Yorker Niederlassung des niederländischen Büros Office for
Metropolitan Architecture (OMA) für sich entschied – diese schlug insbesondere
eine Überdachung des Innenhofs vor. Federführender Architekt bei OMA war Shohei
Shigematsu, der sich vor allem als Vermittler zwischen den verschiedenen am
Projekt beteiligten Interessengruppen bewährte.
So war anfangs die zuständige Denkmalpflege
wenig angetan von einem direkten Anbau an den denkmalgeschützten Altbau.
Schliesslich einigte man sich darauf, dass die neuerliche Ergänzung vollständig
rückbaubar sein und in ihrer Gestaltung und Ausführung als Ergänzung eindeutig
zu erkennen sein muss. Die Künstler Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann
wurden nunmehr beauftragt, eine artifizielle Überdachung dieses Terrains zu
schaffen. Es sollte ein Objekt sein, das einerseits die gewünschte Funktion
erfüllt und andererseits aber auch unzweifelhaft ein Kunstwerk ist.
Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces
Die neue Eingangssituation der Albert Knox Galerie mit dem Erweiterungsbau.
Quelle: Studio Other Spaces. Courtesy of Studio Other Spaces
Gut sichtbar: Die invertierte Schattenfunktion der gläsernen Erweiterung bei Sonnenlicht.
Eigene Struktur
Die sphärisch gewölbte Dachkonstruktion der
Erweiterung besteht aus grösseren Dreiecksflächen aus Glas und kleinen
Sechseckflächen aus Metall, die über gerade Profilstücke miteinander verbunden
sind. Bewusst wurde nicht mit einer ausschliesslichen Konstruktion aus
Dreiecken gearbeitet. Die Mischform mit den zusätzlich eingefügten Hexagonen
(Sechsecken) erlaubt es, die Knotenpunkte der tragenden Unterkonstruktion
besser zu dimensionieren.
Bei einer reinen Triangularkonstruktion
treffen hohe Kräfte immer genau in einem Punkt aufeinander. Durch die Hexagonintegration
im Tragwerk verteilen sich diese Lasten auf die Sechseckfläche und es entsteht
damit eine gewisse «Lastunschärfe», die mehr Gestaltungsoptionen für die
Profildimensionierung eröffnet. In Kombination mit der darunter liegenden
zweiten Spiegelebene wird ausserdem ein kleiner Zwischenraum geschaffen, durch
den mehr Licht dringen kann.
Das Common-Sky-Tragwerk besteht
aus zwei direkt untereinanderliegenden Spiegellagen, deren jeweilige
Rahmen statisch zusammenwirken. Die untere Lage besteht aus einem analogen
Aufbau zu der darüberliegenden Anordnung von Dreiecken und Hexagonen. Diese
sind nach einem bestimmten System miteinander querverbunden und wirken
statisch gemeinsam als Schale.
Quelle: Hahner-Technik
Die sphärisch gewölbte Dachkonstruktion besteht aus grösseren Dreiecksflächen aus Glas und kleinen Sechseckflächen aus Metall, die über gerade Profilstücke miteinander verbunden sind.
Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces
Gut erkennbar: Die zwei Lagen von Spiegelflächen, dazwischen ist der Himmel zu sehen.
Welt der Geometrie
Zu ihren Strukturen finden die beiden
Künstler Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann durch ein «Advanced Geometry
Team», das sie in ihrem gemeinsamen Büro SOS unterhalten. Dabei handelt es sich
um zwei Mitarbeiter, die sich damit beschäftigen, welche aktuellen
Entwicklungen es in der Welt der Geometrie gibt, und die das Büro bei entsprechenden
Konferenzen repräsentieren. Das Büro hat mittlerweile eine Grösse erreicht,
die es dem Team ermöglicht, solche Strömungen aufzugreifen und in reale
Projekte zu überführen.
Das Common-Sky-Tragwerk resultiert so etwa
aus einer geometrischen Recherche dieses Teams. Bewusst wollte man hier keine
linearen Strukturen schaffen, sondern eine dynamische Struktur, die aus einer
Addition von Dreiecken und Hexagonen besteht. Umfassend statisch beraten
wurden sie dabei von Hartwig Bretis, dem Geschäftsführer des Ingenieurbüros
«ArtEngineering» aus dem deutschen Schorndorf, das sich auf die
Dimensionierung und die Baukonstruktion von Kunstobjekten spezialisiert hat.
Quelle: Hahner-Technik
Richtfest der in der Werkshalle von Hahner-Technik in Petersberg-Böckels testweise zusammengefügten Dachkonstruktion.
Kunsthandwerklicher Anspruch
Die Werkplanung und handwerkliche
Ausführung der von SOS definierten Freiformfassade mit ihrer aus miteinander
verbundenen, respektive verschweissten Rundstäben bestehenden Tragkonstruktion
lag bei dem mittelständischen Metallbauunternehmen Hahner-Technik im hessischen
Petersberg-Böckels. Hahner-Technik legten mit ihrer CNC-Säge-Fräs-Bohranlage
zunächst die erforderlichen sphärischen Schnitte an den Rundrohren an und
verschweissten diese biegesteif miteinander.
Die ganze Konstruktion war zuvor von SOS
komplett in 3D im CAD-Programm Rhino-Basis entwickelt worden. Für den Transport
in die Vereinigten Staaten musste die in Petersberg vorgefertigte und testweise
auch aufgebaute Konstruktion zerlegbar sein. Die Schraubverbindungen wurden
grundsätzlich in Stabmitte angelegt, wo die Biegemomente ihren Nullpunkt haben.
Da aber an dieser Stelle keine Schrauben zu sehen sein sollten, wurden die Bauteile
dort über verdeckte Muffen und Laschen miteinander verbunden und die
erforderlichen Verbindungsschrauben über Handlöcher in den Rundstäben
fixiert.
Wie erwähnt, besteht das Tragwerk aus einer
mit Rundrohren gefertigten Innenschale und einer aus Rechteckrohren bestehenden
Aussenschale, die eine Regelansichtsbreite von 80 Millimetern aufweist.
Rechteckrohre waren hier erforderlich, um daran die Fensterprofile der Dachflächenverglasung
anzubringen. Die Rechteckrohrtiefe beginnt ebenfalls bei 80 Millimetern,
kann sich aber bis auf 120 Millimeter vergrössern. Die vielfach
verschnittenen Rohre wurden mit einem 3D-Plasmabrenner hergestellt. Darüber hinaus
musste eine komplizierte Verdingungskonstruktion entwickelt werden, um die
Fensterprofile bündig und durchgehend mit den Rechteckrohren ihrer
Tragkonstruktion zu verbinden.
Bei den insgesamt 400 eingesetzten
Glasscheiben gleicht keine der anderen, alle sind Einzelanfertigungen mit unterschiedlichen
Kantenlängen und Winkeln. Es handelt sich durchweg um Isolierglasscheiben, die
zudem alle gängigen Anforderungen, wie etwa Wärmeschutz oder UV-Schutz,
aufweisen mussten. Für die Erstellung der ganzen Dachflächengeometrie waren
15'000 unterschiedliche Laserzuschnitte erforderlich. Dabei war die grosse
Herausforderung weniger die automatisierte Produktion, als vielmehr hinterher
logistisch den Überblick zu behalten.
Quelle: Jeff Mace. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum
Bau der Dachkonstruktion in Buffalo: Die 400 Glasscheiben sind allesamt Einzelanfertigungen mit unterschiedlichen Kantenlängen.
Wesen von Kunst
Für Sebastian Behmann geht es bei Kunst
nicht nur um das finale, sichtbare Ergebnis, sondern auch um den gemeinsamen
Weg dorthin. Er wünscht sich, dass bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür
entsteht, an etwas Besonderem mitzuarbeiten, gegenseitige Wertschätzung zu
erfahren und daraus Motivation zu schöpfen, woraus sie etwas Positives für sich
selber gewinnen. Behmann stellt sich auch die Frage, was Kunst, was Museen im
21. Jahrhundert leisten können. Einstmals waren es Räume, an denen Artefakte,
Besonderheiten oder Abnormitäten gezeigt wurden. Heute sind es zunehmend Orte,
die die Welt in besonderer Weise fokussieren.
Museen werden auch zunehmend von der Gesellschaft vereinnahmt; in den USA finden bereits die ersten Hochzeiten darin statt. In dieser Ausrichtung sieht sich auch das Projekt «common sky»: Seine künstlerische Qualität schafft eine lockende Neugierde, wo Menschen sich mittlerweile gezielt treffen. In Buffalo ist der frei zugängliche Ort schnell zu einer Destination geworden. Viele Ankömmlinge machen dort als erstes spontan ein Selfie und signalisieren mit dieser Geste: «Ja, ich war da – und finde das gut!» Nicht unbedingt das Selbstportrait, aber die dazugehörige innere Haltung war es, die Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann durchaus erreichen wollten.
Quelle: Studio Other Spaces. Courtesy of Studio Other Spaces
Die beiden Künstler Ólafur Elíasson (links) und Sebastian Behmann (rechts).
Projektbeteiligte
- Bauherr: Buffalo AKG Museum
- Architekt: OMA New York
- Künstler: Olafur Eliasson und Sebastian Behmann
(Studio Other Spaces)
- Statik Kunstwerk: ArtEngineering GmbH
- Ausführung: Hahner-Technik GmbH & Co. KG