08:18 BAUPRAXIS

Ein gläserner Tornado für die Albert Knox Galerie in Buffalo

Geschrieben von: Robert Mehl (rm)
Teaserbild-Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces

Eine skulpturale Glaskonstruktion mit Namen «common sky» prägt seit Frühjahr 2023 den neuen Haupteingang der Albert Knox Galerie im nordamerikanischen Buffalo. Ersonnen wurde der gläserne Tornado von den Künstlern Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann und deren gemeinsamen -Gestaltungsbüro Studio Other Spaces (SOS).

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces

Wie ein Himmel, der in Form eines Tornados den Boden berührt: Die Glaskonstruktion «common sky» bei der Albert Knox Galerie in Buffalo.

Die Struktur ist gewölbt, sowohl aus statischen wie auch aus praktischen und natürlich auch aus Design­gründen. «Man kann sie sich vorstellen als einen Himmel, der in Form eines Tornados den Boden berührt», erläutert der Künstler und Architekt Sebastian Behmann von ­Studio Other Spaces (SOS). Doch es gibt weit mehr Verbindungen als seine augenfällige Form, mit denen sich das skulpturale Glasdach zum Aussenraum und Himmel in Bezug setzt: So sind die dreieckigen Glasflächen der Dachhaut alternierend mal mit einer blickdichten Spiegelfolie belegt und mal nicht. 

Unmittelbar unter der wasserführenden Dachfläche wurde eine zweite Lage verspiegelter Dreiecksflächen angelegt, die jeweils nur unterhalb der transparenten Glasflächen angeordnet sind. Steht man nun unter diesem Spiegelgewölbe und schaut nach oben, sieht man natürlich sich selbst, weitere Besucher und vor allem den hellen Fussboden. Zwischen den Spiegelflächen erkennt man noch dünne Linien des Himmels. Dieses im ersten Moment sehr introvertiert erscheinende Konstrukt hat einen überraschenden Effekt: Steht die Sonne hoch am Himmel, dann werfen die lichtundurchlässigen Spiegelflächen einen Schatten auf den weissen Fussboden. 

Diese dunklen Flächen werden von den Spiegeln dunkel reflektiert, weshalb der ganze Raum entsprechend dunkel wirkt. An trüben Tagen jedoch, wenn die Sonne nicht scheint und es keinen Schattenwurf, sondern nur diffuses Licht gibt, dann ist der Boden hell und mit ihm die Deckenspiegel – womit der ganze Raum überraschend hell erscheint. Tatsächlich projizieren die zahllosen Spiegel nicht nur die jeweilige Wettersituation und die Lichtstimmungen der Aussenwelt nach innen, sie verstärken und abstrahieren sie zugleich, weshalb man sich an diesem Ort intuitiv sehr stark mit den natürlichen Elementen verbunden fühlt. 

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Jeff Mace. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum

Diese Luftaufnahme zeigt die besondere städtebauliche Situation mit dem Anbau an den Bestand.

Vorgeschichte des Museums

Der Bereich des neuen Haupteingangs des Buffalo AKG Art Museums war früher ein für Museumsbesucher unzugänglicher Innen­hof zwischen dem 1905 fertiggestellten Hauptgebäude des Museums und seiner baulich getrennten Erweiterung durch ­Gordon Bunshaft aus dem Jahr 1962. Der heutige Museumsdirektor, der Finne Janne Sirén, war die treibende Kraft bei der ­Umsetzung der Museumserweiterung, die seit vielen Jahren in den Hinterköpfen präsent war. 

2012 wurde zunächst ein städtebaulicher Ideenwettbewerb durchgeführt, den das bekannte norwegische Architekturbüro Snøhetta gewann. Dieser führte 2016 zu einem Architekturwettbewerb, den die New Yorker Niederlassung des niederländischen Büros Office for Metropolitan ­Architecture (OMA) für sich entschied – diese schlug insbesondere eine Überdachung des Innenhofs vor. Federführender Architekt bei OMA war Shohei Shigematsu, der sich vor allem als Vermittler zwischen den verschiedenen am Projekt beteiligten Interessengruppen bewährte. 

So war anfangs die zuständige Denkmalpflege wenig angetan von einem direkten Anbau an den denkmalgeschützten Altbau. Schliesslich einigte man sich darauf, dass die neuerliche Ergänzung vollständig rückbaubar sein und in ihrer Gestaltung und Ausführung als Ergänzung eindeutig zu erkennen sein muss. Die Künstler Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann wurden nunmehr beauftragt, eine artifizielle Überdachung dieses Terrains zu schaffen. Es sollte ein Objekt sein, das einerseits die gewünschte Funktion erfüllt und andererseits aber auch unzweifelhaft ein Kunstwerk ist. 

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces

Die neue Eingangssituation der Albert Knox Galerie mit dem Erweiterungsbau.

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Studio Other Spaces. Courtesy of Studio Other Spaces

Gut sichtbar: Die invertierte Schattenfunktion der gläsernen Erweiterung bei Sonnenlicht.

Eigene Struktur 

Die sphärisch gewölbte Dachkonstruktion der Erweiterung besteht aus grösseren Dreiecksflächen aus Glas und kleinen Sechseckflächen aus Metall, die über gerade Profilstücke miteinander verbunden sind. Bewusst wurde nicht mit einer ausschliesslichen Konstruktion aus Dreiecken gearbeitet. Die Mischform mit den zusätzlich eingefügten Hexagonen (Sechsecken) erlaubt es, die Knotenpunkte der tragenden Unterkonstruktion besser zu ­dimensionieren.

Bei einer reinen Triangularkonstruktion treffen hohe Kräfte immer genau in einem Punkt aufeinander. Durch die Hexagon­integration im Tragwerk verteilen sich diese Lasten auf die Sechseckfläche und es entsteht damit eine gewisse «Last­unschärfe», die mehr Gestaltungsoptionen für die Profil­dimensionierung eröffnet. In Kombination mit der darunter liegenden zweiten Spiegelebene wird ausserdem ein kleiner Zwischenraum geschaffen, durch den mehr Licht dringen kann. 

Das Common-Sky-Tragwerk besteht aus zwei direkt untereinanderliegenden Spiegel­lagen, deren jeweilige Rahmen statisch zusammenwirken. Die untere Lage besteht aus einem analogen Aufbau zu der darüberliegenden Anordnung von Dreiecken und Hexagonen. Diese sind nach ­einem bestimmten System miteinander querverbunden und wirken statisch gemeinsam als Schale. 

Hahner-Technik Common Sky Glaskonstruktion Buffalo

Quelle: Hahner-Technik

Die sphärisch gewölbte Dachkonstruktion besteht aus grösseren Dreiecksflächen aus Glas und kleinen Sechseckflächen aus Metall, die über gerade Profilstücke miteinander verbunden sind.

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Marco Cappelletti. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum, OMA, Cooper Robertson, and Studio Other Spaces

Gut erkennbar: Die zwei Lagen von Spiegel­flächen, dazwischen ist der Himmel zu sehen.

Welt der Geometrie 

Zu ihren Strukturen finden die beiden Künstler Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann durch ein «Advanced Geometry Team», das sie in ihrem gemeinsamen Büro SOS unterhalten. Dabei handelt es sich um zwei Mitarbeiter, die sich damit beschäftigen, welche aktuellen Entwicklungen es in der Welt der Geometrie gibt, und die das Büro bei entsprechenden ­Konferenzen repräsentieren. Das Büro hat mittlerweile eine Grösse erreicht, die es dem Team ermöglicht, solche Strömungen aufzugreifen und in reale Projekte zu überführen.

Das Common-Sky-Tragwerk resultiert so etwa aus einer geometrischen Recherche dieses Teams. Bewusst wollte man hier keine linearen Strukturen schaffen, sondern eine dynamische Struktur, die aus einer Addition von Dreiecken und Hexa­gonen besteht. Umfassend statisch beraten wurden sie dabei von Hartwig Bretis, dem Geschäftsführer des Ingenieurbüros «Art­Engineering» aus dem deutschen Schorndorf, das sich auf die Dimensionierung und die Baukonstruktion von Kunstobjekten spezialisiert hat.

Hahner-Technik Common Sky Glaskonstruktion Buffalo

Quelle: Hahner-Technik

Richtfest der in der Werkshalle von Hahner-Technik in Petersberg-Böckels testweise zusammengefügten Dachkonstruktion.

Kunsthandwerklicher Anspruch 

Die Werkplanung und handwerkliche Ausführung der von SOS definierten Freiformfassade mit ihrer aus miteinander verbundenen, respektive verschweissten Rundstäben bestehenden Tragkonstruktion lag bei dem mittelständischen Metallbauunternehmen Hahner-Technik im hessischen Petersberg-Böckels. Hahner-Technik legten mit ihrer CNC-Säge-Fräs-Bohranlage zunächst die erforderlichen sphärischen Schnitte an den Rundrohren an und verschweissten diese biegesteif miteinander. 

Die ganze Konstruktion war zuvor von SOS komplett in 3D im CAD-Programm Rhino-Basis entwickelt worden. Für den Transport in die Vereinigten Staaten musste die in Petersberg vorgefertigte und testweise auch aufgebaute Konstruktion zerlegbar sein. Die Schraubverbindungen wurden grundsätzlich in Stabmitte angelegt, wo die Biegemomente ihren Nullpunkt haben. Da aber an dieser Stelle keine Schrauben zu sehen sein sollten, wurden die ­Bauteile dort über verdeckte Muffen und Laschen miteinander verbunden und die erforderlichen Verbindungsschrauben über Handlöcher in den Rundstäben fixiert. 

Wie erwähnt, besteht das Tragwerk aus einer mit Rundrohren gefertigten Innenschale und einer aus Rechteckrohren ­bestehenden Aussenschale, die eine Regel­ansichtsbreite von 80 Millimetern aufweist. Rechteckrohre waren hier erforderlich, um daran die Fensterprofile der Dach­flächenverglasung anzubringen. Die Rechteckrohrtiefe beginnt ebenfalls bei 80 Millimetern, kann sich aber bis auf 120 Millimeter vergrössern. Die vielfach verschnittenen Rohre wurden mit einem 3D-Plasmabrenner hergestellt. Darüber ­hinaus musste eine komplizierte Verdingungskonstruktion entwickelt werden, um die Fensterprofile bündig und durchgehend mit den Rechteckrohren ihrer Tragkonstruktion zu verbinden. 

Bei den insgesamt 400 eingesetzten Glasscheiben gleicht keine der anderen, alle sind Einzelanfertigungen mit unterschiedlichen Kantenlängen und Winkeln. Es handelt sich durchweg um Isolierglasscheiben, die zudem alle gängigen Anforderungen, wie etwa Wärmeschutz oder UV-Schutz, aufweisen mussten. Für die Erstellung der ganzen Dachflächengeometrie waren 15'000 unterschiedliche Laserzuschnitte erforderlich. Dabei war die grosse Herausforderung weniger die automatisierte Produktion, als vielmehr hinterher logistisch den Überblick zu behalten. 

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Jeff Mace. Courtesy of the Buffalo AKG Art Museum

Bau der Dachkonstruktion in Buffalo: Die 400 Glasscheiben sind allesamt Einzel­anfertigungen mit unterschiedlichen ­Kantenlängen.

Wesen von Kunst 

Für Sebastian Behmann geht es bei Kunst nicht nur um das finale, sichtbare Ergebnis, sondern auch um den gemeinsamen Weg dorthin. Er wünscht sich, dass bei allen Beteiligten ein Bewusstsein dafür entsteht, an etwas Besonderem mitzuarbeiten, gegenseitige Wertschätzung zu erfahren und daraus Motivation zu schöpfen, woraus sie etwas Positives für sich selber gewinnen. Behmann stellt sich auch die Frage, was Kunst, was Museen im 21. Jahrhundert leisten können. Einstmals waren es Räume, an denen Artefakte, Besonderheiten oder Abnormitäten gezeigt wurden. Heute sind es zunehmend Orte, die die Welt in besonderer Weise fokussieren. 

Museen werden auch zunehmend von der Gesellschaft vereinnahmt; in den USA finden bereits die ersten Hochzeiten darin statt. In dieser Ausrichtung sieht sich auch das Projekt «common sky»: Seine künstlerische Qualität schafft eine lockende Neugierde, wo Menschen sich mittlerweile gezielt treffen. In Buffalo ist der frei zugängliche Ort schnell zu einer Destination geworden. Viele Ankömmlinge machen dort als erstes spontan ein Selfie und signalisieren mit dieser Geste: «Ja, ich war da – und finde das gut!» Nicht unbedingt das Selbstportrait, aber die dazugehörige innere Haltung war es, die Ólafur Elíasson und Sebastian Behmann durchaus erreichen wollten.

Common Sky Erweiterung der Albert Knox Gallerie, Buffalo

Quelle: Studio Other Spaces. Courtesy of Studio Other Spaces

Die beiden Künstler Ólafur Elíasson (links) und Sebastian Behmann (rechts).

Projektbeteiligte

  • Bauherr: Buffalo AKG Museum
  • Architekt: OMA New York
  • Künstler: Olafur Eliasson und Sebastian Behmann (Studio Other Spaces)
  • Statik Kunstwerk: ArtEngineering GmbH
  • Ausführung: Hahner-Technik GmbH & Co. KG

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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