Drohnenbohrer Aithon: Ein fliegendes Sackmesser
Ingenieurs-Studierende der ETH Zürich haben eine Drohne entwickelt, mit der sich ferngesteuert Bohrmaschinen und andere Geräte an hohe Orte befördern lassen. Der Drohnenbohrer «Aithon» soll den Bau eines Gerüsts überflüssig machen und dabei helfen, Sturzunfälle zu vermeiden.
Quelle: Project AITHON
Der Drohnenbohrer Aithon im Flug, der dank Kabelversorgung praktisch unbeschränkt lange dauern kann.
Der Welttag für Sicherheit und Gesundheit
am Arbeitsplatz ist kein Ereignis, das die Schlagzeilen beherrscht. Doch die
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva nimmt sich den Tag jeweils zum
Anlass, um auf die Gefahren bei der Arbeit hinzuweisen. Dieses Jahr hat sich
die Suva dem Thema Stürze gewidmet, das den Alltag der Versicherung prägt: Pro
Jahr stürzen bei Bauarbeiten 10 500 Menschen ab. Die Suva zählt pro Jahr 5500
Berufsunfälle mit Leitern, von denen einige gar tödlich enden. So waren im
letzten Jahr mehrere tödliche Unfälle zu beklagen, bei denen Personen durch
Faserzement-Dächer in die Tiefe stürzten.
Die wichtigste Gegenmassnahme ist das
Einhalten der Suva-Regeln, mit denen sich die Mehrzahl aller Unfälle vermeiden
lässt. Doch gerade bei Bauarbeiten sind auch immer wieder Eingriffe an schwer
zugänglichen Orten nötig, die eine gewisse Gefahr bergen.
Dieser Problematik widmet sich seit Herbst
2021 ein Focus Project der ETH Zürich: Acht Studierende, sechs Maschinenbau-
und zwei Elektroingenieure, arbeiten derzeit daran, eine ferngesteuerte
Bohrdrohne zu entwickeln, die solche Arbeiten übernehmen könnte. Begleitet
wurde das Vorhaben vom Autonomous Systems Lab der ETH. Das Roll-out des ersten
Prototyps der Drohne erfolgte am 1. Mai 2022.
Ein fliegender Würfel
Der damals vorgestellte und seither
beständig weiterentwickelte Drohnenbohrer «Aithon» ist ein Quadrokopter, also
ein Fluggerät mit vier horizontal liegenden Antriebsrotoren. Das Gerät besteht
aus einem H-förmigen Tragrahmen aus Carbonstangen, an dem vier Motoren,
die Steuerungseinheit, das Positionierungssystem und die Bohrmaschine –
ein Hilti-Bohrhammer «TE 2-A22» – befestigt sind.
Ferngesteuert trägt die Drohne die
Bohrmaschine dann an den gewünschten Einsatzort und bohrt dort die nötigen
Löcher. Ausser einem Bohrer lassen sich hierbei auch eine Vielzahl weiterer
Werkzeuge für Einsätze in der Höhe an der Drohne montieren, zum Beispiel ein
Schraubendreher, eine Stichsäge oder ein Locher.
Quelle: Project AITHON
Anflug zum Einsatzort: Der Drohnenbohrer wird mit einer handelsüblichen Fernsteuerung bedient.
Der Arbeitseinsatz ist dabei in mehrere
Schritte aufgeteilt: Zuerst wird die Drohne an den Einsatzort geflogen. «Dieser
Anflug wird auf Sicht durchgeführt», erklärt Systems Engineer Roman
Dautzenberg. «Die Positionierung des Werkzeugs erfolgt dann mittels einem
gestreamten Kamerabild, worauf die Werkzeugspitze als projiziertes Laserkreuz
bei der Orientierung hilft.» Ist die rund 13 Kilogramm schwere Drohne am Ziel,
wird der Tragrahmen mit Vakuumhaltern an der Wand befestigt.
Und der nächste Schritt ist der eigentliche
Clou: Die vier Rotoren sind an einem schwenkbaren Arm befestigt. Auf diese
Weise können sie bei Bedarf um 90 Grad gekippt werden, wodurch nun die Rotoren
keinen Auftrieb mehr erzeugen, sondern die ganze Konstruktion gegen die Wand
pressen. Dies mit einem Druck von bis zu 150 Newton, was für diverse
Bauaufgaben ausreicht. Löcher bis zehn Millimeter Durchmesser wurden so etwa
bereits gebohrt, doch auch deutlich grössere sind möglich.
Quelle: Project AITHON
Ist die Drohne am Ziel, saugt sie sich als erstes an der Wand fest.
Einsatzhöhe auf acht Meter begrenzt
Der Bohrer wird von einem extraleichten
«Drill Positioning System» auf den Millimeter genau an seinen Einsatzort
bewegt: Das am Rahmen montierte System besteht aus zwei Gleichstrom-Motoren,
die über einen gezahnten Antriebsriemen den Bohrer in jede beliebige Richtung
bewegen, innerhalb der Bewegungsmöglichkeiten, die der 60 Zentimeter breite und
hohe Rahmen zulässt. Diese drei Arbeitsschritte Flug, Befestigung und
Manipulation der Oberfläche werden mit einer handelsüblichen Fernsteuerung
kontrolliert. «Unsere Vision ist aber eine Teil-Autonomie des Systems, bei
welcher der Mensch eine nur überwachende Funktion einnimmt.»
Die Einsatzhöhe ist im Moment auf etwa acht
Meter begrenzt. Roman Dautzenberg: «Das liegt daran, dass die Stromversorgung,
die über ein Kabel erfolgt, aktuell mit niedriger Spannung erfolgt. Mit anderen
Energiesystemen wären Höhen von über 100 Metern möglich.» Getestet wird
auch der Einsatz von Batterien, um die maximale Mobilität eines Flugroboters zu
nutzen. «Aber hier sind wegen des zusätzlichen Gewichts nur kurze Einsatzzeiten
möglich.»
Die Ausrüstung, die Aithon mitführt, darf
aktuell bis zu zwei Kilogramm wiegen, was gemäss Dautzenberg für viele
kraftintensive Arbeiten ausreicht. «Aber wir arbeiten auch an den Antrieben, um
sowohl schwerere Lasten zu tragen, als auch das Flugverhalten zu verbessern.»
Quelle: Project AITHON
Danach werden die Rotoren um 90 Grad gedreht, so dass sie das Gerät gegen die Wand drücken, was für den Bohreinsatz nötig ist.
Ein Schweizer Taschenmesser
Wo Aithon im Moment nicht arbeiten kann,
sind unebene Oberflächen. Denn die aktuelle Befestigung verlangt einen relativ
glatten Untergrund. «Wir arbeiten aber unter anderem an Methoden, um auch auf
Naturfelsen und anderen komplexeren Geometrien arbeiten zu können.» Das
Ziel des Teams ist es, damit und mit einer beinahe beliebig grossen
Werkzeugauswahl eine Art «fliegendes Schweizer Taschenmesser» zu entwickeln.
Im Moment ist der Drohnenbohrer Aithon
nicht im Einsatz: «Wir sind gerade in einer weiteren Entwicklungsphase. Dabei
versuchen wir, uns in den drei Bereichen Zuverlässigkeit, Bedienbarkeit und
Erweiterung der Fähigkeiten zu verbessern.» Wobei das Gerät bereits jetzt weit
über neunzig Prozent seiner Standard-Einsätze bewältige. Die Bedienbarkeit will
man inkrementell verbessern, indem man ein verbessertes Cockpit für die Nutzer
entwickelt. Die Erweiterung der Fähigkeiten erreicht man, indem Aithon fit
für raue Oberflächen gemacht wird.
Quelle: Project AITHON
Am Ende des Eingriffs löst sich die Drohe und fliegt zum nächsten Einsatzort.
Partner sind willkommen
Daneben sucht das im Herbst 2021 gegründete
Spin-off der ETH auch nach Möglichkeiten, um die Fähigkeiten seines
Flugroboters zu präsentieren. Ebenso willkommen sind auch
Implementierungspartner, mit denen der Roboter weiter entwickelt werden kann.
Denn die Entwickler sind von ihrem Fluggerät überzeugt: Mit diesem fliegenden
Allzweck-Roboter könne man bei verschiedenen Eingriffen auf Gerüste und
Verschalungen verzichten und so kleine Eingriffe, Reparaturen oder Inspektionen
rasch und günstig durchführen. Und ganz nebenbei auch Arbeiter vor Einsätzen in
solchen Gefahrensituationen bewahren.
Die wirtschaftliche Seite eines Einsatzes
von Drohnenbohrern haben die Entwickler bewusst noch ausgeklammert. Doch mit
dem Vormarsch der Robotik in verschiedenen Arbeitsbereichen wird sich in gar
nicht so ferner Zukunft auch der Einsatz eines fliegenden Bohrroboters durchaus
rechnen, nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass bei jedem Einsatz der
Drohne ein Mensch vor einer potentiell gefährlichen Arbeit verschont wird.
Somit könnte der Drohnenbohrer Aithon
dereinst möglicherweise dabei helfen, die Unfallstatistik weiter zu verbessern.
Denn, dies durfte die Suva zum Welttag für Sicherheit und Gesundheit am
Arbeitsplatz auch vermelden, das Risiko, in der Schweiz am Arbeitsplatz zu
verunfallen, ist in den vergangenen zehn Jahren um 13 Prozent gesunken. Auf
einem leider hohen Niveau stagniert hingegen die Zahl der Absturzunfälle.
Innovationen wie die Spezialdrohne könnten wohl einige verhindern.
Name von griechischer Antike inspiriert
Quelle: KMSK Bruxelles
Ein Gemälde des niederländischen Barockkünstlers Theodoor Rombouts zeigt Prometheus und den Adler.
Die Entwickler des Drohnenbohrers griffen
bei der Namenssuche zurück auf die griechische Antike, in der Aithon oder Ethon
der Name eines mythologischen Adlers ist. Dieser würde wiederum in jeden
Horrorfilm passen.
Die Geschichte geht so: Der
griechische Göttervater Zeus verweigerte den Sterblichen den Besitz des
Feuers. Ein ihm unterstellter Titan namens Prometheus aber entwendete es bei Zeus und brachte es den Menschen. Die bekannte Strafe des
Göttervaters: Zeus lässt Prometheus ans Kaukasusgebirge festschmieden,
und dort sucht ihn regelmässig ein Adler heim, der seine stets nachwachsende
Leber frisst. Insofern ist Aithon ein ausgesprochen passender, augenzwinkernder
Name für die Bohrdrohne.
P.S.: Es gibt zum Glück in der griechischen
Mythologie auch noch Helden wie Herakles: Denn dieser kam eines Tages daher,
erlegte den Adler mit einem Pfeil und erlöste Prometheus von seinen Qualen. (bk)