08:08 BAUPRAXIS

Drohnenbohrer Aithon: Ein fliegendes Sackmesser

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Project AITHON

Ingenieurs-Studierende der ETH Zürich haben eine Drohne entwickelt, mit der sich ferngesteuert Bohrmaschinen und andere Geräte an hohe Orte befördern lassen. Der Drohnenbohrer «Aithon» soll den Bau eines Gerüsts überflüssig machen und dabei helfen, Sturzunfälle zu vermeiden.

Drohnenbohrer Aithon in Aktion

Quelle: Project AITHON

Der Drohnenbohrer Aithon im Flug, der dank Kabelversorgung praktisch unbeschränkt lange dauern kann.

Der Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Ereignis, das die Schlagzeilen beherrscht. Doch die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva nimmt sich den Tag jeweils zum Anlass, um auf die Gefahren bei der Arbeit hinzuweisen. Dieses Jahr hat sich die Suva dem Thema Stürze gewidmet, das den Alltag der Versicherung prägt: Pro Jahr stürzen bei Bauarbeiten 10 500 Menschen ab. Die Suva zählt pro Jahr 5500 Berufsunfälle mit Leitern, von denen einige gar tödlich enden. So waren im letzten Jahr mehrere tödliche Unfälle zu beklagen, bei denen Personen durch Faserzement-Dächer in die Tiefe stürzten.

Die wichtigste Gegenmassnahme ist das Einhalten der Suva-Regeln, mit denen sich die Mehrzahl aller Unfälle vermeiden lässt. Doch gerade bei Bauarbeiten sind auch immer wieder Eingriffe an schwer zugänglichen Orten nötig, die eine gewisse Gefahr bergen.

Dieser Problematik widmet sich seit Herbst 2021 ein Focus Project der ETH Zürich: Acht Studierende, sechs Maschinenbau- und zwei Elektroingenieure, arbeiten derzeit daran, eine ferngesteuerte Bohrdrohne zu entwickeln, die solche Arbeiten übernehmen könnte. Begleitet wurde das Vorhaben vom Autonomous Systems Lab der ETH. Das Roll-out des ersten Prototyps der Drohne erfolgte am 1. Mai 2022. 

Ein fliegender Würfel

Der damals vorgestellte und seither beständig weiterentwickelte Drohnenbohrer «Aithon» ist ein Quadrokopter, also ein Fluggerät mit vier horizontal liegenden Antriebsrotoren. Das Gerät besteht aus einem H-förmigen Tragrahmen aus Carbonstangen, an dem vier Motoren, die Steuerungseinheit, das Positionierungssystem und die Bohrmaschine – ein Hilti-Bohrhammer «TE 2-A22» – befestigt sind.

Ferngesteuert trägt die Drohne die Bohrmaschine dann an den gewünschten Einsatzort und bohrt dort die nötigen Löcher. Ausser einem Bohrer lassen sich hierbei auch eine Vielzahl weiterer Werkzeuge für Einsätze in der Höhe an der Drohne montieren, zum Beispiel ein Schraubendreher, eine Stichsäge oder ein Locher.

Drohnenbohrer Aithon, Anfliegen des Einsatzortes

Quelle: Project AITHON

Anflug zum Einsatzort: Der Drohnenbohrer wird mit einer handelsüblichen Fernsteuerung bedient.

Der Arbeitseinsatz ist dabei in mehrere Schritte aufgeteilt: Zuerst wird die Drohne an den Einsatzort geflogen. «Dieser Anflug wird auf Sicht durchgeführt», erklärt Systems Engineer Roman Dautzenberg. «Die Positionierung des Werkzeugs erfolgt dann mittels einem gestreamten Kamerabild, worauf die Werkzeugspitze als projiziertes Laserkreuz bei der Orientierung hilft.» Ist die rund 13 Kilogramm schwere Drohne am Ziel, wird der Tragrahmen mit Vakuumhaltern an der Wand befestigt.

Und der nächste Schritt ist der eigentliche Clou: Die vier Rotoren sind an einem schwenkbaren Arm befestigt. Auf diese Weise können sie bei Bedarf um 90 Grad gekippt werden, wodurch nun die Rotoren keinen Auftrieb mehr erzeugen, sondern die ganze Konstruktion gegen die Wand pressen. Dies mit einem Druck von bis zu 150 Newton, was für diverse Bauaufgaben ausreicht. Löcher bis zehn Millimeter Durchmesser wurden so etwa bereits gebohrt, doch auch deutlich grössere sind möglich. 

Drohnenbohrer Aithon im Einsatz

Quelle: Project AITHON

Ist die Drohne am Ziel, saugt sie sich als erstes an der Wand fest.

Einsatzhöhe auf acht Meter begrenzt

Der Bohrer wird von einem extraleichten «Drill Positioning System» auf den Millimeter genau an seinen Einsatzort bewegt: Das am Rahmen montierte System besteht aus zwei Gleichstrom-Motoren, die über einen gezahnten Antriebsriemen den Bohrer in jede beliebige Richtung bewegen, innerhalb der Bewegungsmöglichkeiten, die der 60 Zentimeter breite und hohe Rahmen zulässt. Diese drei Arbeitsschritte Flug, Befestigung und Manipulation der Oberfläche werden mit einer handelsüblichen Fernsteuerung kontrolliert. «Unsere Vision ist aber eine Teil-Autonomie des Systems, bei welcher der Mensch eine nur überwachende Funktion einnimmt.» 

Die Einsatzhöhe ist im Moment auf etwa acht Meter begrenzt. Roman Dautzenberg: «Das liegt daran, dass die Stromversorgung, die über ein Kabel erfolgt, aktuell mit niedriger Spannung erfolgt. Mit anderen Energiesystemen wären Höhen von über 100 Metern möglich.» Getestet wird auch der Einsatz von Batterien, um die maximale Mobilität eines Flugroboters zu nutzen. «Aber hier sind wegen des zusätzlichen Gewichts nur kurze Einsatzzeiten möglich.» 

Die Ausrüstung, die Aithon mitführt, darf aktuell bis zu zwei Kilogramm wiegen, was gemäss Dautzenberg für viele kraftintensive Arbeiten ausreicht. «Aber wir arbeiten auch an den Antrieben, um sowohl schwerere Lasten zu tragen, als auch das Flugverhalten zu verbessern.»

Drohnenbohrer Aithon: Fliegendes Sackmesser

Quelle: Project AITHON

Danach werden die Rotoren um 90 Grad gedreht, so dass sie das Gerät gegen die Wand drücken, was für den Bohreinsatz nötig ist.

Ein Schweizer Taschenmesser

Wo Aithon im Moment nicht arbeiten kann, sind unebene Oberflächen. Denn die aktuelle Befestigung verlangt einen relativ glatten Untergrund. «Wir arbeiten aber unter anderem an Methoden, um auch auf Naturfelsen und anderen komplexeren Geometrien arbeiten zu können.» Das Ziel des Teams ist es, damit und mit einer beinahe beliebig grossen Werkzeugauswahl eine Art «fliegendes Schweizer Taschenmesser» zu entwickeln.

Im Moment ist der Drohnenbohrer Aithon nicht im Einsatz: «Wir sind gerade in einer weiteren Entwicklungsphase. Dabei versuchen wir, uns in den drei Bereichen Zuverlässigkeit, Bedienbarkeit und Erweiterung der Fähigkeiten zu verbessern.» ­Wobei das Gerät bereits jetzt weit über neunzig Prozent seiner Standard-Einsätze bewältige. Die Bedienbarkeit will man inkrementell verbessern, indem man ein verbessertes Cockpit für die Nutzer entwickelt. Die Erweiterung der Fähigkeiten erreicht man, indem Aithon fit für raue Oberflächen gemacht wird. 

Drohnenbohrer Aithon: Fliegendes Sackmesser

Quelle: Project AITHON

Am Ende des Eingriffs löst sich die Drohe und fliegt zum nächsten Einsatzort.

Partner sind willkommen

Daneben sucht das im Herbst 2021 gegründete Spin-off der ETH auch nach Möglichkeiten, um die Fähigkeiten seines Flugroboters zu präsentieren. Ebenso willkommen sind auch Implementierungspartner, mit denen der Roboter weiter entwickelt werden kann. Denn die Entwickler sind von ihrem Fluggerät ­überzeugt: Mit diesem fliegenden Allzweck-Roboter könne man bei verschiedenen Eingriffen auf Gerüste und Verschalungen verzichten und so kleine Eingriffe, Reparaturen oder Inspektionen rasch und günstig durchführen. Und ganz nebenbei auch Arbeiter vor Einsätzen in solchen Gefahrensituationen bewahren.

Die wirtschaftliche Seite eines Einsatzes von Drohnenbohrern haben die Entwickler bewusst noch ausgeklammert. Doch mit dem Vormarsch der Robotik in verschiedenen Arbeitsbereichen wird sich in gar nicht so ferner Zukunft auch der Einsatz eines fliegenden Bohrroboters durchaus rechnen, nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass bei jedem Einsatz der Drohne ein Mensch vor einer potentiell gefährlichen Arbeit verschont wird.

Somit könnte der Drohnenbohrer Aithon dereinst möglicherweise dabei helfen, die Unfallstatistik weiter zu verbessern. Denn, dies durfte die Suva zum Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz auch vermelden, das Risiko, in der Schweiz am Arbeitsplatz zu verunfallen, ist in den vergangenen zehn Jahren um 13 Prozent gesunken. Auf einem leider hohen Niveau stagniert hingegen die Zahl der Absturzunfälle. Innovationen wie die Spezialdrohne könnten wohl einige verhindern. 

Name von griechischer Antike inspiriert

Prometheus. Gemälde von Theodoor Rombouts

Quelle: KMSK Bruxelles

Ein Gemälde des niederländischen Barockkünstlers Theodoor Rombouts zeigt Prometheus und den Adler.

Die Entwickler des Drohnenbohrers griffen bei der Namenssuche zurück auf die griechische Antike, in der Aithon oder Ethon der Name eines mythologischen Adlers ist.  Dieser würde wiederum in jeden Horrorfilm passen. 

Die Geschichte geht so: Der griechische Göttervater Zeus verweigerte den Sterblichen den Besitz des Feuers. Ein ihm unterstellter Titan namens Prometheus aber entwendete es bei Zeus und brachte es den Menschen. Die bekannte Strafe des Göttervaters: Zeus lässt Prometheus  ans Kaukasusgebirge festschmieden, und dort sucht ihn regelmässig ein Adler heim, der seine stets nachwachsende Leber frisst. Insofern ist Aithon ein ausgesprochen passender, augenzwinkernder Name für die Bohrdrohne.

P.S.: Es gibt zum Glück in der griechischen Mythologie auch noch Helden wie Herakles: Denn dieser kam eines Tages daher, erlegte den Adler mit einem Pfeil und erlöste Prometheus von seinen Qualen. (bk)

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Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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