Die Weide und ihr Potenzial im Fokus der Forschung
Das biegsame, flexible Holz der Weide hat vielfältiges Potenzial. Im Bau, im Möbeldesign oder gar in der Medizin. Ein Team des deutschen Instituts für Materialwissenschaften (ifm) in Münchberg erforscht die Möglichkeiten, die der schnell nachwachsende Rohstoff bietet.
Quelle: Dietmar Rabich, CC BY-SA 4.0
Weiden in Dülmen, Nordrhein-Westfalen.
Holzfäden des Weidenstrauchs können so verwebt werden, dass sie sich anstelle vom aus der ostasiatischen Rotangpalme stammenden Rattan verwenden lassen. Und Geflechte aus seinen Ruten sind derart stabil, dass sie im Bau als Verstärkung von Fassaden in Frage kommen. Der Weidenstrauch hat Dank seiner Biegsamkeit und seiner Stabilität vielfältiges Potenzial. Am Institut für Materialwissenschaften (IfM) in deutschen Münchberg werden seine Einsatzmöglichkeiten erforscht.
Die Vorteile des Weidenstrauchs liegen auf der Hand, wie Corinna Anzer - sie hat fachliche Leitung für Weberei und Flechten am IfM inne - erklärt. Er sei schnell wachsend und jedes Jahr können Ruten mit bis zu fünf Metern Länge geerntet werden, sagt die Wissenschaftlerin. Der Einsatz der Weide hilft laut der Wissenschaftlerin zudem CO2 einzusparen, auch weil für das regionale Gehölz lange Transportwege wegfallen. Ziel der Forschungen in Zusammenarbeit des IfM mit der Forschungsplattform «Bau Kunst Erfinden» der Universität: Die bekannten handwerklichen, traditionellen Flecht- und Webprozess mit industriellen respektive maschinellen Abläufe zu ersetzen. «Dafür haben wir diverse Maschinen im Bereich der textilen Verarbeitung bei uns umgerüstet», sagt Anzer. Weitere konkrete Anwendungen sollen sich in den Bereichen Architektur, Innenausstattung, Möbeldesign, Sport oder bei Lampenschirmen ergeben.
Landwirte udn Industrieunternehmen
In ihrer Forschung engagieren sich Anzer und ihre Kolleginnen und Kollegen zunächst gemeinsam mit Landwirten und Industrieunternehmen für die nachhaltige Produktion: den Anbau von Weiden mit ganz spezifischen Material- und Wuchseigenschaften. Hierfür züchten sie den Strauch in sogenannten multifunktionalen Agroforstsystemen: Dazu werden Gehölze so mit Ackerkulturen und Tierhaltung kombiniert, dass auf den Flächen ökologische und ökonomische Vorteile für den Landwirt entstehen. Anzer erklärt: «Das Ziel ist es, durch das Holz den Rohstoff für Weidenholzfäden und Weidenholztextil zu gewinnen. Gleichzeitig extrahieren wir aus der Rinde der Ruten Salizylate, die in der Medizin und der Kosmetik eingesetzt werden können. Von der Weide kann somit sehr vieles genutzt und verarbeitet werden.»
Für an der Produktion interessierte Landwirte bringt der Strauch zudem einen weiteren Vorteil: Die Weide ist ein Tiefwurzler und ist daher gegen kurzfristige Trockenperioden vergleichsweise resistent. Zudem sorgt sie mit ihrem tiefgreifenden Wurzelwerk im Boden für einen guten Erosionsschutz.
Weide ist nicht so biegsam wie Baumwolle oder Hanf
Allerdings bringt die Forschung zur Verarbeitung der Weidenholzfäden auch einige Herausforderungen mit sich: Zuerst müssen die getrockneten Weideruten zu einem gleichmäßigen Faden gesponnen werden. Dazu werden sie in Breite und Dicke bearbeitet, sodass ein konstanter Querschnitt zu erreicht.
In einem weiteren Schritt werden die einzelnen Abschnitte «geschäftet»: Sie werden in einem spitzen Winkel angeschnitten, um Stellen zu erhalten, die gut miteinander verklebt werden können. «Das ist ein besonders wichtiger Arbeitsschritt, denn die Klebestelle darf später keine Schwachstelle sein», erklärt Anzer. Schliesslich komme es dann im Flecht- und Webprozess auf das genaue Austarieren von Maschinenparametern und Fadenspannung an, damit es nicht zum Riss des Materials komme. So waren insbesondere die notwendigen Umlenkungen des Fadens im 180-Grad-Winkel für das Forschungsteam anspruchsvoll. Denn zwar ist die Weide für Holz vergleichsweise flexibel, aber doch nicht so biegsam wie Baumwolle, Polyester oder Hanf. Den Flechtvorgang selbst könne man sich dann technisch wie einen Tanz unter dem Maibaum vorstellen: «So wie sich die bunten Bänder beim Maitanz überlappen, so müssen sich auch unsere Weidenholzfäden anordnen, um eine belastbare Struktur zu bilden.»
Des Weiteren analysiert das Forschungsteam die gesamte Wertschöpfung von Weidenholz vom Anbau bis zum hochveredelten Produkt - wobei auch Böden, Klima, Wasserhaushalt und biodiversitätsfördernde Massnahmen berücksichtigt und erfasst werden. (mai/mgt)
Die zugrunde liegenden Vorhaben wurden respektive werden gefördert und unterstützt vom deutschen Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) aus Mitteln des Innovationsprogramms Zukunft Bau sowie der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
Die originale Meldung lesen: https://campuls.hof-university.de