14:07 BAUPRAXIS

"Die Baustelle hat mich verändert"

Eine besondere Faszination hat eine junge Frau in ihrer Bauarbeiterinnen-Karriere nach ganz oben geführt. Der Weg dorthin war nicht immer einfach. Andrea Huber wurde bei ihrer Arbeit auf der Baustelle auch dann und wann zu verstehen gegeben, dass sie hinter dem Herd besser aufgehoben wäre.

(Bild: Frédéric Zwicker)

(Bild: Frédéric Zwicker)

«Ich bin froh, dass ich mich für eine Maurerlehre und gegen das Gastgewerbe entschieden habe», sagt Andrea Huber. Und das nimmt man ihr ab. Die 20 Jahre junge Frau fühlt sich offensichtlich wohl auf der Baustelle des Hotels Atlantis in Zürich, wo ihr aktueller Arbeitsplatz liegt. Zwar muss sie sich den einen oder anderen Spruch ihrer Kollegen anhören, weil ein Reporter sie besuchen kommt. Die Faxen der Mitarbeiter, welche den Fototermin beobachten, sich in Pose werfen und ihr zurufen, sie werde jetzt berühmt, pariert sie mit der Bitte, diese möchten doch bitte gefälligst schleunigst «abhauen». Das interessierte Beobachten und freundschaftliche Necken zeigt indes eines: Die Kollegen, allesamt männlich, allesamt älter, akzeptieren und mögen Huber als Mitarbeiterin. Das ist nicht selbstverständlich. Als Kranführerin trägt sie nämlich eine grosse Verantwortung. Nicht zuletzt für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Und junge Frauen sind in solchen Positionen alles andere als verbreitet.

Hinter den Herd
Selbstverständlich ist die Akzeptanz auch für Huber nicht. Denn sie hat bisher nicht nur gute Erfahrungen gemacht: «Es wurde mir schon immer mal wieder zu verstehen gegeben, dass ich als junge Frau nichts auf der Baustelle zu suchen habe. Böse gesagt: Es gibt halt diese alteingesessenen Männer, die finden, eine Frau gehöre hinter den Herd und sicher nicht in die Führerkabine eines Krans.»
Mittlerweile überwiegen allerdings die positiven Erfahrungen in ihrem Arbeitsumfeld. Das hat auch mit dem aktuellen Arbeitgeber zu tun: «Seit ich bei der Marti AG arbeite, fühle ich mich viel wohler. Dass ich eine Frau bin, ist eigentlich kein Thema mehr. Jetzt arbeite ich mit sehr umgänglichen Kollegen zusammen.» Durchsetzen muss sie sich dennoch immer wieder von Neuem, da sie auf wechselnden Baustellen auch immer wieder mit neuen Leuten zusammenarbeitet. Das sei heute aber kein Problem mehr für sie. Nach kurzer Zeit wüssten die neuen Kollegen, dass sie ihre Arbeit im Griff habe und auch anpacken könne. Beim neuen Arbeitgeber macht ihr die Arbeit jetzt auch Spass. «Wir besprechen uns viel und reden miteinander. Das führt auch dazu, dass wir viel mehr als Team miteinander zusammenarbeiten.»

Selbstvertrauen getankt
Andrea Huber hat Anfang Jahr ihre Prüfung zur Kranführerin am Campus Sursee erfolgreich abgelegt. Sie war die einzige Frau in ihrer Klasse. Von der einen oder anderen Kranführerin hat sie aber immerhin schon gehört. Doch wie kommt bei einer jungen Frau der Wunsch auf, in die Kabine eines Krans hinauf zu wollen?
Am Anfang stand der Einstieg in die Baubranche: «Ich habe bei verschiedenen Betrieben geschnuppert. Unter anderem als Malerin oder eben in der Gastronomie. Am Schluss war es eine Entscheidung zwischen einer Lehre im Service und einer Maurerlehre.» Huber hat eine Liste mit Vor- und Nachteilen der beiden Berufe verfasst. In dieser Beurteilung hatte schliesslich der Maurerberuf die Nase vorn. «Die unregelmässigen Arbeitszeiten im Service, die Arbeit am späten Abend und was man sich von Gästen alles gefallen lassen muss, das wollte ich nicht.»
Gefallen lassen musste sie sich wie erwähnt auch im erwählten Beruf das eine oder andere. Deshalb sagt sie heute: «Meine Lehre und die Arbeit auf der Baustelle haben mich sicher verändert. Früher war ich ein scheues Mädchen, das sich selten äusserte. Inzwischen habe ich Selbstvertrauen getankt.» Und sie weiss, was sie will. Auf der Baustelle hatte sie immer wieder mit Kranführern Kontakt. Schnell war sie fasziniert von der Arbeit in luftiger, für viele schwindelerregender Höhe. Und offenbar waren ihr auch die Kranführer meist sympathisch. Auf die Frage, ob das ein spezielles Volk unter den Bauarbeitern sei, antwortet sie: «Na ja. Sie sind sicher schwindelfrei.»

Lust auf Höhe
Bevor Andrea Huber zur Marti AG gewechselt hat, war sie in kleineren Unternehmen tätig. Dort hat sie durchaus auch gute Erfahrungen gemacht. Den entscheidenden Ausschlag für den Wechsel gaben indes wieder die Krane. «Ich konnte vorher fast ausschliesslich kleinere Krane vom Boden aus steuern. Viel lieber wollte ich aber oben im Führerhaus sitzen.» Um sich diesen Traum zu verwirklichen, besuchte Huber am Campus Sursee den Grundkurs sowie den Aufbaukurs 1 für Kranführer und legte in einem dritten Schritt erfolgreich die Prüfung ab. «Die Praxisausbildung im Aufbaukurs hat mir sehr viel gebracht. Sie richtet sich vor allem an Leute, die auf der Baustelle nicht sehr viel fahren können.»
Dieses Problem hat die junge Frau jetzt nicht mehr. Bei ihrem jetzigen Arbeitgeber arbeitet sie oft zuoberst auf der Baustelle. Dort ist sie auch für den Unterhalt und die Pflege der Giganten zuständig. Ihrer Verantwortung für die Maschine und die Menschen, die in Ameisengrösse unter ihr arbeiten, ist sie sich vollauf bewusst. Ob sie sich nicht fürchte, wenn sie so hoch oben in ihrem kleinen Führerhäuschen sitze? Immerhin hört man hie und da von umstürzenden Kranen. «Nein, die Höhe liebe ich. Natürlich weiss ich, dass Unfälle passieren können. Ich fühle mich aber sicher. Das einzige, worüber ich mir Gedanken mache, ist die Verantwortung, die ich trage, wenn ich Lasten bewege. Ich habe immer gesagt, dass ich keiner Frau oder Freundin möchte erklären müssen, weshalb ihr Mann verunfallt ist.» Am wichtigsten sei, dass Lasten richtig angehängt seien, damit nichts runterfallen könne. «Das Gefährlichste – das wurde auch in der Ausbildung immer wieder betont – ist Routine. Sie kann zu Nachlässigkeit führen. Absolute Konzentration ist enorm wichtig, wenn ich den Kran bediene.»

Besondere Faszination
Gerade am Anfang habe sie gemerkt, wie anstrengend diese Konzentration sei. Zum Beispiel für die Augen, für die alles, was auf dem weit entfernten Boden liegt, sehr klein wirke. Das mindert jedoch in keinster Weise die Freude, die Huber bei der Ausübung ihres Berufs verspürt. Was die besondere Faszination vom Kranfahren für sie ausmacht, kann die junge Frau nicht richtig in Worte fassen. Aber die Faszination ist da. Und sie hat Andrea Huber in ihrer Baukarriere nach ganz oben geführt. (Frédéric Zwicker)

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