Dämmmaterial aus Industrieabfall: Mit Leichtigkeit gedämmt
Ein Dämmmaterial aus Industrieabfall, ein hochstabiles Leichtgewicht, bezahlbar, sicher, brennfest, und nach Lebensende recycelbar. Was fast zu schön klingt, um wahr zu sein, heisst FenX. Nach über sechs Jahren Forschung und Entwicklung hat das ETH-Spin-off nun das erste Bauprojekt realisiert.
Quelle: zvg
Die Dämmplatten bestehen zu rund 95 Prozent aus Luft, den Rest machen Filterkuchen und chemische Additive aus.
Im 19. und 20. Jahrhundert war Turgi eine Industriehochburg mit einer einzigartigen Dichte an Produktionsbetrieben. Dank flacher Landschaft und vieler Flüsse schossen im nordöstlichen Aargau Wasserkraftwerke aus dem Boden und speisten Textil- und Maschinenfabriken in dieser Kleinstadt. Ein Industriekulturpfad führt an zahlreichen einstigen Fabriken vorbei und erinnert an die Blütezeit der Industrialisierung.
Die Spinnerei Turgi ist einer dieser Zeugen, doch das Gebäude wurde längst umgenutzt und beherbergt heute Ateliers, Gewerberäume und eine Fabrik. Hier hat sich das Start-up FenX 2021 eingemietet und hier wird an einem ganz neuen Kapitel der lokalen und vielleicht auch globalen Industriegeschichte geschrieben.
Im Herbst 2022 wurden in der Pilotanlage in Turgi die Dämmplatten für das erste realisierte Bauprojekt gefertigt. Beim Umbau eines Gebäudes im Zürcher Oberland wurden sie anschliessend verbaut. Der Realitätscheck hat die Feuertaufe bestanden, die Platten konnten effizient verbaut werden mit gängigen Verlegetechniken und Arbeitsschritten – ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz eines neuen Produkts auf dem Bau.
Dämmplatten aus Industrieabfall
«Es war ein einschneidender Moment, als ich die Baustelle besuchte», betont Etienne Jeoffroy, einer der Gründer von FenX, auf dessen Projekt im Rahmen seiner Doktorarbeit das Material basiert (siehe auch Kasten «Es kann sehr schnell sehr viel bewirken»). «Zum ersten Mal hatte ich wirklich das Gefühl, dass wir es schaffen!»
Und mit schaffen meint der Materialwissenschaftler, dass die Dämmplatten dereinst für Grossprojekte produziert werden, und zwar weltweit. Dafür allerdings ist die semiautomatische Pilotanlage in Turgi noch zu klein und ineffizient, doch FenX sieht sich selbst gar nicht als Produzent, sondern als Technologieanbieter oder anders ausgedrückt als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Produktion.
Quelle: zvg
Zuschneiden des FenX-Dämmmaterials mit einer Fuchsschwanzsäge.
Quelle: zvg
Vorbereiten des Dämmaterials auf der Baustelle beim ersten Projekt im Zürcher Oberland.
Die Rezeptur von FenX ist auf wenige Inhaltsstoffe reduziert: mineralischer Abfall, Wasser und chemische nicht toxische Additive. Als Abfallstoffe werden Filterkuchen verwendet, also die Reststoffe, die bei der Trennung von Aushubmaterial in Schweizer Recyclingwerken anfallen. Die Mischung wird anschliessend in einer Trommel aufgeschäumt. Danach wird der Schaum bei Raumtemperatur getrocknet. Hinter dieser scheinbar einfachen Rezeptur und Produktion steckt jahrzehntelange Materialforschung, die zunächst im Umfeld der ETH Zürich stattfand.
Musterbeispiel für Kreislaufwirtschaft
Ein Meilenstein in der jungen Unternehmensgeschichte war die Prämierung des Unternehmens mit dem Swiss Technology Award 2019. In der Kategorie «Inventors» ging FenX mit dem neuartigen, nicht brennbaren Dämmschaum als Sieger hervor. In seiner Laudatio unterstrich Jury-Mitglied Roland Keller neben der Einzigartigkeit des Materials auch das grosse Marktpotenzial als Grund für die Wahl. Und er betonte, dass der «rezyklierbare Dämmschaum ein Musterbeispiel für die Kreislaufwirtschaft» sei. Denn erstens wird für die Produktion Abfallmaterial verwendet, und zweitens können die Dämmplatten nach Ende ihrer Lebensdauer gemahlen werden und erneut in den Produktionsprozess einfliessen.
Während das Start-up damals noch vier Mitarbeitende zählte, sind es heute bereits 14. Es sind fünf Materialwissenschaftler, die gemeinsam mit Etienne Jeoffroy das ETH-Spin-off gegründet hatten. Daneben arbeiten Chemikerinnen, Praktikanten, Business Developer in der Firma – und ein ausgewiesener Bauprofi. Von Anfang an war den Jungunternehmern nämlich klar, dass der Bezug zur Praxis, der Kontakt zur Bauwirtschaft matchentscheidend ist für das Gelingen des Vorhabens.
Quelle: zvg
Anbringen von Messinstrumenten zur langfristigen Qualitätssicherung des FenX-Dämmmaterials.
Quelle: zvg
Montage der Dämmplatten auf der Fassade an einem Gebäude im Zürcher Oberland.
Quelle: zvg
Die Fassade nach der Montage des neuen Dämmmaterials.
Nachhaltige Baumaterialien gefordert
Jens Diebold stiess 2022 zu FenX und ist heute Head of Business Development. Der Ingenieur war unter anderem Head of Sustainable Development bei Holcim Global und suchte mit 55 Jahren nochmals eine ganz neue berufliche Herausforderung. «Gute Idee, nachhaltiges Geschäftsmodell, kompetentes und motiviertes Team», so fasst er seinen ersten Eindruck von FenX zusammen. Im Unterschied zu vielen etablierten Baufirmen, die zwar durchaus in Richtung Nachhaltigkeit gingen, aber eher mit zögerlichen Schritten, schätzte er das Geschäftsmodell dieses jungen Unternehmens, das von Grund auf nachhaltig ist.
Und er sah das grosse Potenzial. «Von Kundenseite werden immer mehr nachhaltige Baumaterialien gefordert, welche der Markt aber kaum oder gar nicht bieten kann», weiss er aus Erfahrung. Bei FenX mag er einerseits die aus einer neuen Technologie gewachsene Innovation, und er sieht das Marktpotenzial, weil FenX klare Kosten- und Nachhaltigkeitsvorteile im Vergleich zu Konkurrenzprodukten aufweise. Damit sich das Dämmmaterial aus Abfallstoffen – und vor allem aus Luft – aber im grossen Stil zur Anwendung kommen kann, gibt es noch einige Herausforderungen zu bewältigen.
Als erste nennt Jens Diebold die Skalierung. In der Pilotanlage in Turgi können nur kleine Mengen des Schaumstoffs produziert werden, es braucht also eine grössere Produktionsanlage, die das Material in industriellen Mengen herstellen kann. Überdies sieht der Bauprofi auch in der Anwendung Handlungsbedarf: Die Fassadensysteme und deren Einbau auf der Baustelle müssten auf mineralische Produkte angepasst werden.
”Es braucht die Bereitschaft innovativer Bauherren, Planer sowie Unternehmer um einen nachhaltigen Wandel in der Bauindustrie voranzutreiben.
Jens Diebold, Head of Business Development bei FenX
Jens Diebold, Head of Business Development bei FenX
Schliesslich sieht er die sogenannten First-Mover in der Pflicht: «Es braucht die Bereitschaft innovativer Bauherren, Planer sowie Unternehmer, einen nachhaltigen Wandel in der Bauindustrie voranzutreiben und neuen Produkten zum Durchbruch zu verhelfen», betont Diebold. Denn eine bahnbrechende Innovation kann noch so gut sein, zum Erfolg wird sie erst, wenn die Entscheidungsträger und Kunden auch bereit sind, auf junge Produkte zu setzen. Erst dann wird FenX nach dem gelungenen Abheben auch zum nachhaltigen Überflieger.
Quelle: zvg
Die 14 Mitarbeitenden sind in der Spinnerei Turgi eingemietet. Hier befindet sich auch die semiautomatische Pilotanlage.
«Es kann sehr schnell sehr viel bewirken»
Quelle: zvg
Etienne Jeoffroy, Materialwissenschaftler und Mitgründer von FenX.
Die Basis für FenX bildet ein Projekt im Rahmen der Doktorarbeit von Etienne Jeoffroy, der 2017 an der ETH promovierte. Der gebürtige Franzose ist einer von sechs Materialwissenschaftlern, die das Jungunternehmen 2019 gründeten.
Etienne Jeoffroy, Sie forschen nun seit rund 6 Jahren am Material FenX. Das braucht viel Durchhaltewillen. Woher nehmen Sie den?
Die Welt zum Besseren zu verändern, zum CO2-Ausstoss beizutragen und die Kreislaufwirtschaft anzustreben, dieser Wunsch treibt mich und das ganze Team an. Natürlich braucht das viel Energie und Durchhaltewillen, aber ich sehe ständige kleine Fortschritte, das motiviert mich.
Wenn Sie heute zurückblicken auf den langen
Weg seit der Gründung 2019, worauf sind Sie am meisten stolz?
Auf die Entwicklung und das Wachsen des Teams in den letzten Jahren! Ich bin sehr stolz zu sehen, wie unsere Vision langsam Form annimmt, wie engagiert alle Mitarbeitenden sind und dass sie die Vision nicht nur tragen, sondern leben und mit Freude daran arbeiten. Menschen wollen heute eine echte Motivation für ihre Arbeit, sie wollen etwas verändern. Wir alle glauben daran, dass wir mit unserem Produkt etwas wirklich Grosses bewegen und einen Beitrag an die Gesellschaft von morgen leisten können.
Ihre Doktorarbeit bildet die Basis von
FenX. Warum hat Sie ausgerechnet Dämmmaterial so fasziniert?
Ich hatte mich schon mit vielen anderen Materialien wie Schokolade, Asphalt oder selbstreparierenden Materialien befasst. Bei aufgeschäumten mineralischen Dämmplatten sah ich, dass es sehr schnell sehr viel Positives bewirken könnte in der Gesellschaft. Ich hörte mich damals um in der Bauindustrie und erfuhr, dass es drei Probleme gibt mit Dämmmaterial: Die hohen Kosten, die Brennbarkeit und der hohe CO2-Ausstoss. Genau hier bietet unser Material eine Lösung, eine sichere Lösung, das ist zentral, denken wir nur an den Grenfell Tower in London, der 2017 niederbrannte.
Was hat Sie als Wissenschaftler am meisten
überrascht im Laufe Ihrer Doktorarbeit?
Erstens, dass wir eine Technologie entwickeln können, die mit lokalem Material, mit Industrieabfall, funktioniert. Und zweitens, wie leicht der Dämmschaum tatsächlich sein kann.
Verwenden Sie unterschiedliche Abfallmaterialien?
Eigentlich spreche ich nicht gerne von Abfall, sondern lieber von Ressourcen. Ich will Materialien verwenden, die es im Überfluss gibt, die einfach zugänglich ist und die nach Ablauf der Lebensdauer wieder recycelt werden können im Sinne der Circular Economy. Ursprünglich haben wir 10 Typen von Restmaterialien verwendet. Den Anfang machte Asche aus der Kohlenindustrie, deshalb auch der Firmenname FenX. Das Problem damit ist, dass Asche als Reststoff der Kohlenproduktion in Europa schwer zugänglich ist beziehungsweise lange Transportwege hat. Im Gespräch mit Baustoffrecycling Schweiz erfuhren wir dann, dass der feine Staub von recycliertem Aushubmaterial, sogenannter Filterkuchen, ein Problem sei. Deshalb fokussieren wir nun genau darauf.
Sie hatten also schon früh mit der
Industrie einen Austausch. Warum hat Sie das als Wissenschaftler überhaupt
interessiert?
Es ist zentral zu verstehen, was die Gesellschaft, aber auch die Industrie braucht und will. Es gibt so viele interessante wissenschaftliche Innovationen, die aber zum Flop werden, weil die Kunden bei der Produktentwicklung nicht involviert worden sind. Das wollten wir vermeiden.
Sind Sie in der Bauindustrie auf offene
Ohren gestossen?
Wir haben zuerst zugehört, denn klar hat die Baubranche auch etwas Konservatives. Warum sollte man etwas Neues riskieren statt auf Bewährtes zu setzen? Mich hat es sehr erstaunt und gefreut zu erfahren, wie gross die Bereitschaft in der Branche ist, wirklich etwas zu verändern.
Das funktioniert aber nur, wenn das
Material auch in der Anwendung einfach ist.
Genau. Wir wussten, dass das Dämmmaterial schliesslich von Gipsern und andern Bauarbeitern verbaut wird, also muss es für sie einfach in der Anwendung sein, das war ein klares Ziel.
Die exakte Zusammensetzung von FenX ist
geheim. Können Sie trotzdem verraten, was es so besonders macht?
Sie können sich das Material wie ein Soufflé vorstellen: es besteht zu mindestens 95 Prozent aus Luft, ist somit ein extremes Leichtgewicht. Gleichzeitig ist die Stabilität sehr hoch. Das ist, neben einigen chemischen Additiven, das Geheimnis, denn vom Schäumen und von Stabilität verstehen wir als Materialwissenschaftler und Ingenieure wirklich etwas. Übrigens braucht es sowohl für das Aufschäumen als auch für das Trocknen sehr wenig Energie.
Wo sehen Sie FenX in fünf Jahren?
Wir sind zurzeit dran, eine Produktion auf grösserer Skala aufzubauen. Zudem arbeiten wir daran, Produktionsmethoden nicht nur für Dämmplatten, sondern auch für 3D-Produkte zu entwickeln. Der mineralisch basierte Schaum ist zwar die Basis, aber daraus können diverse weitere Erzeugnisse wie zum Beispiel aufgesprayte Oberflächen entstehen. Das Ziel ist es, 2-3 Produkte zu haben, die auf einer grossen Skala und weltweit angewendet werden. Wir haben kein Nischenprodukt vor Augen, wir wollen im grossen Stil die Welt verbessern. (Interview: Katrin Ambühl)
Quelle: zvg
Das Team von FenX mit dem Mitgründer Etienne Jeoffroy (Mitte, mit Platte), auf dessen Doktorarbeit das Material basiert.