09:06 BAUPRAXIS

Coppedé-Viertel: Architektonische Kapriolen in der Ewigen Stadt

Geschrieben von: Katrin Ambühl (ka)
Teaserbild-Quelle: Andrea Bertozzi, CC BY-SA 4.0

Abseits der Touristenpfade von Rom findet sich eine architektonisch kuriose Gegend: das Coppedè-Viertel. Hier tobte sich der Architekt und Möbelbauer Gino Coppedè vor zirka 100 Jahren richtig gehend aus mit dem Bau dutzender Gebäude in einem abenteuerlichen Stilmix aus Elementen von Jugendstil, Art déco, Barock und Mittelalter. Ein kleiner Rundgang zwischen Säulen, Löwenköpfen und Stuckengeln.

Palazzi degli Ambasciatori

Quelle: Di LPLT, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Der Botschafterpalast oder Palazzi degli Ambasciatori ist ein Gebäudekomplex, der mit einem Bogendurchgang verbunden ist und in das Viertel Coppedè führt. Er wurde 1921 erbaut.

Bei Minimalisten und bei Fans geradliniger Architektur mögen die Gebäude von Gino Coppedè (1866-1927) vielleicht Kopfschütteln auslösen. Denn in diesem Viertel herrscht nicht die Maxime «weniger ist mehr», sondern das pure Gegenteil. Die Villen und Botschaftsgebäude aus der Feder von Coppedè sind alle üppig verziert: mit Löwenköpfen, steinernen Jünglingen, Engeln, Türmchen, Säulen und und und. Das Viertel liegt zwischen der Piazza Buenos Aires und der Via Tagliamento und kann gemütlich zu Fuss erkundet werden. Dieser nördliche Teil Roms ist ein begehrtes, gehobenes Wohnquartier, wo sich auch verschiedene Botschaften und Privatschulen befinden. 

Froschbrunnen und Feenvilla

In der Via Tagliamento markiert ein grosser Gebäudekomplex den Eingang zum Coppedè-Viertel: der Botschafterpalast (Palazzi Degli Ambasciatori). Wer hier unterwegs ist, ahnt beim Anblick der Fassaden und beim Durchschreiten eines prächtigen Bogendurchgangs samt Kronleuchter, was einen in diesem Stadtteil erwartet: Ornamente, Zementstuck und Travertinskulpturen. Diese erstrahlen heute im neuen Glanz, seit der Gebäudekomplex seit 2021 sukzessive möglichst originalgetreu renoviert wird. Beim Botschafterpalast wird auch deutlich, dass der Architekt durchaus nicht nur mit Stilen und Verzierungen spielte, sondern auch interessante funktionale Überlegungen anstellte. Der Bogendurchgang bildet oben eine Brücke, die beide Gebäudeteile geschickt miteinander verbindet. Eine Terrasse schliesst dieses Verbindungselement ab.

Zwischen 1915 und 1926 baute Gino Coppedè hier insgesamt 18 Palazzi und 27 Gebäude sowie Monumente. Neben dem erwähnten Botschafterpalast etwa den Froschbrunnen (Fontana delle Rane), den Spinnen-Palast (Palazzina del Ragno), die Feen-Villa (Villino delle Fate) sowie diverse kleinere Villen. Stilistisch ist das Werk von Coppedè in diesem Römer Viertel nicht einfach einzuordnen, eklektisch ist es auf jeden Fall.

Palazzo Ragno und Froschbrunnen

Quelle: Andrea Bertozzi, CC BY-SA 4.0

Der Palazzo Ragno oder der Spinnenpalast an Piazza Mincio. Im Vordergrund ist der Froschbrunnen zu sehen. Der Froschbrunnen entstand 1924 und ist mit zwölf Fröschen und floralen Elementen verziert.

Spinne am Palazzo Ragno

Quelle: Livioandronico2013, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Die Spinne am Spinnenpalast - Palazzo Ragno; Sie gab dem Gebäude seinen Namen,

Detail, Froschbrunnen

Quelle: Gabriella Clare Marino, Unsplash

Detail Froschbrunnen.

Sein Stil ist eine ganz eigene Interpretation des italienischen Jugendstils, auch ­Liberty-Stil genannt. Dieser wurde stark beeinflusst von internationalen Jugend­stilbewegungen wie der Wiener Secession und von Ausstellungen Gustav Klimts und Alfons Muchas. Zu diesem Stil fügte der Architekt noch ein bisschen Art déco, ­Barock und römische Architekturelemente wie die Säulen und Bögen an, und fertig war der Coppedè-Stil.

Feine Gesellschaft und Horrorfilm

Das Interesse an Ästhetik und Handwerk entdeckte Gino Coppedè in Florenz in der Möbelwerkstatt seines Vaters. Dort erlernte er den Beruf des Möbelschreiners, den er anschliessend mit einem Architekturstudium ergänzte. Den ersten grossen Auftrag erhielt der junge Coppedè von Evan Mackenzie (1852-1935), ein in Italien lebender schottischer Unternehmer und Mäzen. Der exzentrische, steinreiche Wahlflorentiner beauftragte den frisch gebackenen Architekten mit dem Umbau einer Villa aus dem 16. Jahrhundert in Genua. Coppedè richtete mit grosser Kelle an und verwandelte das Gebäude in eine neugotische Fantasieburg mit Türmchen, Erkern, Bogengängen, Steinmosaiken und vielem mehr. Das Castello Mackenzie entstand zwischen 1893 und 1905. 

1915 bekam Coppedè einen einzigartigen Auftrag aus Rom. Die ligurische Bau- und Finanzgesellschaft Società Anonima Cooperative Edilizia Moderne beauftragte ihn mit einem riesigen Projekt: dem Bau von Botschaften und Residenzen für die feine Römer Gesellschaft auf einem 31000 Quadratmeter grossen Areal, dem heutigen Coppedè-Viertel. Dabei liess der Auftraggeber dem Gestalter vollkommen freie Hand, und so konnte er seiner Vorliebe für extravagante Baukunst und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Ob man diesen Stil nun mag oder nicht, er inspirierte auf jeden Fall die Filmindustrie. Gleich mehrere Horrorfilme und Krimis spielten im Coppedè-Viertel, darunter etwa «Inferno» (1980), «Das Omen» (1976) oder «Das Parfüm der Dame in Schwarz» (1974). Die Plätze, Monumente und Gebäude von Gino Coppedè bildeten in diesen Streifen die ideale Kulisse wegen ihrer märchenhaften und zugleich unheimlichen Anmutung.

Palazzina Coppedè 1923-27

Quelle: zvg

Die Stadtvilla in der via Serchio wurde zwischen 1923 und 1927 erbaut.

Gino Coppedè

Quelle: Fotograf unbekannt

Der Florentiner Möbelbauer und Architekt Gino Coppedè um zirka 1900.

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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