Computertomographie für bewehrten Beton
Was in der Medizin zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel geworden ist, könnte laut deutschen Forschern auch Betonbauten dienen: Computertomographie. Sie entwickeln dazu eine Analysesoftware, die feinste Strukturveränderungen in bewehrten Betonbauteilen sichtbar macht.
Was passiert im Inneren eines Betonbauteils, wenn es mechanischen Belastungen ausgesetzt ist? An welcher Stelle entstehen Risse? Wie sind diese beschaffen? Wie wachsen sie bei zunehmender Belastung? Diesen Fragen widmen sich Forscherinnen und Forscher Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (IWTM) im Rahmen des Projekts „Detektion von Anomalien in grossen räumlichen Bilddaten“ (DAnoBi). Zusammen mit Arbeitsgruppen der Universitäten in Kaiserslautern, Ulm und Magdeburg entwickeln sie mathematische und statistische Methoden, Rissstrukturen in Beton anhand computertomographischer Daten aufzuspüren, vollständig zu segmentieren und zu erfassen.
Sogar in verrauschten CT-Daten von kleinen Betonproben habe man winzige, mikrometergrosse Risse nicht nur erkennen, sondern auch die zu ihnen gehörenden Voxel identifizieren können, erklärt dazu Katja Schladitz, Mathematikerin vom Fraunhofer ITWM. - Mit Voxel bezeichnet man einen Datenpunkt in einem dreidimensionalen Gitter. „Die Risse müssen dazu nicht breiter als ein Voxel sein. Das heisst in einem Betonquader mit 15 Zentimeter Kantenlänge finden wir 100 Mikrometer breite Risse“, führt Schladitz aus. Um dies zu erreichen, haben Schladitz und ihr Team Methoden des maschinellen Lernens und die Modellierung der Strukturen und der Bildgebung mit statistischen Methoden für die Detektion von Rissen miteinander kombiniert. „Deren Dicke und Form lassen Rückschlüsse zu, wie Nachrissverhalten und Mikrostruktur zusammenhängen. Im institutseigenen CT-Gerät haben wir sie aber bisher nur vor oder nach, nicht während der Belastung beobachtet“, so Schladitz.
Gulliver blickt mit neun Megaelektronenvolt
in bewehrte
Betonbauteile
Allerdings durchleuchtet die Mikro-CT-Technologie wie am ITWM Betonproben mit nur wenigen Zentimetern Kantenlänge und Durchmesser. Mechanische Belastungsversuche an mehrere Meter langen Betonproben lassen sich dort nicht durchführen. Möglich ist dies demnächst an der Technischen Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen. Zurzeit entsteht dort mit „Gulliver“ eine weltweit einzigartige CT-Anlage, im Sommer 2023 soll sie an den Start gehen. Sie arbeitet mit wesentlich stärkeren Röntgenstrahlen als medizinische Röntgengeräte: Mit neun Megaelektronenvolt soll sie bewehrte Betonbauteile bis zu einem Durchmesser von 30 Zentimetern und einer Länge von sechs Metern durchleuchten. Eine der ersten und wichtigsten Anwendungen Gullivers ist die 3D-Abbildung der Rissentwicklung in grossen Betonbalken während eines 4-Punkt-Biegeversuchs.
Quelle: Technische Universität Kaiserslautern
Das Computertomographieportal Gulliver.
Die dreidimensionalen Röntgenaufnahmen dieser Prozesse sind für die Forschung sehr aufschlussreich, sie soll helfen, Beton als komplexen Verbundwerkstoff besser zu verstehen. Pro Experiment erzeugt Gulliver zwischen 120 Gigabyte und zwei Terabyte an Bilddaten. Ziel der Forschung ist die 3D-Abbildung und die Analyse der Strukturveränderungen durch die Biegebelastung während des laufenden Versuchs.
Bessere Berechnungsgrundlagen
zum Tragverhalten von
Bauteilen
„Wir optimieren das Speichermanagement und die Bildauswertung unserer umfangreichen 3D-Bildverarbeitungs- und -analysesoftware, um mit den anfallenden riesigen Datenmengen effizient umgehen zu können“, erklärt Schladitz. „Die komplexen Algorithmen müssen kurze Antwortzeiten bei der Bildverarbeitung ermöglichen.“ Eine anspruchsvolle Aufgabe, schliesslich gilt es, in kurzer Zeit feinste Strukturen in der riesigen Datenmenge zu finden. Dafür bietet die Software umfangreiche Analysemethoden, etwa für lokale Porositäts-, Dicken- und Orientierungsanalyse.
Geplant ist, die Expertise von Bauingenieuren mit der 3D-Bildanalyse zu verknüpfen, um komplexe Algorithmen optimal auszuwählen und zu parametrisieren, Zwischenergebnisse korrekt zu bewerten und Fehler möglichst früh zu korrigieren. Dazu wird ein KI-Assistent entwickelt, der den erwarteten Arbeitsablauf und Datenfluss erlernt, sowie erwartete Zwischenergebnisse und typische Fehlerbilder. Er wird unter anderem anhand der CT-Messparameter und der Probenbeschaffenheit wie Dimensionen und Materialmischung trainiert, um die Bilddatenqualität zu bewerten.
Bauingenieure sollen so bessere Berechnungsgrundlagen etwa zum Tragverhalten von Bauteilen aus Beton erhalten und können so wiederum Material sparen sowie den Anteil des erforderlichen Bewehrungsstahls oder des Faseranteils optimal anpassen.
Quantencomputing für die Bildverarbeitung
In Zukunft soll Quantencomputing die Auswertung von CT-Daten beschleunigen – nicht nur in diesem Fall. Werden die besonderen Eigenschaften von Qubits geschickt genutzt, können sehr grosse Bilddaten, wie sie Gulliver erzeugt, mit wenigen Qubits repräsentiert werden, etwa 1024 × 1024 Pixel mit 21 Qubits. – Qubits funktionieren ähnlichen wie ein Bit beim klassischen Computer: Sie liefern in der Quanteninformatik die Grundlage für Quantencomputer und die Quantenkryptographie.
Würde man die bisher üblichen Filter- und Analysealgorithmen durch Quanten-Bildverarbeitungs-Algorithmen ersetzen, so wäre eine effizientere Verarbeitung dieser enormen Datenmengen möglich. Theoretisch könnten sowohl Speicher- als auch Rechenaufwand exponentiell reduziert werden.
Praktisch erfordern das Kodieren des Bildes und das Ausführen von Algorithmen sehr viele einzelne Quanten-Operationen. Deshalb sind derzeit die Ergebnisse einfacher Bildverarbeitungsschritte auf kleinen Bildern oft bis zur Unkenntlichkeit verrauscht. Wie im Quantencomputing allgemein sind daher Rauschmodelle und Algorithmen, die möglichst wenige Basisoperationen benötigen, Gegenstand der aktuellen Forschung des Fraunhofer ITWM und anderer Fraunhofer-Institute. (mgt/mai)