Casa Terracota: Wie aus den vier Elementen ein Wohnhaus entsteht
Der Ruf Kolumbiens als Land der Drogenkriege und Guerillas hält sich hartnäckig. Trotzdem boomt der Tourismus. Ein kolumbianischer Architekt und Lehmbaupionier nutzt die Aufmerksamkeit, um nachhaltiges Bauen attraktiver zu machen. Sein Lebenswerk ist mittlerweile ein Besuchermagnet.
Quelle: Nadine Siegle
Bereits bei der Anfahrt fällt das unkonventionelle Haus ins Auge.
Geht es um Kolumbien, denken hierzulande die meisten erst einmal an Pablo Escobar, Kokain und Guerillas. Und wenn es gut kommt noch an Kaffee. Nicht zuletzt dank Netflix und Co. wandelt sich das Bild des Landes nur langsam. Gleichzeitig boomt der Tourismus, besonders unter Backpackern ist das südamerikanische Land derzeit äusserst beliebt. Selten aber verbindet man Kolumbien mit Architektur, geschweige denn mit nachhaltigem Bauen.
Die modernen Flintstones
Viele kolumbianische Städtchen sind besonders wegen ihrer Altstadt im Kolonialstil beliebt bei Touristen. So auch Villa de Leyva, das rund 160 Kilometer oder drei Busstunden nördlich der Hauptstadt Bogotá liegt. Doch etwas ausserhalb des Dorfes zieht ein Haus die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, das sich nicht stärker von den Kolonialbauten des historischen Zentrums abheben könnte. Das «Casa Terracota», ein zweistöckiges Lehmhaus, scheint direkt aus der Flintstones-Serie entsprungen zu sein.
Tatsächlich wurden in Villa de Leyva Überreste eines über 100 Millionen Jahre alten Dinosauriers und unzählige Fossilien aus der Kreidezeit gefunden. Doch das«Casa Terracota» hat natürlich nichts mit Fred Feuerstein und seinen Zeitgenossen zu tun. Das Haus wurde vom kolumbianischen Architekten und Umweltaktivisten Octavio Mendoza Morales gebaut. Er hatte die Vision eines bewohnbaren Hauses aus komplett natürlichen Materialien und erschuf so das nach seinen Angaben grösste Töpferprodukt der Welt.
Von Hand gebaut
Für das Haus mit seinen 500 Quadratmetern wurden über 400 Tonnen Lehm verarbeitet. Da keine anderen Materialien zur Stütze der Konstruktion verwendet wurden und das Ganze ohne Baumaschinen errichtet werden sollte, war beim Bau Geduld gefragt: 1999 begann Mendoza Morales mit den ersten Lehmmauern. Die «Mutterstruktur» des Hauses, wie der Architekt das ursprüngliche Ergebnis nennt, wurde 2016 fertiggestellt.
Die Wände wurden Stück für Stück hochgezogen – von Menschenhand und nur mit einfachen landwirtschaftlichen Werkzeugen, wie Mendoza Morales betont. Nachdem eine gewisse Menge Lehm platziert war, musste das Teilstück gebrannt werden. So wuchs das Bauwerk langsam zu seiner heutigen Grösse an. Der Architekt erklärt, dass der Lehm entgegen der Vorstellung vieler Besucher nicht durch die Sonne, sondern wie gewöhnliche Töpferware mit Hilfe eines Ofens gebrannt wurde.
Tage- und wochenlang brennen
Der Lehm wurde unter Verwendung des aus Kohle erzeugten Brennstoffs Koks erhitzt. «Dieser Brennstoff ist besser und ökologischer als Holzkohle», ist der Architekt überzeugt. Als Brennofen diente eine um den jeweiligen Teilbereich gebaute Schicht Ziegelsteine, um den Brennstoff zwischen dem frischen Lehm und der temporären Wand zu entzünden.
Diese Prozedur konnte pro Teilstück mehrere Tage bis Wochen dauern. Und ebenso lange musste die Wand danach abkühlen. «Die Sonne trocknete dabei lediglich die einzelnen Lehmschichten, die nach und nach platziert wurden, mit Hilfe der Luft», so Mendoza Morales. Gebrannt wurde der Lehm jedoch mit Hilfe dieser temporären Öfen.
Quelle: Nadine Siegle
Die Nasszelle ist mit viel Liebe zum Detail kunstvoll ausgeschmückt.
Haus hält Waldbrand stand
Würde man heute in die Wände hineinbohren, fände man weiterhin rohe Erde an, so der Architekt. Denn die Hitze dringe bei der Verbrennung nur etwa sieben bis acht Zentimeter in den Lehm ein. Zwar seien die Wände wie ein Sandwich von innen und aussen erhitzt worden, doch sie seien so dick, dass dazwischen eine Schicht rohe Erde verblieben sei.
Durch das Brennen des Lehms bleibt das Haus langfristig gegen die Einflüsse der Zeit und klimatische Veränderungen geschützt. Doch der Schutz könnte noch besser sein: «Das Beste, was dem Casa Terracota passieren könnte, wäre, wenn es niederbrennen würde. Dadurch würde es noch resistenter», fasst der Architekt zusammen. Deshalb könne diese Bauweise etwa in Regionen mit hoher Waldbrandgefahr eine alternative Wohnform bieten.
Vorbild für umweltgerechtes Bauen
Die Idee des«Casa Terracota» kam ursprünglich gar nicht von Mendoza Morales. Das Projekt ist einer neugierigen Frage seiner Nichte zu verdanken. Da der Architekt nebenbei bereits töpferte, fragte sie ihn eines Tages, ob er mit der gleichen Technik nicht auch ein Haus bauen könnte. Und so wuchs die Idee, aus natürlichen Ressourcen ein Haus zu bauen, und auf alternative, umweltfreundlichere Bauweisen aufmerksam zu machen.
«Wir leben auf einem Planeten voller nützlicher Materialien, doch der Mensch verschwendet sie.» Mit seinem Projekt will er beweisen, dass es auch anders geht. Das Casa Terracota soll ein Vorbild sein. «Es gibt Millionen von Möglichkeiten, die wir noch nicht entdeckt haben. Es bleibt noch viel zu tun.»
Traditionelle Töpferkultur
Das Material für das Bauprojekt schien naheliegend: «Die Bewohner dieser Region leben seit jeher, bereits vor der spanischen Kolonialisierung, von der Herstellung von Gegenständen aus Lehm, von Töpfen, Tellern, Vasen und allem was mit dem Thema der Töpferei und der Keramik zu tun hat», erklärt der Architekt.
Er bedauert jedoch die Entwicklung der Bauten in Villa de Leyva. Mit der «touristischen Kolonisation» seien ursprüngliche Gebäude von Investoren ersetzt und das Bild des Städtchens stark verändert worden. Es seien kaum Bauernhäuser mehr übrig, welche mit wenigen wirtschaftlichen Mitteln aus Lehm oder Erde gebaut worden waren.
Vier Elemente vereint
Für den Architekten sind Erde und Lehm die Materialien, die dem Menschen gehören und aus denen er besteht: «Wir Menschen sind Erde, wir sind Wasser, wir benötigen Luft und auch Feuer. Die vier Elemente, in ihrer rohen Form.» Und ebendiese dienten ihm auch beim Bau des «Casa Terracota».
Quelle: Nadine Siegle
Ein echtes Unikat: Das Lehmhaus von Octavio Mendoza Morales entstand in seiner Grundstruktur zwischen 1999 und 2016.
Deshalb ist Mendoza Morales überzeugt von der Wohnqualität in einem Lehmbau: «In einem Haus aus dem Element Erde zu leben, ist viel gesünder als in Gebäuden aus Beton und Eisen.» Die Erde hilft bei der Regulierung der Temperatur. «Sie speichert die Energie der Sonne tagsüber und gibt diese in der Nacht langsam frei.» Bei einer Höhe von über 2000 Metern über Meer ist die nächtliche Kälte in dieser Region nicht zu unterschätzen. «Wenn es draussen kalt ist und man ins Lehmhaus tritt, fühlt man die Wärme der Mauern, bereits ohne ein Feuer im Kamin», so Mendoza Morales.
Beim Duschen gestört
Das Casa Terracota ist bewohnbar wie ein herkömmliches Haus. Es hat einen Wasseranschluss und ist mit einer Solaranlage auf dem Dach ausgestattet. Der Architekt wollte eigentlich selbst darin wohnen. Doch mit dem boomenden Tourismus in Villa de Leyva und der wachsenden Bekanntheit des Hauses wurde dies immer schwieriger.
«Die Leute kamen ohne Erlaubnis zu Besuch», erzählt Mendoza Morales. So kam es vor, dass plötzlich eine Gruppe Touristen auftauchte, wenn er gerade unter die Dusche steigen wollte. «Nach und nach verwandelte sich das Haus von einem Zuhause in eine Touristenattraktion.» Um dem Besucheransturm zu entgehen, erstellte der Vater des«Casa Terracota» deshalb etwas abseits ein zusätzliches Häuschen, in das er sich zurückziehen kann.
Möbel Teil der Struktur
Das Haus besteht aus einem Erdgeschoss, einem ersten Stock mit Zugang zum Balkon und einer zusätzlichen Dachterrasse darüber. Die Räume im Innern des Hauses sind so verwinkelt, dass der Besucher teilweise nicht genau weiss, in welchem Stock und Zimmer er sich gerade befindet.
Nicht nur die Struktur des Hauses, auch die vorwiegend mit dem Haus verschmolzenen Möbel sind aus Lehm, seien dies Sitzbänke, Tische, Ablageflächen, Regale oder Betten. Kein einziges «normales» Möbelstück findet man im «Casa Terracota».
Auch gerade Linien und Ecken sucht man im Haus vergebens. Die abgerundeten Möbel, Wände und Durchgänge wecken teilweise Assoziationen zu Bauten des katalanischen Architekten Antoni Gaudí. Ebenso die mit Mosaik belegten Nischen und Badezimmer, die mit Duschen, Waschbecken und Toiletten ausgestattet sind.
Bewusst unvollendet
Wie die von Gaudí entworfene und unvollendete Sagrada Família in Barcelona ist für Mendoza Morales auch das«Casa Terracota» ein ewiges Projekt. Zwar steht die Grundkonstruktion nun seit einigen Jahren, doch mit Kunstprojekten und anderen Anpassungen wird das Grundstück stets weiterentwickelt.
Im Haus gebe es immer etwas zu tun, so der Architekt. Dabei wird etwa mit Metall oder recyceltem Müll gearbeitet. «Sei es Glas – was im Grunde genommen Erde ist – oder Metall, wir verwandeln solche Dinge beispielsweise in eine kleine Lampe oder sonst ein nützliches Element mit einem anderen Zweck. Doch es wird ständig etwas getan und das wird auch so fortgesetzt. Zudem möchte Mendoza Morales regelmässig Künstler einladen, die im«Casa Terracota» Spuren ihrer Kunst hinterlassen.