15:30 BAUPRAXIS

Brückenabriss bei laufendem Verkehr

Teaserbild-Quelle: zvg
Beim Ersatz des Bünztal-Viaduktes kommt es zu äusserst heiklen Baggereinsätzen: Das halbe Viadukt wird abgetragen, während auf der anderen Hälfte der Autobahn-Verkehr weiterfliesst. Massarbeit und eine genaue Überwachung der Statik sind nötig.

Konzentriert schaut Franz Muri nach oben, wo die Abrisszange des Baggers gerade ein neues Stück Beton zwischen ihre kräftigen Kiefer nimmt, in knapp 30 Metern Höhe. "René, jetzt nehmen wir noch ein Stück vom Steg runter, Richtung Zürich." Die Anweisung geht per Funk an Baggerführer René Rölli, dem durch einen Querträger des Bünztal-Viaduktes der direkte Blick auf sein Werkzeug verwehrt ist. Nur nach den Anweisungen des Baustellenchefs kann sich der Mann orientieren, der den 180 Tonnen schweren Komatsu PC 1250 steuert, den grössten Abrissbagger der Schweiz. "Noch einen halben Meter runter", korrigiert Muri, der Abteilungsleiter Rückbau der Firma Aregger, seinen Mitarbeiter, "und leicht reinschwenken. Noch ein bisschen runter. Beissen!"

Die Zange, die eine Kraft von bis zu 400 Tonnen entfaltet, knabbert mit ohrenbetäubendem Getöse ein Stück der Fahrbahn ab, das in einer Staubwolke hinunterfällt. Um die Betonreste und Spannkabel, die Rölli von unten nicht entfernen kann, kümmert sich sein Kollege Roman Gwerder. Sein Bagger, der PC 750, steht oben am Rand der Brückenfahrbahn. "Wir brechen das letzte Feld der Fahrbahn ab, deshalb kann oben keine Maschine mehr stehen und der 1250 muss von unten aus zugreifen", erklärt Muri die Vorgehensweise.

Die Arbeiten am Bünztal-Viadukt, das im Rahmen des Erhaltungsprojektes Lenzburg-Birrfeld ersetzt wird (siehe Info unten), sind ausserordentlich heikel, da die eine Hälfte der Brücke während des Abrisses in Betrieb bleibt: Auf vier Spuren fliesst der Verkehr auf der A1,pro Tag üppige pro Tag 80’000 Autos und LKWs, während wenige Handbreit daneben gearbeitet wird.

Die Vorgehensweise mit den beiden Baggern ist dabei höchst aussergewöhnlich. "Ich habe in den letzten zehn Jahren eine Brücke pro Jahr abgerissen", sagt Urs Meier, der Inhaber der federführenden Baufirma Eduard Meier AG. "Aber dieser Eingriff ist auch für mich eine Premiere und das bisher wohl spektakulärste Projekt unserer Firmengeschichte." So spektakulär, dass auf das TV-Magazin "Schweiz aktuell" dem Bünztal einen Beitrag widmete.

Es handle sich dabei um eine Unternehmervariante, so Meier weiter. "Ausgeschrieben wäre der Abbruch auf die konventionelle Weise gewesen: Alles Sägen und Herausheben." Doch damit habe es ein Problem gegeben: "Die obere Platte über den Trägern war verdübelt. Dadurch war der Oberbeton auf diese konventionelle Weise nicht wegzubringen." Deshalb ersann Meier eine alternative Vorgehensweise, die er zusammen mit der ARGE Rothpletz/Implenia/Walo in rund einjähriger Arbeit planen musste.

Die Gretchenfrage sei gewesen, wie lange die Träger stabil bleiben würden. "Wir haben einen der Querträger schon zurückgebaut und dabei gesehen, dass doch recht viel Bewegung in die Brücke kommt." Man musste deshalb ein eigenes Messverfahren entwickeln, um diese Bewegung zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie einen gewissen Toleranzbereich nicht überschreitet.

Für den Abriss der mächtigen Querträger kam eine Spezialzange zum Einsatz, die "Muri MD 2300 Magnum", eine von zwölf Zangen der Firma Aregger, die Franz Muri selber konstruiert hat. Das riesige Werkzeug wiegt 15 Tonnen, hat eine Öffnungsweite von 2,3 Metern und kann mit einer Kraft von 650 Tonnen beissen. Zum Vergleich: Eine typische Betonzange wiegt gut zwei Tonnen, ist aber auch nur für Bagger bis 25 Tonnen konstruiert.

Die neue Brücke wird im Querschnitt aus zwei kastenförmigen Stahlträgern und einer Fahrbahnplatte aus Beton bestehen. Die Spannweite zwischen den Betonpfeilern wird 47,5 Meter betragen. Die beiden Stahlträger, die 2,1 Meter hoch und 0,9 Meter breit sind, werden teilweise vorfabriziert und auf der Baustelle zusammengeschweisst. Und der Kran, der die dann rund 60 Tonnen schweren Teil an ihren Ort hebt, wird wie der Abbruchbagger eine Baumaschine im XXL-Format sein. (bk)

Erhaltungsprojekt Lenzburg-Birrfeld

Die 1970 in Betrieb genommene Autobahnbrücke über das Bünztal wird im Rahmen des Erhaltungsprojektes Lenzburg-Birrfeld der A1 abgerissen und neu gebaut. Das insgesamt mit 210 Millionen Franken budgetierte Vorhaben sieht neben dem Brückenneubau, der 36 Millionen kostet, fünf weitere Massnahmen auf dem 9,5 Kilometer langen Teilstück vor: die Erneuerung des Belages, den Neubau der Halbüberdeckung Lenzburg, die Verbreiterung des Aabachviaduktes, die Instandsetzung der Unter- und Überführungen und Lärmschutzmassnahmen. Die Arbeiten begannen im April 2010 und dauern voraussichtlich bis September 2013.

Das 275 Meter lange und knapp 23 breite Bünztalviaduktes wird durch eine Zwillingsbrücke ersetzt. Dies ermöglicht es, zuerst die eine Brückenhälfte abzubrechen und eine Hälfte der neuen Brücke zu erstellen, bevor auf der anderen Seite dasselbe passiert. Da neben dem Brückenbelag auch die herausragenden Querträger zur Hälfte abgebrochen werden, muss die Brücke auf der anderen Seite durch temporäre Gerüstpfeiler gestützt werden. Diese Stützen stehen ihrerseits auf zehn Meter langen Mikropfählen, die man vorgängig in den Grund getrieben hatte.

Dieses spezielle Vorgehen ist nötig, da während der Arbeiten stets vier Spuren für den Verkehr offen sei müssen. Diese beiden neuen Brückenteile sind je 15,75 Meter breit. Damit bieten sie während der Bauphase genügend Platz für die Verkehrsführung und ermöglichen einen späteren Ausbau der Autobahn auf sechs Streifen. (bk)

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