Baustelle 4.0: So digital sind Baumeister heute unterwegs
Viele Architekten und Fachplaner arbeiten schon länger mit «Building Information Modeling». Nun erfasst die BIM-Welle auch zunehmend die operative Bauausführung und damit die Baumeister. Weshalb es sich lohnt, modellbasiert zu vermessen und die Schalung digital zu planen, zeigt ein Baustellenbesuch.
Quelle: Gabriel Diezi
Der Tachymeter zeigt präzise an, wo sich der Punkt befindet, den der Polier auf dem Touchscreen seines Tablets direkt im Modell auswählt: Thomas Plüss demonstriert die modellbasierte Vermessung.
Auf den ersten Blick ist es eine ganz normale Industriebaustelle. Stockwerk um Stockwerk entsteht in Mönchaltorf ZH eine neue Produktionsstätte für die Ganahl AG, welche auf die Herstellung von Hohlraumkörpern aus Kunststoffen spezialisiert ist. Doch die Teilnehmer des Kurses «BIM – Digitalisierung auf der Baustelle», den Baukader Schweiz seit diesem Jahr anbietet, haben sich an diesem Tag aus gutem Grund im Zürcher Oberland versammelt.
Denn hier auf der Ganahl-Baustelle lässt sich live erleben, was in der operativen Bauausführung heute digitalisiert werden kann. Im engen Zusammenspiel setzen in Mönchaltorf zwei Zürcher Unternehmen – das Bauingenieurbüro Walt Galmarini AG und die Bauunternehmung Marti AG – das sogenannte BIM-to-Field in der Praxis erfolgreich um.
Gelerntes weiter vertiefen
Bereits beim Rohbau für die Erweiterung des Basler & Hofmann-Geschäftshauses auf der Forch, der mit maximaler digitaler Unterstützung geplant und ausgeführt wurde, war die Marti AG Zürich als Baumeister im Boot (siehe Artikel «BIM im Härtetest», September 2018). Im Rahmen dieses Esslinger Pilotprojekts gelang es, «Building Information Modeling» oder kurz BIM nutzbringend auf die Baustelle zu bringen.
Wertvolle Erfahrungen wurden insbesondere im modellbasierten Vermessen gesammelt. Und das sei wichtig gewesen, betont Alessandro Walpen, BIM-Verantwortlicher beim Zürcher Baumeister: «Auch als Unternehmer beginnen wir die Folgen der Digitalisierung zu spüren. Es ist deshalb ratsam, sich jetzt damit intensiv auseinanderzusetzen.»
Quelle: Gabriel Diezi
Auf der Ganahl-Baustelle in Mönchaltorf ZH: Vieles ist digital unterstützt, doch ohne Handarbeit und Teamwork geht es auch hier nicht.
Tatsächlich bauen heute alle renommierten Planerunternehmen bei Grossprojekten auf ein dreidimensionales BIM-Modell. Dieser sogenannte digitale Zwilling besteht aus vordefinierten Bauteilen, die mit standardisierten Informationen hinterlegt sind. «Es kann also nicht mehr sein, dass ein Unternehmer in der Ausführung mit 3D-Modellen nichts anfangen kann – und stattdessen 2D-Papierpläne anfordert», so Walpen dezidiert. Schliesslich sei das Generieren und ständige Aktualisieren der Papierpläne gemäss Schätzungen für rund einen Drittel des Arbeitsaufwandes von Planerbüros verantwortlich. «An diesem Punkt haben wir auch beim laufenden Projekt angesetzt», sagt Walpen.
Basierend auf den positiven Erfahrungen in Esslingen sei es gelungen, Walt Galmarini davon zu überzeugen, auf der Ganahl-Baustelle ebenfalls modellbasiert zu vermessen. Dies geschehe im Zusammenspiel von digitalem Modell, Tablet und Totalstation, also dem elektronischen Tachymeter als Vermessungsinstrument. «Was unsere Leute auf der Forch gelernt haben, wollen sie nicht ad acta legen, sondern hier in Mönchaltorf weiter praktizieren», so Walpen weiter.
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Mein Job ist es, für den Polier genau die Modellansichten zu generieren, die er für seine Arbeit auf der Baustelle braucht.
Alessandro Walpen, BIM-Verantwortlicher, Marti AG, Bauunternehmung, Zürich
Alessandro Walpen, BIM-Verantwortlicher, Marti AG, Bauunternehmung, Zürich
Weniger ist mehr fürs Tablet
Grundvoraussetzung für alle BIM-to-Field-Anwendungen ist allerdings ein hochwertiges Modell. Die Bauingenieure von Walt Galmarini lieferten der Marti Bauunternehmung das Tragwerksmodell als Revit-File, erstellten dieses also mit der Software-Lösung von Autodesk. Denkbar wäre allerdings auch ein Modell im offenen IFC-Standard gewesen. Eines sei aber zwingend, sagt Walpen: «Das Modell muss georeferenziert sein, also die Schweizer Landeskoordinaten beinhalten. Nur so kann ich mit einer Totalstation modellbasiert vermessen.»
Wichtig ist zudem, dass die Etappen der Bauausführung im BIM-Modell genau ersichtlich sind, was eine detaillierte Absprache zwischen dem Unternehmer und dem Ingenieur erfordert. Und zu guter Letzt sind die Informationen, die bisher im Leistungsverzeichnis oder Plan aufgeführt waren, bei den einzelnen Bauteilen als Attribute zu hinterlegen. «Erst wenn all diese Punkte gegeben sind, können wir an BIM-to-Field denken», sagt Walpen.
Die Hauptaufgabe des BIM-Verantwortlichen bei Marti besteht darin, dem Polier die sinnvolle Nutzung des Modells auf der Baustelle zu ermöglichen. «Für den Ausseneinsatz auf dem Tablet enthält dieses viel zu viele Elemente. Mein Job ist es, für den Polier genau die Ansichten zu generieren, die er für seine Arbeit braucht.» Dafür muss Walpen die Komplexität des Modells reduzieren, wie er ausführt: «Wir laden etwa die Bodenplatten mit Wänden und Pfeilern nur stockwerksweise ins System hoch.»
Anders als beim Ingenieurplan schaue man immer von oben auf die Bauteile herunter, weil es sich so einfacher arbeiten lasse, ohne ständig die Decke ausblenden zu müssen. Das Zweimann-BIM-Team von Marti ist zudem als Dienstleister auf den Baustellen tätig, indem es etwa Totalstationen einrichtet und Fixpunkte einliest oder die Poliere in das Handling von Tablet und Tachymeter einführt.
Quelle: Gabriel Diezi
Im Industrieneubau wird künftig die Ganahl AG Hohlraumkörper aus Kunststoff herstellen.
Digital Vermessen ist keine Hexerei
Wie die modellbasierte Vermessung konkret abläuft, demonstriert Marti-Polier Thomas Plüss im Untergeschoss des Ganahl-Neubaus. Hier wird nicht mehr konventionell mit Doppelmeter, Massband und Plan eingemessen, sondern mit derTotalstation direkt ab Modell. Zuerst stellt Plüss die Verbindung zwischen Tablet und Tachymeter her, bevor er mit seinem Finger auf dem Tablet-Touchscreen den gewünschten Koordinationspunkt im Modell auswählt. Das Tablet sende diesen nun dem verbundenen Tachymeter, erläutert Plüss. «Anschliessend zeigt mir die Totalstation präzise, wo der Punkt liegt, dies entweder mit einem roten Laserpunkt oder dem Prisma eines Messstabs.»
Neu könne er so die verschiedenen Koordinationspunkte auswählen und mit diesen exakt abstecken, ohne mit der Vermassung eines Papierplans arbeiten zu müssen, sagt Plüss. Ein grosser Mehrwert ist gemäss ihm aber auch,dass jederzeit alle Informationen pro Bauteil verfügbar sind. «Digital einzumessen ist keineHexerei, nach ein bis zwei Wochen hab ich’sgekonnt», erinnert sich Plüss. «Am schwierigsten ist es, den Tachymeter einzurichten.» Obwohl bei Marti ganz gewöhnliche Tablets im Einsatz sind, ist selbst im letzten Hitzesommer nur ein einziges Gerät ausgestiegen. Klar müssten die Tablets auch vor Regen geschützt werden, sagt Plüss. Den Schwachpunkt ortet er aber eindeutig beim Akku: «An frostigen Wintertagen hält dieser nur zwei Stunden.»
Auch Plüss’ Polier-Kollege Dominic Mozzetti ist ein überzeugter Anhänger der modellbasierten Vermessung: «Wenn wir beispielsweise für eine Aussparung mit dem Tachymeter die notwendigen drei Punkte sauber bestimmen, ist diese nachher genau dort, wo sie auch sein sollte.Wir erreichen so eine bessere Qualität undmüssen weniger nachbessern, was die versteckten Kosten reduziert.»
Quelle: Gabriel Diezi
Das Modell der Deckenschalung für ein Stockwerk lässt erahnen, wie anspruchsvoll die modellbasierte Arbeitsvorbereitung für Polier Dominic Mozzetti ist.
Eine Fleissarbeit, die sich rechnet
Wenn es um die Kostentreiber auf der Ganahl-Baustelle geht, liegt Mozzettis Hauptaugenmerk jedoch auf einem optimierten Einsatz von Inventar und Mietmaterial. «In der Praxis ist heute oft mehr als zehn Prozent zu viel Material auf Platz.» Auf eine grosse Reserve zählen zu können, sei schlicht und einfach zu bequem, meint Mozzetti: «Wegen des Termindrucks verwenden beispielsweise viele Bauequipen lieber eine sofort verfügbare Komplettschalung, anstatt eine nicht mehr benötigte wieder auszuschalen.» In Mönchaltorf würden sie dies jedoch konsequent anders handhaben.
Der versierte Revit-Anwender plant die Wand- und Deckenschalungen der einzelnen Etappen mit ihren Takten deshalb digital – und nimmt dafür einen grossen Zeitaufwand in Kauf. «Bei der Planung denke ich mich bereits ins ganze zu bauende Objekt ein. Das erlaubt mir, mögliche Knackpunkte frühzeitig zu erkennen», sagt Mozzetti.
Als Basis dient ihm dabei die detaillierte Revit-Bauteilfamilie, die er vom Schalungslieferanten erhalten hat. Diese hat Mozzetti ins eigene Modell eingelesen und zu Schalungselementen gruppiert. Bei Bedarf lassen sich aus dem Modell auch detaillierte Bauteillisten generieren, da bei allen Elementen die entsprechenden Informationen hinterlegt sind. «Die modellbasierte Arbeitsvorbereitung ist Fleissarbeit. Letztlich lohnt sie sich aber, da wir dank der exakten Inventarermittlung weniger Material zumieten müssen und immer wissen, wann wir was dem Werkhof zurückgeben können.»
Für die Ganahl-Baustelle hat der Polier sein Material genau nach Modell bestellt und bewiesen, welche eindrücklichen Punktlandungen möglich sind. Wer für ein Grossprojekt die ganze Schalung selbst plane, könne aber nicht gleichzeitig auch noch das Tagesgeschäft alleine bewältigen, betont Mozzetti. Der Einstieg in die Revit-BIM-Software sei zudem nicht ganz einfach und ziemlich aufwendig. «Denn oft hat sich noch keine gängige Praxis entwickelt, weshalb das beste Vorgehen zuerst selbst herauszutüfteln ist», so Mozzetti weiter.
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Auf unserer Baustelle müssen wir weniger Material zumieten und wissen immer, wann wir was dem Werkhof zurückgeben können.
Dominic Mozzetti, Polier, Marti AG, Bauunternehmung, Zürich
Dominic Mozzetti, Polier, Marti AG, Bauunternehmung, Zürich
Auch interne Kritiker überzeugt
Ganz ähnlich tönt es von Marti-Bauführer Dominic Messora. Er betont, dass man sich auch das Know-how in Bezug auf das digitale Dokumentenmanagement-System BIM 360 von Autodesk schrittweise selbst erarbeitet habe: «Es gibt im Moment noch keine Anleitungen, wie man es machen sollte.» Beim Einsatz im Qualitätsmanagement schätzt Messora, dass er «Bilder der Baustelle mit Kommentaren punktbezogen im Modell einfügen kann und so stets den Überblick behält». Praktisch sei zudem, dass Aufgaben vor Ort per Tablet einem Projektbeteiligten zugewiesen werden können.
Einfach zu erstellen und auszufüllen sind zudem digitale Checklisten. Auf Messoras Baustelle sind diese etwa im Bereich der Arbeitssicherheit, des Umweltschutzes und bei Abnahmen im Einsatz. «Beim Durcharbeiten einer Checkliste wird bei punktbezogenen Mängeln automatisch eine Pendenz eröffnet», sagt Messora. «Wenn der Mangel bereinigt ist, kann der Polier ein Bild der optimierten Situation direkt hochladen.»
Für den BIM-Verantwortlichen Alessandro Walpen liegt der grosse Vorteil eines digitalen Dokumentenmanagement-Systems an einem anderen Ort: bei der Versionierung der Schalungspläne. Bei Änderungen erhalte er am Morgen jeweils eine E-Mail mit dem Hinweis, dass eine neue Version verfügbar sei. «Diese lade ich mir dann aus der Cloud herunter und gebe sie den Polieren auf die Baustelle weiter. Ein Plan-Management entfällt so praktisch komplett.»
Nützlich sei zudem der grafische Versionenvergleich, dank dem die genauen Anpassungen schnell ersichtlich seien. Die Summe dieser kleinen Vorteile habe letztlich geholfen, auch die internen Kritiker davon überzeugen, dass das modellbasierte Arbeiten eine gute Sache sei. Und für den Erfolg der neuen Arbeitsmethode sei das entscheidend, findet Walpen. «Schliesslich können wir im Büro noch so sehr Fans der Digitalisierung sein: Wenn die draussen auf der Baustelle gleichzeitig die Faust im Sack machen, nützt das gar nichts.»
Quelle: Gabriel Diezi
Sich jetzt mit der Digitalisierung intensiv auseinanderzusetzen lohnt sich, davon sind die Verantwortlichen der Marti AG, Bauunternehmung, überzeugt.