13:36 BAUPRAXIS

Baubotanik: Bäumige lebende Brücken

Teaserbild-Quelle: PJeganathan, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Wikimedia.org

Der Gummibaum ist mehr als eine Zimmerpflanze. Im nordindischen Bundesstaat Magahlaya nutzen ihn die Khasi- und Jainta-Völker als Baumaterial für Brücken, indem sie seine Luftwurzeln über Flüsse und Schluchten flechten und ziehen.

Lebende Brücke.

Quelle: PJeganathan, eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Wikimedia.org

Über Generationen gehegt und gepflegt: Doppelte Brücke in Nongriat im East Khasi Hills District.

Das Wissen um den Bau dieser Querungen wird von Generation zu Generation weitergegeben. „In den Medien und auf Blogs sind die lebenden Meghalaya-Brücken schon viel besprochen worden“, sagt Ferdinand Ludwig von der TU München, Architekt und spezialisiert auf Baubotanik. „Wissenschaftliche Untersuchungen gab es bislang allerdings wenige.“ Ausserdem seien diese alten Bautechniken bisher kaum schriftlich festgehalten worden.

Bauen mit Pflanzen

Ludwig hat nun darum mit dem Botaniker Thomas Speck von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (D) und Wilfrid Middleton, ebenfalls von TU München, insgesamt 74 solcher Brücken analysiert und dokumentiert. Um den Bauprozess besser verstehen zu können, führten sie Interviews mit den Brückenbauern. Daneben schossen sie mehrere tausend Fotos und erstellten daraus 3D-Modelle, um sich einen Überblick über die komplexe Wurzelstruktur der Querungen zu verschaffen. Und schliesslich kartierte das Team die Brücken erstmals.

Die so gewonnen Erkenntnisse könnten laut den Wissenschaftlern dabei helfen, die Architektur an die Folgen des Klimawandels anzupassen. „Stein, Beton und Asphalt heizen sich bei hohen Temperaturen schnell auf, besonders in den Städten entsteht Hitzestress“, sagt Ludwig. „Pflanzen sorgen für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt.“

Ein Setzling macht den Anfang

Gebaut, und danach instandgehalten werden die Brücken von Einzelpersonen, Familien oder mehreren Dorfgemeinschaften, die die Brücke nutzen. Der Bau einer solchen Brücke beginnt mit dem Pflanzen eines Gummibausetzlings an an einem Flussufer oder am Rand einer Schlucht. Hat die Pflanze Luftwurzeln gebildet, werden diese um ein Gerüst aus Bambusstangen oder Palmenstämmen geschlungen und über den Fluss geleitet. Sind die Wurzeln auf die gegenüberliegende Seite gewachsen, werden sie dort eingepflanzt. Darauf entwickeln sie kleinere Tochterwurzeln, auch diese werden an das Ufer gelenkt.

Durch das stetige Pflanzenwachstum und verschiedene Schlingtechniken entstehen im Lauf der Zeit hochkomplexe Strukturen, die den Brücken eine grosse Stabilität verleihen. Auch die nachwachsenden Wurzeln mit der bestehenden Struktur verflochten. Dabei hilft, dass die Wurzeln des Gummibaums auf mechanische Belastungen reagieren, indem sie weiterwachsen. Zudem bilden sie bei Verletzungen sogenannte Überwallungen, das heisst, wenn zwei Wurzeln zusammengepresst werden verbinden sich und verwachsen miteinander.

Bauen für kommende Generationen

Allerdings: Bis eine solche Brücke fertig ist, dauert es, bis sie steht können Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vergehen. „Die Brücken sind ein einmaliges Beispiel für vorausschauendes Bauen. Davon können wir viel lernen: Wir stehen heute vor Umweltproblemen, die nicht nur uns betreffen, sondern vor allem nachfolgende Generationen“, sagt Ludwig. „Dieses Thema sollten wir angehen wie die Khasi.“ (mai/mgt)

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