Spitalneubau Anna-Seiler-Haus: Neues Wahrzeichen für die «Insel»
Diesen Sommer eröffnete das neue Hauptgebäude des Berner Inselspitals. 670 Millionen Franken flossen in den Neubau, der zugleich das grösste Minergie-P-Eco-zertifizierte Krankenhaus der Schweiz ist. Die milliardenschwere Neugestaltung des Spitalgeländes nähert sich damit ihrem Abschluss.
Quelle: HG Esch Photography
Das Anna-Seiler-Haus, neues Hauptgebäude des Inselspitals und grösstes Minergie-P-Eco-Spitalgebäude der Schweiz.
Die Schweizer Spitallandschaft ist geprägt
von altehrwürdigen Bauten, die das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. In den
1970er Jahren wurden zahlreiche neue Spitalgebäude hochgezogen, die nach rund
50 Jahren saniert oder ersetzt werden müssen. Oft erlaubt die damalige Bauweise
keine Sanierung mit sinnvollem Aufwand. Deshalb boomt hierzulande gerade der Spitalbau.
Aktuell sind Projekte im Umfang von gegen
14 Milliarden Franken in der Planung oder Realisierung. Der Aargau hat gerade
zwei neue Spitäler in Baden und Aarau für rund 900 Millionen Franken
fertiggestellt. In Basel wurden für 1,1 Milliarden drei neue Bauten
hochgezogen. In Luzern beträgt die Summe für aktuelle und zukünftige Projekte
1,2 Milliarden, in Zürich werden 2,1 Milliarden ins neue Unispital gesteckt.
Und noch einmal 600 Millionen ins Kinderspital.
2013 mit Planung begonnen
In Bern realisiert derzeit das Inselspital
sein «Programm Infrastrukturentwicklung», mit einem Investitionsvolumen von 1,8
Milliarden Franken. Es ist dies das dritte umfassende Bauprogramm des Spitals
nach 1880 und 1957. Einer der Meilensteine war die Fertigstellung des neuen
Hauptgebäudes, das vor Kurzem seinen Betrieb aufnahm. Das Anna-Seiler-Haus,
das rund 670 Millionen Franken gekostet hat, löst das alte Bettenhochhaus von
1970 ab. Bereits 2013 war mit der Planung für das Projekt begonnen worden.
Die Zahlen des Neubaus beeindrucken: Auf 18
Geschossen findet sich Platz für 532 Betten, 204 Behandlungsräume, 57
Konferenzräume, 30 Aufenthaltsbereiche für Mitarbeitende, 18 Lifte, 11
ausgerüstete OP-Säle und zwei Restaurants. Zugleich ist das Anna-Seiler-Haus
das grösste Spitalgebäude der Schweiz mit Minergie-P-Eco-Zertifizierung.
Quelle: Ben Kron
Alt neben neu: Das frühere Hauptgebäude (rechts) wird bis 2028 rückgebaut.
Bauherr bestimmt Materialisierung
Diese Zertifizierung gehört zu einem
Konzept, das hohe Ansprüche an Nutzung und Funktionalität stellt und die
späteren Benutzerinnen und Benutzer, wie auch die Kranken, in den Mittelpunkt
stellt. Zugleich wurden beim Projekt der Berner Architektengemeinschaft
«Archipel», bestehend aus den Büros GWJ Architektur, IAAG Architekten und ASTOC
Architects and Planners, zum Label passend Materialien verbaut, die über den
gesamten Lebenszyklus minimale Umweltauswirkungen generieren.
«Diese Materialisierung wurde von Seiten
des Bauherrn vorgegeben», erklärt Bruno Jung anlässlich einer Begehung. Jung
ist bei der Insel-Gruppe der Leiter Projektmanagement Infrastruktur und
Hauptprojektleiter Anna-Seiler-Haus. «Wir haben 2016 eine Fachgruppe gebildet,
worin Planer, Betreiber und Facility Management zusammen festlegten, wo die
Architekten welche Materialien einplanen sollen. Dafür, so die Abmachung, reden
wir dann den Architekten bei der Gestaltung nicht mehr drein.»
Quelle: HG Esch Photography
Skyline mit Spitalbauten: Das Anna-Seiler-Haus ist das neue Wahrzeichen des geschichtsträchtigen Spitalareals.
«Nur nichts Poppiges»
Diese Materialien wurden in erster Linie
nach ihrer Funktion ausgesucht. So sind die Wände mit einem stossfesten
Anstrich versehen. Alle Handläufe sind aus hygienischen Gründen aus Chromstahl.
Farblich dominieren Naturtöne: Die Wände sind braun, wie auch das vielerorts
eingesetzte Holz. Daneben dominieren Weiss und Grau. «Wir wollten eine
neutrale, möglichst unabhängige Farbgebung», so Jung. «Nur nichts Poppiges.»
Ein wichtiger Aspekt war die
Kostenverteilung innerhalb der einzelnen Gebäudeteile: «Wir haben uns bewusst
entschieden, Elemente wie die Treppenhäuser möglichst günstig zu gestalten.
Dafür investierten wir dort mehr, wo es den Patienten und den Mitarbeitenden
zugute kommt.» So wurden unter anderem die Hälfte der Eckzimmer im neuen
Bettenhaus zu Aufenthaltsräumen fürs Personal gemacht. «So entstehen Räume mit
hoher Aufenthaltsqualität fürs Personal.» Dieses freut sich gemäss Jung auch
darauf, im neuen Gebäude zu arbeiten.
Intuitive Orientierung
Fürs Personal wie die Patienten wurde im
Inneren eine klare Struktur geschaffen, welche die Orientierung intuitiv und
einfach macht. «Ein Gebäude von dieser Grösse kann einen am Anfang erschlagen«,
erklärt Ingo Kanehl von ASTOC Architects and Planners stellvertretend für die
drei Architekturbüros. «Deshalb haben wir im Inneren eine klare Abstufung
vorgenommen. Wer aus einem Lift tritt, hat stets einen Empfangsbereich vor
sich.»
Diese Empfangsbereiche sind auch so
platziert, dass die Pflegenden ihrerseits Tageslicht und damit einen Blick nach
draussen haben. «Patienten und Mitarbeitende haben zudem von überall her rasch
Zugang zu einem der grünen Aussenbereiche, unter anderem die zwei Terrassen und
sieben Balkone», so Kanehl. «In einem Spital ereignen sich täglich ganz
dramatische Situationen. Da ist es wichtig, dass Patienten wie Mitarbeitende
rasch nach draussen ins Grüne und an die frische Luft können, um etwas Ruhe zu
haben.»
Quelle: Ben Kron
Leuchtkörper in Längsrichtung der Korridore verhindern für Patienten einen Stroboskopeffekt und ermöglichen eine intuitive Orientierung im Gebäude.
Stroboskopeffekt vermeiden
Ein wichtiger Aspekt der Orientierung sind
auch die Leuchten, deren Anordnung intensiv diskutiert worden ist. Diese
verlaufen in den Gängen in Längsrichtung, doch bei jeder Einmündung in einen
Quergang hängt auch die Leuchte quer. «Das ist ein einfaches Hilfsmittel, um
sich intuitiv zu orientieren, wo die nächste Abzweigung ist», so Ingo Kanehl.
Die längs angebrachten Leuchtstoffröhren haben einen weiteren Nutzen: «Wenn ein
Patient auf einem Bett liegend durch den Gang gefahren wird, könnte eine
Querlichtquelle einen Stroboskopeffekt erzeugen. Das kann bei Neuropatienten
ein Problem sein.»
Das Feedback der künftigen Benutzerinnen
und Benutzer ist gemäss Bruno Jung positiv. Vor der Eröffnung wurden bereits
3600 Personen im neuen Gebäude geschult, und diese lobten die klaren,
offenen Strukturen und das überall dominierende Tageslicht. Auch die
Materialisierung und das Minergie-P-Eco-Konzept seien gut aufgenommen worden.
«Bei Temperaturen über 30 Grad während der Schulung freuten sich natürlich alle
über die klimatisierten Räume.»
Quelle: HG Esch Photography
Mehrere Aussenbereiche dienen als Rückzugsort, sowohl für Patienten und deren Angehörige, als auch fürs Personal.
Quelle: HG Esch Photography
Einbau eines Magnetresonanz-Tomographen: BIM erlaubte den Fachplanern, auch solch komplexe Installationen kollisionsfrei zu bewältigen.
Nutzer in Planung eingebunden
Die guten Rückmeldungen des Personals
kommen dabei nicht von ungefähr, waren doch alle späteren Nutzer von Anfang an
in die Planung eingebunden. Jedes Fachgebiet und jede Klinik definierte im
Vorfeld mehrere Personen, die in fünfzehn Nutzergruppen zu drei Personen
gefasst wurden, wobei jeweils medizinische, therapeutische und administrative
Aspekte abgedeckt wurden.
Steve Weissbaum, der Projektleiter
Klinische Inbetriebnahme Anna-Seiler-Haus, erklärt die Vorgehensweise: «Wir
haben zusammen einzelne Punkte vorab besprochen, wobei die Benutzer ihre
Bedürfnisse und Wünsche einbrachten. Darauf basierend entwarfen die Planer
Lösungen, die wiederum von den Nutzergruppen angeschaut und mit
Änderungswünschen versehen wurden.» Je nach Komplexität der Situation ging so
ein Projektteil drei- bis zehnmal hin und her, bis für alle ein Konsens
gefunden war. «Dann erst ging das Element in die Ausführungsplanung.»
Diese Kommunikation zwischen Planern und
Nutzern gestaltete sich anspruchsvoll, wie Ingo Kanehl ausführt. «Die Nutzer
wollten von Anfang an die genaue Nutzung des Raumes definieren und zum Beispiel
die Platzierung von Möbeln festlegen. Wir als Planer aber wollten zuerst über
das Layout der Räume diskutieren, über die Platzierung von Türöffnungen, über
Bewegungsabläufe, und so vom Groben ins Feine planen.» Da die Benutzer keine
Baumenschen sind, gingen ihre Überlegungen aber schon viel früher ins
Detail.
Quelle: Insel Gruppe AG
Schnitt durch den Neubau: Auf 18 Geschossen findet sich Platz für 532 Betten, 204 Behandlungsräume, 57 Konferenzräume...
Quelle: Insel Gruppe AG
Grundriss auf Höhe des Bettentraktes: Dank der Zweiteilung kommt viel Tageslicht in alle Patientenzimmer.
Anfangs Papierpläne
Steve Weissbaum ergänzt: «Die Krux dabei:
Die Mitarbeitenden kennen ihre bisherige, funktionierende Arbeitswelt und
möchten diese natürlich in gewisser Weise am neuen Ort kopiert haben. Aber wir
müssen die Entwicklung mitdenken, Flexibilität für sich ändernde
Arbeitsabläufe schaffen. Die Aufgabe war, einerseits Fachverständnis der
klinischen Abläufe einfliessen zu lassen, und daneben die eigenen,
architektonischen Aspekte wie Raumanordnung oder Lichtführung unter einen Hut
zu bringen.»
Anfangs arbeitete man bei diesem Prozess
mit Papierplänen und nicht mit 3D-Modellen. «Unsere Ansprechpartner waren keine
Leute aus der Baubranche», so Weissbaum. «Um sie für den Umgang mit solchen
digitalen Modellen vorzubereiten, wäre ein grosser Schulungsaufwand nötig
gewesen.» Deshalb wurden anfangs Änderungswünsche ganz konventionell mit
Post-it-Zetteln auf den Plänen festgehalten.
Digitale Ausführungsplanung
Natürlich wäre das Gebäude als 3D-Modell
vorhanden gewesen, wie Toussan Souchon, der Geschäftsführer der Archipel-Arge,
ergänzt. «Die Nutzer hätten mit einer VR-Brille durchs ganze Gebäude laufen
können. Aber im Modell kann man zum Beispiel auch durch eine Wand gehen. Die
Orientierung mit so einer Brille in einem digitalen Modell ist deshalb recht
anspruchsvoll.»
Sehr intensiv kamen digitale Methoden bei
der Ausführungsplanung zum Einsatz, sagt Steve Weissbaum. «Zum Beispiel ist die
haustechnische Koordination in den Operationssälen extrem aufwendig. Da gibt es
viele Schichten Technik, die man aneinander vorbei führen muss.» All diese
Gewerke klassisch auf Papier zu planen, wäre ein Albtraum gewesen. «Das
digitale Planen ist hier eine grosse Hilfe. Durch automatisierte Abfragen
können wir Kollisionen früh aufspüren und im Plenum diskutieren, welches Gewerk
sich wohin verschieben muss.» Es gab auch eine digitale Zuteilung von Tasks:
Der Planer sah auf seinem Rechner, an welchem Punkt welches Problem auftrat. Er
erarbeitete hierfür eine Lösung, das neue Detail wurde wieder in den
Koordinationsplan hochgeladen und dort abermals überprüft. «So sind wir
iterativ von anfangs Tausenden von Kollisionen zu einem komplett
kollisionsfreien Resultat gekommen», ergänzt Toussan Souchon.
Das Resultat, das neue Hauptgebäude des
Berner Inselspitals, hat am 18. September seinen Betrieb aufgenommen. Als
nächster und letzter Programmpunkt der Neugestaltung folgt nun bis 2028 der
Rückbau des alten Bettenhochhauses. Daneben finden noch Umgebungsarbeiten
statt. «Am Ende haben wir ein Areal, auf dem sich ältere Gebäude kontrastieren
mit Neubauten, die wir für die angestrebte Verdichtung brauchten», so Ingo
Kanehl. «So entsteht ein reizvolles Gegenüber von Jung und Alt. Und wenn wir in
zehn Jahren schauen, ist das ganze Areal in eine attraktive Begrünung
eingebettet.»
Quelle: HG Esch Photography
Erdfarben und Naturmaterialien prägen das Innere, hier einer der Empfangsbereiche.
Frühe Wohltäterin
Nur wenige Details aus dem Leben von Anna
Seiler sind überliefert. Wir wissen, dass sie eine Bernburgerin war und während
der Pest um 1350 Kranke im «Spital vor den Predigern» pflegte. Davon wohl
beeindruckt, stiftete sie in ihrem Testament ein Spital, «stets und ewig für
dreizehn bettlägerige Personen, gepflegt von drei ehrbaren Personen».
Und tatsächlich wurde das «Spital vor den
Predigern», das an der heutigen Zeughausgasse in der Berner Altstadt lag, nach
ihrem Tod weitergeführt als «Seilerin Spital». Wenngleich man beim Personal
bald aufstocken musste. Das Seilerin Spital bildete die Grundlage für das
heutige Insel-Spital, weshalb man das neue Bettenhaus nach der Gründerin benannte.
In der Berner Altstadt erinnert auch ein
Anna-Seiler-Brunnen an der Marktgasse an die spätmittelalterliche Wohltäterin.
Und 2020 erschien im Zytgloggeverlag der historische Roman «Anna Seilerin –
Stifterin des Inselspitals» von Therese Bichsel. (bk)