Zu jedem Preis und fast allen Bedingungen
Die schlechte Lage der Bauwirtschaft im angrenzenden Italien führt viele italienische Unternehmen dazu, um jeden Preis und zu fast allen Bedingungen vom Bauboom im Tessin zu profitieren. Das führt teilweise zu unhaltbaren Situationen. Bei den 1568 Kontrollen, die 2009 durchgeführt wurden, wurden 765 teils massive Gesetzes- und Regelverstösse fest gestellt.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet in diesem Zusammenhang zwei besonders krassen Fällen: zum Beispiel auf einer Baustelle in Lugano, auf der ein Mailänder Unternehmen sechs magrebinische Gipser für vier Franken pro Quadratmeter beschäftigte. Zudem nötigte sie die Männer dazu in Kartonschachteln im Keller der Baustelle zu übernachten. In Polleggio, am Südportal des Gotthard-Basistunnels, arbeiteten deutsche Bauarbeiter regelmässig über 15 Stunden am Tag für die Betriebszentrale der SBB. Gesetzesverstösse, wie fehlende Meldebescheinigungen sind an der Tagesordnung. Die 14 Kontrolleure die im Tessin gegenwärtig unterwegs sind, mehr als in jedem anderen Landesteil der Schweiz, stellten laut NZZ „eindeutig eine Verwilderung der Sitten“ fest.
Schlechte Auftragslage in Italien - Boom im Tessin
Der Direktor des Tessiner Baumeisterverbandes, Edo Bobbià, führt in einem erklärte gegenüber der Zeitung, dass die öffentliche Hand in Italien keine Bauaufträge mehr vergebe und der Privatsektor seine Rechnungen kaum mehr oder nur sehr schleppend bezahle. Für italienische Unternehmen sei das reiche Tessin mit seinem Bauboom ein verlockendes Ziel. Bobbià begrüsst zwar die ausländische Konkurrenz grundsätzlich, weil sie das Geschäft belebt. Gesamtarbeitsverträge und Gesetze müssten aber respektiert werden. Alle sollten gleich lange Spiesse haben.
Ein Problem auch im Tessin ist, dass die Arbeiter offiziell als selbständige Handwerker deklariert werden. So können italienische Firmen die Regelungen des Entsendegesetzes umgehen und müssen sich weder an Mindestlöhne noch an Arbeitszeiten halten.
Kontrollen mit Kameras und Badges
Nun sollen die Kontrollen nochmals verstärkt werden. Dabei beschreitet man auch neue Wege: Auf der Grossbaustelle des Kunst- und Kulturzentrums in Lugano, auf der insgesamt 80 Firmen tätig sind, werden die beiden Eingänge zur Baustelle mit Videokameras überwacht. Sämtliche Arbeiter erhalten überdies einen Badge: So können sie sich jederzeit ausweisen. So soll Klarheit geschaffen werden, wer sich auf der Baustelle befindet. - Renzo Ambrosetti, Präsident der Kontrollkommission AIC und Co-Präsident der Unia will laut NZZ noch einen Schritt weitergehen. Er plädiert dafür, dass Firmen, die einen Zuschlag erhalten, auch bei Vergehen Ihrer Subunternehmer haften. Sie sollen ausserdem eine Kaution hinterlegen, die bei fehlbarem Verhalten eingezogen würde. (mai)