Yes is more, viva la evolución!
Ist es möglich, Architektur zu schaffen, die zu allen Aspekten des menschlichen Lebens ja sagt? Bjarke Ingels, Gründer des Architekturbüros BIG aus Kopenhagen, geht diesen Weg seit bald zehn Jahren und das äusserst erfolgreich. Kai-Uwe Bergmann, Partner bei BIG, spricht im Interview über die Erfolgsgeschichte des Büros, das kürzlich den Wettbewerb für das Basler Transitlager (siehe Box unterhalb des Interviews) gewonnen hat.
Für Bjarke Ingels wird Architektur seit jeher von zwei konträren Extremen beherrscht: «Auf der einen Seite eine Avantgarde voll wilder Ideen – oft so realitätsfern, dass sie meist kuriose Randerscheinungen bleiben. Auf der Gegenseite eine Riege gut organisierter Unternehmensberater, die vorhersehbar langweilige, aber qualitativ hochwertige Klötze bauen. Die Architektur scheint fest zwischen diesen beiden gleich unfruchtbaren Gebieten zu wurzeln: zwischen naiv-utopisch und bis zur Erstarrung pragmatisch.» Statt sich für eine Seite zu entscheiden, will BIG, Bjarke Ingels Group, im fruchtbaren Schnittbereich agieren. Das Kopenhagener Büro strebt nach einer pragmatisch-utopischen Architektur, die sich zum Ziel setzt, gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch perfekte Orte zu schaffen. Heute baut BIG mit nicht weniger als 110 Mitarbeitern auf dem ganzen Erdball und gewinnt Wettbewerb um Wettbewerb. Kai-Uwe Bergmann, einer der acht gleichwertigen Partner von BIG, spricht über Erfolg, Arbeitsweise und Visionen.
Was ist für Sie Architektur?
Kai-Uwe Bergmann: Ich habe Architektur immer als ein Zusammenspiel von Menschen, die an einem Ort leben, von Geschichte und von Zukunft gesehen. Das heisst, dass man als Architekt die Verantwortung trägt, sich mit dem Thema Wohnen – mit dem Leben und Arbeiten eines Menschen – auseinander zu setzen, die Vergangenheit zu verstehen und sich für die Zukunft zu interessieren.
Warum ist BIG so erfolgreich?
Dänemark hat, historisch betrachtet, eine hohe Designkultur. Die Menschen assoziieren modernes Design und Architektur mit Qualität. So beginnt die Diskussion während einer Entwurfs- und Projektphase stets auf einem hohen Niveau. Weiter spielten bei der Entwicklung des von Bjarke Ingels gegründeten Architekturbüros BIG diverse Umstände eine entscheidende Rolle. Ich nannte dieses Phänomen «a perfect storm»: Einerseits war Geld damals unheimlich billig und andererseits konnten Politiker sich mit Design- und Architekturprojekten viel Ansehen sichern – vor allem in der Stadt Kopenhagen hat sich die Bürgermeisterin stark für Architektur eingesetzt. Und weiter tauchten plötzlich private Investoren auf. Bislang existierten diese in Dänemark nicht, da ausschliesslich der Staat für die Bevölkerung gesorgt hat. Dieser Generation von Bauherren fehlte die Erfahrung der europäischen Kollegen. Diese Naivität, gepaart mit dem politischen Engagement in der Architektur und dem billigen Geld, hat es ermöglicht, innert kürzester Zeit diverse Projekte wahr werden zu lassen. Das «VM»- und das «8»-Haus sowie die Überbauung «The Mountain» in einem Vorort von Kopenhagen sind einem einzigen Bauherren zu verdanken. Ohne ihn wäre vieles, was wir heute tun, undenkbar.
Wird bei BIG eine bestimmte Philosophie gelebt?
Für die Gesellschaft ist der Zugang zu Architektur ein langwieriger und schwieriger Prozess. Immer wieder schlug uns ein rauer Wind entgegen. Es kann der Bauherr sein, der sagt, dass wir nicht genug Geld haben, es kann die Stadt sein, die sagt, man dürfe nicht so hoch und so breit bauen, und es können auch die Bürger sein, die sagen, nicht in meinem Garten. Wir haben uns gefragt, wie kann man eine Architektur schaffen, die einen positiven Eindruck und Einfluss auf Stadt und Bürger ausübt. Die Bürger müssen von sich aus denken, baut in meinem Garten, und Politiker wie Bauherren greifen so tiefer in die Tasche. Der Weg von BIG ist ein positiver, der mit dem Slogan «Yes is more» am Treffendsten umschrieben werden kann. Statt «nein» zu sagen, beginnen wir bei jeder Herausforderung mit «ja». Lösungswege gibt es immer.
Sie sagen wirklich zu allem ja?
Viele Politiker sagen, dass sie dieses und jenes nicht wollen. Dies ist für uns ein negativ behaftetes Tun. Es gibt aber auch eine Schar von Politikern, deren Grundeinstellung nicht negativ ist, und sagen: Lass uns einen Weg finden, um ein Problem wirklich zu lösen. Der Kompromiss muss nicht schwächer sein, im Gegenteil. Der Kompromiss bringt alle Parteien an einen Tisch. Man ist gezwungen, einen gemeinsamen Weg zu finden und zu gehen. Nur diese Richtung ist für uns interessant.
Hat sich diese Philosophie während der Jahre verändert?
Bjarke Ingels gilt als Seele des Unternehmens. Er war bereits in jungen Jahren, während seinem Studium oder seinen Lehrjahren bei Rem Koolhaas, eine starke Persönlichkeit. Er hat stets alles aufgesogen wie ein Schwamm und hat anschliessend seine Meinung klar vertreten. Dabei kann er ausserordentlich gut zuhören. Beim Projekt «The Clover Block», bei dem man 2000 Wohnungen bauen wollte, gab es vom ersten Tag an Menschen, die sich gegen diesen Entwurf aussprachen. In der Presse und überall war zu hören, dass 10 000 Stimmen gegen das Projekt sind. Nun ging Bjarke auf Stimmenfang. Dies war in Kopenhagen zum ersten Mal, dass jemand für etwas eine Petition organisierte. So kamen ebenfalls 10 000 Stimmen zusammen. Nun ging er zur Bürgermeisterin, die er vom Projekt überzeugen konnte. Damals lebte «The Clover Block» vom Umstand, dass in Kopenhagen die Wohnungspreise stetig stiegen. Man versuchte, die Kosten zu senken. Dies ist nicht mehr der Fall. Die Preise sind bis heute um 40 Prozent gesunken.
BIG ist seit der Gründung unheimlich gewachsen. Was muss man tun, damit dieses Wachstum nicht negative Auswirkungen hat?
Man ist immer so gut wie sein letztes Projekt. Dies bedeutet, dass man enorm viel investiert, um sicher zu gehen, dass der Gehalt garantiert ist. Für uns ist es uninteressant, ein Projekt nach der Entwurfsphase in fremde Hände zu geben, auch wenn wir in China oder den USA arbeiten. Wir verwenden viel Zeit darauf, in anderen Ländern die richtigen Partner zu finden. Diesen machen wir klar, dass wir bei allen Entscheidungen an Bord sein wollen. Für den dänischen Pavillon an der Expo in Schanghai hatten wir zwei Mitarbeiter vor Ort. Diese lebten neben der Baustelle.
Wie ist dieses Wachstum überhaupt zu bewältigen?
Von Beginn weg haben wir internationale Architekten und Designer gesucht. Für Kopenhagen ist es schon aussergewöhnlich, dass unter den 110 Mitarbeitern 20 verschiedene Nationalitäten vertreten sind. Wir sprechen im Büro 15 verschiedene Sprachen. Dies gibt uns die Möglichkeit, sei es in Korea, Südamerika oder Albanien, in der jeweiligen Sprache des Landes zu kommunizieren. Wir hatten zudem das Glück, schon immer bauen zu können. Allein von Wettbewerben kann ein Büro nicht überleben. Seit drei Jahren nehmen wir zudem an keinen offenen Ausschreibungen mehr teil. Der Aufwand ist schlicht zu gross. Dieses Arbeiten ohne Gegenleistung erachten wir als ein Problem in der Architektur. Wir Architekten sollten nicht frei arbeiten. Unsere Leistungen, die wir für ein Projekt aufwenden, müssen einen Gegenwert haben.
Beschreiben Sie die Arbeitsweise von BIG.
Wir nehmen uns für eine intensive Analyse viel Zeit, scheuen keinen Aufwand, so viele Fakten und Informationen wie nur möglich zu sammeln. Anschliessend beginnen wir schnell, Ideen zu entwickeln und erstellen dabei Hunderte von Modellen. Man kann diese Suche wie einen Ideenbaum beschreiben. Manche Äste sind stärker und wachsen weiter, andere sterben ab. Über sechs bis zwölf Wochen wird gesucht, bis am Schluss ein Konzept steht.
Warum bauen Sie so viele Modelle?
Wir bauen nicht Modelle, um anschliessend Zeichnungen davon anzufertigen. Wir bauen Modelle, um die Ideen so physisch wie möglich zu entwickeln. Wir haben gelernt, dass diese Vorgehensweise sowohl für uns selber, aber vor allem für den Bauherrn gut funktioniert. Die Bauherrschaft kann viel einfacher mit einem Modell umgehen als mit einer Zeichnung. Diese Arbeitsweise hat Bjarke Ingels bei Rem Koolhaas gelernt und diese haben wir für uns weiterentwickelt. Durch die Technologie von Lasercuttern und 3D-Printern wurde der Modellbau bedeutend schneller und effizienter. Auch während der Ausführungsplanung feilen wir weiter an unseren Modellen. Es gab gar Bauingenieure, die aus London anreisten und mit uns im Atelier einige Monate wirkten. Sie wollten direkt vor Ort physisch an den Modellen arbeiten, um das Tragwerk zu entwickeln.
Wenn man Ihre Projektbeschriebe anschaut, erscheinen diese immer vollkommen klar.
Wir verbringen wenig Zeit mit nicht logischen Ideen. Sie müssen pragmatisch sein, müssen mit unseren Grundwerten zu tun haben. Dies kann eine energetische Optimierung sein oder ein Entwurf, der sich aus formalistischen oder programmatischen Gründen entwickelt. Einer dieser Werte ist der Träger des Konzepts und alle folgenden Entscheide sind im Sinne des Konzepts zu fällen.
Wie wird ein Projektteam zusammengestellt?
Bei BIG existieren acht Partner, sechs sind fürs Design und zwei für das Management zuständig. Die sechs Gestaltungsverantwortlichen arbeiten seit der Gründung des Büros «Plot», das Bjarke Ingels und Julien De Smedt 2001 als Vorgänger von BIG aus der Taufe gehoben haben, zusammen. In diesen Jahren hat sich untereinander eine ¬enorme Vertrauensbasis aufgebaut. Jeder Partner mit seinen verschiedenen Stärken steht einzelnen Projekten vor. Die nächste Ebene sind die Projektleiter. Auch diese sind meistens bei uns gross ¬geworden, haben die Arbeitsweise verinnerlicht. Für uns ist es wichtig, dass jemand, der einen Wettbewerb ausarbeitet, diesen auch bis zum Bauende begleitet. In diesem Sinne sind wir Generalisten.
Hat sich der Beruf des Architekten verändert?
Unser Wunsch ist, dass man den Begriff der Architektur wieder ¬erweitert. Zurzeit planen wir eine Müllverbrennungsanlage; da steckt wenig Architektur dahinter, aber es hat was mit Städteplanung zu tun. Den Ersten, den man bei einem solchen Projekt anruft, ist der Ingenieur. In Zukunft soll es der Architekt sein, den man als Ersten kontaktiert. Ein weiteres Projekt ist die Neugestaltung einer stillgelegten Gleisanlage, die einen Kilometer durch die Stadt führt. Zurzeit wird auf diesem Areal geschossen, ein wahrer Bandenkrieg. Wir versuchen uns nun als Vermittler einzubringen und hören uns an, was die Jugendbanden möchten. Anschliessend geben wir ihnen etwas und sagen, gleichzeitig müsst ihr auch etwas an die Familien, die dort leben, geben. Mal schauen, was da rauskommt. Oder vor einem Jahr bekamen wir von der Stadt Kopenhagen die Aufgabe, 50 Jahre in die Zukunft zu blicken. Entstanden ist «Loop-City»: eine Art Stadtvision, die den Sund zwischen Kopenhagen und Schweden als Zentrum vorsieht. Architekten beschäftigen sich heute zu wenig mit solchen Themen. Es liegt in der Verantwortung des Architekten, in die Zukunft zu blicken. (Roland Merz)
Transitlager in Basel wird zum Wohnhaus
Das grosse Transitlagerhaus im Dreispitz in Münchenstein soll aufgestockt und zum Wohnhaus umgebaut werden. Den Internationalen Studienauftrag mit sieben teilnehmenden Teams dafür hat die Bjarke Ingels Group BIG für sich entschieden (siehe Bild unten).
Beim Transitlager handelt es sich um einen markanten vierstöckigen Betonriegel an der Strassenverzweigung neben dem BLT-Tramdepot. Er steht in jenem Teil des Dreispitz-Areals, das nach einer Vision von Herzog und de Meuron für die Landeigentümerin Christoph Merian Stiftung (CMS) bis 2014 vom Zollfrei- zum Kunstfreilager umfunktioniert werden soll. Im umgebauten Transitlager sollen als erstes der Gebäude, für die Umnutzungen vorgesehen sind, Mietwohnungen untergebracht werden. Der Wohnanteil an dem Gebäude wird 55 Prozent betragen. Daneben sind Büros, Ateliers, Gewerbe, Läden und Gastronomieflächen darin vorgesehen.
BIG schlagen vor, den bestehenden Stahlbetonbau für rund 70 Wohnungen um drei Etagen in Leichtbauweise zu erhöhen. Etwa 30 weitere würden darunter eingebaut. Das 50-Millionen-Projekt soll Ende 2014 bezugsbereit sein. Als Bauherrschaft im Baurecht ist der Immobilienfonds UBS Sima. (mai/sda)
Weitere Informationen gibt es im Comic zum künftigen Transitlager, den Sie hier herunterladen können.