Wohnungsnot im Engadin: Nun zieht auch Celerina die Notbremse
Wegen der Wohnungsnot im Oberengadin zieht nach Sils nun auch Celerina die Notbremse: Der Gemeindevorstand hat am Montag eine Planungszone über das Gemeindegebiet erlassen. Diese stoppt – vorerst – die Umnutzung von Erstwohnungen zu Ferienwohnungen.
Quelle: Engadin St. Moritz Tourismus AG / Fabian Gattlen
Der Gemeindevorstand von Celerina (im Bild) hat eine Planungszone erlassen. Der Baustopp gilt auf dem ganzen Gemeindegebiet, aber nur für die Umnutzung von Erst- zu Zweitwohnungen.
Eigentlich sollte in Celerina am Montagabend die Gemeindeversammlung über ein neues Wohnbauförderungsgesetz befinden, mit dem der Gemeindevorstand den Mangel an Wohnungen für Ortsansässige angehen wollte. Doch wenige Tage vor der Versammlung machten Medien eine in Celerina in grossem Stil geplante Wohnungsumnutzung publik.
Der Fall bewegte die Gemüter über das Engadin hinaus. Mieter von 22 Erstwohnungen in einem Mehrfamilienhaus, darunter mehrere Familien, verlieren ihr Zuhause und müssen ausziehen. Eine Zuger Immobiliengesellschaft hatte das grosse Wohnhaus gekauft und will darin 14 Luxuswohnungen im High-End-Segment erstellen.
Die Wohnungen will das Unternehmen verkaufen, in erster Linie auf dem Ferienwohnungsmarkt. Der Fall wurde durch Recherchen des Regionaljournals Graubünden von Radio SRF und der Lokalzeitung «Engadiner Post» bekannt.
Baustopp auf ganzem Gemeindegebiet
Gemeindepräsident Christian Brantschen sagte danach zum Regionaljournal, die Gemeinde prüfe, eine Planungszone zu erlassen. Das hat der Gemeindevorstand jetzt getan. Der Baustopp gilt auf dem ganzen Gemeindegebiet, aber nur für die Umnutzung von Erst- zu Zweitwohnungen.
Die Gemeinde wolle mit dem Erlass Zeit gewinnen, um «unerwünschte Entwicklungen anschauen zu können», sagte Brantschen am Montagabend an der Gemeindeversammlung. Man wolle diskutieren «was möglich ist» und ob es neue gesetzliche Vorgaben brauche.
Das Wohnbauförderungsgesetz hat der Gemeindevorstand dafür von der Traktandenliste genommen. Nun wird zum Geschäft zuerst eine generelle Vernehmlassung durchgeführt.
Quelle: Orlando Mugwyler - Own work, wikimedia CC BY-SA 4.0
Um Zeit für die Suche nach Auswegen zu gewinnen, zog die Gemeinde Sils (im Bild) im Januar als erste die Reissleine und verhängte eine Planungszone.
Plötzliche Wohnungsnot im Oberengadin
Die Schwierigkeit, bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist für die Bevölkerung des Oberengadins seit vielen Jahren ein Thema. In den letzten zwei Jahren wuchs sich das Problem aber sehr schnell zu einer eigentlichen Erstwohnungsnot aus. Diese scheint manche örtlichen Behörden überrollt zu haben.
Um Zeit für die Suche nach Auswegen zu gewinnen, zog die Gemeinde Sils im Januar als erste die Reissleine und verhängte eine Planungszone. Die Region Maloja, zu der das Oberengadin gehört, reagierte mit einer Studie. Diese soll aufzeigen, mit welchen Massnahmen der kritischen Situation auf dem Wohnungsmarkt begegnet werden soll. Die Ergebnisse sollen in diesen Tagen vorliegen.
Nebenwirkung der Zweitwohnungsinitiative
Als Treiber der negativen Entwicklung werden in der Region zwei Faktoren an erster Stelle genannt: Unerwünschte Nebenwirkungen der Zweitwohnungsinitiative und die Corona-Pandemie.
Das Zweitwohnungsgesetz verbietet zwar in Gemeinden mit einem hohen Ferienwohnungsanteil zusätzliche Zweitwohnungen. Sogenannte «altrechtliche» Erstwohnungen, die vor der Annahme der Initiative an der Urne im Jahr 2012 gebaut wurden, dürfen aber weiterhin zu Ferienwohnungen umgenutzt werden.
In Tourismusorten, wo wegen der Initiative keine Ferienwohnungen mehr gebaut werden dürfen, ist die Umnutzung die einzige Möglichkeit, den Zweitwohnungsmarkt zu bedienen. Im Gegenzug verschwinden diese älteren Wohnungen vom Erstwohnungsmarkt.
Die Pandemie verschärfte die Problematik. Die forcierten neuen Arbeits- und Lebensmodelle – Stichwort Homeoffice – bewegten viele zu einer Verlagerung des Hauptwohnsitzes in die Berge. Das trocknete den Wohnungsmarkt weiter aus. (sda/pb)