11:53 BAUBRANCHE

Wie Schlieren vom Unort zur Vorzeigestadt wurde

Geschrieben von: Stefan Gyr (stg)
Teaserbild-Quelle: Hoff1980, CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Der erste Schritt zu einer nachhaltigen Raumentwicklung ist eine Strategie. Darüber waren sich die Fachleute am Jahreskongress von Espace Suisse einig. Eine Vorreiterin ist die Zürcher Stadt Schlieren. In der Krise erarbeitete sie ein Stadtentwicklungskonzept. Seither erlebt sie einen Boom.

Es ist noch nicht lange her, da war die Zürcher Agglomerationsstadt Schlieren am Boden. «Würden Sie nach Schlieren ziehen?», fragte 2004 ein TV-Team Passanten in der Zürcher Innenstadt. «Nein, sicher nicht», lautete die einhellige Antwort. Durchgangsverkehr, keine Identität, keine zeitgemässen Wohnungen, eine einkommensschwache Bevölkerung, ein hoher Ausländeranteil, zu viele Gebrauchtwagenhändler.

Im letzten Jahrhundert hatte sich das einstige Bauerndorf in eine Industriestadt verwandelt. Doch dann verschwanden zwischen 1970 und 1990 viele Fabriken. Auch mehrere grosse Unternehmen wie die Wagons- und Aufzügefabrik, die Firma Aluminium Schweisswerk oder die Färberei schlossen ihre Tore. Zurück blieben riesige Brachen, vor allem entlang der Bahngleise.

Heute ist Schlieren ein Schweizer Vorzeigeort. Die Stadt im Limmattal wuchs innerhalb von 15 Jahren von 12 000 auf 18 500 Einwohner, ohne auch nur einen Quadratmeter Kulturland zuzubauen. Sie macht schon lange vor, was heute mit dem revidierten Raumplanungsgesetz im ganzen Land angestrebt wird: Entwicklung nach innen. Im von der Zeitschrift «Bilanz» veröffentlichten Schweizer Städte-Ranking ist Schlieren mittlerweile auf den 20. Platz aufgestiegen.

Stadtplatz in Schlieren

Quelle: Hoff1980, CC BY-SA 4.0 Wikimedia Commons

Der neu gestaltete Stadtplatz in Schlieren mit dem roten Flügeldach.

Krise als Chance

Wie war dieser Wandel möglich? Am Tiefpunkt angelangt, nahm die Stadt das Heft in die Hand. 2005 erarbeitete sie ein Stadtentwicklungskonzept, das bereits die Siedlungsentwicklung nach innen vorzeichnete. Schlieren sah in der Krise auch eine Chance. Dies erklärte Stadtplanerin Barbara Meyer am Jahreskongress des Schweizer Raumplanungsverbands Espace Suisse, der diesmal online als Webinar ausgerichtet wurde. Die 36 Hektar Industriebrachen in Gehdistanz vom Bahnhof boten viel Platz für Wohnraum, der im nahen Zürich fehlte oder nur teuer zu haben war. Zudem befanden sich einige Schlüsselgrundstücke im Zentrum in städtischem Besitz.

Die Zentrumsplanung, die Umnutzung der Brachen, die Entlastung vom Durchgangsverkehr, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Aufwertung des öffentlichen Raums: Das waren die fünf Hauptthemen des Stadtentwicklungskonzepts. Die Stadt zögerte nicht und setzte die Massnahmen Schritt für Schritt um. Nach einer rasanten baulichen Entwicklung entschied sich die Stadt für eine Standortbestimmung, bevor sie 2016 das Stadtentwicklungskonzept erneuerte. Die Neuauflage befasse sich mit der qualitätsvollen Weiterentwicklung und Vernetzung bestehender Quartiere, Verkehrsträger und Naherholungsräume, sagte Meyer. Anders als beim ersten Stadtentwicklungskonzept wirkte die Bevölkerung diesmal in Planungsworkshops direkt mit.

«Städtebau vor Architektur»

«Die Vorstellungen der Einwohner deckten sich mit der Strategie des Stadtrats», so die Stadtplanerin. Am häufigsten gewünscht wurden Massnahmen zur Verkehrsberuhigung, die Aufwertung des Bahnhofs, die Entwicklung des Zentrums und die Erweiterung der Grünflächen. Auf der Basis des neuen Stadtentwicklungskonzepts wurde ein kommunaler Richtplan erstellt. Im Vordergrund stand die Sicherung der städtebaulichen Qualität. Meyer: «Städtebau kommt vor Architektur.» In einer Stadt komme es zudem auf die Mischung an. Entscheidend sei auch der öffentliche Raum. Weiter müsse eine gute Gestaltung eingefordert werden. Und schliesslich müssten auch Planungsprozesse geplant werden.

Eine Strategie bedinge eine beharrliche Umsetzung, erklärte Meyer. Folgeplanungen seien notwendig. Eine Stadt oder Gemeinde brauche dafür einen Kümmerer, und zwar inhouse. Wichtig sei es auch, die Bevölkerung mitzunehmen. Rund 170 000 Franken liess die Stadt sich das neue Entwicklungskonzept kosten. Gemäss Meyer handelte es sich um eine Investition in die Zukunft. Eine kluge Strategie zu erarbeiten und umzusetzen, sei um ein Vielfaches günstiger, als Fehlentwicklungen im Nachhinein zu beheben.

Die Strategie sei ein entscheidender Erfolgsfaktor für eine gute Raumplanung: Dieses Fazit zogen die Fachleute am Jahreskongress von Espace Suisse. Das zeige sich gegenwärtig bei der Umsetzung des revidierten Raumplanungsgesetzes, sagte Damian Jerjen, Direktor von Espace Suisse. Die Gemeinden müssten dabei unter anderem ihre Bauzonen an den Bedarf der nächsten 15 Jahre anpassen und die Entwicklung nach innen vorantreiben.

Eine Gemeinde brauche ein Zukunftsbild, bevor sie die Umsetzung eines raumwirksamen Projekts angehe – sei es, ein beschauliches Wohnquartier zu verdichten, einem ehemaligen Industrieareal neues Leben einzuhauchen oder einen öffentlichen Platz attraktiv zu gestalten. Wesentlich sei eine übergeordnete Sicht. Das Ziel sei es, die Grundlagen für ein besseres Zusammenleben zu schaffen, vor allem durch die Verbesserung des öffentlichen Raums und der Qualität des bebauten und unbebauten Raums.

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Ehemaliger Redaktor Baublatt

Stefan Gyr war von April 2015 bis April 2022 als Redaktor für das Baublatt tätig. Seine Spezialgebiete waren politische, rechtliche und gesellschaftliche Fragen sowie Themen der Raumentwicklung.

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