17:37 BAUBRANCHE

Wasserkraft in der Schweiz: Potenzial geringer als angenommen

Teaserbild-Quelle: Fotari70DX, Pixabay-Lizenz

In der Schweiz leistet die Wasserkraft mit einem Anteil von 60 Prozent einen wichtigen Beitrag zur Stromproduktion. Es soll noch mehr werden: Im Zuge der Energiestrategie 2050 will der Bund die erneuerbare Energiequelle weiter ausbauen. Wie eine Studie des Bundesamts für Energie (BFE) nun zeigt, ist das Potenzial der Wasserkraft geringer als bisher angenommen.

Räterichbodensee

Quelle: Ximonic, Simo Räsänen, CC BY-SA 3.0, Wikimedia.org

Der Räterichbodensee im Grimselgebiet hat ein Volumen von rund 25 Millionen Kubikmetern.

Das aktuelle Energiegesetz legt für das Jahr 2035 eine durchschnittliche Jahresproduktion von mindestens 37‘400 Gigawattstunden (GWh) als Richtwert fest. Die Botschaft zur Energiestrategie 2050 fordert, dass dieser Wert bis 2050 auf 38‘600 GWh angehoben wird.

Dies dürfte nicht so einfach umzusetzen sein. Denn die Richtwerte im Energiegesetz und in der Botschaft zur Energiestrategie basieren auf einer Analyse des Wasserkraftpotenzials, die das BFE im 2012 aufgrund von Daten aus dem Jahr 2011 erarbeitet hatte. Damals wurde das Ausbaupotenzial für die schweizerische Wasserkraft bis 2050 auf einer Bandbreite von jährlich bis zu 1'530 GWh unter den geltenden Nutzungsbedingungen und von jährlich bis zu 3'160 GWh unter optimierten Nutzungsbedingungen geschätzt. Wie die aktuelle Studie des BFE nun zeigt, wirken sich die seither gewandelten wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen aus – das Potenzial muss nach unten korrigiert werden.

Die Studienautoren kommen zu folgenden Resultaten:

Eher geringfügige Zunahme seit 2012. Die durchschnittliche Produktionserwartung gemäss Statistik der Schweizer Wasserkraftanlagen addiert mit der Produktionserwartung der Kleinstwasserkraftwerke (rund 300 kW installierte Generatorleistung) und abzüglich des mittleren Strombedarfs der Zubringerpumpen lag 2012 bei 35'350 GWh pro Jahr. Am 1. Januar 2019 belief sie sich auf 35'990 GWh pro Jahr. Damit ist die durchschnittliche von Neubauten, Erneuerungen und Erweiterungen generierte Jahresproduktion um 640 GWh pro Jahr gestiegen.

Das Potenzial der Grosswasserkraft hat sich kaum verändert. Das Potenzial neuer Grosswasserkraftwerke (Leistung grösser als 10 MW) wurde anhand einer aktualisierten Liste von rund 30 konkreten Neubauprojekten abgeschätzt, die bereits 2012 bekannt gewesen sind. Bis 2050 liegt deren Potenzial zwischen 760 und 1'380 GWh/Jahr. Im 2012 war man von 770 bis 1'430 GWh/Jahr ausgegangen. Bestehende Grosswasserkraftwerke, die erweitert und erneuert worden sind, haben ein Potenzial zwischen 970 und 1'530 GWh/Jahr (2012: 870 bis 1'530 GWh/Jahr).

Das Potenzial Kleinwasserkraft liegt klar tiefer. Das Potenzial von neuen Kleinwasserkraftwerken (Leistung kleiner als 10 MW) sowie von erneuerten und erweiterten Kleinanlagen ist anhand der aktuellen Anmeldeliste für die Einspeisevergütung und der Realisierungswahrscheinlichkeit der Projekte errechnet worden. Demnach liegt das Potenzial bis 2050 zwischen 460 und 770 GWh/Jahr. Damit rangiert es deutlich unter dem im 2012 angenommen Potenzial von 1'290 bis 1'600 GWh/Jahr.

Zusätzlich muss laut BFE mit einem Wegfall geplanter oder bestehender Kleinwasserkraftwerke gerechnet werden. Dies, weil sie entweder ohne Förderung nicht rentieren oder weil sie vom Netz gehen, sobald eine aufwendige Erneuerung ansteht. Diesen Verlust schätzt das BFE auf minus 350 GWh/Jahr unter den geltenden Nutzungsbedingungen und auf minus 220 GWh/Jahr unter optimierten Nutzungsbedingungen. Daraus resultiert ein Potenzial bis 2050 von 110 bis 550 GWh/Jahr. Das ist deutlich tiefer als die 2012 die 1'290 bis 1'600 GWh/Jahr.

Restwasserbestimmungen sorgen für eine geringere Produktion. Seit das Gewässerschutzgesetz 1992 in Kraft getreten ist, müssen Restwassermengen bei Neukonzessionierungen oder wenn bestehende Konzessionen erneuert werden, eingehalten werden. Zwischen 2030 und 2050 läuft ein grosser Teil der gegenwärtigen Konzessionen aus. Die Produktionsverluste werden daher bis 2050 auf 1'900 GWh/Jahr geschätzt, 2012 rechnete man noch mit weniger hohen Verlusten von 1'400 GWh/Jahr. Die neue Schätzung gründet auf einer Analyse von 107 Konzessionen, die bis Ende 2017 erteilt worden sind. Weil dies laut BFE nur einen kleinen Teil der bis 2050 ablaufenden Konzessionen betrifft, lassen sich konkrete Aussagen zur tieferen Produktion erst mit einer künftigen Analyse machen. Nicht miteinbezogen worden sind zudem die Auswirkungen der Sanierungsvorschriften wie Fischgängigkeit, Geschiebetrieb sowie Schwall und Sunk. Dies, weil bislang erst wenig Erfahrungen vorliegen.

Gletschersee am Rhonegletscher.

Quelle: LadyBarbara, CC0, Wikimedia.org

Gletscherseen wurden in der Untersuchung nicht berücksichtigt. Im Bild: See beim Rhonegletscher im Juli 2012.

Geringeres Ausbaupotenzial der Wasserkraft

Im Vergleich zur Studie von 2012 liegt das geschätzte Ausbaupotenzial bei optimierten Nutzungsbedingungen bis 2050 um rund 1'600 GWh/Jahr tiefer. Abzüglich des in den Jahren zwischen 2012 und 2019 erfolgten Zubaus von 640 GWh/a beträgt die effektive Differenz 960 GWh/Jahr.

Die Studienautoren kommen zwar zum Schluss, dass der im geltenden Energiegesetz festgelegte Ausbaurichtwert bis 2035 ist erreichbar ist. Dazu muss aber fast das gesamte bis 2050 ausgewiesene Potenzial schon bis 2035 realisiert werden. In den nächsten Jahren braucht es dafür ein Netto-Ausbau von durchschnittlich 85 GWh/Jahr (seit 2011 lag dieser im Durchschnitt bei 87 GWh/Jahr).

Ob sich der in der Botschaft zur Energiestrategie postulierte Ausbaurichtwert bis 2050 erreichen lässt, bleibe aufgrund der aktuellen Analyse unklar, heisst es in der Mitteilung das BFE. Das geschätzte Potenzial könnte um mehrere hundert Gigawattstunden Jahresproduktion bis 2050 einiges höher sein, wegen noch nicht bekannten Neubauprojekten und weil in der aktuellen Studie das Potenzial von Gletscherseen nicht mit berücksichtigt worden ist. Allerdings hängt der Ausbau dieses Potenzials durch die Strombranche laut BFE davon ab, wie sich wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die einheimische Wasserkraft entwickeln.

Diese Resultate sollen in eine weitere Analyse – die „Energieperspektive 2050+“– einfliessen. Sie soll schliesslich zeigen ob die Ziele der Energieperspektive 2050 langfristig erreicht werden können. (mai/mgt)

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