Von der Altlastenbrache zum «sauberen» Bauland
Kupfer, Zink, Chrom, Teeröl und Cyanide: Hundert Jahre industrielle Nutzung sind nicht spurlos am Selve-Areal vorbeigegangen. Die Sanierung des belasteten Grundes verlangt ein konstantes Abwägen zwischen Umweltbelangen und ökonomischen Anforderungen.
Vom Gaswerkareal und den Produktionsgebäuden der Metallwerke Selve AG, aber auch von der späteren Nutzung während der 90er Jahre als turbulente, fast landesweit bekannte Partymeile ist kaum mehr etwas zu erkennen. Einzig zwei unter Denkmalschutz stehende Gebäude zeugen heute neben einigen in den Untergrund reichenden Fundamenten noch von der industriellen Vergangenheit des Selve-Areals in Thun. Doch die Zukunft hat bereits begonnen. Ein erster Neubau ist im Rohbau fertig und für weitere baureife Projekte laufen die Vorbereitungsarbeiten (Webcam www.selve-thun.ch).Entsprechend seiner unterschiedlichen früheren Nutzungen und Eigentümer wurde das gesamte Gelände in vier Teilbereiche unterteilt. Entlang der Aare, auf der Nordseite der Scheibenstrasse, liegt die noch bestehende und umgenutzte Halle 6. Daran anschliessend befindet sich das als öffentlicher Stadtpark vorgesehene Teilstück von rund 6000 Quadratmetern Fläche, auf dem sich früher die bereits rückgebaute Halle 10 der Selve AG befand. Südlich der Scheibenstrasse liegen zwei Teilbereiche: Das ehemalige Gaswerkareal, genannt Perimeter Althaus, auf dem nach einem Projekt von Althaus Architekten Bern ein neues kantonales Verwaltungsgebäude entsteht, sowie das Areal der ehemaligen Metallwerke Selve AG, genannt Perimeter Luscher, auf dem nach einem Projekt von Luscher architectes Lausanne Miet- und Eigentumswohnungen sowie eine Altersresidenz gebaut werden.Die über 100 Jahre dauernde industrielle Nutzung hat bleibende Spuren hinterlassen, die unter grossen Anstrengungen und dem Einsatz beträchtlicher finanzieller Mittel entfernt oder unschädlich gemacht werden müssen, bevor neu gebaut werden kann. Deshalb gehen die Vorbereitungsarbeiten weit über das für ein «normales» Bauvorhaben gewohnte Mass hinaus.
Schon früh hat die Selve-Park AG als hälftig von der Stadt Thun und dem Kanton Bern getragene Körperschaft die beiden Büros Geotest AG, Zollikofen, und Schenker Korner und Partner GmbH, Luzern, mit den erforderlichen Abklärungen beauftragt.
Belastungen erfassen und analysieren
Bei der praktischen Umsetzung wurden vielfältige Methoden für die Untersuchung der Bausubstanz, des Aushubmaterials und des Grundwassers, das das gesamte Areal unterströmt, eingesetzt. Für die Untersuchung auf Schwermetalle wurde bei über 80 Bohrungen vermutlich das erste Mal in der Schweiz in grossem Umfang ein mobiles Röntgenfluoreszenz-Spektrometer eingesetzt. Das Gerät gehört heute zur Standardausrüstung für Altlastuntersuchungen und -sanierungen. Es diente dann auch bei den Aushubarbeiten für die Baugruben zur Erfassung der Schwermetallgehalte, vor allem von Kupfer und Zink. So konnte schnell und mit geringem Aufwand der Verschmutzungsgrad gemessen werden. Zur Ausrüstung gehörte auch ein Feldlabor für die schnelle Bestimmung weiterer Parameter wie Cyanid, Chromat, Zink und Kupfer im Eluat. Selbstverständlich wurden auch umfangreiche Laboranalysen durchgeführt, um für Aushubchargen die korrekte Entsorgung festlegen und beim Grundwasser die gelösten Schadstoffe bestimmen zu können.Bis zum Beginn der Erstellung der Hochbauten lag die Verantwortung für die Projektorganisation und Ablaufplanung vollumfänglich bei den Umweltfachleuten, Bauingenieuren, Hydrogeologen und Geotechnikern der Geologengemeinschaft. Dem Bauherrn, der Totalunternehmer Baugesellschaft Selve Thun, bestehend aus HRS Real Estate AG und Frutiger AG, wurde somit zum vereinbarten Termin eine bebauungsfähige Baugrube übergeben. Im Perimeter Althaus musste mit verschmutztem Material aus dem früheren Gaswerkbetrieb gerechnet werden. Typische Schadstoffe auf Gaswerkarealen sind die Teeröle aus vorwiegend polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sowie Cyanide.
Die Herausforderung bestand darin, die schadstoffbefrachteten Materialien aus vorwiegend kiesiger Zusammensetzung zu erkennen und möglichst von den sauberen Anteilen zu trennen. Da die Entsorgung solchen Materials teuer ist, liegt in einer guten Trennung (Triage) ein grosses Sparpotenzial. Deshalb wurden die Aushubarbeiten ständig von ein bis zwei Spezialisten intensiv begleitet. Diese analysierten das Aushubmaterial und organisierten die gesetzeskonforme Entsorgung. Je nach Belastungsgrad wurde das triagierte Material rezykliert (sauberer Beton), ins Kieswerk für die Herstellung von Beton geliefert (sauberer Kies), als Hinterfüllungsmaterial wiederverwendet oder musste in einer Deponie entsorgt werden. Cyanid-belastete Aareschotter wurden der Bodenwäsche zugeführt. Mit mechanischen und chemischen Prozessen konnte der Grobanteil (rund 85 Prozent) getrennt und der Verwertung zugeführt werden. Der stark belastete Feinanteil (rund 15 Prozent) wurde thermisch behandelt (verbrannt).Erwartungsgemäss stiess man bei den Arbeiten auf bisher unbekannte Einrichtungen wie Leitungskanäle oder Teerölbecken, die noch mit flüssigem bis pastösem Teeröl gefüllt waren. Aus undichten Becken und Leitungen gelangte Teeröl teilweise bis ins Grundwasser. Das stark teerölbelastete Material kam nach sorgfältiger Triage in eine Verbrennungsanlage im Ausland. Eine Grundwasserverschmutzung erfolgte glücklicherweise nicht, sodass das Gelände zwar belastet, aber weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig ist.
Kupfer, Zink und Chorm
Auch im Perimeter Luscher brachten die Rückbauarbeiten Altlasten an den Tag, und es mussten adäquate Lösungen gefunden werden im Zusammenhang mit Schwermetallen, asbesthaltigen Bauelementen, PCB-belastetem Trafoöl und Staubbekämpfung. Neben geringen Kohlenwasserstoffverschmutzungen bestanden die Belastungen hier in erster Linie aus Kupfer und Zink, in kleinerem Ausmass auch aus Chrom. Da kupferhaltige Lösungen aus undichten Leitungen, aber auch via Sickerschächte in den Schotter versickerten, haben sich verbreitet Kupfer-Mineralien wie Malachit gebildet. Dieses als Schmuckstein bekannte Mineral hat in den Aareschottern zu spektakulären Verfärbungen geführt. Glücklicherweise sind diese Stoffe aber weitestgehend wasserunlöslich, sodass für das Grundwasser keine Gefährdung besteht.
Vom giftigen zum unlöslichen Chrom
Die zum Selve-Areal gehörende ehemalige Halle 6 der Metallwerke ist denkmalgeschützt. Sie wurde 2003 umfassend renoviert und diente Coop kurzzeitig als Heim- & Hobby-Markt. Als Folge der Chrombäder, die sich früher in der Halle befanden und aus denen grosse Mengen schwermetallhaltiger Säure in den Untergrund gelangten, war das Grundwasser im Abstrom der Halle in unzulässiger Weise belastet, insbesondere durch das giftige Chrom (VI). Dies erforderte eine Sanierung in Form einer sogenannt permeablen reaktiven Bohrpfahlreihe (PRB), die aus technischen Gründen im benachbarten Gaswerkareal erfolgen musste. Die Bohrpfähle der PRB reichen bis an die 15 Meter ins Grundwasser hinein. Das von der Halle 6 her die PRB durchströmende Grundwasser erfuhr in der Bohrpfahlreihe eine Umwandlung des problematischen, im Wasser gelösten Chrom (VI) in eine ungiftige und unlösliche Chrom (III)-Verbindung. Die Wand liegt jetzt unter dem neuen Verwaltungsgebäude und ist nicht mehr zugänglich.Zwischen der Scheibenstrasse und der Aare im Bereich des zukünftigen öffentlichen Parks beziehungsweise der ehemaligen Halle 10 der Metallwerke ist der Untergrund ebenfalls mit Schwermetallen belastet. Hier werden Massnahmen ergriffen, um den Schadstoffaustrag zu verhindern. Sie bestehen in einer vollständigen Abdichtung der Oberfläche mit natürlichen und künstlichen Dichtungslagen (PE-Folien), auf die dann das zu begrünende Erdreich aufgetragen wird. So kann kein Regenwasser mehr in den Untergrund gelangen, und die Schadstoffe ins Grundwasser transportieren und der Kontakt der Parkbesucher mit dem belasteten Material im Untergrund wird verhindert. (Jürgen Albrecht, Nicolas Stork)