Unter den Fluten des Stausees
Die Umsiedlung für den Ilisu-Staudamm beginnt. Weil das Projekt unter anderem gegen den Schutz von Umwelt- und Kulturgütern verstösst, gab es immer wieder massive Proteste. Vergangenes Jahr hatten sich die Schweiz, Deutschland und Österreich von dem Projekt zurückgezogen.
Mehrere zehntausend Menschen im Einzugsgebiet des umstrittenen Staudammprojektes Ilisu in Südostanatolien müssen dieser Tage ihr Zuhause verlassen. Sie werden umgesiedelt, weil ihre Dörfer demnächst geflutet werden. Kommenden Sonntag übergibt Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Häuser eines neu errichteten Dorfes an die Bewohner der Ortschaft Ilisu, die dem Staudamm am Tigris seinen Namen gab. Neben Ilisu fallen dem Projekt laut SDA insgesamt über hundert Dörfer zumOpfer. - Mit dem rund 300 Quadratkilometer grossen See soll nicht nur Energie gewonnen, sondern auch bessere Bewässerungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft geschaffen werden. Kosten wird das Projekt rund 1,2 Milliarden Euro.
Deutschland, Österreich und die Schweiz hatten sich letztes Jahr vom Projekt zurückgezogen: Weil die Türkei nach ihrer Einschätzung gegen zahlreiche Auflagen zur sozialverträglichen Umsiedlung der Betroffenen sowie zum Schutz von Umwelt- und Kulturgütern verstossen hatte, hatten die drei Länder Kreditbürgschaften für das Ilisu-Projekt abgelehnt. In der Folge beschloss die Türkei, das Projekt in Eigenregie voranzutreiben. Zudem wird seit Jahren sowohl im In- als auch im Ausland scharf gegen das Projekt protestiert, weil ihm unter anderem die archäologisch bedeutsame Stadt Hasankeyf, die auf eine fast zehntausendjährige Geschichte zurückblicken kann, zum Opfer fallen wird. Sie ist die eizige aus der Antike und dem Mittelalter praktisch gesamthaft erhaltene Siedlung Anatoliens. Allerdings fruchtete der Widerstand bis anhin nichts. Pikantes Detail: Hasankeyf geniesst bei Kurden den Status einer Kultstätte oder vielmehr eines nationalen Erbes. (mai)