Unser Chinese ist der Aargauer und der Freiburger
Eine Welle billiger Fachkräfte aus dem Osten wurde uns vorausgesagt, falls wir dem Schengen-Abkommen beitreten. Nun ja, wir haben es trotzdem getan und die prophezeite Welle ist nicht über unser Land geschwappt. Ganz im Gegenteil: In fast allen Wirtschaftssektoren beklagt man einen akuten Mangel an Arbeitskräften. Der berühmte polnische Klempner ist also zu Hause geblieben.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet in Polen eine Entwicklung zu beobachten ist, die für die europäische und letztlich auch für die schweizerische Bauwirtschaft von Bedeutung sein wird. Die Rede ist von der Autobahn zwischen Warschau und Lodz. Diese befindet sich momentan im Bau und wird dereinst das Attribut «Made in China» tragen.
Zwei von fünf Baulosen im Umfang von 310 Millionen Euro wurden nämlich an eine Bauunternehmung vergeben, die vom chinesischen Staat abhängig ist. Notabene zu einem Preis, der 25 bis 30 Prozent tiefer ist als das Angebot der Konkurrenten und 40 bis 45 Prozent unter den Erwartungen des Bauherrn liegt. Personal und Material stammen vorwiegend aus China. Die vom Auftragnehmer geforderte Erfüllungsgarantie über 100 Millionen Euro stellte für die Chinesen offenbar kein Problem dar. Für die polnische Verwaltung gab es damit genügend Argumente, den Auftrag nach Fernost zu geben – Wirtschaftskrise hin oder her.
Die Reaktionen auf den Vergabeentscheid in Polen liessen verständlicherweise nicht lange auf sich warten. Auch die FIEC, der Verband der Europäischen Bauwirtschaft, schlug bei den europäischen Behörden umgehend Alarm. Leider aber bietet das europäische Recht gegen aussereuropäische Vergaben keine effizienten Rekursmöglichkeiten. Das kommt uns hier irgendwie bekannt vor: In der Schweiz haben wir zwar vorderhand keine chinesischen Konsortien zu fürchten. Trotzdem gilt es wachsam zu sein, entwickeln sich in einer globalisierten Welt die Dinge doch ziemlich rasch.
Ich hege aber gewisse Zweifel, was bei uns die Sensibilität gegenüber dieser Thematik betrifft. In der Schweiz sorgen wir uns nach wie vor am meisten um die Mitbewerber aus den Nachbarkantonen. So wehren sich die Kantone beispielsweise nach wie vor gegen eine einheitliche Gesetzgebung für das öffentliche Beschaffungswesen und damit gegen einen schrankenlosen Binnenmarkt. Dieses Verhalten mutet sonderbar an, liegen die realen Bedrohungen doch ganz anderswo. Schon heute zahlen zum Beispiel gewisse ausländische Unternehmen ihren Mitarbeitern in der Schweiz tiefere Löhne, dafür überaus grosszügige Wegpauschalen. Sie sparen damit Sozialabgaben und haben damit einen entscheidenden Vorteil gegenüber den schweizerischen Mitbewerbern.
Wenden wir uns also den echten Herausforderungen zu. Der Kantönligeist ist passé. Unsere Aufmerksamkeit hat der Globalisierung und vielleicht bald auch den Chinesen zu gelten. Auch in der Schweizer Bauwirtschaft.
Michel Buro, Präsident Fachverband Infra