11:48 BAUBRANCHE

Umgenutzte Industrieareale: Musterstadt Langenthal BE

Geschrieben von: Claudia Porchet (cet)
Teaserbild-Quelle: Markus A. Jegerlehner/Stadt Langenthal

Eine Studie ging 2004 von einer Fläche ungenutzter Industrieareale aus, welche der damaligen Stadt Genf entsprach. Dies dürfte sich massiv geändert haben, obwohl Sanierungen anspruchsvoll sind. Die Stadt Langenthal BE hat für ihre umsichtige Umnutzung den Wakker-Preis erhalten. Doch es werden zunehmend Stimmen laut, welche den Verlust von Arbeitsplätzen und den Wegzug des produzierenden Gewerbes kritisieren.

Porzi-Areal Langenthal

Quelle: Markus A. Jegerlehner/Stadt Langenthal

Die Stadt Langenthal von oben: Drohnenaufnahme des «Porzi-Areals» im Jahr 2021.

2004 haben das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und das heutige Bundesamt für Umwelt (BAFU) eine Erhebung über brachliegende Industrie- und Gewerbeareale in Siedlungsgebieten der Schweiz publiziert: «Die brachliegende Schweiz – Entwicklungschancen im Herzen von Agglomerationen».

Die Studie stammt aus dem Jahr 2004. Damals schlummerte in der Schweiz grosses Potenzial von ungenutzten Industrieflächen, die zusammen eine Fläche von 17 Millionen Quadratmetern ergaben. Dies entsprach der Fläche der Stadt Genf und ihres Umlands. Rund 80 Prozent dieser Brachflächen befinden sich in den urbanen Gebieten des Mittellandes.

Diese Analyse ist die einzige ihrer Art. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Markus Pfanner etwa von der kantonalen Zürcher Baudirektion nennt vier Beispiele, die in privater Hand sind, deshalb habe er keinen allgemeinen Überblick.

Umnutzung als Work-in-Progress

Dies zeigt sich ganz besonders im Um-gang mit ihrem baulichen industriellen Erbe wie Fabrikarealen, Arbeitersiedlungen, Villenanlagen oder öffentlichen Gebäuden. Diese wurden als zentrale Ankerpunkte für künftige Entwicklungen festgeschrieben.

Ein Musterbeispiel einer gelungenen Umnutzung ist Langenthal BE. Der Ort setzt auf Weitsicht und Dialog. In einem Workshop-Verfahren kehrt die Stadt die üblichen Prozesse um: Fachleute des Städtebaus und der Denkmalpflege bewerten ein Projekt nicht erst bei der Vorlage des Baugesuchs. Vielmehr begleiten sie Architekten und Investoren von der Ideensuche bis zur Baueingabe.

Langenthal hat in den vergangenen Jahren in die Aufwertung der öffentlichen Räume im Zentrum investiert. Daneben wurden diverse Schulbauten und das Stadttheater renoviert. Die Stadt erkläre mit all diesen Massnahmen selbstbewusst, dass sie ein lebendiges, urbanes Zentrum einer grösseren ländlich geprägten Region sein wolle, schreibt der Heimatschutz.

Die Stadt Langenthal nimmt aber auch Mitwirkungsergebnisse ernst. So etwa. bei der «Porzi», für die im Jahr 2018 eine Testplanung durchgeführt wurde. Die ganze Umnutzung sei ein Work-in-Progress, erläutert Sabine Gresch. «Zur Zeit der Verleihung des Wakker-Preises 2019 war die Testplanung zum Porzi-Areal gerade abgeschlossen», so die Stadtbaumeisterin der Stadt Langenthal. «In der öffentlichen Mitwirkung hat sich aber gezeigt, dass viel Widerstand gegen die beabsichtigten Hochbauten besteht. Deshalb wird das Areal nun aus dem Bestand heraus entwickelt. Kürzlich wurde beispielsweise die Elektroofentunnelhalle zu einem Res- taurant umfunktioniert.»

Porzellanfabrik Porzi Langenthal

Quelle: Markus A. Jegerlehner/Stadt Langenthal

Sorgfältiger Umgang mit der Bautradition in der ehemaligen Porzellanfabrik «Porzi».

Verlust von Arbeitsplätzen

So weit, so gut. Die Thurgauer Zeitung spricht indes einen anderen Aspekt an: Jahrelang hätte man den Wohnungsbau unterstützt und vorangetrieben. «Viel Industrieland wurde dafür geopfert. Dem schleichenden Verlust von Arbeitsplätzen und dem Wegzug des produzierenden Gewerbes muss etwas entgegengehalten werden.»

Industriell und gewerblich genutzte Gebiete werden in der Stadt Bern immer weniger, schreibt die BZ. «Im Gegensatz zu früher befinden sich viele Gewerbebetriebe mitten in Siedlungsgebieten. Sie sind deshalb oft mit Beschwerden von Anwohnerinnen und Zuzügern über Lärm und Gestank konfrontiert. Oder ihr Standort ist von Verkehrsbeschränkungen betroffen.»

Die fünf grossen Wirtschaftsverbände in Stadt und Region fordern nun, dass die  Bedürfnisse des Gewerbes in der Raumplanung und der Baupolitik mehr berücksichtigt werden. Es brauche ein genügendes Angebot an Raum, um Gewerbebetriebe  zu erhalten und neue ansiedeln zu können, heisst es im neuen Programm für ein «attraktives und wirtschaftsfreundliches Bern». 

Der Gewerbeverband KMU Stadt Bern, der Handels- und Industrieverein und der Arbeitgeberverband haben es mit dem Hauseigentümerverband und der Innenstadtorganisation Bern City vorgestellt. Stadtpräsident Alec von Graffenried anerkennt, dass bei den Gewerbe- und Industriezonen Handlungsbedarf bestehe. Der Gemeinderat habe kürzlich eine neue Strategie zum Werkplatz beschlossen, so die BZ.

Pionierrolle von Baden, Basel, Zürich und Winterthur

Historische Industrieareale seien eng mit der Geschichte der Industrialisierung in der Schweiz verbunden, erklärt Richard Tillmann, Richtplangruppenleiter beim Bundesamt für Raumentwicklung. Der entsprechende Artikel zur Industriali-sierung im Historischen Lexikon der Schweiz gebe einen guten Überblick dazu, so der Richtplangruppenleiter Zentralschweiz.

Im Artikel werde auf die industrielle Pionierrolle von Städten wie Baden, Basel, Zürich und Winterthur für die Schweiz verwiesen. Alles Städte, die heute über ein reiches Erbe an Industriearealen besitzen, wie etwa das ABB-Areal in Baden. Dies sei sicherlich auch ein typisches Beispiel, so Tillmann vom sowie vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), das zum Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) gehört. Historisch gesehen hingegen sei Bern nie ein Paradebeispiel einer eidgenössischen Industriestadt gewesen. Auf Berner Stadtboden gäbe es bis heute nur wenige kleinere historische Industrieareale und Einzelbauten, sagt Tillmann. «Mehr industrielles Erbe haben im Espace Mittelland hingegen die Regionen Biel, Grenchen und Solothurn, beispielsweise das Attisholz-Areal an der Aare in Riedholz (SO)».

«Die Liste könnte natürlich beliebig ergänzt werden mit Beispielen aus dem Aargau, dem Glarus, der Ostschweiz, dem Zürcher Oberland, und dem Tösstal oder dem Kanton Neuenburg – alles Regionen, die für die Industrialisierung der Schweiz von Bedeutung waren. (cet)

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Claudia Porchet ist Philologin und interessiert sich für Architekturgeschichte, Kunst am Bau und Design. Ebenso begeistern sie neue Forschungsresultate aus allen Bereichen. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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