Tageslicht und Sicht ins Freie: Diese Rechte haben Angestellte
An manchen Arbeitsplätzen fehlt es an Tageslicht. Die
Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, diese Mängel durch bauliche oder
organisatorische Massnahmen auszugleichen. Am Tageslicht-Symposium war auch zu
erfahren, wie Architekten die natürliche Beleuchtung in ihre Bauten
einbeziehen.
Quelle: Artistic Operations, Pixabay, Public Domain-ähnlich
Durch die Verdichtung entstehen immer mehr Arbeitsplätze mit zu wenig Tageslicht und Sichtverbindungen nach aussen.
«Tageslicht und Sicht ins Freie am Arbeitsplatz werden für
die Arbeitsinspektorate des Bundes und der Kantone immer mehr zum Thema», sagt
Joseph A. Weiss, stellvertretender Leiter der eidgenössischen Arbeitsinspektion
im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Der Grund seien bauliche Trends.
Durch die Verdichtung würden viele Arbeitsplätze in Untergeschosse oder
Grossraumbüros mit grosser Raumtiefe und wenig Tageslicht verlegt. Zudem würden
wegen der «Selbstverwirklichungswut einiger Architekten» viele Gebäude mit
vorgehängten Fassaden versehen, die oft den Blick ins Freie beeinträchtigen.
An Arbeitsplätzen fehle es deshalb oft an Tageslicht und
Blickbezügen nach aussen, so Weiss. Die gesetzlichen Vorgaben für die
Tageslichtversorgung und die Sicht ins Freie seien bei den Architekten und
Arbeitgebern oft nicht bekannt. Die rechtlichen Grundlagen stellte Weiss am
zweiten Schweizer Tageslicht-Symposium vor. Die Fachveranstaltung wurde vom
Departement Technik und Architektur der Hochschule Luzern (HSLU) und der Velux
Schweiz AG online ausgerichtet. Geleitet wurde sie von Björn Schrader, Dozent
im Bereich «Gebäudetechnik – Kunst- und Tageslichttechnik» an der HSLU.
Für den Gesundheitsschutz
Gemäss dem Arbeitsgesetz beziehungsweise der dazugehörigen
Verordnung soll in den Arbeitsräumen Tageslicht vorhanden sein und eine
künstliche Beleuchtung, die der Art und den Anforderungen der Arbeit angepasste
Sehverhältnisse gewährleistet, was die Gleichmässigkeit, Blendung, Lichtfarbe
und das Farbspektrum anbelangt. In Arbeitsräumen ohne natürliche Beleuchtung
müssen besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen ergriffen werden,
damit den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist.
Zudem muss von ständigen Arbeitsplätzen aus die Sicht ins Freie vorhanden sein.
In Arbeitsräumen ohne Fassadenfenster sind ebenfalls besondere bauliche oder
organisatorische Massnahmen für den Gesundheitsschutz der Angestellten
vorgeschrieben.
Ein weiterer Artikel gilt allein für industrielle Betriebe.
Danach muss die Fläche aller Fassadenfenster und Dachlichter ein Verhältnis zur
Bodenfläche von mindestens eins zu acht aufweisen, wenn normal durchsichtiges
Glas verwendet wird. Weiter muss mindestens die Hälfte der vorgeschriebenen
Fensterfläche in Form von durchsichtig verglasten Fassadenfenstern ausgeführt
werden. Von den Arbeitsplätzen aus ist der Blick ins Freie durch
Fassadenfenster zu gewährleisten, soweit es Betriebseinrichtungen und
Produktionstechnik gestatten. Die Behörden können geringere Fensterflächen
bewilligen, vor allem wenn Gründe der Sicherheit oder der Produktionstechnik es
erfordern. Mit der Bewilligung können besondere Auflagen zum Schutz der
Arbeitnehmer verbunden werden.
Das Licht beeinflusse nicht nur das Sehen selbst, sondern
auch die Aktivität und die Psyche, erklärt das Seco. Damit übe es einen
wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Motivation des Menschen aus.
Als bauliche Kompensationsmassnahmen für fehlendes Tageslicht werden in einer
Wegleitung zu den Gesetzesvorgaben eine tageslichtähnliche künstliche
Beleuchtung des Arbeitsplatzes, die strikte Einhaltung arbeitshygienischer
Richtwerte zu Luftvolumen, Raumklima und Lärm sowie Ess- und Aufenthaltsräume
mit Tageslicht aufgeführt. Arbeitsplatzrotation zu Plätzen mit hohem Tageslichtanteil
wird als organisatorische Massnahme vorgeschlagen. Die in fensterlosen Räumen
beschäftigten Angestellten sollen dadurch während mindestens der Hälfte ihrer
Arbeitszeit eine Tätigkeit an Plätzen mit hohem Tageslichtanteil ausüben
können.
Ersatzlösungen möglich
Daneben gibt es Ersatzlösungen für direktes Tageslicht wie
Spiegelschacht- und Lichtleitsysteme, wie Weiss weiter erklärt. Adaptive
Beleuchtungen gleichen fehlendes Tageslicht durch Zuschalten von künstlichem
Licht aus – entsprechend den Lichtverhältnissen eines Tagesverlaufs. Als
Kompensationsmassnahmen für fehlende Sichtverbindungen nach aussen nennt
die Wegleitung das Freilegen von verdeckten Aussenfenstern, helle Farben der
Decken und Wände, Pausenräume mit Blick ins Freie, Arbeitsplatzrotationen und
die Möglichkeit, zum Beispiel auf dem Weg zur Toilette Kontaktfenster zur
Aussenwelt aufzusuchen. Technische Ersatzlösungen wie Grossbildschirme mit
Webcam-Aufnahmen werden laut Weiss «amtlich nicht akzeptiert». Lassen sich mit
den baulichen und organisatorischen Kompensationsmassnahmen die Ziele nicht
erreichen, hat das Personal Anspruch auf zusätzliche Pausen, die als
Arbeitszeit gelten.
Demnächst in die Wegleitung eingebaut werden sollen die
Anforderungen der neuen Norm SN EN 17037:2019. Demnach müssen in neuen oder
renovierten Gebäuden mit vertikalen oder geneigten Fenstern während der Hälfte
der Tageslichtstunden pro Jahr auf 85 Zentimetern über dem Fussboden mindestens
300 Lux in 50 Prozent und 100 Lux in 95 Prozent des Raums erreicht werden. Sind
horizontale Oberlichter vorhanden, müssen im Minimum 300 Lux in 95 Prozent des
Raums gemessen werden. Denn um Sehaufgaben zu lösen, ist eine
Beleuchtungsstärke von mindestens 300 Lux erforderlich. Bei allen
Sichtöffnungen muss zudem das Verglasungsmaterial eine Aussicht bieten, die als
klar, unverzerrt und neutral gefärbt wahrgenommen wird.
Nach der Meinung des Zürcher Lichtgestalters Christian Vogt
zählen aber nicht allein die Lux-Werte. Entscheidend seien auch die Wirkung und
Atmosphäre eines Raums. Beim Umbau des Bahnhofs Oerlikon zum Beispiel habe sich
die Frage gestellt, wie sich die gestalterische Wirkung der grünen
Glasbaldachine bei grauem Himmel oder bei strahlendem Sonnenschein verändert.
Das Abwägen zwischen Tages- und Kunstlicht prägt den Arbeitsalltag des
Lichtgestalters. Vogt spricht sich dafür aus, zuerst Lösungen mit Tageslicht zu
suchen, bevor künstliches Licht eingesetzt wird. Dabei erhellt von oben
einströmendes Tageslicht einen Raum um ein Vielfaches intensiver und in einer
anderen Farbe als seitlich einfallendes Licht. Vogt setzt auch Lenkungssysteme
ein, die Tageslicht ins Gebäudeinnere führen.
Altes Wissen ging verloren
Viel altes Wissen über das Bauen mit Tageslicht sei verloren
gegangen, stellt Vogt fest. Heute begegne man zum Beispiel auch bei vielen
Architekten oft dem Irrglauben, auf Nordfassaden gelange kein Sonnenlicht.
Tatsächlich könne das ganze Sommerhalbjahr die Sonne auf eine nach Norden
ausgerichtete Fassaden scheinen – und das bis zu acht Stunden am Tag. Noch vor
100 Jahren seien die Fenster von Sheddächern im Frühling mit Kalkfarbe
behandelt worden, damit im Sommer nicht zu viel direkte Sonnenwärme in die
Räume gelangen konnte. In den Kellerräumen von Privathäusern sei es für die
Planer bis in die 1950er-Jahre selbstverständlich gewesen, die Simse unter den
oft kleinen Fenstern zum Raum hin abzuschrägen. Die Mehrausbeute an Tageslicht
beträgt etwa 300 Prozent gegenüber dem heutigen Standard eines rechtwinkligen
Simses. «Dabei wäre ein einfacher Keil beim Betonieren ein sehr günstiges
Mittel», so Vogt.
Quelle: Velux
Das Sunlighthouse in Pressbaum bei Wien. Eine Reihe von Dachflächenfenstern leiten das Tageslicht von allen Seiten tief in den Wohnraum.
Der österreichische Architekt Juri Troy sieht Tageslicht als
Werkstoff, der Materialien und Oberflächen zu besonderer Wirkung verhilft. Für
ihn ist der Einbezug des Tageslichts Teil einer ganzheitlichen
Architekturauffassung. Das Tageslicht spiele eine massgebliche Rolle, wenn es
um die Aufenthaltsqualität in Innenräumen, den Aussenbezug, den Energiehaushalt
von Gebäuden und die Lesbarkeit von Oberflächen und Materialien gehe. Sein Büro
hat beispielsweise das Sunlighthouse in Pressbaum bei Wien entworfen, das erste
CO2-neutrale Einfamilienhaus Österreichs mit überdurchschnittlich hohem
Tageslichtanteil. Es entstand im Rahmen des europaweiten Projekts «Model Home
2020», das vom Dachfensterhersteller Velux gestartet wurde. Die Form des
Baukörpers wurde von Überlegungen bestimmt, wie sich die Lichtverhältnisse über
den Tag und das Jahr verändern. So wird der Dachraum von einer Reihe von
Dachflächenfenstern geprägt, die Tageslicht von allen Seiten tief in den
Wohnraum leiten.
Haus ohne Heizung und Lüftung
Dass ein Haus ohne Heizung und Lüftung auskommt, beweist der
Graubündner Solararchitekt Andrea Rüedi. Bereits 1993 baute er in der Bündner
Gemeinde Trin eines der ersten Passivhäuser Europas. Seither erstellte er
zahlreiche Wohn- und Geschäftsgebäude, die auf die direkte Nutzung der
Sonneneinstrahlung ausgelegt sind. Benötigt werden laut Rüedi bloss grosse
Fensterfronten gegen Süden und massive Oberflächen zur Speicherung der
gewonnenen Sonnenwärme. Hightech ist einzig die Steuerung des Sonnenschutzes,
der das Haus vor Überhitzung schützt. Für die Nachtauskühlung im Sommer sorgt
nächtliche Querlüftung. Der verbleibende Energiebedarf, etwa für Warmwasser,
kann mit erneuerbaren Energien gedeckt werden, zum Beispiel aus
Photovoltaikanlagen.
Licht löse aber nicht nur visuelle, sondern auch
nicht-visuelle Reaktionen aus, die für das Wohlbefinden und die Gesundheit des
Menschen wichtig sind, erklärt Christian Cajochen, Leiter des Zentrums für
Chronobiologie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Erst 2002
wurden lichtempfindliche Zellen in der Netzhaut des Auges entdeckt, die nicht
dem Sehvermögen dienen, sondern direkt mit einem Nervenknäuel im vorderen
Hypothalamus des Gehirns verbunden sind. Diese Hirnregion, gerade einmal so gross
wie ein Reiskorn, gibt den inneren Uhren aller unserer Körperzellen einen
24-Stunden-Takt vor, den sogenannten circadianen Rhythmus. Geraten diese
Zeitmesser aus dem Tritt, können Schlafprobleme, psychische Störungen oder
verschiedene Krankheiten die Folge sein.
Licht-Dosimeter entwickelt
Messgeräte zur Erfassung der
Lichtexposition einer Person fehlten bisher in der Forschung. Ein
interdisziplinäres Team aus Fachleuten der HSLU und externen Experten hat nun
in einem dreijährigen Projekt ein sogenanntes Licht-Dosimeter entwickelt: Ein
Messgerät, das die Lichtmenge und Zusammensetzung der Wellenlängen über längere
Zeiträume aufzeichnet.
Quelle: Licht@hslu
Das an der Hochschule Luzern entwickelte Licht-Dosimeter zeichnet die Lichtmenge und Zusammensetzung der Wellenlängen über längere Zeiträume auf.
Es handle sich um eine Art Schrittzähler für Licht, erklärt
Janine Stampfli, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HSLU. Das rund 30 Gramm
schwere Gerät miss alle zehn Sekunden auf Augenhöhe: Es wird an einer Brille
getragen. Eine massgeschneiderte Software wertet die Messdaten aus. Das neue
Licht-Dosimeter wurde bereits vom eidgenössischen Institut für Metrologie
(Metas) getestet. Man hoffe, es bald in Labor- und Feldversuchen einsetzen zu
können, sagt Stampfli. Die Erkenntnisse könnten helfen, in der Gesellschaft das
Bewusstsein für den Einfluss von Licht zu schärfen. Tages- und Kunstlicht
sollen genutzt werden, um positive Entwicklungen zu unterstützen und negativen
vorzubeugen.
Die finanziellen Mittel für das Projekt stellte die
Velux-Stiftung bereit. Die gemeinnützige Stiftung fördert Forschungsprojekte,
die sich mit Tageslicht-Technologie und der Bedeutung der natürlichen
Helligkeit für den Menschen und die Natur auf biologischen und medizinischen
Gebieten beschäftigen. Der grösste Teil der Einnahmen des Unternehmens fliesse
in Stiftungen, sagt Lone Feifer, Direktorin für Nachhaltigkeit und Architektur
bei Velux. Der Gebäude-Designer sei wichtiger für unsere Gesundheit als der
Arzt, zitiert sie den Harvard-Professor Joseph G. Allen.
Klimaneutralität als Ziel
Velux gehört auch zu der wachsenden Zahl von Firmen, die
sich klimaneutrale Geschäfte zum Ziel gesetzt haben. Der weltweit grösste
Dachfensterhersteller bekennt sich nachdrücklich zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser
Klimaschutz-Abkommens. Bis 2030 will er ein zu 100 Prozent CO2-neutrales
Unternehmen werden und die CO2-Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette
auf die Hälfte senken. Dazu will Velux an seinen Produktionsstandorten die
Investitionen in Energieeffizienz verstärken und wo immer möglich auf
erneuerbare Energien umstellen und zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren
Quellen nutzen. Zudem sollen die Produkteanforderungen und der Einkauf von
Materialien grundlegend geändert werden.
Bis zu seinem 100-jährigen Bestehen im Jahr 2041 will das Unternehmen sogar «lebenslang klimaneutral» werden. Das heisst: Es will bis dahin seine gegenwärtigen und vergangenen CO2-Emissionen wieder einfangen. Insgesamt 5,6 Millionen Tonnen CO2 hat es nach eigenen Angaben seit seiner Gründung ausgestossen.
Eine altbewährte Art, Treibhausgase zu binden, ist der
Waldschutz. Mit der Naturschutzorganisation WWF hat Velux eine 20-jährige
Partnerschaft für Wald- und Naturprojekte in der ganzen Welt geschlossen. In
Uganda zum Beispiel sollen geschädigte Wälder aufgeforstet, Naturwälder
geschützt und ausserhalb von Schutzgebieten Nutzholz-Plantagen angelegt werden.
In Myanmar werden Stiftungsgelder eingesetzt, um die vielen wichtigen
Wildtierkorridore entlang des Singkhon-Passes zu sichern und die einzigartige
biologische Vielfalt dieses Gebiets zu erhalten.