Stressiges Ausgraben und Retten
Der anhaltende Bauboom in der Schweiz sorgt für viel Arbeit bei Kantonsarchäologen im ganzen Land. Notgrabungen sind sozusagen an der Tagesordnung. Allein der Archäologische Dienst des Kantons Bern verzeichnete im 2011 insgesamt 74 grössere und kleinere Rettungsgrabungen.
Wo gewohnt und gearbeitet wird, war meist schon vorher jemand da. Nicht selten haben heutige Städte und Dörfer eine Jahrhunderte oder gar Jahrtausende lange Vorgeschichte als Siedlungsräume. So ist es nicht verwunderlich, dass die starke Bautätigkeit immer wieder auch zu archäologischen Überraschungen in Form von Kulturgut führt, das seit Jahrtausenden im Boden schlummert. Das hat nicht selten Zielkonflikte zwischen „Bauen“ und „Bewahren und Retten“ zur Folge.
Grundsätzlich bemühen sich die archäologischen Dienste vor Baubeginn aktiv zu werden. Überraschungen während einer Bauphase sind aber nie auszuschliessen. Meist geschieht alles unter Zeitdruck. So hatte die Thurgauer Kantonsarchäologie letztes Jahr nur knapp drei Wochen Zeit, vor einem Baubeginn einer Gewerbe- und Wohnliegenschaft in Steckborn, Zeugnisse und Spuren von jungsteinzeitlichen Pfahlbaudörfern aus der Zeit von 3800 bis 2800 v. Chr. zu sichern und zu bergen. Gefunden wurden Pfähle, Knochensplitter, Scherben, Werkzeuge, die auf eine Intensive Besiedlung schliessen lassen.
Eine der spektakulärsten Notgrabungen der letzten Jahre fand auf der Baustelle des Zürcher Opéra-Parkings statt, wo man innerhalb von neun Monaten insgesamt 20'000 Holzpfähle und Tausende von Gegenständen von fünf Besiedlungsschichten aus der Jungsteinzeit vor etwa 5000 Jahren bergen konnte. Die Schweizerische Seenlandschaft zwischen Bodensee und Genfersee, dem Jurafuss entlang, ist die grösste Ausgrabungsstätte Europas für die Zeit der Pfahlbauer.
In diesem Kontext sind auch die Berner Kantonsarchäologen, ausgelöst auch hier durch den Bauboom, vollauf beschäftigt mit grösseren oder kleineren Rettungsgrabungen, natürlich nicht nur aus der Jungsteinzeit. 2011 führte der Archäologische Dienst des Kantons Bern 74 grössere und kleinere Rettungsgrabungen durch. Zusammen mit den Einsätzen für vorbeugende Massnahmen ergaben sich für die Berner Archäologen rund 260 Feldeinsätze.
Besonders ergiebig gestalteten sich Grabungen im Zentrum des Städtchens Unterseen zwischen Brienzer- und Thunersee. Schon früher wurden dort Zeugnisse aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit gefunden, neben Steinkistengräbern aus alemanischer und frühchristlicher Zeit mit reichen Grabbeigaben. Neueste Grabungen im Rahmen von Leitungssanierungen führen nun zur Erkenntnis, dass das Städtchen im Mittelalter anders aussah, als man bislang annahm.
Als Glücksfall für der Berner Kantonsarchäologen erwies sich auch eine Rettungsgrabung in Attiswil, im Oberaargau. Sie förderte die Überreste eines eisenzeitlichen Gutshofs zu Tage. Zu den Funden gehörte auch etwas Schmuck aus Eisen und Bronze sowie Getreidereste aus denen geschlossen werden kann, dass schon etwa 500 Jahre v.Chr. am Jurasüdfuss systematisch Ackerbau betrieben wurde. (mai)